Doch es gibt eine andere Fraktion, die genau das Gegenteil sagt, nämlich:
Entwicklung bedeutet anders zu sein

Alles eine Frage der Anpassung? © Vector Open Stock under cc
Nicht besser, nicht schlechter, einfach nur anders. Dabei beruft man sich bei dieser Einstellung auf die Erkenntnisse der Wissenschaft, genauer der Evolutionsbiologie. Diese sagt: Entwicklung ist Anpassung. Und zwar eine Anpassung an die äußeren Verhältnisse. Seien es klimatische, geographische oder innerartliche, zunächst müssen die basalen biologischen Bedürfnisse von Überleben, Nahrung und Fortpflanzung gesichert sein. Wird die Nahrung knapp oder die Konkurrenz groß entsteht ein hoher evolutionärer Druck und die Arten müssen sich immer neue Nischen des Überlebens suchen. Auf diesem Weg entstehen Flügel, die Fähigkeit in Vulkanquellen zu überleben, scharfe Zähne, dicke Panzer oder neue Formen des sozialen Zusammenlebens. Mit Weltbildern könnte es genau so sein. Sie entstehen, um die Welt in der man lebt zu erklären, sind damit eine Orientierungshilfe, wie die Sinne es auch sind.
Daraus entwickelt sich, wenn man genauer hinschaut, eine eigenartige Spannung. Einerseits ist man der Überzeugung, dass das wissenschaftlich-rationale Weltbild den mythisch-religiösen Weltbildern überlegen ist und zwar ohne wenn und aber. Doch auf der anderen Seite behaupten Vertreter derselben Fraktion eben, besser und schlechter gäbe es eigentlich nicht, sondern alles was zähle, sei eine erfolgreiche Anpassung an die momentanen Bedürfnisse. Das ist ein Widerspruch.
Wann genau ist etwas gut?
Eine einfache Frage, die Antwort ist es jedoch keinesfalls. Denn gut zu sein heißt ja je nach dem, wo man sich befindet und wen man fragt etwas anderes. Die Diskriminierung von Homosexuellen finden die meisten von uns heute rückständig und unverständlich, doch vor 50 Jahren war das heute so normale und akzeptierte Phänomen ein Straftatbestand. Das Bild der Frau änderte sich erst in den später 1960ern, bis dahin galten die Ideale, dass Mutti nur glücklich sein kann, wenn die Wäsche weiß ist, die Familie satt und die Gläser fleckenfrei sauber.
Vor 100 Jahren war die militärische Uniform noch etwas, was ein Mann mit Stolz trug und man verlor im Zweifel oft lieber ein Auge, eine Hand, ein Bein oder sein Leben als seine Ehre. Und auch heute divergieren die Vorstellungen von Ehre, aber auch Pünktlichkeit, Tischsitten und sozialen Rollen noch äußerst stark, je nach dem in welchen Teil der Welt man reist.
Andere formulieren daher radikaler: Gut und böse, richtig und falsch sind, eben weil sie relativ sind, grundsätzlich zu nichts zu gebrauchen und bleiben im Kern immer fragwürdig. Auch sie seien eben nur momentane Anpassungsphänomene, was man schon allein daran sieht, dass das was heute gut sein kann, morgen böse ist und umgekehrt. Und eigentlich seien diese moralischen Kategorien etwas, was man grundsätzlich überwinden müsse. Sie seien irgendwie ein Relikt des ehemals mythisch-religiösen Weltbildes, auf das wir heute verzichten können.
Dieser Gedanke ist durchaus nachvollziehbar, wirft aber etliche Fragen auf. Sollte man sich den überhaupt allem anpassen, ist Anpassung wirklich in allen Fragen des Lebens die beste Strategie? Aus biologischer Sicht mag das eine evolutionär sinnvolle Strategie sein und zweifelsfrei ist der Mensch auch ein biologisches Wesen, die Frage ist nur: Sind wir einzig und allein biologische Wesen? Die Antwort ist einfach: Nein!
Denn das war ja die Überraschung aus den Experimenten zur sozialen Wahrnehmung, dass diese so einen ungeheuer starken Einfluss haben. Vertreter Evolutions- oder soziobiologischer Strömungen wollen uns gerne erklären, wir wären immer noch Triebwesen, was natürlich einerseits richtig ist, aber jede Bulimikerin und jeder Selbstmordattentäter zeigen uns, dass selbst die grundlegendsten biologischen Antriebe von entsprechend aufgeladenen Wertvorstellungen pulverisiert werden können.
Wir können auch anders und da wird die Fragen ob wir alles sollten was wir könnten, die nach Ethik und Moral, dann doch wieder laut. Vielleicht wäre bei den Nazis Anpassung der bequemere Weg gewesen, aber auch der richtige? Es gibt heute immer mehr Tricks und Hilfsmittel, sich den Bedingungen der Leistungsgesellschaft anzupassen, nicht wenige helfen mit Doping nach, aber ist es wirklich gut sich da immer besser und effektiver anzupassen, um nicht abgehängt zu werden oder ein riesiger Irrsinn, bei dem nur, systembedingt niemand mehr weiß, wie er zu stoppen ist?
Doch manche wollen moralische Kategorien dennoch überwinden und schlagen eine andere Sichtweise vor:
Nützlich statt gut
Es ist der Gedanken der sozialen Anpassung, der hier weitergesponnen wird. Warum mit belasteten Begriffen wie gut und böse oder richtig und falsch agieren, wenn man neutraler einfach schauen könnte, ob eine Verhaltensweise nützlich ist? Aber hier möchte man erkennbar abstreifen, was man nicht los wird denn die Frage nach der Nützlichkeit impliziert sogleich die nächste Frage: Nützlich, für wen oder was?
Für die Evolution? Die Menschheit? Die Gesellschaft? Meine Familie? Für mich? Und was bitte ist das: Die Sicht der Evolution? Es ist zwar unfreiwillig komisch, wenn Menschen sich berufen fühlen, sich zum Sprachrohr der Evolution zu machen und uns erklären, was „die Evolution“ will, aber bei aller Komik bleibt es der begrenzte Blick eines Menschen auf die Welt. Mit „der Evolution“ hat noch niemand geredet und man kann es auch nicht. Zumal die Evolution buchstäblich nichts ausschließt, alles was momentan existiert, Massenmörder, Triebtäter, Angepasste und Exzentriker, sind von „der Evolution“ abgenickt, sonst würden sie nicht existieren.
Und ist ein evolutionsbiologisch nützliches Verhalten tatsächlich immer wünschenswert? Eine Frau zu vergewaltigen, ein Kind zu töten, Krieg zu führen ist als evolutionsbiologisch sinnvoll irgendwie zurechtzubiegen, wie übrigens auch das konträre Verhalten, aber eine Sicht, die nachträglich allem was passiert einen evolutionären Nutzen zuordnen kann, ist als Orientierung schlicht zu nichts zu gebrauchen.
Wir sind also doch wieder darauf zurückgeworfen unsere Kategorien, von dem was wir wollen und nicht wollen, selbst zu bilden und genau das ist es, was sich in unseren Weltbildern ausdrückt. Nun stellt sich die Frage also erneut: Besser und schlechter oder nur anders? Wie sind die Entwicklungsstufen der Weltbilder zu bewerten?
Davon mehr in den nächsten Folgen.