Wie im vorigen Beitrag ausgeführt, ist ein intaktes Gewissen ungeheuer wichtig. Doch bevor wir uns diesem zuwenden, wollen wir klären, was ein krankes Gewissen entstehen lässt.

Wie kommt es zur Über-Ich Pathologie?

Mann mit Schnäuzer und geschlossenen Augen

Nachdenklich, müde oder schuldbewusst? © davidd under cc

Hauptfaktor ist, wie so oft, das Umfeld und primär die eigene Familie, was sich schon dadurch erklärt, dass die Bildung des Über-Ichs bereits in den ersten Lebensmonaten beginnt. In der älteren und marxistisch angehauchten Psychoanalyse gab es die Idee, dass das Gewissen wie ein lastender Mühlstein die freie Entfaltung des Ich beschwert, was zur Faustregel, je weniger Über-Ich desto besser, führte. Ein krankes Gewissen wurde mit Repression, Unterdrückung und Hemmung durch Überstrukturierung und Triebunterdrückung assoziiert, was nach wie vor auch richtig ist.

Doch heute weiß man, dass ein Über-Ich Mangel viel schlimmer ist und ein krankes Gewissen eher ein unreifes ist. Es sind die abwesenden Väter, die Unterstrukturierung und ein regelloses und willkürliches Chaos, die Kindern Probleme bereiten. In höchstem Maße geschieht das dort, wo chronisch die Grenzen des Kindes und anderer Personen des nahen Umfeldes missachtet werden und es zu gewalttätigen und/oder sexuellen Übergriffen kommt, in die das Kind direkt verwickelt ist oder die es als Zeuge erlebt. Psychisch ist beides katastrophal und verursacht schwerste Über-Ich Pathologien.

Es gibt Indizien für einen angeborenen Mangel an Empathie durch Störungen des Serotoninsystems, das unter anderem die Affekte dämpft. Ein völliger Empathieverlust liegt bei der antisozialen Persönlichkeit vor, die unfähig ist Gefühle wie Liebe und Sorge für andere zu empfinden, doch neben den genetischen Einflüssen ist auch hier häufig das Umfeld extrem gestört.

Scham und Schuld

Ein krankes Gewissen kreist um sich selbst, was zu typischen Reaktionen auf eigene Fehler führt. Fühlt sich ein Mensch mit einem zu unterentwickelten Über-Ich eines Fehlers überführt, so ist das für ihn oft eine Katastrophe. Denn das schon beschriebene grandiose Ich mit dem unfertigen Über-Ich kann Unvollkommenheiten nur schwer kompensieren. Nicht perfekt zu sein ist ein schwere Kränkung, die charakteristischerweise als Scham erlebt wird. „Wie stehe ich denn jetzt da?“ „Was denken die Leute jetzt nur über mich?“ „Jetzt werden alle über mich spotten.“ Das sind die selbstbezogenen Gedanken eines Ich, das sich schämt. „Ich Nichtsnutz, ich Trottel, nie kann ich irgendetwas richtig machen“, sind typisch destruktive Gedanken, hervorgerufen durch ein sadistisches Über-Ich.

Ein reiferes Über-Ich ermöglicht die Fähigkeit Schuld zu empfinden. Schuld dreht sich, im Unterschied zur Scham, primär um andere und das, was man ihnen angetan hat. Man ist auch entsetzt über eigene Fehler, aber weil andere nun leiden müssen und es ihnen schlecht geht. Weil man etwas verursacht hat, was man nicht wollte und nun bereut. Reue, der Wunsch nach Wiedergutmachung und sich zu deprimierenn, über das was anderen durch eigenes Fehlverhalten passiert ist, sind typische Elemente von Schuld.

Deshalb ist der Weg von der Scham zur Schuld ein Indiz für Gesundung, solange die Schuld nicht übergroß wird und man zu exzessiver Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit und Sauberkeit neigt, die in eine neurotische Richtung deutet und Impulse des Lebens unter Verschluss halten soll.

Investition in andere

Ein weiteres Zeichen für ein intaktes Über-Ich ist die Fähigkeit, ein Interesse für Bereiche zu zeigen, die das eigene Ich übersteigen. Kunst, Religion, Politik und Gesellschaft, Philosophie oder Sport sind solche Gebiete, bei dem nicht das eigene Ich, seine Emotionen und körperlichen Befindlichkeiten im Zentrum stehen und man nicht 24/7 im eigenen Saft kocht.

Was ist ein normales Über-Ich und wozu dient es?

transzendenter Beobachter

Das Gewissen kann ein gütiger Freund sein © H. Koppdelaney under cc

Ein normales Gewissen ist ein an die individuellen Bedürfnisse angepasster, stabiler Wertekodex. Man ist zu realistischer Selbstkritik fähig, ohne daran zu zerbrechen. Man ist moralisch integer und passt sich nicht einfach der Umgebung an, ist aber beweglich genug andere Wertekontexte zu erkennen und zu respektieren, ohne die eigenen zu verraten. Man fühlt sich den Standards, Werten und Idealen der eigenen Kultur verpflichtet und versucht Wechselseitigkeit, vertrauensvolle und tiefe Beziehungen zu ermöglichen.

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