Marionetten in der Reihe

Ist unsere Welt nur ein großes Marionettentheater? © Priit Tammets under cc

Die These, dass wir alle manipuliert seien, hört man immer wieder. Kandidaten, die unsere Freiheit vermeintlich oder tatsächlich beschränken, gibt es genügend und es ist eher die Frage, wie eng oder breit man das Thema betrachtet. Von der Werbung über die Presse, von der Politik bis zum Kapitalismus, aber auch Schule oder Erziehung kommen als Institutionen daher, die uns vermeintlich unfrei machen.

Nun, wie soll man das beantworten? Der eine meint, dass wir ganz sicher alle manipuliert seien und das sogar so gut, dass wir es selbst gar nicht mehr merken und nur denken, wir seien frei. Die andere meint, sie würde weitgehend selbst entscheiden, auf jeden Fall, bei den wichtigen Entscheidungen des Lebens. Wir können darüber abstimmen lassen, aber es bleibt als Ergebnis unbefriedigend, gleich ob wir hören, dass 10, 42 oder 86% meinen, dass wir alle manipuliert oder frei seien.

Es ist die Philosophie, die solche Fragen nicht nur per Mehrheitsbeschluss, sondern prinzipiell, per Kraft des Arguments entscheiden möchte. Wir wollen versuchen zu schauen, ob das gelingen kann.

Wir sind alle manipuliert: Wirklich?

Das ist eine beliebte aber auch extreme These, die jedoch relativ schnell in sich zusammen fällt. Denn Menschen, die dies behaupten, meinen in der Überzahl der Fälle gar nicht wirklich alle, sondern eigentlich die meisten Menschen. Sie selbst gehören in aller Regel nicht zu denen, die manipuliert werden, denn sie (und meistens noch ein paar andere) durchschauen angeblich das Spiel, „die Masse“ hingegen nicht. Wenn es wirklich ernst gemeint sein soll, dass wir alle manipuliert sind, warum sollte man dann auf den Überbringer dieser Nachricht hören, denn auch er wäre ja dann so manipuliert und unfrei, wie wir es angeblich sind.

Die Botschaft ist eher: Ich weiß mehr als ihr. Das müsste man dann inhaltlich prüfen, denn bis zu diesem Punkt fällt das Argument schon formallogisch durch. Der Behauptung, man selbst wisse mehr, kann man jedoch weiter nachgehen.

Wann ist man manipuliert?

Oder: Was heißt oder ist Manipulation? Bei Wikipedia ist es „die gezielte und verdeckte Einflussnahme, also sämtliche Prozesse, welche auf eine Steuerung des Erlebens und Verhaltens von Einzelnen und Gruppen zielen und diesen verborgen bleiben sollen“.[1]

Manipuliert sind wir also dann, wenn unsere Wahrnehmung gezielt, also absichtlich und verdeckt, also ohne unser Wissen und somit auch ohne unsere Zustimmung in Erleben, Bewertung, Einstellungen und Verhalten in eine bestimmte Richtung verändert werden.

Werbung

Der Klassiker der Manipulation ist die Werbung. Ihr einziger Inhalt ist die mehr oder weniger gut oder subtil vermittelte Botschaft: „Kauf mich!“ So genau wie es geht auf die entsprechende Zielgruppe zugeschnitten. Schön, schlank und sexy für sie; cool, sportlich und erfolgreich für ihn. Und wenn man dieses Auto, Deo oder Nahrungsmittel kauft, dann wird eine der Versprechungen wahr, so suggeriert es die Werbung.

Nun wissen die meisten Menschen in den meisten Fällen, dass es sich um Werbung handelt, es wird also mit halbwegs offenen Karten gespielt und die Kunst der Werbepsychologen und der Kreativabteilung besteht darin, die Verknüpfung eines erwünschten Zustandes – denn wer will nicht schön, frei, sexy oder erfolgreich sein? – mit einem Produkt herzustellen. Wenigstens so, dass es irgendwo in den Hirnwindungen hängen bleibt. Und so ist die Werbebotschaft eben mal auf jung, dynamisch, sexy oder sicher und verlässlich; rauh und männlich oder auch verrückt und individuell gepolt, je nach Zielgruppe.

Ist das Manipulation? Vielleicht ein bisschen und mit einem gewissen Augenzwinkern. Man kennt im Grunde das Spiel und lässt sich doch ein wenig drauf ein. Denn, wenn man sich für dieses Duschgel oder jenes Getränk entschieden hat, glaubt man vielleicht nicht bis in die letzte Faser, dass man dadurch wirklich frei oder für das andere Geschlecht unwiderstehlich wird, aber vielleicht will man tatsächlich ab und zu duschen oder trinken.

Foulspieler

Werbung muss als solche kenntlich gemacht werden, manchmal werden in Zeitschriften Anzeigen so verpackt, dass sie wie ein Artikel erscheinen und irgendwo am Rand findet man, gerne kleingedruckt: – Anzeige –. Hier macht man kenntlich, was man kenntlich machen muss, spielt aber damit, dass es vielleicht nicht jeder liest.

Das scheinbar zufällige Zurschaustellen von Produkten in Kinofilmen oder Serien ist eine Art der geschickten, aber verbotenen Werbung. Die höhere Kunst der Manipulation ist jedoch die, die gar nicht mehr als solche zu erkennen ist, wir kommen darauf zurück.

Sind wir manipuliert, wenn wir tun, was andere wollen?

Im ersten Moment scheint es so zu sein, aber auf den zweiten Blick ergibt sich ein anderes Bild. Denn entscheidend für die Frage nach dem Grad der Freiheit oder Manipuliertheit unserer Wünsche und Handlungen ist nicht, ob andere wollen, dass wir dies oder das tun, sondern entscheidend ist, was wir selbst wollen.

Stellen wir uns dazu folgende Situation vor. Jemand hat den Wunsch in den Urlaub zu fahren und ein Reiseunternehmer macht ihm ein Angebot. Es ist völlig klar, was der Reiseunternehmer will: Reisen verkaufen, das ist sein Beruf. Nun ist der Kunde aber seinerseits von dem Angebot komplett begeistert, freut sich und sagt: „Genau das ist es, was ich immer gesucht habe.“ Es kommt zur Buchung und der Reiseuntersuchnehmer hat sein Ziel eindeutig erreicht. Aber hat er den erfeuten Kunden manipuliert, nur, weil er wollte, dass der Kunde reist? Der Kunde wollte genau das doch auch. Ob sich der Reiseunternehmer dabei ins Fäustschen lacht, spielt gar keine Rolle.

Natürlich kann man den Inhalt beliebig austauschen, die Reise könnte auch ein Auto sein, ein Gericht im Restaurant oder eine Zeitschrift. Wenn wir damit einverstanden sind, wo ist das Problem bezogen auf Freiheit? Manipuliert ist da erst mal niemand, oder?

Die höhere Kunst der Manipulation

Bei der Werbung ist die Geschichte vergleichsweise offen, bei der Schleichwerbung etwas weniger, aber auch sie erkennt man, sonst gäbe es den Begriff der Schleichwerbung gar nicht. Gegen Formen der unlauteren oder irreführenden Werbung geht sogar die Justiz vor.

Aber muss man die Frage, ob wir alle manipuliert sind nicht tatsächlich bejahen? Denn, die höhere Kunst der Manipulation besteht darin, Bedürfnisse zu schaffen, die man eigentlich gar nicht hat. Und wenn man diese künstlichen Bedürfnisse dann bedient, hat der andere das Gefühl, er bekäme oder es geschähe genau das, was er will, tatsächlich ist sein Wollen aber bereits ein tiefer Ausdruck einer bei ihm nun geglückten Manipulation.

Das falsche Bewusstsein

Betrachtet man also den größeren Kontext könnte man sagen, dass manipulierte Menschen freiwillig unfrei sind. Ihre Träume, ihre Wünsche mögen zwar authentisch sein, in dem Sinne, dass sie das, was sie anstreben auch tatsächlich so meinen, aber genau das ist der Knackpunkt, denn das, was sie hier zum Ausdruck bringen, ist, so wird behauptet, gar nicht mehr ihr ureigener Wunsch. Zu diesem haben sie durch immer wiederholte Suggestionen nach und nach den Zugang verloren und statt dessen ein „falsches Bewusstsein“ entwickelt. Aus diesem heraus leben sie dann und all ihre Wünsche sind nur noch Surrogate einer verdrängten Bedürftigkeit.

Hat nicht auch Freud in etwa das behauptet, dass es eine verdrängte Ursprünglichkeit gibt, die man offenlegen und integrieren muss? Hat er, bei ihm sind es die verdrängten Triebwünsche des Es und so gibt es zwischen der Kritikern des „falschen Bewusstseins“ und der Psychoanalyse auch Koalitionen.

Das Thema einer verdrängten oder unterdrückten Eigentlichkeit des Menschen ist schon so oft, aus so unterschiedlichen Lagern herausgearbeitet worden, dass man den Verdacht haben darf, dass es nicht ganz falsch sein kann. Ob Kapitalismuskritiker wie Marx, Philosophen wie Martin Heidegger oder Jürgen Habermas, Psychoanalytiker wie Erich Fromm oder der schon genannten Sigmund Freud, sie stehen nur stellvertretend für eine längere Reihe von Denkern, die sich an dem Thema aus verschiedenen Perspektive abarbeiten.

Und ähnlich wie Freud, sehen linke Theoretiker die Lösung auch in der Bewusstmachung dieses Punktes. Der hier schon oft vorgestellte Psychiater und Psychoanalytiker Otto Kernberg kritisiert jedoch die Idee des falschen Bewusstseins:

„Habermas (1968, 1971) analysierte Ideologie in seiner Theorie als Resultat des falschen Bewußtseins einer sozialen Klasse, er entwarf die Auflösung dieses falschen Bewußtseins durch eine „kritische Theorie“, die selbst reflexive Aufklärung und soziale Emanzipation ermögliche. Er zog eine Parallele zwischen der Analyse von Ideologien und der psychoanalytischen Situation, in welcher der Patient die Behandlung ebenfalls mit einem „falschen Bewußtsein“ beginnt, um dann mit der Hilfe des Psychoanalytikers durch Selbstreflexion und aufrichtige Interaktion mit dem Analytiker zu einer neuen Aufklärung zu gelangen, die ihn von Verdrängung und Neurose befreien soll. Wenngleich diese marxistischen und nichtmarxistischen Autoren, die teilweise mit psychoanalytischen Konzepten arbeiten, sich zurecht auf die Charakteristika der Koventionalität und die durch das Über-Ich vermittelte Empfänglichkeit der Individuen für die konventionellen Aspekte der Massenkultur konzentrieren, ist der Zusammenhang, den sie zwischen der klassendeterminierten Ideologie und den Charakteristika der Massenkultur herstellen, fragwürdig. Ursprünglich hatten sie diese Eigenschaften der Massenkultur dem Kapitalismus zugeschrieben, waren aber dann gezwungen ähnliche Tendenzen auch in kommunistischen Kulturen zu diagnostizieren. Das Resultat war ihr Konzept des „falschen Bewusstseins“ (das sie aber nun nicht länger ausschließlich dem kapitalistischen System zuschrieben). Dabei aber ignorierten sie die historische Kontinuität der Konventionalität und insbesondere des Kitsches sowie die verblüffende Universalität der Anziehungskraft, welche die Massenkultur in grundverschiedenen Gesellschaften ausübt. (Man denke an die Attraktivität westlicher Massenkultur für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Chinas, Indiens und Lateinamerikas.) Marxistische und nichtmarxistische Autoren unterließen es auch, die gemeinsamen strukturellen Eigenschaften solcher Massenkulturen zu analysieren, die gegensätzliche Ideologien wiederspiegeln. Die Soaps zum Beispiel, die im Ostberliner Fernsehen während der kommunistischen Diktatur gesendet wurden, wiesen dieselben Charakteristika der Massenkultur auf wie jene des Westens. Die Schurken unterschieden sich: Sie entsprachen nicht kapitalistischen, sondern konventionellen kommunistischen Kategorien von Gut und Böse. Die Schlacht zwischen Gut und Böse aber war die gleiche. Gerade die „Struktur“ der Massenkultur, die Struktur ihrer Konventionalität, wird übersehen, wenn man sich ausschließlich auf die Motivation der Produzenten oder Vertreiber konzentriert.“[2]

Konsum

Gleich wie man zu der Idee eines falschen Bewusstseins steht, so kann man doch die Auffassung vertreten, dass eine irgendwie geartete tiefere Eigentlichkeit durch kulturelle Einflüsse verbaut oder in andere Bahnen gelenkt werden kann. Für den Psychoanalytiker und Sozialpsychologen Erich Fromm ist das ein bedeutendes Thema gewesen und fand in seinem viel beachteten Werk „Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ seinen Niederschlag eine kurze und ansprechende Darstellung findet man hier.

Der Konsum und die mit ihm vergesellschafteten Wünsche werden dann zum Ersatz, das Haben tritt an die Stelle, des eigentlicheren Seins. Sofort fallen uns vermutlich zahlreiche Beispiele von Menschen ein, bei denen ein vielleicht ursprünglicherer Wunsch hinter eine längst zum leeren Ritual oder gar zur Sucht verkommen ist. Ein kurzer Kick, wenn das nächste Paket kommt und das war es dann. Und doch ist es nicht so eindeutig. Wie wir beispielhaft am Thema der Medien aufzeigten ist es manchmal gar nicht zu entscheiden, ob es sich um eine Fehlentwicklung und Sucht oder einfach um eine neue Form des Lebensführung handelt.

Natürlich kann man sich wundern, wenn manche Menschen ständig den neuesten Entwicklungen hinterher hechten aber diese „Expeditiven“, wie sie beim Sinus-Institut genannt werden, könnten einfach die Pioniere der Gesellschaft sein und warum sollte das schlechter sein, als ein traditionelles Weltbild zu haben? Warum sind die einen manipuliert und nicht die anderen und wer sagt uns, dass es so ist? Wir müssen weiter suchen und tiefer graben.

Wann sind wir frei?

Blick in Einkaufsmeile in China, Menschen, Treppe, Geschäfte

Shoppingmeilen existieren als Konsumtempel fast überall auf der Welt. © Matthias Ripp under cc

Neben den Auslassungen und Schwierigkeiten im Bezug auf das falsche Bewusstsein, auf die Kernberg aufmerksam machte, gibt es noch eine grundsätzlichere Lesart. Die Behauptung die hinter Konzepten wie dem falschen Bewusstsein, aber auch jenen der Manipulation steht, ist keine Kleinigkeit. Im Grunde geht es darum, dass jemand behauptet, er wolle etwas Bestimmtes und die Kritiker ihm entgegen halten: „Nein. Du weißt gar nicht, was Du (in Wahrheit) willst. Das kannst Du gar nicht wissen, denn Du bist ja manipuliert.“

Diese Argumentation hat zwei große Schwächen: Erstens, hat man sich darauf geeinigt – das ergibt sich aus Sonderstellung, die wir dem Individuum zusprechen – dass jeder Mensch eine vorrangige Berechtigung hat, seine gefühlten Zustände und Empfindungen selbst zu interpretieren. Wenn jemand sagt: „Mir ist kalt“, kann man nicht ohne sehr guten Grund behaupten: „Nein, dir ist nicht kalt.“ Gleiches gilt für Müdigkeit, Traurigkeit, Langeweile oder sonst was. Es gibt Möglichkeiten, dem Betreffenden diese primäre Deutungshoheit, diese prima facie Berechtigung abzusprechen, aber eben nur mit gutem Grund. Wenn jemand nicht mehr Herr seiner Sinne ist, aufgrund einer Vergiftung, Drogen, einer Psychose, dann würde wir ihm absprechen, dass er sinnvoll einschätzen kann, was er tut und will. Ohne diese sehr guten Gründe ist das ein massiver Übergriff, den wir in unserer Gesellschaft zurückweisen. Wir müssen also gut belegen, warum wir es besser zu wissen glauben.

Die zweite Schwäche ist, dass die Aussage, es seien alle manipuliert, bzw. einige und nur man selbst (und vielleicht einige andere) gehörten nicht dazu, eben belegt werden muss und nicht vorausgesetzt werden darf. Ansonsten ergibt sich ein argumentativer Zirkel, eine petitio principii, die wir auch bei Verschwörungstheorien finden und genauer vorstellten.

Du kannst gar nicht wollen, was Du willst, ist ein Argument, das es mit Schopenhauer bis in die Philosophie geschafft hat: „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“, heißt es bei ihm.[3] Ein häufig zitierter Satz, aber die Tatsache, dass er oft zitiert wurde, macht ihn nicht besser, er ist, man muss es so deutlich sagen, unsinnig. Denn mit der Äußerung eines Wunsches hat man seinen Willen ja schon bekundet. Man kann also wollen, was man will, man hat es ja bereits getan.

Schopenhauers Einwand kann nur unter zwei Gesichtspunkten verstanden werden. Entweder will er behaupten,

  • dass wir nicht frei entscheiden können, sondern unsere Entscheidung von vielen kausalen Einflüssen abhängen, oder,
  • dass unser Wunsch gar nicht „unser“ ureigenster Wunsch ist, sondern wir von anderen in unserer Willensbildung beeinflusst sind.

Der erste Punkt wird in der Diskussion um die Willensfreiheit gar nicht bestritten. Natürlich steht das, was als unser Wille erscheint, in einem kausalen Kontext, anders kann es auch gar nicht sein. Ein Wille, der frei von jedem Einfluss ist, also keinerlei kausalen Faktoren unterworfen ist, ist gar nicht denkbar. Wie sollte das aussehen, wo sollte das stattfinden? Man könnte es allenfalls noch als göttlichen Entschluss durchwinken, aber um den geht es nicht, wenn es um den Menschen geht. Und die Antwort darauf bietet der Kompatibilismus an.
Der zweite Punkt überlappt ein wenig mit dem ersten, vor allem aber mit unserer hier diskutierten Frage: Sind wir alle manipuliert?

Jenseits dieser beiden Punkte macht Schopenhauers Forderung, man müsse das den Willen auch wollen können, einfach keinen Sinn, denn das Wollen, ist ja bereits manifester Ausdruck meines Willens. Man muss auch den Vorgang des Essens nicht essen können, man muss auch das Denken nicht denken können, es reicht, dass man isst, denkt oder eben etwas will.

Auf unser Thema bezogen würde man kompatibilistisch entgegnen, dass die Versuche der Beeinflussung und Manipulation gar nicht geleugnet werden. Aber aus dem Vorhandensein von Versuchen ergibt sich nicht zwingend, dass man damit auch erfolgreich ist. Manchmal gelingen Manipulationsversuche, aber eben nicht immer.

Willensfrei sind wir dann, wenn wir äußern können, was wir wollen und handlungsfrei, wenn wir nicht daran gehindert werden, unseren Wunsch auch umzusetzen. Ob „unser Hirn“, unser Nachbar oder sonst wer das auch wollte, ist an dieser Stelle zunächst irrelevant. Sehen wir also weiter.

Was Freiheit nicht ist

Freiheit wird innerlich eingeschränkt durch psychische Krankheit, Sucht oder Wahn, äußerlich durch Zwang oder Drohungen. Doch diese Grenzen sind hier nicht gemeint, sondern es geht um etwas anderes, was meistens nicht richtig verstanden wird. Freiheit ist kein Baum oder Felsbrocken. Soll heißen, Freiheit hat keinen physikalischen Ort. Freiheit ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Doch das ist keine Schwäche oder Unexaktheit, wie man oft meint, sondern beruht auf einer Eigenschaft, die die Wurzel unserer Freiheit darstellt. Den Naturgesetzen (falls es welche gibt, das ist umstrittener als man meint, für Freaks gibt es hier einen schönen, englischsprachigen Beitrag) kann man nicht entgehen, sie sind nicht zu ändern.

Von den meisten Tieren nehmen wir an, dass sie in einer Art biologisch determiniert sind, dass man von wenig oder keinem freien Willen ausgehen kann (allenfalls bei hoch entwickelten Arten könnte das anders sein). Der Mensch kann auch anders, jedenfalls in der Weise, dass er sich seine Gesetze und Regeln zu einem gewissen Teil (aber nicht vollständig) selbst gibt. In einigen Ländern gibt es Linksverkehr, in anderen Rechtsverkehr. Frauen durften früher nicht wählen, heute dürfen sie es. Homosexualität war verboten und galt als krank, heute ist das anders. Die Naturgesetze haben damit überhaupt nichts zu tun, da sie sowohl Links- als auch Rechtsverkehr ermöglichen, helfen sie uns an dieser Stelle nicht weiter.

Wenn man also darauf hinweist, etwas würde den Naturgesetzen nicht widersprechen, dann ist diese Aussage, so richtig, wie nichtssagend. Denn gegen echte Naturgesetze kann man nicht verstoßen und innerhalb derselben ist die Variabilität so groß, dass wir eben unsere eigenen Regeln und Gesetze brauchen. Diese sind keinesfalls unpräziser als Naturgesetze, sondern, im Gegenteil, viel genauer, denn ob man links oder rechts fahren sollte, sagt die jeweilige Straßenverkehrsordnung, möglich ist aber beides und was Freiheit oder Manipulation angeht, so verrät uns der Blick auf die Naturgesetze schlicht gar nichts.

Formale Zusammenhänge und Wissenschaften sind dabei ungleich präziser als jede empirische Wissenschaft, da man hier oft Abweichungen und Sonderfälle kennt. Geistes-, Rechts- und Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit Inhalten, die immer wieder auch neu verhandelt werden und im Fluss sind. Je nach Mode, Zeitgeist und gesellschaftlicher Entwicklung sieht das alle paar Jahrzehnte mitunter deutlich anders aus, wie auch der vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer in einem Interview erläutert.

Was Freiheit ist und wie sie definiert wird gehört dazu. Unter dem Eindruck der Neurobiologie wurde die Diskussion um die Willensfreiheit neu angefacht und wie wir sehen, sind wir 15 Jahre später mit dem Thema noch immer nicht fertig. Und auch was Manipulation ist gehört dazu. In einer individualistischen Kultur in der Selbstverwirklichung eine große Rolle spielt, hat das Thema eine ganz andere Relevanz, als in einer kollektivistischen Kultur, bei der das größte Glück das Aufgehen in der Gemeinschaft ist. Die Rede von der Selbstverwirklichung müsste in einer solchen Gesellschaft als pure Manipulation wirken. Die Frage, ob wir alle manipuliert sind steht in diesem Spannungsverhältnis und muss philosophisch, soziologisch, historisch und psychologisch betrachtet werden.

Sind Freiheit und Manipulation nur Erfindungen?

Nein. Man muss sich davor hüten, Freiheit und Manipulation als bloße Erfindungen abzutun, denn das wir der Rolle und Relevanz von sozialen Konstruktionen in unserer Gesellschaft in keiner Weise gerecht. Es ist ein noch immer verbreitetes naturalistisches Vorurteil, dass man die Welt in einen realen und echten Anteil aufteilen kann, der aus mehr oder weniger Gegenständlichem besteht und in eine Welt sozialer Konstrukte, die wenn überhaupt so eine Realität zweiter Klasse darstellt. Immer mehr Forscher erteilen dieser Sichtweise eine Absage, eine der schönsten ist vielleicht die von Robert Brandom, die wir hier zitiert haben. Fakten, und der Verwiese auf sie, werden in Sprachspiele und Begründungen eingebunden, nicht umgekehrt. Sprachspiele und ihre Inhalte, die Kraft der Gründe und Argumente können naturalistisch überhaupt nicht erklärt werden, genauso wenig wie der Verweis auf Naturgesetze uns bei der Frage weiter hilft, ob Frauen wählen sollten oder wie man mit Homosexualität umgeht.

Wir müssen ein Bewusstsein für das Zusammenspiel von natürlichen und sozialen Konstrukten erlangen und hier spielen physikalische, soziale, formallogische und numerisch-mathematische, sowie fiktionale und eventuell noch spirituelle Fakten eine Rolle. Hieraus entwickelt sich jedoch sogleich ein neues Problem, denn wer sagt uns denn, wer im Chor der Meinungen und Stimmen nun Recht hat? Wann hat man denn seine Eigentlichkeit, Ursprünglichkeit, die wahre Quelle, das Ziel, sein Bestimmung oder wahre Natur gefunden und woran merkt man das? Oder alles in eine Frage gegossen:

Wann bin ich eigentlich nicht manipuliert?

Und woran erkenne ich das? Merkt man es daran, dass man sich subjetktiv gut fühlt? Das wäre ein schöner Indikator, schon wegen der prima facie Berechtigung, die man hat, wenn es um einen selbst geht. Aber gerade bei der Manipulation ist das ja so eine Sache. Stellen wir uns vor, jemand gerät in Kontakt mit einer sogenannten Sekte. Für die meisten ist das der Gipfel der Unfreiheit und Manipulation, doch gerade hier kann man sich im Selbsterleben angenommen und angekommen fühlen (oft allerdings nur in der ersten Zeit).

Oder man könnte Drogen nehmen, die einem eine wunderbares Gefühl vermitteln, doch ob man hierdurch bei sich ankommt, darf zumindest hinterfragt werden. Ob man manipuliert ist, kann in der Bewertung also nicht nur vom Einzelnen abhängen. Andererseits ist eine Sekte auch nichts anderes als eine Art Verkaufsgespräch. Nur die Bezahlungsart ist mitunter anders, das Reisebüro oder der Autohändler will nicht unbedingt die Persönlichkeit eines Menschen verändern, sondern nur dessen Geld haben, Mitglieder einer Sekte verlangen oft nach beidem.

Ist man nicht mehr manipuliert, wenn man zu seinen ursprünglichen Antrieben zurück gefunden hat? Oder diese zum ersten Mal gefunden oder erkannt hat? Aber auch hier: Warum müssen wir die Definitionen von Freud oder Fromm, Habermas oder dem Papst, Rousseau oder Kant oder sonst jemandem glauben, der meint in Gott, der Natur, der Gemeinschaft oder der Vernunft nun die absolute Quelle gefunden zu haben? Zumal die einen sagen, wir sollten zurück zur Natur, die anderen zur Vernunft, zu Gott oder dazu, die Religionen so schnell es geht hinter uns lassen.

Ursprünglicher muss nicht besser sein. Triebe und primäre Affekte sind sicher sehr ursprünglich. Aber ist es wünschenswert herrlich unverkrampft ihnen allen freien Lauf zu lassen, wo immer sie sich bemerkbar machen und gleich welcher Art sie sind? Dass das gesellschaftlich problematisch ist, wird man schnell erkennen, aber vielleicht macht es das Individuum froh? Man darf auch das bezweifeln. Menschen die sich hier nicht bremsen können, haben keine Impuls- oder Affektkontrolle und das sind in der aller größten Zahl der Fälle, Menschen, die nicht sonderlich glücklich erscheinen es wohl auch nach eigenem Empfinden nicht sind.

Es ist ja auch nicht so, dass ein Glockenton erklingt oder ein Licht brennt, wenn man endlich nicht mehr manipuliert ist. Man muss gar keine absurden Beispiele konstruieren. Wenn die Familie seit Generationen ein Handwerk ausübt oder Ärzte sind und die Nachkommen auch in diesem Bereich tätig werden, was ist das dann? Die Pflege einer Tradition? Ein willkommenes Sprungbrett? Oder Manipulation, weil man schon seit man auf der Welt ist mehr oder weniger in Richtung Dachdecker oder Zahnärztin geschoben wurde?

Wenn die junge Zahnärztin die elterliche Praxis übernimmt und beteuert, der Beruf hätte sie immer schon fasziniert, darf man ihr das glauben, oder merkt sie selbst einfach nur nicht, dass sie diesen Einflüsterungen subtiler Art erlegen ist, der nicht ihr ureigener Wunsch, sondern nur eine verinnerlichte elterliche Selbstverständlichkeit ist? Kann ein Mensch, der in den Dimensionen eines kapitalistischen Systems aufwächst mit diesem auch einverstanden sein, oder muss man den Kapitalismus verachten? Wir kommen darauf zurück.

Eine Frage der Logik

Vorstellungen und Ansichten gibt es viele. Wir haben einige davon und ihre Gegenargumente kennen gelernt. Es gibt bestimmte Deutungen, die in einem Zeitfenster oder einer Region mehr und mal weniger Gewicht haben. Aber gibt es davon abgesehen Wege die Güte von Argumenten unabhängig vom Zeitgeist zu erkennen?

Ja, es ist die Logik, die, wenn sie sich auf Aussagen bezieht, eine Art Vorauswahl leisten kann. Logik ist eine formale Wissenschaft und das heißt, sie bezieht sich nicht auf den Inhalt, sondern nur auf die Struktur einer Aussage. Wurde hier konsistent, also folgerichtig, argumentiert, oder ist das nicht der Fall? Das findet man mit der Logik schnell heraus und eine Argumentation, die hier versagt, muss man inhaltlich nicht mehr prüfen. Als Argument ist sie erledigt. Sofern eine genügend große Anzahl von Menschen sich in der Logik auskennen.

Aber etwas was logisch richtig ist, muss nicht zwingend stimmen.

Prämisse 1: Wenn es regnet, weinen die Engel.
Prämisse 2: Es regnet.
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Konklusion: Die Engel weinen.

Dieser Schluss ist logisch vollkommen richtig, dennoch glauben wir (in der Mehrzahl) nicht an die Existenz von Engeln. Die nächste Aufgabe wäre also die Prämissen zu prüfen und die Aussage von Prämisse 1 würden wir bezweifeln, weil wir für die Existenz von Engeln keine Gründe und Belege haben, die die Mehrheit überzeugt. Andererseits, welche Mehrheit muss denn überzeugt werden?

Deutungshoheit und Hierarchie

Vor einigen Jahrhunderten war der Einfluss von göttlichen Kräften auf alltägliche Ereignisse nicht nur denkbar, sondern sogar eine gültige Erklärung. Ist das nur ein Wechsel der Ansichten und Moden, so wie man eben mal diese mal jene Kleidung trägt? Die meisten Menschen heute glauben daran, dass unsere Zeit besser und fortschrittlicher in ihrem Wissen ist. Der Grund dafür ist, dass man in Überzeugung hat, mit der Wissenschaft ein System zu haben, was, anders als in der Ära des Mythos auch die eigenen Prämisse hinterfragt. Der Wissenschaft ist im besten Sinne nichts heilig, sondern sie ist ein System, das sich ständg selbst verbessert und optimiert.

Zumindest in der Selbstdarstellung. De facto werden die Prämissen der Wissenschaft und die supernaturalistischen oder metaphysischen Wurzeln des Naturalismus dann doch nicht so radikal hinterfragt, so dass man eine eigenartige Mischform findet, in der die Anhänger des wissenschaftlichen Weltbildes zu einer Art Glaubensgemeinschaft versammeln. Dieses mythisch-rationale Weltbild haben wir bereits vorgestellt.

Sind wir also doch manipuliert? Gaukelt man uns eine Objektivität und Redlichkeit vor, die es gar nicht gibt? Jein. Wir müssen die Wissenschaft als Ideal und die die Wissenschaft in ihrer täglichen Anwendung und Praxis trennen. Im Ideal ist das System Wissenschaft, wenn es nicht allein auf Naturwissenschaft verengt wird, erfolgreich und gut, wir alle profitieren davon. In der Praxis ist das System anfällig, weil die darin arbeitenden Menschen eben ideologischen Einflüsterungen ausgesetzt, von Geldgebern abhängig und normalen menschlichen Eitelkeiten ausgesetzt sind.

Sind wir alle manipuliert? Manipulation hieße, dass jemand es besser weiß, dass jemand weiß, dass etwas eigentlich nicht so ist und es bessere, zumindest aber andere plausible Erklärungen gibt und diese beispielsweise unterdrückt. Ich glaube, dass das nur selten der Fall ist. Viele Wissenschaftler sind im besten Sinne Überzeugungstäter und glauben an das, was sie tun. Wer aber in der Überzeugung lebt, dass er Recht hat und uns, aus seiner Sicht, etwas vom Gipfel der vermuteten Erkenntnis mitteilt, der ist eher Missionar, will aufklären, nicht im engen Sinne manipulieren. Doch die Wirtschaftselite und intellektuelle Elite sind in vielen Fällen nicht kongruent und dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten der Manipulation.

Die höchste Kunst der Manipulation

Das Weltbild des aufgeklärten Westens ist, wenn man es von der Elite der Scientific Community aus betrachtet, ein wissenschaftliches. Wer sich also auf Vernunft und den Gipfel der Erkenntnis beruft, der braucht heute keinen göttlichen Segen, sondern wissenschaftlichen. Wenn der Glaube an das bestmögliche Ergebnis mit dem Glauben an die wissenschaftliche Erklärung zusammenfällt, trifft das Ideal vieler Menschen in unserem Kulturkreis und unserer Zeit mit der Realität, dem Ritterschlag, „wissenschaftlich geprüft“ zusammen.

Die Werbung richtet sich in relativ plumper Weise danach, indem sie, wenn es seriös erscheinen soll, den Wissenschaftler oder Arzt im weißen Kittel auftauchen lässt. Damit kann man die Mehrheit derer beeinflussen, die an die Wissenschaft glaube, ohne sie zu verstehen aber es gibt auch Menschen die kritisch sind und auch die will man bewerben und manipulieren. Auf plumpe Aussagen und Fakestudien fallen diese Menschen nicht rein, wenn die Aussagen in einem genügend seriösen Kontext daher kommen, nicht nur auf Hochglanzbroschüren, sondern in den führenden wissenschaftlichen Journalen. Zum einen tun das Cyberkriminelle, um bewusst zu betrügen, zum anderen ist es aber auch eine Strategie, Studien so zu frisieren, dass sie in führenden wissenschaftlichen Magazinen erscheinen können.

Andere Zeitschriften schreiben aus diese Quellen lediglich ab, so dass die höchste Kunst der Manipulation in einem wissenschaftlich geprägten Weltbild die ist, ganz oben, am Gipfel der Erkenntnis und den diese Erkenntnis verkündeten Organen selbst anzusetzen. Einigen Herausgebern dieser Journale ist das schmerzlich bewusst und so versuchen sie ständig die Qualität zu verbessern und nehmen Kritik, auch am Peer Review Verfahren, an und ernst.

Das Gegenmittel gegen Manipulationsversuche

Manipulationsversuche und Redlichkeit ringen ständig mit einander. Man kann also nie vollkommen sicher sein, dass nicht versucht wird zu manipulieren. Aber es gibt ein Mittel dagegen und das heißt Reflexion. Hilfsmittel sind eigenes Nachdenken, die Aussagenlogik und ihre Regeln, gesunder Menschenverstand, die Prüfung von Prämissen und von Quellen. Kritisch in alle Richtungen zu sein, ohne dabei paranoid zu werden, ist gut. Skeptiker sind oft nur selektiv kritisch, ihr eigenes Glaubenssystem (von dem sie oft nicht wissen, dass es sich um ein Glaubenssystem handelt) hinterfragen sie nicht.

Das führt uns zur letzten Frage, wo ein eventuelles Ende aller Fragen liegt.

Könnte auch alles ganz anders sein?

surreale Darstellung  der Welt in gelb, rot, schwarz

Könnte die Welt auch so sein? © Nicko‘ under cc

Es gibt ein schönes philosophisches Szenario von Hilary Putnam, das um ein Gehirn in einem Tank mit Nährlösung, kreist. Wenn man in einem Gedankenexperiment, das die technischen Möglichkeiten dazu voraussetzt, animmt, verrückte Wissenschaftler würden in der Nacht das Gehirn aus dem Kopf eines Menschen operieren und es mittels Nährlösung am Leben erhalten und diesem Menschen nun per Supercomputer, der das Hirn stimuliert, suggerieren, es würde wie jeden Tag zuvor ganz normal weiter leben, würde man das merken, wäre es denkbar?

Wenn man die Idee vertritt, alles, was wir erlebten seien lediglich elektrische Impulse und diese könne man auch simulieren, dann ist das durchaus denkbar. Aber den Philosophen geht es ums Prinzip. Wäre die perfekte Simulation der Welt möglich? Nein. Nicht auf lange Sicht und in der Breite. Unsere Sprache würde kollabieren. Begriffe sind nicht nur Worte, sondern sind Assoziationsknäuels. Ein Begriff wie „süß“ evoziert – wie wir es beim Artikel über Priming darstellten – nicht nur Wissen über die Anwendung eines Begriffs, sondern zugleich Assoziationen von weiteren Begriffen, Bildern, Geschmackseindrücken … Früchte, Schokolade, Zucker, aber vielleicht von süßen Mädchen oder süßen Tieren und weiterem, was wir mit dem Begriff süß belegen. Es kommt auch ein Wissen darüber zum Vorschein, wann der Begriff verwendet wird und dass er für eine Zitrone oder ein Stück Kohle eher nicht gilt. Wir wissen, dass, wenn wir „süß“ gebrauchen, wir bestimmte süße Geschmackseindrücke damit bezeichnen oder auch visuelle Eindrücke von Menschen und Tieren mit Kulleraugen und Stupsnasen, aber man kann durchaus auch ein kleines Auto süß finden. Ein Braunkohlebagger wäre eine ungewöhnliche Assoziation und würde Nachfragen erzeugen: „Was ist denn daran süß?“

Und diese Nachfragen sind interessant. Denn sie setzen voraus, dass es eine reale Welt mit eigenständig denkenden Menschen gibt, die eben, bei Nichtverstehen oder ungewöhnlichem Gebrauch von Begriffen gelegentlich nachfragen. Nun könnte man weiter fragen, ob man diese Außenwelt nicht in Echtzeit oder per Update wie eine Serie, die über Jahre läuft, einblenden könnte. Nun, vielleicht ginge das mit einem Menschen, oder ein paar von uns. Aber könnte man auch alle Menschen so beeinflussen? Nein, denn wenn man Menschen isoliert, würden die Sprachspiele und -praktiken zerfallen oder mindestens einfrieren, weil die Schaffung neuer Begriffe und Praktiken andere sprachbegabte Mitwesen verlangt. Es würde niemand kritisch nachfragen. Alle denkbaren Szenarien laufen entweder auf Stillstand hinaus oder darauf, dass es doch irgendeine Art gemeinsamer Umwelt für eigenständige Wesen gibt. Was bedeutet das für unsere Welt?

Die Auflösung

Es könnte nicht alles ganz anders sein. Jedenfalls nicht, wenn wir erfolgreich miteinander reden. Der Philosoph Olaf Müller, der sich unter anderem ausführlich Putnams „Gehirn im Tank“ Szenario gewidmet hat, geht auf viele philosphische Argumente gegen eine skeptsiche Position (d.h. die Frage, ob auch alles anders sein könnte) ein. Wir erleben Welt so, wie sie für uns ist. Für Wesen mit anderen Wahrnehmungen könnte die Welt anders erscheinen, aber sie alle nehmen Bezug, wenn sie erfolgreich kommunizieren, auf eine Welt, die gemeinsam ähnlich erlebt wird. Würden wir alle die Welt vollkommen anders erleben, wäre Kommunikation nicht mehr möglich, weil schon die Frage: „Ich verstehe gar nicht, was du meinst“, beim anderen ankommen würde. Er würde dann nämlich tatsächlich nicht verstehen, was gemeint ist, auch mit einer solchen Frage.

Worin wir uns unterscheiden, sind Interpretationen unseres Welterlebens und darin mitunter drastisch. In wundersame Innenwelten, Exzentriker, Heilige und Psychopathen und anderen Artikeln sind wir auf diese Abweichungen eingegangen, aber diese Abweichungen brauchen als Hintergrund eine gewisse Normalität, damit die Kommunikation erhalten bleibt.

Wir sehen die Welt verschieden, vor allem bewerten wir das, was wir sehen äußerst verschieden. Die geistige oder soziokulturelle Welt, die auch Möglichkeitsformen beinhaltet, ist eine ungleich reichere Welt als die des realen Soseins, wenn man Realität, als das was amn sehen und messen kann versteht. Wir begreifen erst allmählich, dass und in welchem Umfang unsere Wahrnehmung Interpretation statt reiner Abbildung ist, von unseren Einstellungen abhängt und welchen Einfluss etwa die soziale Wahrnehmung hat.

Wir interpretieren unsere Welt in einer Weise stets individuell, doch in anderer Weise auch typisch, nämlich so, wie viele andere sie sehen, die so ähnlich denken wie das Individuum, aber ziemlich anders, als andere.

Sind wir alle manipuliert? Nein, wir sind es nicht. Reflexion ist der Weg aus der Manipulation, nämlich genau dann, wenn jemand die Einwände derer, die meinen, dass er manipuliert sei, aufnimmt und bedenkt. Für die junge Zahnärztin, die die elterliche Praxis übernimmt und beteuert, der Beruf hätte sie immer schon fasziniert, würde das bedeuten, dass man ihr zutrauen kann, die Einwände kritisch zu prüfen. Vielleicht kommt sie zu dem Schluss, dass es tatsächlich nicht auszuschließen ist, dass die heimlichen und offenen Wünsche ihrer Eltern die Berufswahl beeinflusst haben, aber dass sie, auch wenn sie dies in Betracht zieht, ihren Beruf dennoch gerne ausübt. Wenn sie nach allem abwägen dennoch mit ihrer Wahl einverstanden ist, besteht kein Grund anzunehmen, dass sie manipuliert ist. Es sei denn man legte selbst weitere gute Gründe vor, das muss man dann aber auch tun, die Kritik muss echt und begründet sein und nicht nur auf pauschalen Misstrauen beruhen.

Grundsätzlicher ist die Frage bei weltanschaulichen Themen wie der Kritik am Kapitalismus. Wenn jemand sagt, er sei grundsätzlich mit dem Kapitalismus einverstanden, wenn vielleicht auch nicht bis in jedes Detail, so kann man schon nachfragen, ob derjenige sich mit einer hinreichenden Zahl von Einwänden gegen das kapitalistische System auseinandergesetzt hat. Hat er dies getan, so ist er aber nicht gezwungen, zu denselben Schlussfolgerungen zu kommen, wie der Kritiker. Es ist ein Ausdruck seiner persönlicher Freiheit (oder auch Borniertheit) zu den anderen Schlüssen zu gelangen. Nun zu unterstellen, der andere müsse manipuliert sein, sonst würde er zwingend zu den gleichen Ergebnissen kommen müssen, wie man selbst, überspannt den Bogen, denn man damit behauptet man: Wer nicht so denkt wie ich, ist dumm, bösartig oder eben manipuliert. Das allerdings ist das Denken von Fundamentalisten und Verschwörungstheoretikern. Wir müssen es ertragen, dass der andere wirklich anders ist, anders empfindet, denkt und zu anderen Schlüssen kommt. Wir haben das Recht ihn dafür begründet zu kritisieren, falls wir anderer Auffassung sind und können verlangen, dass er unsere Einwände nach seine besten Möglichkeiten prüft. Doch weiterhin wird es Unterschiede geben, eben weil wir anders fühlen, verschieden intelligent sind, unterschiedlich entwickelt und geprägt wurden.

Eine Welt frei von Einflüssen ist einfach nicht denkbar und möglich, insofern ist man immer beeinflusst. Doch beeinflusst muss nicht bedeuten, dass man manipuliert ist, wenn man nach kritischer Prüfung mit etwas einverstanden ist. Und im Grunde ärgern wir uns auch meistens nicht darüber, dass die anderen manipuliert sind, sondern einfach, dass sie zu anderen Schlüssen kommen, als wir: „Wie kannst du nur?“ Dass man aber auf der Grundlage eigener Empfindungen, Einsichten und Wertigkeiten entscheidet, ist eben gerade nicht ein Ausdruck einer Manipulation, sondern das genaue Gegenteil. Es ist die kompatibilistische Version von Freiheit, die auch inmitten verschiedenster Einflüsse erhalten bleibt.

Quellen:

  • [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Manipulation
  • [2] Otto F. Kernberg, Ideologie, Konflikt und Führung, Klett-Cotta 1998, S.296f
  • [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Schopenhauer#Die_Welt_als_Wille