Früher blickten die Vertreter alter Werte oder des klassischen Wissens immer etwas mitleidig auf diejenigen, die diesbezüglich nicht mit ihnen mithalten konnten, aber in heutigen Zeiten sind altes Wissen oder Onlinekompetenz, zu echten Alternativen geworden. In der Anfangszeiten von Handy und Internet erschienen beide eher noch als Spielzeuge, ganz nett, aber im Grunde auch verzichtbar, doch längst sind beide Elemente zusammengewachsen und wir daran gewöhnt, kleine Computer, die permanent online sind, mit uns herumzutragen. Mit Ausnahme vieler älterer Menschen, die zwar die am stärksten wachsende Gruppe unter den neuen Interntusern ist, aber nur deshalb, weil sie sich bisher so wenig in Onlinewelten tummeln. Nun machen sich zum ersten Mal die Jüngeren Sorgen, dass die Alten von Teilen des Lebens und der Welt abgeschnitten sind, weil ihre Onlinekompetenz oft so gering ausgeprägt ist.
Zwar mag es neckisch sein, wenn man Griechisch und Latein lesen kann, nicht jede Hauptstadt der Welt erst nachschlagen muss, binomische Formeln und ein Instrument beherrscht oder passende Gedichte rezitiert, aber was zählt das heute noch, wenn man nicht weiß, was Apps sind, wie man seinen Computer virenfrei hält oder wie man mit Suchbegriffen umgeht oder wo man überhaupt online etwas nachschlagen kann? Früher hieß nachschlagen nach Hause zu gehen und ein dickes Lexikon zu wälzen, heute tippt man zwei, drei Begriffe in die Suchmaschine oder bei Wikipedia ein und hat die Antwort in wenigen Sekunden. Schön, wenn man weiß, wie die Hauptstadt von Peru oder der Mongolei heißt, aber bei vielen hörte die Allgemeinbildung damit auch schon wieder auf. Heutige Apps sagen einem zugleich, wo es sich lohnt in diesen Städten hinzugehen, wenn man diese oder jene Vorlieben hat, wo man übernachten kann, was zu essen bekommt, wie das Klima ist und was immer man will.
Auch Gedichte kann man jederzeit nachschlagen, ungleich mehr, als irgendwer auswendig lernen kann. Selbst Museumsbesuche oder Konzerte kann man heute online erleben, von Orten, die man im Leben gar nicht alle besuchen kann. Klar, live ist immer noch anders. Dennoch kann man heute virtuell durch einen Wald gehen, in Entspannungsvideos holen sich viele Menschen in großer Zahl Naturgeräusche wie Regen, Wald und Tierstimmen oder Meeresrauschen via Internet ins Haus.
Faszination Onlinewelten
Ältere Menschen, die keine Digital Natives sind, haben das Bild im Kopf, das Internet wäre primär dazu da, mal was nachzugucken, wenn man wissen will, wann ein Zug fährt oder ein Geschäft geöffnet hat. Aber wo sonst hat man die Möglichkeit sich per Streetview bulgarische Provinzstädte anzuschauen, danach die unendlichen Weiten des Weltraums zu ermessen, ein Klavierkonzert zu hören und eine Univorlesung über Philosophie? Für nahezu jedes Interessengebiet hat die Onlinewelt etwas anzubieten. Dazu kommt die weite Welt der Online-Spiele, die immer faszinierender werden, so faszinierend, dass die normale Welt für einige fast reizlos wird. Das kann in die Mediensucht führen, muss aber nicht. Es kommt eben drauf an, wie man die Onlinemedien nutzt. Es gibt klare Hinweise dafür, dass zu frühe, zu viel und zu sex- und gewaltbetonte Aktivitäten im Internet nicht gut sind, aber es spricht ja nichts dagegen, die Medien auch klug zu nutzen und da stellt sich eben die Frage, wie klug es ist, sich hiervon abzuschneiden und unter seinen diesbezüglichen Möglichkeiten zu bleiben.
Und eins bedient die Onlinewelt noch: Unser grundlegendes Bedürfnis nach Kontakt. Wir sind nicht mehr alleine, immer mit anderen verbunden und mit kurzen Happen, wie Youtube-Videos oder der schnellen Nachricht im sozialen Netz sind wir immer auf dem aktuellen Stand, wissen, was gerade geht. Soziale Löcher wie jemanden nicht erreichen zu können, Sendeschluss, draußen selbstbestimmt zu spielen und nicht pädagogisch wertvolle Programmpunkte abzuarbeiten oder sogar so etwas wie Langeweile, kommt kaum noch auf. Irgendwas ist immer da, mit dem wir die Unterhaltungslöcher die die Langeweile reißt stopfen könnten. Es sei denn man empfindet Langeweile inmitten von Aktivitäten und ist chronisch von Leben gelangweilt, auch das gibt es. Aber Langeweile dieses oftmals quälende Gefühl, kann auch positive, kreative Seiten haben. Lasst sie raus, lautet ein Artikel, der Furore machte und dazu anregen will, dass Kinder die Welt in Eigenregie, mit eigenen Fehlern und all ihren Sinnen, erfahren. Als das andere Alternativprogramm zur Langeweile.
Lebenspraktisches Wissen
Aber vielleicht ist es ja auch gar nicht das alte Faktenwissen um das es wirklich geht, sondern die alten Fähigkeiten, zu denen es eben auch gehörte auf Bäume zu klettern. Aber auch ein Gedicht aufzusagen, ein Instrument spielen zu können ist ja im besten Fall kein schnödes Auswendiglernen von Datensätzen und Fingerübungen, sondern man bildete sich früher ein, dass man auch hier etwas fürs Leben lernt. Die Rollenzuschreibungen waren bis etwa 1875 ziemlich eng und auch später noch lernten die Töchter was man zum Leben braucht: Fähigkeiten beim Kochen und Backen, in der Handarbeit und Kindererziehung, ein wenig zu musizieren und den schönen Künsten nachzugehen, Konversation zu pflegen, zuviel Bildung brauchte es nicht zu sein, denn die war den Männern vorbehalten. Das klingt so patriarchal wie es wohl war, allerdings waren Rollenbilder wohl eher eine Entscheidung beider Geschlechter, als dass Frauen nur unterdrückt wurden. Und das Patriarchat engt nicht nur die Rolle der Frauen ein, auch das Bild des Mannes wird diktiert. Er hatte, zumal als Familienvater und -oberhaupt, zum Teil mehr Freiheiten, aber wenn er die Familie nicht im Griff hatte fiel das auch in den Bereich seiner Verantwortung.
Schauen wir wieder auf heute, da zählen andere Kompetenzen. Man mag es beklagen oder nicht, aber wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Mülltrennung und Recycling sind ja nur Reaktionen darauf und so ist die Frage heute nicht mehr, ob man Socken stopfen oder Knöpfe annähen kann, wenn neue Klamotten ebenso schnell und günstig, mit Umtauschgarantie ins Haus geliefert werden. Musik und Kunst sind vielleicht später mal was, für Erbauung, aber man braucht sie eigentlich nicht fürs Leben, zumal auch sie jederzeit verfügbar ist, wenn man denn will. Wozu sich also mit Pinsel, Geige und Gedichten quälen?