Sexsucht kann ein teurer Spaß werden
Viel Zeit vor Pornos und sexualisiertem Material beeinflusst das Gehirn nachhaltig und die Pornofilme laufen bei suchtanfälligen Menschen im Kopfkino weiter. Viele Stunden am Tag werden mit sexuellen Fantasien verbracht. Durch die übernatürlichen Stimuli der Bilder – mit oder ohne Masturbation – werden Dopamin-Kicks ausgelöst, die direkt auf das Belohnungssystem des Gehirns wirken. Eine anfängliche Sensibilisierung mit starker Reiz-Reaktion folgt ein langsam schleichender Prozess der Desensibilisierung mit hirnorganisch nachweisbaren Veränderungen. Der Wunsch nach Realisierung und Reizoptimierung des im Geheimen erlebten einsamen Vergnügens wächst. In einer Übergangsphase werden Fühler ausgestreckt nach realen Kontakten, initial oftmals noch im virtuellen Kontext über Sexchats, anonymisierten Flirts oder dem Einholen konkreter Information über sexuelle Dienstleistungen im Internet.
Weiter progredient wird versucht reale Sexpartner zu finden, mit denen die eine oder andere Fantasie zu erleben wäre. Männer aller Schichten bedienen sich hier allein in Deutschland einer großen Anzahl von geschätzt 1 Mio. Sexarbeiterinnen, die legal oder illegal dem Gewerbe nachgehen und ihre Dienste in entsprechenden Laufhäusern, Saunaclubs, Modellwohnungen oder in Teilzeit als Nebenjob auf Webseiten anpreisen. Im Internet für jedermann frei nachlesbar werden zu Messezeiten oder Peaks wie dem Oktoberfest Hundertschaften von Frauen eingeschleust, oftmals aus den ärmeren osteuropäischen Ländern. Das erste Mal bei einer Sexarbeiterin ist für die meisten Männer eine größere Überwindung oder Mutprobe. Dann bahnt sich die Sucht weiter Ihren Weg und seriöse Familienväter oder feine Geschäftsleute werden in ihrem Doppelleben zu Freiern, die sich je nach Geldbeutel auf dem Straßenstrich einen Blowjob bei den Armutsprostituierten für 20 Euro holen oder sich in feinen Hotels mit Escorts für 2.000 Euro/Nacht vergnügen.
Dies ist eines der Bereiche in Beziehungen, der am meisten tabuisiert wird und damit oftmals völlig im Verborgenen bleibt. Sexarbeiterinnen und Freier sind sich dabei oftmals ähnlicher als ihnen lieb ist. Beide versuchen ein empfundenes Defizit im Bereich Selbstwert zu kompensieren und geben sich dabei einer Illusion hin. Am Ende steht der Akt der „Entwertung“, der symbolisch durch die Geldübergabe stattfindet. Eine wirkliche Nähe, nährende Befriedigung und nachhaltig Beziehung findet nicht statt, ganz im Gegenteil werden Freier häufig von schlechtem Gewissen geplagt, sie fühlen sich ebenso wie die Sexarbeiterinnen „beschmutzt“ und durch das inadäquate Milieu erniedrigt. Damit weicht die Freude, Spannung und Aufregung vor dem Besuch einer Enttäuschung am Ende, gefolgt von weiterer Ruhe- und Rastlosigkeit, die immer wieder neue Besuche bahnt nach dem Motto: „vielleicht wird mir das nächste Mal das gegeben, was ich brauche um meine Defizite auszugleichen“.
Hinzu kommt ein großer Trend, der in Richtung anonymen Sex geht, vor allem im homosexuellen Bereich mit entsprechenden Cruising-Zonen, Klappen, Glory-holes. Hier geht es wenig selektiv zu und die rasche Triebabfuhr steht im Vordergrund. Diese Gelegenheiten werden nicht immer nur von homosexuellen, sondern durchaus auch im offiziellen Leben heterosexuell lebenden Männern aufgesucht.
Auf der anderen Seite steht der zunehmend größerer Markt von Börsen für Affären, Freundschaft-Plus, und verschiedensten Lebensformen à la „JOYclub“. Die Sucht verschleiernd, werden Partner manchmal dazu überredet Teil der „Sex-Beschaffung“ im Rahmen von Paartausch oder Besuch von Swinger Clubs und entsprechenden Partys zu werden. Mein Partner als Pfand, um an weitere Sexkontakte zu kommen. Paare, die hier am „Markt der Möglichkeiten“ agieren, kennen oftmals die versteckte Agenda und wirklichen Wünsche und Absichten des eigenen Partners nicht. Am Anfang ist alles aufregend und neu, doch irgendwann merken die Personen, das auch hier ganz reale Personen mit vielen Problemen hinter den Hochglanzbildern und optimierten Profilen stecken. Viele Beziehungen halten die Belastungsproben der verführerischen Welt nicht aus, es kommt zu Vertrauensverlusten und fatalen Ausgängen.
Die ganze Entwicklung in die Sexsucht ist ein großes Kontinuum, die Stufen sind fließend und am Ende vermischt sich ein großes Repertoire von Pornokonsum, Masturbation, Affären, Besuch von Sexarbeiterinnen und/oder anonymen Sex neben dem partnerschaftlichen Sex in der Ehe. Einige meiner betroffenen Klienten verwenden fünfstellige Beträge im Monat für die Ersteigerung von „Entjungferungen“, Buchung von Escort und haben weit über 10 Geliebte parallel. Betroffene vernachlässigen ihren Job, die Partnerschaft und Kinder, geraten zunehmend in eine Isolation, gehen immer größere Risiken ein, auch im Bereich Gesundheit.
Fakt ist: hohe Promiskuität und Sex mit Risikogruppen, zu denen auch Sexarbeiterinnen gehören, mit teilweise unsicheren Praktiken wie ungeschützter Sex (auch ungeschützter Oralsex zählt dazu, der bei den meisten Sexarbeiterinnen zum Standardprogramm gehört um wettbewerbsfähig zu bleiben), führen zu erheblichen Kollateralschäden.
Es baut sich ein Lügengerüst auf, die Betroffenen kommen immer mehr unter Druck, wirken in der eigenen Beziehung abwesend oder aggressiv. Die anfängliche Freiheit wird zunehmend zu einem Gefängnis, aus anfänglichen Tätern werden Opfer. Oftmals braucht es Jahrzehnte bevor den Betroffenen das Ausmaß ihrer Sucht klar wird. Ein sehr großes Leid für Betroffene, aber auch für Partner und Kinder, die in Suchtfamilien eingebunden sind und leiden, ohne die fehlenden Puzzlestücke im Einzelfall zu kennen.