Ob Narzissten heilen können nur durch die Liebe, die ihnen widerfährt? Nicht wenige PartnerInnen von narzisstischen Menschen stellen sich diese Frage. Für sie hat die Beziehung nicht nur schlechte Seiten, es gibt auch viele schöne Phasen, für die es sich aus ihrer Sicht zu kämpfen lohnt. Um diese Frage beantworten zu können, sollten wir uns die Psychologie hinter Narzissmus in der Partnerschaft anschauen.
Narzissten heilen? Möglich oder nicht?
Grundsätzlich gilt zu erwähnen, dass Narzissmus als eine Charaktereigenschaft betrachtet werden kann, die sich auf einem Kontinuum darstellt. Es gibt Menschen, die narzisstischer sind, und jene, die weniger narzisstisch sind. So wie es Menschen gibt, die stark selbstunsicher sind, und solche, die lediglich in vereinzelten Situationen ein Anflug von Selbstunsicherheit überkommt. Ob NarzisstInnen durch die Liebe in einer Partnerschaft geheilt werden können, ist eben auch eine Frage des Ausprägungsgrades der narzisstischen Charakterzüge sowie des Ausmaßes der gesunden und empathischen Anteile in der Persönlichkeit. Wie fähig sind die Betroffenen zur Selbstreflexion? Können sie das Bewusstsein dafür entwickeln, dass eine langfristige Änderung bestimmter Verhaltensweisen ihnen mehr soziale Anbindung verschafft? Wie schnell können sie für sich gegenregulieren, sollten sie doch wieder in alte Verhaltensweisen zurückfallen?
Die psychologische Sicht

Eine Narzisstin/einen Narzissten heilen zu wollen, benötigt Selbstreflexion – bei dem Betroffenen, aber auch bei sich selbst. © Helen Cook under cc
Viele PsychologInnen sind der Auffassung, dass eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, also eine starke Narzissmusausprägung, die sich im klinischen Bereich bewegt, schwer zu heilen ist. Narzissmus gilt als ich-synton. Das bedeutet, dass die Betroffenen die damit verbundenen Denk- und Verhaltensmuster als zu sich zugehörig betrachten. Sie verspüren selten oder gar keinen Leidensdruck aufgrund der dysfunktionalen Muster, wie es demgegenüber etwa bei einer Angststörung der Fall wäre. Die Angsterkrankung lässt sich für einen Großteil der Betroffenen als eine eigenständige psychische Erkrankung erkennen, von der sie sich abgrenzen können und von der sie geheilt werden wollen.
Narzisstische Personen betrachten die Narzissmus-typischen Ausprägungen jedoch als zu ihrem Charakter zugehörig. Sie sehen nicht, dass daran etwas Falsches ist. Und solange sie auch keine wirklich einschneidenden, für sie negativen Erfahrungen aufgrund dessen machen, spüren sie auch keine Nachteile dadurch und folglich keine Veränderungsbereitschaft.
Es gibt durchaus klinische ExpertInnen, die Fortschritte in der therapeutischen Intervention mit stark narzisstischen Personen sehen, auch wenn die Gestaltung der TherapeutIn-KlientIn-Beziehung sich als Herausforderung zeigen kann und die Aufrechterhaltung der Therapiemotivation sich als problematisch erweisen kann.
Oft kommen die Betroffenen mit anderen psychischen Problemen in die psychiatrischen Kliniken und psychotherapeutischen Praxisräume, sie verspüren also einen wie auch immer gearteten Leidensdruck. Sie suchen TherapeutInnen zum Beispiel wegen einer depressiven Symptomatik, Suizidgefährdung oder Suchtproblemen (Alkohol, Spielsucht etc.) auf.
Alles in allem hängt es sicherlich vom Einzelfall ab, ob es möglich ist, Narzisstinnen/Narzissten zu heilen.
Einschub: Wie entsteht Narzissmus?
Neben einer genetischen Disposition und bspw. epigenetischen oder pränatalen Einflussfaktoren können für die Entstehung von Narzissmus frühkindliche Belastungsfaktoren eine Rolle spielen. So können unter anderem Vernachlässigung, latente Abwertung, Beschämung oder eine offene oder unterschwellige Aggression der früheren Bezugspersonen zu narzisstischen Persönlichkeitszügen beitragen. Andererseits soll auch beständiges und unangemessenes Loben sowie eine forcierte zugeschriebene Besonderheit des Kindes eine Rolle spielen.
Um Narzisstinnen oder Narzissten heilen zu können, empfiehlt es sich, ähnlich wie bei anderen Persönlichkeitsstörungen, sich in die Kindheit zurückzubegeben, die Ursache-Wirk-Zusammenhänge zu eruieren und therapeutisch anzusetzen.
Narzissten heilen durch Liebe?

Kann Liebe alles heilen, sogar Narzissmus? © Dean McCoy under cc
NarzisstInnen nehmen Liebe als Ausdruck von Fürsorge, Respekt und Wertschätzung gern in Anspruch. Sie gehen jedoch in die sofortige Abwehr, wenn sie einen Hauch von Kritik verspüren.
Demzufolge bräuchte es rein theoretisch einerseits Empathie, Geduld und Verständnis, möchte man in einer sozialen Beziehung versuchen, einen Narzissten oder eine Narzisstin zu heilen bzw. deren Ansichten zu ändern. Andererseits wären ein dickes Fell und stabiles Selbstbewusstsein gefragt, damit die narzisstischen Spitzen und beständigen Bloßstellungen und Abwertungen nicht zu einer schleichenden Untergrabung des eigenen Selbstwertgefühls beitragen.
Problematik: Was macht das mit den PartnerInnen?
Das Problem dabei ist: Wie möchte man sich in einer Partnerschaft fallen lassen und vertrauen, wenn andauernde Verletzungen, Trennungen und eskalierende Streits drohen? Nach meiner Auffassung braucht es einen gewissen Abstand, um aus der eigenen Sicht eine gewaltfreie Kommunikation mit narzisstischen Personen hinzubekommen und andererseits die verbalen Grenzübertritte des Gegenübers nicht persönlich zu nehmen.
Die beständige Habachtstellung und das Herumschleichen um den anderen Menschen, damit es nicht zu einem Streit kommt, gehen zu Lasten der seelischen Befindlichkeit der PartnerInnen. Man müsste die Phasen der Trennung aushalten, bei der eigenen Grenzziehung stark bleiben und sich dann wieder vorbehaltlos in die Phasen der Annäherung stürzen. Das alles halte ich mit einer authentischen Grundhaltung, bei der man den eigenen Seelenfrieden nicht aufgeben möchte, für nahezu unvereinbar.
Das Einsickernde einer toxischen Liebe ist schleichend. Um seelisch von den beständigen Degradierungen, Manipulationen und dem Vertrauensmissbrauch zu heilen und sich zu schützen, braucht es immer Abstand zu der Person mit den dysfunktionalen Verhaltensweisen.
Darüber hinaus ist auch der Aspekt der Gewaltspirale zu berücksichtigen.
Obacht vor der Gewaltspirale
Von einer verrohten verbalen Gewalt können es manches Mal nur wenige Schritte sein, bis es eventuell zum Einsatz körperlicher Gewalt kommt. Vielleicht ist es ein anfängliches Schubsen, irgendwann ist es womöglich ein Einsperren oder Schlagen. Damit möchte ich nicht jeder Person mit narzisstischen Persönlichkeitszügen eine Gewaltbereitschaft unterstellen, dennoch kann eine verstärkt aggressive Haltung bei einer narzisstischen Kränkung vorkommen. Aber auch das hängt sicherlich vom Einzelfall, dem Narzissmus-Ausprägungsgrad sowie weiteren Eigenschaften ab.
Bin ich verantwortlich, Narzissten zu heilen?
Das wäre die viel wesentlichere Frage. Diesbezüglich lautet die Antwort ganz klar: nein. Die Praxis zeigt, dass der Wille, PartnerInnen verändern zu wollen, so gut wie immer nach hinten losgeht. In einer Partnerschaft, vor allem in einer dysfunktionalen, kommt es dann oft zu Machtspielchen und verhärteten Fronten, zu Trotzreaktionen und Streit.
Der Weg in die Co-Abhängigkeit

Die Co-Abhängigkeit kennt man aus Suchtbeziehungen. © David Pursehouse under cc
Menschen, die das Ansinnen haben, eine Narzisstin oder einen Narzissten heilen zu wollen, müssen aufpassen, sich nicht in die Co-Abhängigkeit zu begeben. Sie müssen darauf achten, sich gedanklich nicht immerzu um das Seelenleben und Verhalten des narzisstischen Beziehungsparts zu kreisen, zu versuchen, sein Verhalten vorherzusagen und dem entgegenwirken zu wollen. Den Begriff der Co-Abhängigkeit kennt man aus klassischen Suchtbeziehungen, bei denen die PartnerInnen fortwährend versuchen, die Betroffenen vom z. B. Trinken des Alkohols abzuhalten und ihre Gedanken und ihr Leben darauf ausrichten.
Bei einer Beziehung mit einer narzisstischen Person bestünde gleichermaßen das Gefahrenpotenzial, sich nicht mehr auf das eigene Leben zu konzentrieren, sondern stattdessen viel zu häufig auf das Gegenüber orientiert zu sein. Personen mit narzisstischen Charakterzügen haben ein starkes Anspruchsdenken. Sie glauben, ihnen stünde mehr zu. Wenn PartnerInnen bereit sind, ihnen schlechte Verhaltensweisen nachzusehen, Verständnis zu haben, ihnen mehr Raum zu geben und sich selbst dagegen mehr zurückzunehmen, machen sie sich, ohne es zu bemerken, zu einem Erfüllungsgehilfen einer narzisstischen Person in einer Beziehung, die von einem eklatanten Ungleichgewicht geprägt ist.
Ein Ausblick: Dein weiterer Weg?
Grundsätzlich sind ganz allgemein Ansätze für Verhaltensänderungen in jedweder sozialer Beziehung nur dann möglich, wenn ein Part beginnt, sein Verhalten zu ändern, also zum Beispiel selbstbewusster wird, eine gesunde Kommunikation an den Tag legt und sich bei Grenzverletzungen deutlich abgrenzt. Möglicherweise entscheidet sich der andere Part dann, dem Verhalten zu folgen bzw. sein Verhalten entsprechend zu verbessern.
Das Ansinnen ist nicht im Sinne eines manipulativen Vorgehens gemeint, frei nach dem Motto: Ich verhalte mich jetzt so und so, damit du dich so und so verhältst. Manipulationen werden von den meisten Menschen sofort gewittert und stoßen auf Reaktanz. Vielmehr ist damit gemeint, das eigene Verhalten entsprechend der eigenen Selbstaufrichtung und Selbstheilung zu ändern und dann zu schauen, inwieweit der oder die andere folgt und sich die Beziehung insgesamt qualitativ verbessert. Nach meiner Auffassung folgen Personen mit narzisstischen Persönlichkeitstendenzen jedoch eher seltener dieser Dynamik.
Verspreche dir Ehrlichkeit
Letztendlich ist jede Person für ihr Verhalten verantwortlich. Wenn du mit dem Gedanken spielst, eine Narzisstin oder einen Narzissten heilen/verändern zu wollen, solltest du dir unbedingte Ehrlichkeit versprechen. Das bist du dir selbst schuldig. Verharrt man länger in einer destruktiven Partnerschaft in der Hoffnung auf eine Änderung der Verhaltensweisen beim narzisstischen Gegenüber, dreht man sich weiter im Kreislauf von Leiden und der Hoffnung auf Besserung, die man sich selbst weiterhin einredet. Das gemeine Verhalten des anderen Menschen schönzureden oder Entschuldigungen dafür zu finden, sorgt dafür, dass du dich selbst als eigenständige Person verleugnest und dein eigenes Wohlergehen hintenanstellst. Du hast viel mehr Kraft in dir, als du glaubst. Diese Kraft solltest du für dich einsetzen, anstatt für eine Person, die selbst keine ernsthafte und andauernde Bereitschaft oder Einsicht zur Führung einer gleichwertigen, respektvollen Beziehung auf Augenhöhe hat.