Imagination
Ist Bewusstsein das eine Element, so ist es doch nicht alles. Seit Sigmund Freud ist die Psychotherapie, auch dort, wo sie nicht explizit freudianisch ist, in einem hohen Maße auf die bewusste Erkenntnis und Realität fokussiert. Das zwar mit einigem Recht, doch auf der anderen Seite gibt es immer wieder Indizien dafür, dass auch Methoden, die mit der Umgehung des Bewusstsein arbeiten, mit Bildern, Imaginationen, Emotionen, wie EMDR oder Imaginationstherapien ihre Berechtigung haben.
So ist auch die andere Seite der Individuations-Therapie das Setzen von Bildern und direkten Erfahrungen. Therapie ist immer auch das Öffnen von Fenstern, um Menschen neue Möglichkeiten und Ausblicke zur Verfügung zu stellen, ihnen zu zeigen, was es da sonst noch gibt. Die Erfahrung bei der Arbeit mit Imaginationen ist insofern interessant, als Bilder ein sehr direkter Ausdruck von Emotionen sind. Bilder drücken Emotionen aus und lassen uns Emotionen erleben, je plastischer und realer sie sind, umso mehr nehmen sie Erfahrungen vorweg und schaffen damit andere Möglichkeitsräume und Realitäten.
Was muss der Patient mitbringen?
„Den Willen mitzuarbeiten.“ Therapie bedeutet nie, sich hinzusetzen und dem Therapeuten zu sagen: „Dann zeigen sie mal, was sie können.“ Das ist eine falsche Anspruchshaltung. Therapie ist immer Teamwork und der Therapeut hilft dem Klienten, die Bereiche und Zusammenhänge zu sehen, die er vorher, aus was für Gründen auch immer, nicht sehen konnte. Wenn dem Patienten im Laufe der Zeit dämmert, dass er das, was er hier gesehen und mitgenommen hat im Zweifel ja auch alleine kann, so ist das nicht ärgerlich, sondern das Ziel. Und so ist der Wille zur Freiheit und Unabhängigkeit, die nicht mit Rücksichtslosigkeit verwechselt werden darf, zugleich Element als auch Ziel der Therapie.
Seine Lebenserfahrungen wird man nicht los, es geht auch nicht darum Erlebtes umzuschreiben oder schönzureden, sondern damit ausgesöhnt zu sein. Auch bei traumatischen Erfahrungen in der Kindheit kann das gelingen, so Klaus Ulbrich, wenn einem bewusst wird, dass der andere zu jenem Zeitpunkt auch nicht anders konnte. Das Ziel ist mehr Freiheit und die ist möglich, dennoch sollte man nicht verkennen, dass jemand oft umso determinierter, festgelegter ist, je unreifer er ist. Gelingt dies, so kann man verzeihen. Kinder in Ohnmachtssituationen neigen oft dazu, sich auch dann noch, wenn sie später erwachsen sind die Schuld für das Verhalten anderer zu geben, was zur Folge hat, dass die unbewusste Bearbeitung oft im Wiederholungszwang ein ums andere mal reinszeniert wird. Die Quelle jenes Ereignisses zu finden, bewusst zu machen und zu verarbeiten, auch indem man sich bewusst macht, dass man heute kein kleines Kind mehr ist und sich auch anders verhalten kann, ist ein wesentliches hypnotherapeutisches Element um Wiederholungszwänge zu durchbrechen.
Diese umfassen mitunter auch generationenübergreifende Muster, wie bei dem Fall einer attraktiven, dominanten aber auch selbstdestruktiven Klientin, die sich zu noch dominanteren Männern hingezogen fühlte, was schön war, solange alles gut ging und oft im Fiasko endete, sobald die Liebe verflogen war. Schon die Mutter der Frau erlebte in ihrer Kindheit eine Situation zwischen Lust und Schuld und zog daraus die Lehre, dass man Männer kontrollieren müsse, eine Botschaft die sie, bewusst oder unbewusst, an die Tochter weitergab, samt dem Gefühl des Versagens, wenn die Kontrolle, mal wieder, misslang. In diesem Fall wurde der bewusste Anteil der Psyche angesprochen, indem Ulbrich erläuterte, wie sie ihre gefühlte Schuld dadurch verringern wollte, dass sie versuchte immer dominantere Männer zu kontrollieren.
Um welche Krankheiten geht es?
Analog zur Psychosomatik geht auch die Individuations-Therapie davon aus, dass Krankheiten, wenigstens anteilig, kein Zufall sind, sondern eine Funktion und damit auch eine Botschaft haben. Sie sind ein manifester Ausdruck des Schattens. Erkennt an diesen, seine Botschaft und gelingt es sie auf anderem Wege umzusetzen, zu leben, macht man Krankheitssymptome nicht unmöglich, sondern überflüssig. Dieser Ansatz funktioniert zu gut, um ihn nicht ernst zu nehmen und in der nächsten Ausgabe dieser Reihe werden wir diskutieren, warum er funktioniert.
Neben den schon erwähnten Allergien und weiteren Autoimmunerkrankungen und der Raucherentwöhnung ist das Verfahren bei Verhaltensabweichungen wie Bettnässen, Nägelkauen, bestimmten Zwängen, Süchten und Psychoneurosen gut geeignet, auch bei Übergewicht, Ängsten, der posttraumatischen Belastungsstörung und Blockaden diverser Art. Auch bei klassisch psychosomatischen Symptomen wie Reizdarm, Morbus Crohn, Hypertonie, Schlafstörungen und Schmerzen verspricht Ulbrich sich viel von der Methode. Bei Durchblutungsstörungen wie Morbus Raynaud, bei Krebserkrankungen, Amnesie, der Rehabilitation nach Hirnläsionen. Eher unüblich ist, dass er sein Verfahren auch Schwerstkranken zur Verfügung stellt und seinen Ansatz als Referent einem Palliativnetz im Großraum Hannover vorgestellt hat, wo der Vortrag aufmerksam aufgenommen wurde. Doch die Hypnose in der Palliativmedizin einzusetzen ist tatsächlich ein erfolgversprechender Ansatz, weil er die Situation der Patienten vielfältig verbessern kann.[1] Hier eine schöne und knappe Einführung in die Möglichkeiten der Hypnotherapie in der Palliativmedizin.
Kontraindikationen sind Psychosen, Borderline-Störungen, geistige Behinderungen, Thrombosen und Schwangerschaften und des weiteren im Einzelfall abzuwägen, in Zweifelsfällen in ärztlicher Konsultation, idealerweise bei einem hypnosekundigen Arzt.
Resonanz und Ausblick
Die bisherige Resonanz von Patienten und im regionalen Umfeld ist erfreulich. Ulbrich ist Heilpraktiker für Psychotherapie und ein versierter Referent und präsentiert Therapieelemente zum Anfassen und Mitmachen, so dass die Zuschauer eine direkte Anschauung von Mensch und Methode haben. In mehreren Interviewgesprächen ist mir vor allem aufgefallen, dass er ein begeisterter Mensch ist, der an sich und seine Methode glaubt und die Möglichkeiten von durchaus bewährten Methoden systematisch neu arrangiert, um aus Fehlern zu lernen und neue Bereiche therapeutisch zu erreichen.
Wir werden die Entwicklungen der Ansätze und Verfahren in größeren und unregelmäßigen Abständen weiter verfolgen und ein Update vorlegen. Die Individuations-Therapie macht den Anfang, weil sie den Schritt in die Praxis bereits vollzogen hat und ein kleiner Baustein ist, der mithelfen kann, die noch immer etwas frustrierenden Lücken, auf die uns unsere Leser hinwiesen, ein wenig zu schließen.
Quelle:
- [1] Wolfgang Schulze, Hypnose in der Palliativmedizin, © www.MEG-Stiftung.de 2010, online abrufbar
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