11% aller Europäer leiden an einer somatoformen Störung. Damit zählt sie neben Angststörung, Alkoholabhängigkeit und Depression zu den vier verbreitesten psychischen Störungen (Wittchen & Jacobi, 2005). Zwischen 16 und 31 Prozent der Konsultationen in deutschen Allgemeinarztpraxen können auf Personen mit somatoformen Symptomen zurückgeführt werden (Sauer & Eich, 2007). Sowohl wegen des hohen Vorkommens als auch wegen der intensiven Inanspruchnahme medizinischer Leistungen sind somatoforme Störungen eine hohe Belastung und von großer Bedeutung für das Gesundheitssystem. Dennoch wird sie nur selten diagnostiziert und bleibt daher lange Zeit unbehandelt.
Geschichte der somatoformen Störung
Dass nur die wenigsten von der somatoformen Störung gehört haben, hängt vor allem damit zusammen, dass das Störungsbild noch sehr jung ist und sich aus dem Konzept der Psychosomatik entwickelt hat. Entsprechend der psychoanalytischen Tradition wurde früher unter Somatisierung keine Störungseinheit verstanden, sondern vielmehr ein pathologischer Mechanismus, aufgrund dessen sich unbewältigte Konflikte in somatischen, also körperlich-physischen, Symptomen ausdrücken. Heute hat sich eine ganzheitliche biopsychosoziale Betrachtungsweise durchgesetzt, die die Entstehung der somatischen Symptome in mehr als nur unbewältigten Konflikten sieht. Dabei werden die körperlichen Beschwerden in Zusammenhang mit psychologischen und familiären Bedingungsfaktoren verstanden.
Symptome und Verlauf der somatoformen Störung
Was genau unter der somatoformen Störung zu verstehen ist, wird in der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD-10) festgehalten. Die somatoforme Störung wird demnach als eine psychische Störung definiert, die sich vor allem durch zwei ganz grundlegende Aspekte auszeichnet: Zum einen durch eine immer wiederkehrende, wechselnde und unklare körperliche Symptomatik, zum anderen durch abweichendes Krankheits- und Bewältigungsverhalten. Betroffene Personen leiden teilweise jahrelang an Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen (wie z.B. starkes Herzklopfen oder Schwitzen), die als qualvoll und belastend erlebt werden und für die es keine ausreichende organische Erklärung gibt.
Auf der Suche nach den Ursachen, werden von den Betroffenen teilweise invasive und teure medizinische Untersuchungen und Behandlungen eingefordert. Trotz wiederholter negativer Befunde und mehrmaliger Rückversicherung durch die behandelnden Ärzte weigern sich die Patienten dennoch hartnäckig dagegen, psychologische Ursachen für die Symptome anzuerkennen. „Selbst wenn Beginn und Fortdauer der Symptome in enger Beziehung zu unangenehmen Lebensereignissen, Schwierigkeiten und Konflikten stehen, sind die Patienten von einer körperlichen Ursache ihrer Beschwerden überzeugt und diskutieren die Möglichkeit einer psychischen Ursache wenig“ (Sauer & Eich, 2007).
Das wenig einsichtige Krankheitsverhalten der Betroffenen trifft auf die Unsicherheit und Angst der Ärzte eine ernsthafte Krankheit zu übersehen. Übrig bleibt eine frustrierende und komplizierte Patientenkarriere, die von Misstrauen und Enttäuschung geprägt ist. Häufig wechseln die Betroffenen den behandelnden Arzt und der ganze Kreislauf beginnt von vorne. Dies führt dazu, dass die Patienten häufig erst spät den Weg zu einem Psychologen finden. Die somatoforme Störung bleibt lange Zeit undiagnostiziet und damit auch unbehandelt.
Folgen unbehandelter somatoformer Störungen
Somatoforme Störungen rechtzeitig zu erkennen bedeutet für den Betroffenen eine Chance auf Verbesserung der Symptomatik und eine damit verbundene Steigerung der Lebensqualität. Bei Personen die unbehandelt bleiben ist nicht auszuschließen, dass die Schmerzen und das körperlichen Leiden einen chronischen Verlauf nehmen. Auch die Entwicklung weiterer psychischer Störungen wie Depression und Angststörung sind aufgrund alltäglicher Belastung und mangelnder Teilnahme am Gesellschaftsleben häufig.
Für das Gesundheitssystem bedeutet eine frühzeitige Diagnose und die psychotherapeutische Behandlung der somatoformen Störung Senkung der Kosten. Zum einen können die Arztkonsultationen vermindert werden, zum anderen sind die Kosten für eine Psychotherapie wesentlich geringer als die medizinischen Untersuchungen und Behandlungen (Kinder, Jorsh, Johnston & Dawes, 2004).
Quellen:
- Kinder, A., Jorsh, M., Johnston, K. und Dawes, P. (2004). Somatization disorder – a defensive waste of NHS resources. Rheumatology, 43, 672-674.
- Sauer, N. und Eich, W. (2007). Somatoforme Störungen und Funktionsstörungen. Deutsches Ärzteblatt, 104, 1-2, 45-54.
- Wittchen, H.-U., und Jacobi, F. (2005). Size and burden of mental disorders in Europe – a critical review and appraisal of 27 studies. European Neropsychopharmacology, 15, 357-376.