Die Stufen der Entwicklung sind Momentaufnahmen der Charakter- und Bewusstseinsentwicklung. Sie entspringen wohl dem menschlichen Bedürfnis, seine Welt zu ordnen, was auch für die Vermessung der Innenwelten gilt.
Teile unserer Psyche entwickeln sich, andere scheinen festgezurrt zu sein, wie das Temperament. Entwicklung kann stufenweise verlaufen oder kontinuierlich, mal kommt sie, einem Mandala gleich, immer wieder an ähnlichen Punkten vorbei, mal ändert oder verläuft sie wie ein Spiralpfeil.
Dennoch kann man über einen längeren Zeitraum betrachtet feststellen, dass die Sicht der Stufen der Entwicklung berechtigt ist. So wie man erkennen kann, dass ein kleines Kind nun auf zwei Beinen laufen kann, so beherrscht es auch mit der Zeit neue innere Fähigkeiten.
Entwicklung zum Höheren oder Veränderung?
Anders gefragt, ist Entwicklung nun ein Anderswerden oder Besserwerden? Die Frage wird kontrovers betrachtet, jedoch scheint es bei bestimmten Fähigkeiten gut zu sein, wenn man über sie verfügt und bei Bedarf auf sie zurückgreifen kann. Die Impuls- oder Affektkontrolle ist so eine Fähigkeit. Ob man über sie verfügt, ist zu einem Teil eine Frage des angeborenen Temperaments, zum anderen aber auch erlernbar.
Darüber hinaus ist Entwicklung sicher auch ein Anpassungsprozess, bei dem in verschiedenen Zeiten und Kulturen unterschiedliche Fähigkeiten benötigt werden. Was gut passt, muss aber im Lichte anderer, etwa ethischer, Kriterien nicht immer gut sein. Doch die Gegenfrage lautet, wer denn zu bestimmen hat, was tatsächlich gut ist. Das vermag uns die Natur so wenig vorzuschrieben, wie die Religion, wenngleich beide als gesellschaftliche Impulsgeber dienen können. Die Gesellschaft entscheidet bei uns selbst darüber. Die Gefahr hierbei ist, dass die Meinung der Vielen nicht immer dem Guten oder Bestmöglichen entsprechen muss. Ein schwer aufzulösender Zirkel.
Entwicklungslinien oder Intelligenzarten
Welche psychischen Bereiche können sich nun entwickeln? Die Intelligenz, das wissen wir, wenigstens in einem bestimmten Umfang. Doch es ist eigentlich nie ganz klar geworden, was Intelligenz ist oder warum sie nun gerade das sein soll, was im IQ-Test gemessen wird.
Schnell wurden neben der kognitiven Intelligenz andere Formen der Intelligenz postuliert, vor allem von Howard Gardner, die sich jedoch eher als Bausteine der Persönlichkeit erwiesen. Der Pionier des integralen Ansatzes, Ken Wilber, stellte diese als Entwicklungslinien dar. Ingesamt führt er knapp 30 dieser Entwicklungslinien auf und sie alle entwickeln sich.
Ein buntes Durcheinander der Stufen der Entwicklung, die inhaltlich so weit von einander getrennt sind, dass man sie als eigene Entwicklungslinien betrachten kann, andererseits zum Teil von einander abhängen, in der Weise, dass bestimmte Linien notwendige, aber keine hinreichenden, Voraussetzungen für die Entwicklung anderer Entwicklungslinien darstellen.
Endet Entwicklung?
Gerade der frühen Kindheit schreibt man Entwicklung zu, weil sich hier einfach ungeheuer viel in kurzer Zeit tut. Bücher über Entwicklungspsychologie erwecken manchmal den Eindruck, als seien es Bücher über Kinder- und Jugendpsychologie. Und auch der Normalbürger denkt, dass das Lernen so eine Sache ist, die dann spätestens mit dem Ende des Studiums oder der Ausbildung endet.
Die Neurobiologen mussten das Alter, in dem das Gehirn aufhört sich zu verändern, immer wieder nach oben korrigieren. Heute spricht man von Neuroplastizität und meint damit, dass das Gehirn sich lebenslang umbaut. Das Stichwort des lebenslangen Lernens ist keine Drohung, sondern eine wunderbare Fähigkeit.
Altersentwicklung als eine Geschichte der Ausfallerscheinung zu interpretieren, das gilt selbst im Angesicht demenzieller Erkrankungen nur sehr bedingt. Meilensteine der Geistesgeschichte wurden in späten Lebensjahren verfasst, Kants Kritiken sind das Werk eines Mannes hoch in den 50ern, Goethes Faust war ein lebensbegeleitendes Werk, an dem er, bis er über 80 war, arbeitete und das epochale Spätwerk des Sophokles ist die Arbeit eines über 90-Jährigen. Auch der Psychiater und Harvard-Professor George E. Vaillant bemerkt, das Gehirn würde mit dem Alter immer besser, ein 50-Jähriger könne Dinge schreiben, zu denen ein 20-Jähriger nicht in der Lage sei.
Bestimmte Fähigkeiten mag man verlieren, aber unterm Strich ist das beobachtbare Nachlassen im Alter vielleicht weniger den Möglichkeiten geschuldet, als vielmehr unseren nicht mehr vorhandenen sozialen Rollen für alte Menschen, die zu deren Abschieben und chronischer Unterforderung führen.
Bestimmte Stufen der Entwicklung enden, andere scheinen nie aufzuhören, wir werden mit der Zeit auf psymag.de einige herausgreifen und näher betrachten.