Gefahren der Spiritualität

Karg, schlicht, schön: Ein Zen Dojo, in dem man sitzend meditiert. © soaringbird under cc
Spiritualität funktioniert, das ist heute, gerade auch im Lichte der Hirnforschung nicht mehr zu leugnen. Heilige und Psychopathen sind tatsächlich neurologisch anders gestrickt und nach etwa 10.000 Stunden Meditation hat sich das Gehirn Meditierender dauerhaft verändert. So liegt eine Gefahr der Spiritualität gerade darin, dass sie gut funktioniert und das Elemente daraus genutzt werden können, um noch effektiver und optimierter zu werden, ein Thema, was wir bereits ansprachen. Man kann fokussierter und zielstrebiger werden und es ist eine Frage des Kontextes, wie gut oder schlecht das ist.
Aber es wäre falsch Spiritualität allein auf die Meditation zu beschränken. Im Laufe der Jahrtausende haben sich unterschiedliche spirituelle Praktiken herauskristallisiert und bei allen muss man den Kontext mitbetrachten. Fasten, Wachen, Einsamkeit, Koans, psychoaktive Substanzen, Atem- und Körperübungen des Yoga oder Tai Chi sensibilisieren uns für Bereiche, zu denen wir im Alltag kaum Bezug haben, auch weil sie irgendwie nicht in unsere Zeit zu passen scheinen. Alle diese Wege haben ihre Chancen und Risiken, für manche Menschen in bestimmten Phasen ihres Lebens.
Intensiv regressive Atemtechniken wie das verbundene oder holotrope Atmen sind potent und gerade deshalb auch eine Gefahr. Man muss wissen, was man tut und wie man sich „erdet“. Meditation kennt zig verschiedene Formen, selbst dann, wenn man den Meditationsbegriff eng fasst. Meditation ist im schlimmsten Fall ein Weg in die Psychose, aber ebenso gut ein Weg aus ihr heraus. Der Psychiater und Buddhist Edward Podvoll hat diese Wege in seinem Buch „Aus entrückten Welten: Psychosen verstehen und behandeln“ aufgezeigt.
Ebenso kann eine schwere Persönlichkeitsstörung durch spirituelle Erfahrungen im Laufe der Meditation verfestigt werden, wie etwa bestimmte Größenphantasien, aber zugleich hat die US-amerikanische Psychotherapeutin Marsha Linehan, für eben diese Persönlichkeitsstörungen, mit ihrem System der dialektisch-behavioralen Therapie bewusst und explizit auch auf Elemente östlicher Meditationspraktiken zurückgegriffen. Zersplittern und zusammenfügen, Chancen und Risiken. Beides ist drin und das Ganze Konzept macht die Musik.
So ist Zen nicht allein die Sitzmeditation Zazen oder das meditative Gehen (Kinhin), die Gemeinschaft und die starke Strukturierung durch Einfachheit und Bodenständigkeit gehören dazu. Ist nun der Buddhismus, bei dem in vielen Formen Götter keine Rolle spielen, eine Religion? Ist Zen noch Religion zu nennen oder ist es viel eher eine Methode, eine spirituelle Technik? Gerade Zen erwies sich als gut kompatibel mit dem Christentum, aber auch mit der Psychoanalyse eines Erich Fromm („Zen-Buddhismus und Psychoanalyse“), vielleicht weil es auf eigene zu religiöse Elemente verzichtet.
Spiritualität ohne ethischen Kontext?
Grundsätzlicher ist die Frage zu stellen, inwieweit man Spiritualität, als reine Ansammlung von Techniken verstanden, aus einem weltanschaulichen oder ethischen Kontext herausnehmen sollte. Machen kann man das fraglos, aber ist das auch gut?
Die Frage, warum wir uns eigentlich der Spiritualität zuwenden, ist also alles andere als überflüssig, denn Techniken zur Optimierung und Ich-Inflation haben wir mehr als genug. Die Antwort, dass ein Ziel zu haben auf dem spirituellen Weg eher schwierig und kontraproduktiv ist, ist so richtig wie problematisch. Im Grunde will man damit die oft egozentrierten straight forward Ansätze aushebeln, bei denen man masterplanmäßig vorwärts schreitet, nach einem Jahr da ist, nach fünf Jahren dort und nach 10 Jahren erleuchtet. Es ist der sympathische Anteil der Spiritualität, dass es auf diese Art selten gelingt das Ziel zu erreichen. Spirituelle Entwicklung stellt sich nicht über Fleißkärtchen ein. Die Geschichten des Zen sind voll von Beispielen, die das Gegenteil zeigen: Jemand meditiert unablässig und mit großem Eifer, aber Erleuchtung findet er nicht. Als er nach Jahren der Entsagung sein Scheitern eingesteht und frustriert im Bordell verschwindet, findet er Erleuchtung. Und auch andersrum geht es. Beim ersten Meditationsversuch mögen tatsächlich die Knie weh tun, aber ebenso gut kann man augenblicklich Erleuchtung erfahren. Doch so chaotisch das mitunter wirkt, spirituelle Systeme sind oft sehr strukturiert und das aus gutem Grund. Ein facettenreiches Thema, dem man sich immer wieder widmen sollte.
Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit
Eine andere Frage ist die vom Philosophen Thomas Metzinger aufgeworfene nach Spiritualität und intellektueller Redlichkeit. Für viele, die sich nicht auskennen, ist Spiritualität noch immer ein Synonym für Spinnerei und Abschied von der Rationalität. Begriffe wie Schwärmerei und Selbstbetrug kursieren, das hat manchmal seine Berechtigung, oft jedoch nicht. Es ist Metzinger zu danken, dass er zu denjenigen Brückenbauern gehört, die Spiritualität dem philosophischen und wissenschaftlichen Diskurs zuführt. Ich stimme mit Metzinger in einigen Punkten nicht überein, empfehle seinen Text „Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit – Ein Versuch“ aber nachdrücklich.