Schließlich taucht die Frage nach den Konsequenzen für die Praxis auf. Die Antwort ist aktuell noch immer die, dass der Königsweg nicht gefunden ist. Wir sind in eine Gesellschaft geboren, die primär auf den Nutzen von etwas blickt und müssen uns bewusst werden, dass wir aus diesem „um zu“ Nützlichkeitsdenken nur schwer herauskommen.
Wenn wir unserem Leben einen Sinn geben wollen, dann müssen wir ankommen und zwar dort, wo wir uns subjektiv heimisch fühlen. Diskussionen darüber, ob das Leben denn „an sich“ einen Sinn besitzt, sind insofern irrelevant, weil sie ohnehin niemand objektiv beantworten kann. Dieses Ankommen bedeutet oft vom alleinigen „um zu“, von Umwegen, wegzukommen. In dem Moment wo wir bei dem ankommen, was wir jetzt gerade tun, was immer es sei, öffnet sich ein Tor – bildhaft gesprochen. Ein Tor zur Selbstvergessenheit. Das ist keine Dösigkeit, sondern der von spirituellen Traditionen gemeinte Zustand hoher Bewusstheit und Achtsameit. Was zählt ist dieser Moment, nur dieser Augenblick, so, wie er sich für uns darstellt. Akzeptierend, ohne Widerstand.
Und das soll helfen?
Nicht unbedingt gegen schwerste Krankheiten, aber dagegen, immer wieder aus dem Moment zu fallen, nicht selten gehetzt zu suchen, ohne so recht zu wissen, wonach eigentlich. Uns ist zuweilen nicht nur ein Lebensziel unbekannt, sondern jedes Ziel. Wir tun, bis zur Erschöpfung, häufig ohne uns Rechenschaft abzugeben. Das fällt weg. Kranke sind immer auch reduziert auf sich. Das ist schlecht, wenn die Solidarität fehlt und eine Chance, wenn man sich mit sich selbst beschäftigen muss. War es das? Was bleibt? Was ist jetzt noch wichtig? Manches wird eventuell wieder wichtig: Frühling, vielleicht zum letzten Mal und selten so intensiv erlebt.
Das kann weh tun und traurig machen und doch auch ein klares Erlebnis sein, genau jetzt. Zu erleben, was nicht mehr geht, kann eine sehr wache Kompenente haben. Man muss kein Held sein dafür, sondern alle Hoffnung fallen gelassen haben. Man steht auf einmal unendlich frei in der Welt und nimmt in besten Fall bewusst wahr, was einem sonst verborgen blieb. Der Unterschied zwischen bedeutend und nichtig fällt weg.
Es hat Züge eines meditativen Lebens, voll Achtsamkeit, und es kann ein Zustand tiefen Friedens sein, zumindest ist es ein sehr klarer. Bardo-Zustand nennt es der tibetische Buddhismus, ein mythischer Zwischenzustand, oft verstanden als Zustand zwischen Tod und Leben, psychologisch gewendet eine Insel der Klarheit, des Jetzt, die immer da ist. Ob das körperlich heilt ist unbekannt, aber es kann die Psyche heilen. Meditative Übungen helfen diesen Zustand herbeizuführen und zu stabiliseren und dafür ist es buchstäblich nie zu spät. Die Todesnähe vergrößert sogar die Chancen diese Momente zu erleben. Wer die Erfahrung macht, erfährt sie als Geschenk. In diesem Zustand des Friedens kann dann auch jene Zuversicht keimen, von der so oft die Rede war. Ob sie dann noch greift und eine Wunderheilung unterstützt oder ob man in Frieden sterben kann, ist vielleicht fast sekundär. Doch hier bekommt, als eine der Konsequenzen, Spiritualität auch eine therapeutische Bedeutung.
Ich will in der nächsten Folge beispielhaft Anregungen geben, von denen einige irrational wirken. Ich möchte jedoch zeigen, warum ich glaube, dass sie dennoch rational sind. Der Verstand muss mit an Bord, denn wir sind nicht nur emotionale oder intuitive Wesen.
Zusammengefasste Konsequenzen
Lernen wir den Wert der Anekdoten zu schätzen, denn sie zeigen uns, was möglich ist. Was einmal möglich war, ist noch mal möglich.
Wir können Geschenke tendenziell schlecht annehmen, d.h. wir müssen die Möglichkeit zu Gegenleistungen haben oder selbst aktiv werden können. Das bringt uns zudem das Gefühl nicht teilnahmslos und ohnmächtig zu sein und dass es hilft, wenn man selbst etwas tun kann, davon ist auch György Irmey überzeugt.
Wir wollen verstehen, rational nachvollziehen, warum wir gesunden können. Dann können wir uns besser fallen lassen und anvertrauen, was vermutlich ein ebenso wichtiger Teil ist, das ist eine der weiteren Konsequenzen.
Diese, individuell unterschiedliche, Balance zu finden und zu halten, um zu subjektiv begründeter Hoffnung zu gelangen, ist ein weiterer Ansatz. Dieses Verstehen muss im Rahmen des Weltbildes des Betroffenen liegen oder ihm, durch Therapie oder Übungen, zugänglich gemacht werden, so dass es ihm plausibel erscheint.