Messehalle mit Besuch und Esoterikartikeln

Esoterikmessen und ihre bunten Weisheitsartikel. © Urban Explorer Hamburg under cc

Anstrengende Mitmenschen ist als lockere Reihe gedacht, die das Verhalten von Menschen beleuchten und ansatzweise erklären soll, die sich irgendwo im Grenzbereich zwischen Pathologie, Skurrilität und nerviger Normalität bewegen. Manchmal sind es eher philosophische Fehlleistungen, denen sie unterliegen, indem sie etwas nicht zu Ende gedacht haben, es kann durchaus sein, dass sie damit aber eine Nische für sich gefunden haben.

Was anstrengende Mitmenschen beispielsweise von Exzentrikern unterscheidet, ist, dass Letztere oft sich selbst genügen. Sie haben nicht den Missionierungsdrang, der anstrengende Mitmenschen so häufig auszeichnet. Ihre Lebensansätze sind im Kern nicht selten lobenswert, vernünftig und nachvollziehbar, aber wenn sie nicht missionieren, lassen sie ihre Haltung vielleicht eine Spur zu weit heraushängen , manchmal etwas Beifall heischend, manchmal ihre Vorstellungen zur verbindlichen Norm erweiternd.

Der Moralist

Moralisten sind uns in der Vergangenheit eher im konservativen Milieu begegnet. Vieles davon entspricht dem klassischen Spießer, ein bemühter Kleinbürger, der zwar gerne als prinzipientreu dargestellt wird, dem man aber zugleich eine gewisse Obrigkeits- und Autoritätshörigkeit unterstellt. Doch das ist eher eine aussterbende Gattung. Längst ist der Mainstream bunter geworden und das was kollektiv zu glauben ist vielfältiger in der Ausprägung, trotzdem noch immer unreflektiert. Unreflektiert heißt aber nicht dumm, denn die neuen Spießer folgen oft einer recht komplexen Ideologie, die sogar im Kern verständlich ist.

Doch noch immer schimmert das alte Motiv durch, die Angst vor dem Dammbruch, in das nur auf den ersten Blick bezwingende Argument: „Wenn das alle machen würden“, gegossen, nur hier in der umgekehrten Variante: „Schau mich an, so lebt man richtig.“ oder „Warum macht ihr das nicht alle?“

Ökologisch vorbildlich

Der moralisch korrekte Mensch kommt manchmal als Öko daher. Nicht mehr unbedingt als das liebenswerte Fossil mit Zottelhaaren und selbstgestricktem Pulli, irgendwie smarter und aggressiver. Ökologie ist ganz sicher eines der großen Themen unserer Zeit und wenn die Energiewende gelingt, wäre das ein Meilenstein in der Menscheitsgeschichte.

Es gibt gute Argumente für eine vegetarische Ernährung und jeder darf selbst entscheiden, ob der Veganismus die konsequente Fortführung oder die ideologische Verhärtung des Vegetarismus ist. Die Argumente sind vielfältig und oft eine Mixtur aus gesundheitlichen, Tier- und Klimaschutz-Gründen, sowie aus einer Kritik an multinationalen Konzernen. Inhaltlich halte ich viele für begründet, anstrengende Mitmenschen werden Ökos und Veganern in dem Moment, wo sie in einen oft gut gemeinten Ökototalitarismus abrutschen oder ein Thema wie Essen zur Gesinnungsfrage stilisieren.

Auch ist der Mensch nicht das einzige Tier, was die naturgegebene Ordnung stört, wie man aus ökotheoretischer Ecke manchmal hört, denn was wäre das für eine Ordnung? Der Fuchs nimmt keine Rücksicht auf die Gans und so wird der Natur oft eine Intelligenz und Ethik unterdtellt, die in ihr schlicht nicht zu finden ist. Gewiss hat die Natur ihre eigene Ordnung und Funktionalität, aber es ist keine, die wir guten Gewissens auf den Menschen übertragen wollen würden, da es uns gerade auszeichnet, nicht mehr der Natur ausgeliefert zu sein. Wir haben unsere Affekte und Körperfunktionen oft gut im Griff und erwarten diese Affektkontrolle auch vom anderen.

Wo diese Ordnung dennoch beschworen wird, rutscht man in eine Ökototalitarismus, dessen vornehmlichstes Ziel das Gehorchen und Unterordnen unter die „Weisheit“ der Natur ist. Es ist fraglos richtig, dass der Mensch auf die Natur acht geben sollte. Das erste Motiv ist mehr oder weniger egoistisch: Es wäre schlicht dumm, an dem Ast zu sägen, auf dem man sitzt. Die Natur braucht uns nicht, wir sie schon. Minimal Veränderungen im Ökosystem und es ist um uns geschehen, während wir uns um Insekten, Pflanzen und Ratten wenig Sorgen machen müssen.

Ethisch schlagkräftiger ist Hans Jonas‘ Argument und Imperativ, dass wir, als zur Ethik fähige Wesen, die Pflicht haben, die Permanenz des echten menschlichen Lebens zu bewahren, was selbstverständlich einen rücksichtsvollen den Umgang mit der Natur beinhaltet.

Doch es wird wirr und anstregend, wenn ethische, taktische und ideologische Argumente vermengt werden, oder ein Ökotheorie ein unbegründeter Vorrang eingeräumt wird. Denn einfach zu sagen: „Das ist so und jeder vernünftige Mensch muss das so sehen“, ist ein Ablgleiten in einen unbegründeten Dogmatismus.

Fußtritte für die Ethik

Weitere Fußtritte für die Ethik stellt der ökologische Fußabdruck dar. Dieser ist wichtig geworden im Zuge der Überzeugung, dass ein teils menschengemachter Klimawandel bevorsteht oder in vollem Gange ist, den wir aufhalten oder abbremsen können. Wer diese Überzeugung teilt, tut sicher recht daran, zu versuchen, die Folgen abzuschwächen. Anstrengend wird es nur, wenn die Frage nach einem misslungenen oder guten Leben – und das ist eine wichtige Frage – auf den Ausstoß von Kohlendioxid reduziert wird, statt die Gesamtbilanz eines Leben zu betrachten. Hat man Freunde gehabt und Freude bereitet, etwas aus seinem Leben gemacht, Autonomie, Frieden oder Bewusstsein vergrößert? Etwas zugespitzt wäre es allein unter Kohlendioxid Gesichtspunkten vernünftig, einige Bäume zu pflanzen und sich schnell das Leben zu nehmen und das kann irgendwie nicht richtig sein, wenn man kein eiskalter Zyniker ist.

Keine Unterdrückung bitte

Doch nicht nur im Gewand des Ökos treten Moralisten auf, auch gegen Unterdrückung manchen sie sich stark. Auch hier ist es die eine Sache Unterdrückung berechtigt anzuprangern und ihre Mechanismen aufzudecken und eine andere, in allem und bei jedem Faschismus, Sexismus, Totalitarismus, Machismus, Ausländerfeindlichkeit zu suchen und zu finden. Da wird jede Zigeunersauce zur Gewissensfrage und man darf sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen überkorrekter Begrifflichkeit und Gesinnung stellen, um die es tatsächlich geht.

Es ist nicht der Inhalt, sondern die Attitüde eigener Unfehlbarkeit und gelegentliche ihre Oberlehrerhaftigkeit, die Moralisten anstrengend macht. Sie glauben, dass sie stets auf der richtigen Seite sind und ihre subjektive Gewichtung dessen, was im Leben beachtet werden sollte und was getrost vernachlässigt werden kann, allgemeinverbindlich ist. Zur individuellen Gewichtung haben sie alles Recht der Welt, diese anderen aufzudrücken, überspannt den Bogen.

Dass diese Bevormundung eigentlich ziemlich genau dem widerspricht, für das man angetreten ist, wird dabei zu selten reflektiert und heißt in der Philosophie performativer Selbstwiderspruch: Man macht der Aussage genau das aus, was sie inhaltlich leugnet. Wer sagt, er sei gegen Unterdrückungen jeder Art, darf anderen nicht vorschreiben, wie sie zu denken haben, da dies unterdrückend ist. Eine Gratwanderung, da die Kritiker der sogenannten „Gutmenschen“ meinen, damit sei nun entwertenden Meinungen jeder Art der Boden bereitet, tatsächlich ist ein kluger Ansatz, zu prüfen, inwieweit diejenigen, die Meinungsfreiheit oder Respekt für sich in Anspruch nehmen gleichzeitig bereit sind, allen anderen dasselbe zu gewähren.

Die esoterische Spielart

Unser kleiner Streifzug durch die bunte Welt der Moralisten geht mit einer merkwürdigen Spezies zu Ende. Es mag viele Spielarten der „Esoteriker“ geben (auch wenn der Begriff inzwischen weitgehend verbrannt ist), die meisten sind im Grunde wohlmeinende Moralisten, die es schaffen manchmal erstaunliche Selbstwidersprüche in ihrer Person zu vereinen.

Karma und so

Manche Esoteriker haben eine Affinität zu östlichen Weisheitslehren und verstehen den Karmabegriff als eine Form eines Belohnungs-/Bestrafungssystems. Tenor dieser Einstellung ist ungefähr: Was jemand erleidet geschieht ihm zurecht, mit der prekären Beimengung von: Wem Gutes passiert, der war auch ein guter Mensch, wem Schlimmes passiert, wird entsprechend Übles getan haben. Das sehen manche als Legitimation an, anderen nicht helfen zu müssen, denn schließlich haben diese ihr Karma ja verdient. Leider wird – völlig unabhängig davon, wie man inhaltlich zur Frage der Möglichkeit der Reinkarnation steht – die Frage, warum gerade mir, gerade jetzt, dieser Mensch begegnet, ausgeblendet. Ist es nicht auch Teil meines Karmas, auf ihn zu reagieren?

In leichter Selbstüberhebung meinen Esoteriker zuweilen, dass sie – also, die göttliche Kraft, die durch sie wirkt, sie selbst sind nur Kanal – die Welt retten könnten, ein Projekt, was sie, recht gerne übernehmen, wenn es aber darum geht, mit den anderen die Schicht zu tauschen oder beim Umzug zu helfen, gerät die allumfassende Liebe manchmal an ihre Grenzen.
Es klingt auch irgendwie besser, wenn man sagt: „Du, ich möchte nicht in dein Karma eingreifen, das würde unser beider Entwicklung schaden.“

Die stille Abwertung anderer

Esoteriker sind in der Regel keine Lautsprecher. Sie wähnen sich im Besitz eines Geheimwissen, von dem sie wissen, dass die Öffentlichkeit es merkwürdig findet und sind dem entsprechend zurückhaltend, still und verschworen. Sie kochen oft ihr eigenes Süppchen, die konventionellen Religionen, insbesondere natürlich das Christentum lehnen sie ab, sie nehmen sich aus dieser und jener Religion Versatzstücke, die ihnen gefallen, hier ein Ritual, da ein Gesang, dort ein Gebet, „Ich mach‘ mir meine eigene Religion“ ist eine Aussage, die man nicht selten hört. Leider tötet das oft jene Heilkraft, die oft gerade dort zum Vorschein kommt, wo man Opfer bringt und sich nicht etwas nach eigenen Bedürfnissen baut.

Es ist vieles vordergründig lieb gemeint und die Esoteriker möchten keinem weh tun, auch dann, wenn sie einem auf kritische Fragen sagen, man sei eben noch nicht so weit und hätte dieses kritische Denken noch nötig, bemerken sie weder die stille Abwertung ihres Gesprächspartners, noch die zirkuläre Begründung: Wer Fragen hat, hat nicht verstanden, wer versteht, fragt nicht. Ihr Moralisismus ist stiller und elitärer, die anderen verstehen das natürlich nicht, darum ist man ja besonders.

Unreflektierte Unsicherheit

Spitzweg Bild. Mann, Kaktus auf Fensterbank

Er könnte sich selbst genügen. © Wikimedia under GNU Free Documentation License

Was Moralisten aller Art auszeichnet ist die Überzeugung, dass es genau eine richtige Art zu leben gibt, nämlich ihre. In einer freien Gesellschaft leben wir in der glücklichen Situation, dass man das umsetzen kann und weitgehend in Ruhe gelassen wird. Doch Moralisten genügt das nicht. Von der Idee, der sie sich verschrieben haben, müssen alle begeistert sein. Warum eigentlich? Warum genügt es ihnen nicht, dass man sie ihr Leben leben lässt, wie sie es wollen?

Zum einen will man natürlich das, was man selbst als positiv empfindet anderen zukommen lassen. Doch nicht immer teilen die anderen die Begeisterung. Das ist schade, aber nicht zu ändern, dafür sind wir Individuen. Hier setzt der Moralist gern die Daumenschrauben an und gerät ins Missionieren. Das Ideal der Moralisten ist nicht, dass jeder so leben soll wie er selbst will, sondern wie der Moralist es möchte. Gleich ob das liebenswert oder drohend rüber kommt, dieser Zug macht sie zu anstrengenden Mitmenschen und verweist wohl öfter als man meint auf eine eigene Unsicherheit, auch wenn die eigene Überzeugungen oft felsenfest zu sein scheinen. Denn, wenn alle dieselbe Einstellung haben, wird das Leben vermeintlich leichter. Tatsächlich wird es das erst, wenn jeder dem anderen seinen Entfaltungsspielraum zugesteht, der dort endet, wo er den des anderen zu stark einschränkt.