3D Labyrinth

Zugegeben. es ist nicht alles einfach, im Moment. © fdecomite under cc

Das Jahr 2017 scheint zu beginnen, wie das alte aufhörte und das ist mindestens ärgerlich, so dass wir Ansätze für Wege aus der Krise aufzeichnen wollen. Das zwar in aller Demut, aus dem Wissen, dass die Psychologie auch nur einen Teil des Lebens abbildet, aber immerhin sind wir alle Psychen, erleben Welt als Psyche und können unsere Psyche von der Geburt bis zum Tod nicht abstreifen oder verlassen. Dennoch soll die erste Frage lauten:

Kann die Psychologie überhaupt helfen?

Gemeint ist, bei der Aufarbeitung, dem Verstehen und der Lösung von Krisen. Psychologie wird schnell als Methode für den Einzelnen angesehen, bestenfalls noch für eine Analyse gewisser gesellschaftlicher Zeitströmungen, aber sie gilt nicht als ein ernsthaftes Mittel zur Lösung von Problemen. Freuds Interesse galt immer auch der Analyse der Gesellschaft, ein Ast der verloren gegangen ist, darüber hinaus gibt es jedoch auch noch die Psychologie der Gesellschaft, der sozialen Prozesse (oder Sozialpsychologie), der Massen und kleinen und großen Gruppen.

Doch ich glaube, dass wir gerade heute nur Wege aus Krise finden, wenn wir psychologisch verstehen wollen und können, was in der Welt oder mindestens mal bei uns passiert, denn überall ploppen Fragen über sehr psychologische Themen aus dem Boden: Wo kommen auf einmal all der Hass und all die Häme her, wo ist die Zivilcourage hin, sind Deutsche oder Einwanderer Menschen, vor denen man Angst haben muss?

Von Hysterie und Narzissmus ist die Rede, alles mindestens mal knietief psychologische Fragen, warum man sich bei möglichen Antworten aus der Psychologie aber Augen und Ohren zuhält, bleibt unverständlich.

Verstehen statt Pathologisieren

Dabei geht es zuerst ums Verstehen. Man muss überhaupt wissen, was passiert, in unserem Fall werden wir mit einem psychologischen Blick auf das schauen, was uns alle in den letzten Monaten oder Jahren bewegte. Es geht nicht darum, diese oder jene Gruppe a priori zu pathologisieren, denn das hieße die Psychologie zu instrumentalisieren und für die Vorurteile dieser oder jener Lesart zu missbrauchen. Dann sind die politisch-weltanschaulichen Gegner, vorhersehbar, nicht nur auf der falschen Seite, sondern nun auch noch krank, weil sie stehen, wo sie stehen, meinen, was sie meinen, eine zirkuläre Zementierung von Ressentiments, die kein Mensch braucht.

Es sind diese einstudiert wirkendenden Reflexe, die di Lorenzo und Wefing hier kritisieren, die langweiligen, unkreativ sind und zu nichts führen. Der immer gleiche Singsang, den man kennt, inzwischen etwas zu gut.

Gute Psychologie ist weltanschaulich neutral und wird zur Pseudopsychologie, wenn sie ihre Neutralität verlässt. Zwar ist jeder, der sich mit Psychologie beschäftigt, auch ein Bürger mit einer privaten Meinung, das sollte man aber wissen und „ins Amt“ gehen, das heißt von dieser Meinung abstrahieren können. Ich will versuchen, das zu leisten, deshalb ein knappes Wort in eigener Sache. Ich bin eher schwach an Politik interessiert und mir geht die ganze Politisierung der Gesellschaft gehörig auf den Geist. Politik ist dann am besten, wenn sie geräuscharm im Hintergrund ihren Dienst tut und unser Leben nicht groß tangiert, dann macht sie vieles richtig. Das ist es, was ich erwarten würde und ebenfalls die Erwartung, zu der die Bürger nach meiner Überzeugung berechtigt sind. Den Grad sich selbst aktiv politisch einzubringen mag jeder für sich selbst bestimmen. Soweit zu meinen Vorurteilen.

Ich glaube, dass die Psychologie tatsächlich helfen kann, dass vieles von dem was passiert, keinesfalls unverständlich ist und dass man es unabhängig von der politischen Farbe an- und aussprechen sollte, wenigstens diese gute Absicht zu haben nehme ich hier für mich in Anspruch.

Der Mythos vom undankbaren Bürger

Seit längerem beschäftigt mich das Phänomen, dass das sogenannten subjektive Empfinden mit der sogenannten objektiven Realität nicht mehr zusammen zu passen scheint. Das begann damit, dass der Euro kein Teuro sein sollte, wobei weite Teile der Bevölkerung das Gefühl hatten, die Löhne seien halbiert worden, während die Preise schnell von 5 D-Mark zu 5 Euro wurden. Etwas übertrieben und mit den Ausnahmen Heizöl und Telekommunikation, aber tendenziell. Nun, wir wurden immer wieder aufgeklärt, dies sei eine Illusion. Auch heute werden wir mit Untersuchungen und Graphiken zugeschüttet, die uns alle eine ähnliche Botschaft verkünden: Leute, ihr fühlt euch vielleicht schlecht, aber ihr irrt euch. Seiten wie ourworldindata.org bieten ein Sammelsurium an positiven Daten.

Ein Problem könnte sein, dass die Veränderungen in der Welt zu schnell geschehen, auch dort wurde dieser Punkt thematisiert. Nun bleibt aber dieses Unbehagen bestehen und die Frage ist: Muss man sich rechtfertigen, wenn man sich schlecht fühlt? Vielleicht sind die Gründe, die man ausmacht falsch, aber nicht das Gefühl. Aber warum fühlen sich die Menschen, wie sie sich fühlen? Wer hat etwas davon, wenn man ihnen meint nachweisen zu können, dass sie alle einem Irrtum verhaftet sind? Man fühlt sich ja nicht besser, wenn man das hört, erst recht nicht ernst genommen.

Ich bin auch der Auffassung, dass in etlichen Punkten ein schlechtes Gefühl einer falschen Ursache zugeschrieben wird, aber es bleibt der Befund, dass, wenn man dafür auch noch verächtlich gemacht und vorgeführt wird, die Situation schlimmer wird. Die Metabotschaft dabei ist nämlich, dass man nicht nur kleingeistig und im Irrtum, sondern obendrein auch noch ichbezogen und undankbar ist. Zwar gibt es immer ein paar Verlierer: der Wende, der Globalisierung und überhaupt, aber so ist eben das Leben, freut euch, dass es allen statistisch besser geht. Man kann sich vorstellen, dass diese Freude überschaubar bleibt. Man kann sich ebenfalls vorstellen, dass die Botschaft: „Ihr seid halt arme Schweine, tja Pech, aber kümmert euch lieber um andere arme Schweine“, nicht überall auf Stürme der Begeisterung trifft. Die gefühlte Schieflage ist das Problem. Warum wird den einen geholfen, aber den anderen nicht?

Postfaktisch oder doch nicht?

„Postfaktisch“ hat es zum Wort des Jahres geschafft. Gemeint ist damit, dass Gefühle, Stimmungen, selbstreferentielle Aussagen und sogar Lügen für einige Menschen den gleichen Wert zu haben scheinen, wie Fakten und gut gesicherte Wahrheiten. Aber wie kam es dazu? Einfach so? Und wieder ist die erste Reaktion gewesen, sich über die vermeintlichen Deppen lustig zu machen. Das war noch alles sehr unpolitisch, es kam eher aus der Ecke von Leuten, die überall Verschwörungstheorien witterten. Und was Verschwörungstheorien sind, das bestimmte die immer gleiche Clique: männlich, gebildet, aggressiv mit einer leichten Tendenz zur Selbstüberschätzung. Menschen, die sich und anderen vor allem in Internetforen und sozialen Medien, die immer mehr soziales Gewicht bekamen, die Welt zu erklären. Oft mit einem weltanschaulichen Hintergrund, der auffallend wissenschaftsgläubig war.

Mythisch-rationale Menschen, oft unfähig zur Selbstreflexion, bei der sie hätten merken können, dass auch ihr Glaube auf unhinterfragten Bedingungen beruht, aber mit einer gewissen aggressiven Herablassung ausgestattet, die sich oft gegen religiöse Menschen richtete, deren Glauben man kritisierte. Das war noch nicht gegen eine spezielle Religion (und wenn, dann eher gegen das Christentum), vor allem aber auch gegen alternative Medizin und Esoterik gerichtet und das, was man dafür hielt. Das alles zu einer Zeit in der in den Bereichen der Wissenschaft und Medizin selbst Barrieren abgebaut wurden. Aber das störte die Anhänger und Dogmatiker nicht, die sich berufen fühlten, für die zu sprechen, die selbst viel entspannter waren.

Diese Protagonisten wurden besser, professioneller und organisierter. Nicht inhaltlich, aber was verbale Tricks und Kniffe anging. Wenn die Fähigkeit zur Selbstreflexion nicht ausgeprägt ist, wird das in der Regel auch nicht trainiert, wenn man sich im fröhlichen Bashing anderer übt. Was sich festsetzte, waren nicht die besseren Argumente, sondern der längere Atem und die größere Aggression. Eine Aggression, die man selbst nicht bemerkte, hatte man doch obendrein den selbstgewählten gefühlten Auftrag, die Welt vor Dummheit und Aberglauben zu bewahren.[1]

Keine Frage, es gibt Verschwörungstheorien. Manche sind tatsächlich selten dämlich, aber was ist mit den Graubereichen, mit dem, wo eben nicht alles sonnenklar ist? Kurz nach 9/11 galt man vermutlich als Verschwörungstheoretiker, wenn man die Kriegsgründe der Amerikaner nicht geglaubt hat, heute ist man schlauer. Auf Verflechtungen von Politik und Wirtschaft hinzuweisen ist sicher nicht übermäßig paranoid und dass nicht alles Gold ist, was als wissenschaftlich erwiesen so glänzend dasteht, sollte auch klar sein, vor allem, wenn man weiß, woran man die Unterschiede erkennt.

Viele „Wahrheiten“ sind einfach nicht wahr, sondern irgendwelche tradierten Überzeugungen. Das gilt für Historisches, als beliebige und kleine Auswahl seien genannt: Populäre Mythen, Missverständnisse und historische Streitpunkte über das Mittelalter; der humorlose Existentialist Franz Kafka, der weder humorlos noch Existentialist war und über Galileo Galilei heißt es bei Arthut Koestler:

„Im Gegensatz zu dem, was man in den meisten Darstellungen des Werdegangs der Naturwissenschaften zu lesen steht, erfand Galilei das Teleskop nicht, ebenso wenig wie das Mikroskop, das Thermometer oder die Pendeluhr. Er entdeckte weder das Trägheitsgesetz noch das Kräfte oder Bewegungsparallelogramm, noch die Sonnenflecken. Er leistete keinen Beitrag zur theoretischen Astronomie, er warf keine Gewichte vom schiefen Turm zu Pisa und bewies die Richtigkeit des kopernikanisches Systems nicht. Er wurde von der Inquisition nicht gefoltert, schmachtete nicht in ihren Verliesen, sagt nicht ‚und sie bewegt sich doch‘ und war kein Märtyrer der Wissenschaft.“[2]

Doch das betrifft nur historische „Wahrheiten“, gegenwärtige sind oft nicht besser. Der Buchautor und Bericherstatter aus Krisengebieten Hans Christoph Buch berichtet von seiner oftmals vom Mainstream und dem was man hören und glaube wollte abweichenden Erfahrungen aus Krisengebieten, die er, im Unterschied zu anderen tatsächlich bereiste.[3] Und das betrifft auch die merkwürdig krititsch-aufgeklärten Formen von Wissen, über die Psychoanalyse, die Max Gitelson wie folgt zusammenfasst:

„Es gibt viele Menschen, die an die Psychoanalyse glauben, außer wenn es um Sex, Aggression und Übertragung geht.“[4]

Es sind gebildete Menschen, die zu einem guten Teil den Irrtümern, Schein- und Halbwahrheiten verfallen sind, von denen eben die Rede war. Doch das Gegenbashing, dreht nur weiter an der Eskaliationspirale, es geht jedoch darum zu zeigen, wie viel von unseren vermeintlich klaren Wissen weder klar noch richtig ist.

Die Schere zwischen Arm und Reich

Die Wege aus der Krise müssen dahin führen, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht größer wird, auch und vielleicht vor allem die Schere zwischen relativer Armut und Reichtum. Es entspricht dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen bei uns, dass derjenige, der mehr leistet und dies länger tut, auch etwas besser entlohnt wird, aber niemand kann mehr nachvollziehen, wenn Spitzengehälter bis ins Obszöne überhöht sind und auf der anderen Seite, Menschen, die wirklich viele Jahrzehnte hart gearbeitet haben, im Alter kaum über die Runden kommen.

Das ist und bleibt ein wesentlicher Faktor sozialer Spannungen, zugleich ein Quelle für die Verstärkung schwerer Persönlichkeitsstörungen und gesellschaftliche Regressionen, der Punkt wird uns weiter unten noch ausführlicher beschäftigen.

Einwanderer und ihr Verhalten

Ein heikler Punkt, gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte. Auch ein wunder Punkt. Es wäre falsch zu sagen, die Geschehnisse der Nazizeit seien lange vorbei und wir hätten nichts mehr damit zu tun, denn historische Verantwortung ist etwas anderes als Schuld. Andererseits ist die Doktrin um Himmels Willen nur nicht zu weit rechts zu erscheinen etwas, was ebenfalls instrumentalisiert werden kann. Die Ereignisse der Kölner Silversternacht 2015/16 stellten eine Zäsur dar, das mag man erfreut oder mit Bedauern sehen, es ist schwer zu leugnen, dass es so ist.

Man darf durchaus einen naiv unpolitischen Standpunkt einnehmen und das Ganze auf die eigene Person übertragen. Wer Herz und Kopf nicht völlig verschließt, wird nachempfinden können, was der Verlust der Heimat, von Hab und Gut und womöglich der Tod von Angehörigen für eine Katastrophe ist. Gerade psychologisch informierte Menschen werden wissen, dass auch ein Trauma entsetzlich ist und dass traumatisierte Menschen schwer leiden. Umso dankbarer sollten Menschen sein und sind es in der Überzahl der Fälle auch, wenn sie Hilfe bekommen. Umso unverständlicher, gleich wie klein oder groß die Not ist, wenn Menschen, die in Not sind, nicht ein Mindestmaß an Dankbarkeit zeigen, wenn ihnen geholfen wird.

Es kann durchaus sein, dass manche Menschen, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage sind Dankbarkeit zu zeigen, aber die Gesellschaft hat ein Recht darauf, diese einzufordern und sich vor Verachtung zu schützen und Undankbarkeit negativ zu sanktionieren. Eine starke Gesellschaft reagiert nicht exzessiv, sondern gelassen, aber sie lässt sich auch nicht auf der Nase herumtanzen. Man darf von einander erwarten, dass man sich fair und gemäß der Regeln verhält, die in der Gesellschaft heute als normal gelten. Das ist insbesondere dann notwendig, wenn wir weiteren Regressionen Einhalt gebieten wollen, bei einer weiterer Zunahme Wege aus der Krise nur schwer zu finden. Eine Vielzahl von Menschen sind tatsächlich verunsichert, ohne als aufgesetzt „besorgte Bürger“ ihre Sorge zu instrumentalisieren. Es ist zu einfach, reflexhaft und auch falsch die Sorgen der Menschen in die Ecke von rechten Ressentiments zu schieben, weil das nur neue Feindbilder erzeugt und alte verfestigt. Es sind nicht nur die ungebildeten, alten, weißen Männer aus ländlichen Regionen, die sich da zu Wort melden, eine Aussage, die obendrein dem Rassismus noch Sexismus und weiteres hinzufügt.