Während im ersten Teil der Artikelserie über allgemeine natürliche Ursachen, welche Ängsten zugrunde liegen können, gesprochen wurde, setzt sich der zweite Teil dagegen mit der Frage auseinander, ob es überhaupt eine Angst ohne Grund gibt.

Um dieser Frage gerecht zu werden, sollte die Thematik von individueller Seite beleuchtet werden, denn der persönliche Erfahrungshintergrund ist es, der in gewisser Weise immer mit Ängsten in Zusammenhang steht.

Warum habe ich „Angst ohne Grund“?

Menschenmenge auf dem Markt

Angst ohne Grund in einer Menschenmenge? © Sascha Kohlmann under cc

Angst vor anderen Menschen zu haben, auf großen, unüberschaubaren, gut gefüllten Plätzen zu stehen, oder Angst vor Keimen zu entwickeln, die man nicht einmal mit den bloßen Augen sehen kann, lassen einen zunächst vermuten, dass es durchaus Angst ohne Grund gibt.
So ist zum Beispiel bei der Agoraphobie (vgl. Dilling et al., 2013) die Wahrscheinlichkeit, auf einem großen Platz zwischen all den Menschen im Falle von externen Gefahren nicht flüchten zu können oder bei körperlichen Unwägbarkeiten keine Hilfe zu erhalten, wie es in der Vorstellung von Agoraphobikern oftmals der Fall ist, in der Realität überaus gering – objektiv betrachtet also eine Angst ohne Grund.

Fragt man allerdings die meisten „Überängstlichen“, werden sie bei näherer Überlegung durchaus einige psychologische Erklärungsweisen heranziehen können, die sie im Laufe ihres Lebens dazu ersonnen haben.

Und jenes ist es eben auch, was man sich immer vor Augen führen sollte, wann immer man sich dazu verleitet sieht, jemanden ob seiner Angst zu verurteilen und diese als Angst ohne Grund abzutun. Der persönliche Erfahrungshintergrund entscheidet, wer, wann, wie stark und wovor Angst spürt.

Angst ohne Grund versus individuelle genetische und umweltbezogene Ursachen

Viele Ängste bilden sich im Laufe der Kindheit und Jugend heraus, aber auch im Erwachsenenalter können durchaus, etwa durch Lebenskrisen ausgelöst, Ängste entstehen.

Als mögliche Ursachen für Angststörungen (bei Ängsten, die über das der Norm entsprechende Maß hinausgehen) werden neben genetischen und neurobiologischen Ursachen, wie hormonelle Ungleichgewichte, auch traumatisierende Lebenserfahrungen und mögliche fehl erlernte Konditionierungen, das heißt fehl erlernte gedankliche Verknüpfungen zwischen Stimulus und der von ihm ausgelösten Angst, diskutiert (Bandelow & Broocks, 2006). Modelllernen durch Bezugspersonen in der Kindheit, mögliche kindliche Fehldeutungen diesbezüglich, können dabei unter anderem herangezogen werden.

Darüber hinaus kann eine Angst ohne offensichtlichen Grund durchaus auch stressbedingt zunehmen. Belastungen des Alltags, Leistungsdruck, eine gesteigerte Krankheitsrate können sich durch Kompensation in Ängsten äußern.

Und auch wenn diese Ursachen zwangsläufig nicht in einer pathologisch diagnostizierten Angststörung münden müssen, so ist ein Heranziehen dieser Erklärungen durchaus auch bei der Entstehung von ängstlichen Persönlichkeitstendenzen möglich.

So gesehen gibt es also keine Angst ohne Grund, vielmehr gilt es die individuellen Ursachen zu erforschen, anstatt diese abzutun, und darüber hinaus zu prüfen, inwiefern die Angst zu einem persönlichen Hemmnis wird, was man dagegen tun kann und ob eine klinische Diagnostik erwogen werden sollte, wie der dritte Teil unserer Serie zu den „Schrecken des Alltags“ ausführen wird.

Quellen:

  • Bandelow, B. & Broocks, A. (2006). Generalisierte Angststörungen – Hypothesen zur Ätiologie. In: Bandelow, B. Angst- und Panikerkrankungen, 2nd edition. Bremen: UNI-MED. 105–8.
  • Dilling, H., Mombour, W. & Schmidt, M.H. (2013). Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch-diagnostische Leitlinien. Bern: Huber.