Sich als Teil der Natur zu betrachten, kann die Angst vorm Sterben mindern

Sich als Teil der Natur zu betrachten, kann die Angst vorm Sterben mindern © Etmo under cc

Die Angst vorm Sterben ist weit verbreitet und kann mit regelrechten Panikattacken verbunden sein. Ein Stück weit kann diese Angst vor dem Tod auch als eine natürliche betrachtet werden, denn sie sorgt dafür, dass wir Unheil abwenden, um uns und unsere Nachkommen zu schützen.

Trotz allem ist in vielen Kulturen dieser Welt der Tod weniger angstbehaftet und wird als natürlicher Bestandteil des Lebens gesehen. Was macht also die Angst vorm Sterben in unserem westlichen Kulturkreis so groß im Gegensatz zu vielen anderen noch ursprünglich geprägten Kulturen?

Angst vorm Sterben durch Individualismus statt Kollektivismus

In individualistisch geprägten Gesellschaften steht der Einzelne im Vordergrund und weniger die Gesellschaft oder die Familie als Ganzes. Man begreift sich zumeist als Individuum, das nach Selbstverwirklichung strebt. Im Gegensatz zu kollektivistisch geprägten Kulturen, in denen man sich mehr als Teil des Ganzen betrachtet, als Bestandteil eines natürlichen Kreislaufes, kann dies die Vorstellung, dass man irgendwann nicht mehr da sein wird, erschweren.
Hinzu kommen die westlichen Lebensgewohnheiten. Viele Ältere leben einsam fernab ihrer Familien und so sieht man sich dem Tod, als dunkler unbekannter Konstante des Lebens, oftmals allein gegenüberstehen.

Angst vor dem Unbekannten

Der Tod ist in vielen westlichen Kulturen nicht fassbar. Man weiß nicht, wie man ihm begegnen soll.
Der christliche Glauben und Nahtoderfahrungen geben Anlass, auf eine wie auch immer geartete Existenz nach dem Tod zu hoffen. Auch manche Wissenschaftler schließen diese nicht aus, andere wiederrum halten dagegen. – Diskussionen, die im Umgang mit dem Tod verunsichern.

In vielen noch ursprünglichen Kulturen gibt es dagegen feste Glaubenssätze, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, darüber, was einen nach dem Tod erwartet. Bereits Kinder begreifen dadurch den Tod als natürlichen Bestandteil des Lebens. Sie sehen durch die engere familiäre Eingebundenheit, wie Ältere damit umgehen, und haben so die Chance, sich an den Tod und „das Nachfolgende“ zu gewöhnen.
Während hierzulande oftmals die Trauer nicht einmal gezeigt wird, findet man dort miteinander Trost und schöpft gemeinsam wieder neue Hoffung. Damit in Zusammenhang steht ein weiterer Aspekt, der die Angst vorm Sterben in unserer Gesellschaft erhöhen kann.

Angst, die Familie zurückzulassen

Angst vorm Sterben ist auch Angst vor Endgültigkeit

Angst vorm Sterben ist auch Angst vor Endgültigkeit © Martin Fisch under cc

In kollektivistischen Kulturen ist die Familie ein Gebilde, das zusammenhält und füreinander da ist. Dies schafft Ruhe und Zuversicht für den Sterbenden.
In unserer Gesellschaft stehen dagegen oftmals die Bürden, welche man den Familienmitgliedern hinterlässt, im Vordergrund: die Organisation der Beerdigung, Behördengänge, Wohnungsauflösung und vieles mehr. Und so belastet diese Angst viele Todgeweihte oft stärker als jede andere Angst in Zusammenhang mit dem Tod. Last zu sein anstatt selbstverständliche gegenseitige Unterstützung. Man ist gezwungen, die Kontrolle über seine Belange abzugeben – ein weiterer Aspekt in Zusammenhang mit der Angst vorm Sterben.

Angst, die Kontrolle zu verlieren

Gerade in westlichen Gesellschaften gelten Stärke und Kontrolle als erstrebenswert. Schwach zu sein, Hilfe anzunehmen, anderen zu vertrauen, wie es innerhalb kollektivistischer Kulturen üblich ist, fallen dagegen schwer. Doch beim Sterben und im Anschluss ist der Kontrollverlust unausweichlich. Es bleibt nur, sich den natürlichen Vorgängen hinzugeben und zu vertrauen – ungewohnt für Mitglieder individualistisch geprägter Kulturkreise.

Doch Individualismus ist in Bezug auf die Angst vorm Sterben nicht nur negativ zu werten.

Angst vorm Sterben = Angst vorm Leben

Häufig findet man bei Menschen mit ausgeprägter Angst vorm Sterben auch eine gewisse Angst vorm Leben. Sie „verstecken“ sich; es fällt ihnen schwer, auf ihr Innerstes zu hören, ihre Wünsche umzusetzen und das Leben als solches selbstbewusst anzugehen. Kurzum: Wer das Leben nicht „bei den Hörnern packt“, wird es auch beim Tod nicht tun.

Ein Gleichgewicht aus kollektivistischen und individualistischen Ansätzen böte sich an, um den Tod als natürliches Lebensereignis anzunehmen und die Angst vorm Sterben zu verringern, wie Teil zwei dieser Artikelserie auf psymag.de zeigt.