Esoterik und die Esowelle

Wenngleich Spiritualität in Europa kein neues Phänomen war, so war die Esoterik es doch, denn mit jenem inneren Kreis, der namensgebend bei Pythagoras steht, hatte die Esoterik schnell immer weniger zu tun. Mögen die wilden Anfänge unsystematisch gewesen sein, der Anspruch ein Geheimwissen weiterzugeben blieb. Doch so nebulös wie behauptet, war dieses neue Wissen gar nicht. Es war ein Rückgriff auf alte mythische Bilder, folgte eher der Jungschen als der Freudschen psychoanalytischen Tradition und stellte vor allem das sogenannte analoge Denken als Alternative und Kern des Ansatzes vor, der immer als ein ganzheitlicher, als Lebenspraxis verstanden wurde, nicht nur als rationales Wissen.

Wir haben hier nicht den Raum, die interessanten Wege nachzuzeichnen und müssen uns mit der Kurzform begnügen, dass die Esoterik in den 1980ern in Deutschland populär wurde und in den 1990ern einen Höhepunkt ihrer Verbreitung erfuhr, wobei wachsende Verbreitung und intellektuelle Redlichkeit sich nahezu umgekehrt reziprok bedingten. Neben der fraglos richtigen Formel, dass alles, was mir in der Welt begegnet ein Ereignis für mich ist, wurde der Nachsatz vergessen, dass das für jeden anderen Menschen in gleichem Maße gilt. So wurde die Idee, dass einem Welt etwas sagen könnte, gerade im Rahmen der Massenverbreitung zu einem maximal narzisstischen Projekt, das sich zu oft um mich, meine Symptome und Bedürfnisse dreht. Nicht zuletzt das macht so viele Esos zu anstrengenden Mitmenschen.

Esoterik ist heute ein totes Pferd und doch ging der Schuss nur knapp daneben. Immer wieder flackern heute Elemente auf, die man aus der Esoterikbewegung kennt. Neben einer recht radikalen Form von Subjektivität, die ich letztlich für richtig und wichtig halte, ist es das Wissen um die Kraft innerer Bilder, des Priming und des analogen Denkens („Die Analogie: Das Herz des Denkens“), das immer wieder an diversen Stellen aufploppt und sinnvoll ist. Weniger, die oft unsäglichen Versuche Esoterik mit Quantenphysik zu verheiraten.

Und was ist Esoterik nun? Eine Methode, eine Religion? Eine bunte Form der Ausdifferenzierung subjektiver Ansätze, manchmal eingebunden in eine große Geschichte, die uns die Welt erklären soll und damit in manchen Fälle auf jede Form intellektueller Redlichkeit verzichtet. Doch sogar hier finden wir Chancen und Risiken, denn einige Elemente stellen eine Ergänzung zu jener naturalistischen Wende dar, auf die Metzinger sich bezieht, denn man kann sein Ich nicht verlassen, es ist nun einmal das Vehikel mit dem wir Welt leben, erleben und in einigen Teilen konstruieren. Wir kennen heute sowohl objektivierende als auch subjektivierende Ansätze besser und sie beide sind Teile unseres Ich.

Was Spiritualität uns geben kann

Wenn Spiritualität ein Baustein in einem Weltbild ist, so hat das den Vorteil, dass man das Rad nicht neu erfinden muss. Es gehört zur Jugend dazu, dies dennoch zu wollen, aber die großen traditionellen spirituellen Systeme versorgen einen mit Übungen und einer allgemeinen Haltung, die die Errichtung eines Größenselbst erschweren. So finden wir Spiritualität in viele Formen eingebettet vor, aber immer auch mit dem Anspruch die Formen irgendwann hinter sich zu lassen, wenn man begriffen hat, worum es geht. Nur, man muss es erst begreifen. Und so stellen persönliche Erleuchtung und Mitgefühl, subjektive Gewissheit und eine größere Distanz zu sich die scheinbar paradoxen Ziele eines spirituellen Weges dar.

Scheinbar paradox, denn längst weiß auch die Psychologie, dass der Weg zum eigenen Glück darin besteht, andere glücklich zu sehen und zu machen. Die subjektive Gewissheit ist kein bedauerlicher Irrtum, den man mittels objektivierender Verfahren möglichst schnell korrigieren muss, sondern einer der Hauptgewinne im Leben. Eigene Erfahrung, und nur die, macht einen unabhängig von all dem Gerede, den Spekulationen, den Besserwissereien und Skeptizismen über Spiritualität. Denn egal wem ich was glaube, wie gut es bewiesen zu sein scheint, damit glaube ich wieder „nur“ (glauben und vertrauen zu können, ist jedoch auch kein Fehler) und es hat mit Spiritualität, mit eigener Erfahrung nichts mehr zu tun. Und im intersubjektiven Austausch der in der Sache Kompetenten, zählt eben, ob man tatsächlich auch auf der Ebene der eigenen Erfahrung kompetent ist. Ob die Deutungen und Schlussfolgerungen dann stimmen, ist Teil des Diskurses, der in der Gemeinschaft der Wissenden, nicht der Ahnungslosen, stattfinden sollte. Die Chancen und Risiken in diesem Bereich sind weit tiefgreifender, als man meint.

Einer der großen Bereiche, in dem Spiritualität und einige ihrer Disziplinen uns helfen können, ist die Gesundheit. Nicht nur die oben erwähnten Beispiele psychischer Gesundheit, auch die körperliche. Ob es der Kontakt mit dem inneren Arzt ist, die Erzeugung heilender innerer Bilder, die Psychosomatik, die Schmerztherapie[1] oder die allgemeine, unspezifische Stressreduktion in Ansätzen wie dem MBSR von Kabat-Zinn, überall kann man spirituelle Elemente einsetzen.

Irrwege

Die merkwürdige Weigerung über die eigene spirituelle Praxis zu reden ist so ein Irrweg. Bringen wir es noch mal auf den Punkt: Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die Frage wie spirituell kompetent jemand ist, in einer Diskussion über Spiritualität so gar keine Rolle spielen soll. Es ist gut und hilfreich, wenn sich Philosophen, Hirnforscher und Psychologen der Spiritualität annehmen und der philosophische, neurologische oder psychologische Blick auf etwas eröffnet uns ganz sicher neue Perspektiven, aber all das ersetzt die spirituelle Praxis nicht.

Adi Da in einer Alex Grey Darstellung

Adi Da, einer der Namen eines großen Erleuchteten, verrückten Gurus, schrillen Exzentrikers und Künstlers. © Attanatta under cc

Wenn Spiritualität eine Form der Erkenntnis sein soll, warum soll man nicht sagen können, was man erkannt hat? Es kann ja eingekleidet, metaphorisch oder analog sein, was Sprache ohnehin oft genug ist. Prinzipiell ist es nicht unsicherer von einer Erleuchtungserfahrung zu sprechen, als von einer Tomate. „Ist das auch wirklich eine Tomate, kann ich sicher sein, könnten meine Sinne mich nicht täuschen und die, die es bezeugen, mich nicht anlügen?“ Skepsis hat in der Philosophie aus gutem Grund ihre Grenzen gesetzt bekommen und das Ergebnis, dass man, nach allem was man wissen kann, eine Tomate vor sich hat, reicht für den Alltag prima aus. Für diesen ist aber auch die Spiritualität gedacht und wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, ist es eben auch hinreichend von einer spirituellen Erfahrung zu sprechen. Wenn eine Erfahrung so ähnlich beschrieben wurde, andere Praktizierende sie bestätigen und man selbst das Gefühl hat, man habe etwas erfahren, was man so noch nicht kennen gelernt hat und was sich gegen handelsübliche begriffliche Einkleidungen sperrt, dann gibt es guten Grund von einer spirituellen Erfahrung zu sprechen und wenige, es nicht zu tun.

Gerade harte Kritiker gefallen sich in der Aussage, sie hätten sich mit so einem Unsinn nie auseinandergesetzt oder allenfalls mal ein Wochenende, was in puncto argumentativer Niveauarmut und Ignoranz dem ärgsten Esoteriker in Bezug auf nicht vorhandene intellektuelle Redlichkeit locker Konkurrenz macht. Überlegen wir nur mal, jemand fühle sich zur Medizin befähigt, weil er als Kind „Doktorspiele“ gespielt habe oder zur Astronomie, weil er gelegentlich zum Himmel schaut.

Meine Meditation ist …

Auch die Rede von „meiner Meditation“ ist in vielen Fällen so ein Irrweg. Eine Aussage von Menschen, die eigentlich nicht meditieren und dann irgendwas als ihre Meditation deklarieren. Die Meditationsformen sind reich und bunt, doch es gibt Grenzen, jenseits derer es sich schlicht und einfach nicht um Meditation handelt. Wahr ist, dass Meditation eine Geisteshaltung ist – aber keine Weltanschauung – das heißt, dass es nicht nur theoretisch möglich, sondern praktisch sinnvoll ist, das was man auf dem Meditationskissen erfahren hat, in den Alltag zu überführen. Ja, man muss auch im Getümmel des Hauptbahnhofs meditieren können, aber es hat seinen Grund, dass man nicht dort, sondern in der zwischenzeitlichen Ruhe und Abgeschiedenheit beginnt. Auch in der Spiritualität gibt es Supertalente und Überflieger, aber die meisten sind das eben nicht.

Die Weigerung über die eigene Praxis zu reden, auch dann nicht, wenn man diskret und taktvoll gefragt wird, ist ein starker Hinweis darauf, dass Menschen oft kaum oder gar nicht praktizieren und insofern spirituell ahnungslos sind, gleich welche Bücher sie gelesen haben und welche fMRT Untersuchungen sie kennen.

Achtsamkeitstraining

Auch Achtsamkeitstraining führt uns allenfalls in die Nähe, die Vorhalle der Spiritualität. Achtsamkeitstraining ist gut und wichtig und es gibt viele Menschen, die davon profitieren, das soll nicht kleingeredet werden. Wie überall existieren Grauzonen und auch den Gegensatz gut und nützlich oder spirituell gibt es in dieser Ausschließlichkeit nicht. Auf all diesen Basisformen kann man, wenn man sie lange genug fortführt, aufbauen und sie irgendwann zu echten spirituellen Praktiken ausbauen oder zu solchen übergehen, nur sollte man beide Bereiche nicht zu schnell in einen Topf werfen, wenn das Ergebnis nicht läppisch werden soll.

Verrückte Gurus

Verrückte Gurus und dubiose Sekten gehören schon pflichtgemäß zu dem, wovor gewarnt werden muss. Zwar formuliert Herbert Fritsche, dessen Vita sich im intellektuellen Kontext sehen lassen kann, in seinem Buch „Der große Holunderbaum“, dass auch „die dümmsten Verkünder, die kümmerlichsten Erlösungssekten“ ihre Berechtigung haben können, da gerade „[d]ie Enge der dort als Weite propagierten Anschauungen, die Schiefheit der Lehre und das bauernschlaue Vortäuschen von ‚Einweihungen'“ dem, „der größeres Format mitbringt“ „alsbald durchschaubar“ wird, doch man muss auch an diejenigen denken, die dieses Format nicht mitbringen.

In „Meister Gurus Menschenfänger“ von Ken Wilber, Bruce Ecker und Dick Anthony oder Die spirituelle Herausforderung von Margit und Rüdiger Dahlke werden die Chancen und Risiken der Spiritualität und Esoterik angesprochen, von Menschen, die über eigene praktische Erfahrungen verfügen. Doch im Kontext von Chancen und Risiken soll auch vor anderen gewarnt werden: