Ist der Abstieg in die Unterwelt ein Teil archetypischer Strukturen, so ist der Aufstieg ins Licht sein Gegenpart. Sehr häufig, wie bei Dante, mit einer Zwischenepisode der Läuterung, steht der Held schließlich am Ziel der Erkenntnis, der Weisheit, der Erleuchtung.
Aber der Aufstieg ins Licht ist nicht mit einem Happy End zu verwechseln und oft nicht so, wie wir uns Weisheit vorstellen. Der archetypische Held musste viel zurücklassen, hat viel gesehen, dabei Irrwege beschritten, sich Wunden und Schrammen geholt und eigene Fehler begangen.
Da steht kein strahlender Held am Ende und es ist ein häufiges Motiv, dass Scheitern und Erfolg nicht getrennt sind, sondern einander die Hand reichen. Ödipus ist am Ende seines Weges ein blinder Bettler und doch König im eigenen Reich. Auch der Buddha muss mit Versuchungen ringen.
Der Aufstieg ins Licht ist also keine Triumphfahrt mit Fanfaren, sondern eine ambivalente Angelegenheit, so wie auch das Licht selbst sehr ambivalent ist und oft genug in der dunkelsten Nacht gefunden wird.
Auf der einen Seite wird das Licht mit den Verstandeskräften assoziiert und in vielen Mythen steht der Raub des Lichtes, des Feuers, als ein synonymer Begriff für den Raub an Erkenntnis und Geist.
Licht und Sünde
Vergessen wir nicht, dass der Luzifer, der Teufel also, wörtlich der Lichtträger heißt. Das Motiv des Raubes finden wir auch im griechischen Mythos des Prometheus, der der Gründer des sterblichen Geschlechts der Menschen ist und den Menschen das Licht der Erkenntnis brachte, welches er den Göttern nahm.
Ein Raub, eine Sünde, die gewöhnlich schwer bestraft wird, aber von den allmächtigen Göttern nie unmöglich gemacht wird. Es ist schon ganz in Ordnung diesen Raub begangen zu haben, nur ist der Preis eben auch Erkenntnis, Wissen und Verantwortung: Man steht nun auf eigenen Füßen.
In fast allen Mythen schlägt der Held alle Warnungen in den Wind. Er geht kompromisslos seinen Weg, kämpft gegen sein Schicksal und erfüllt es doch mit jeder Handlung, unwissentlich, nur umso genauer. Man kann dem Schicksal nicht entgehen und wer den Weg betritt, muss ihn zu Ende gehen, es gibt kein Zurück, lautet die Botschaft.
Geht der Held den Weg aber weiter, so wird das Gift der Erkenntnis zum Heilmittel, das ebenfalls Erkenntnis heißt.
Von der Liebe und den Herzenskräften
Der Verstand, daran lässt der Mythos keinen Zweifel, ist ein wichtiges Werkzeug auf dem archetypischen Lebensweg. Man kommt weit mit ihm, aber – und auch das ist eine häufige Wendung – nicht bis ganz ans Ziel.
Exemplarisch hier die Weihnachtsgeschichte aus dem Christentum, bei dem die drei Weisen den Weg fanden, indem sie rational Zeichen deuteten, während die Hirten, einfache Menschen, ihren Herzenskräften vertrauten und die Kunde vom Engel des Herrn erhielten.
Und es ist oft so, dass die Liebe den weiteren Weg weist, dort wo der Verstand versagt, bei Dante ist es nach Vergil, der mit ihm durch die Hölle geht, Beatrice, die ihn über den Läuterungsberg ans Licht und ins Paradies führt.
Wenn der Aufstieg ins Licht keine Triumphfahrt eines strahlenden Helden ist, so bedeutet das, dass der archetypische Held immer Opfer bringen muss. Das was er zunächst für das Größte hielt, die eigene Ichkraft, das erkennt er nun in jenem zweiten Schritt als Gift und überwindet aus Einsicht seine ichhaften Bestrebungen.
Wir müssen uns hüten, den Mythos zu schnell als alte Geschichte abzutun. Meister Eckhart lehrt uns ähnliches. Bei ihm ist die Überwindung des Ichs das Tor zur Freiheit. Doch wie im Mythos finden wir hier eine paradoxe Freiheit: Es ist keine Freiheit im Sinne der Willkür, die hier lockt, sondern eine Freiheit durch ein Loslassen von allem, was man zu müssen meint, auch einem frommen Leben. Reiner Buddhismus, wenn man so will.
So wird das Gift der Erkenntnis zum Heilmittel der Erkenntnis und die archetypische Antwort der Mystiker, die den Aufstieg ins Licht anzeigt, lautet immer, das wahre Freiheit dort zu finden ist, wo es gelingt in den Moment, in diesen Augenblick zu kommen. Eine Botschaft von zeitloser Gültigkeit und im Einklang mit Erkenntnissen der Psychologie.