Emotionale Erpressung kann offen in Form einer direkten Androhung erfolgen, sie kann aber auch leise stattfinden, indem ein Gefühl der Enttäuschung ausgedrückt wird. Die Bandbreite dazwischen ist riesig. Nicht immer wird den Betroffenen, die der emotionalen Erpressung zum Opfer fallen, klar, dass es sich hierbei um eine bewusste oder unbewusste psychische Manipulationsstrategie handelt.

Wie zeigt sich emotionale Erpressung allgemein?

Eine emotionale Erpressung geht stets damit einher, dass der Verursachende versucht, eine andere Person emotional zu erreichen und zu bestimmten Gefühlsempfindungen und Verhaltensweisen zu bringen. Manchmal kann dahinter ein gezielter Manipulationsversuch stehen, um die betreffende Person beispielsweise für sich zu nutzen oder um ein Machtungleichgewicht herzustellen. Manchmal tritt eine emotionale Erpressung aber auch aus einer Verzweiflung oder Verlustangst heraus auf oder im Zuge einer erlernten Hilflosigkeit.
So oder so geht damit einher, dass der Verhaltensspielraum beim Gegenüber eingegrenzt werden soll. Die andere Person fühlt sich unter Druck gesetzt oder schuldig. Sie bekommt eventuell Angst oder ein schlechtes Gewissen. Sie fühlt sich verpflichtet zu etwas und kann nicht mehr frei entscheiden, weil ein emotionaler Ballast auf ihr liegt.

Beispiele für emotionale Erpressung

Grünes Seil zum losen Knoten gebunden

Zieht sich das Band der emotionalen Erpressung zu, wird der Verhaltensspielraum beim Gegenüber immer enger. © Judy Gallagher under cc

Es gibt mehrere Formen, wie emotionale Erpressung aussehen kann. Einige Beispiele haben wir nachfolgend aufgeführt.

Drohungen

Besonders heftige Formen von emotionaler Erpressung sind Drohungen von Selbstverletzung oder das in Aussicht stellen einer Trennung. Es werden die Andeutung und das Bewusstsein beim Gegenüber, dass eine Eskalation droht, in Kauf genommen.

„Wenn du mich verlässt, dann bringe ich mich um!“

„Wenn du das jetzt tust, dann ist es zwischen uns endgültig vorbei!“

Druck machen und Nachteile betonen

Diese Form der emotionalen Erpressung findet sich oft sowohl im privaten Bereich als auch im Arbeitskontext.

„Wenn Sie am Wochenende arbeiten, zeigen Sie die Bereitschaft, sich für das Unternehmen aufzuopfern.“

„Na, du wirst schon sehen, was du davon hast!“

Schuldgefühle machen

Oft wird der Verzicht auf eine bestimmte Sache, für den man sich selbst in der Vergangenheit entschieden hat, später herangezogen, um eine Person emotional zu erpressen.

„Ich habe meinen Job für dich aufgegeben. Und nun benimmst du dich so!“

In die Verpflichtung nehmen

Auch wenn man jemanden dazu bringt, sich zu etwas verpflichtet zu fühlen, oder ihn an seine Verpflichtung erinnert, kann es unter Umständen in den Bereich der emotionalen Erpressung fallen.

„Das bedeutet es für dich also, wenn du sagst, du bist für mich immer da?!“

Soziale Vergleiche heranziehen

Besonders unschön wird es, wenn eine Person eine andere zu einem bestimmten Verhalten bringen möchte, indem sie sie mit anderen Personen vergleicht und sie im Zuge dieses Vergleiches schlechter dastehen lässt.

„Andere Menschen schaffen das doch auch! Wieso du nicht?“

Gefühle in Abrede stellen

Die Gefühle beim Gegenüber werden nicht wertgeschätzt. Stattdessen werden sie benutzt, um den anderen Menschen zu funktionalisieren.

„Wenn du mich liebst, dann gehst du nicht zu dieser Party.“

„Wenn du jetzt aufhörst zu weinen, dann bist du wieder Mamas liebstes Kind.“

Zuneigung entziehen

Junger Mann zeigt sich theatralisch enttäuscht in Mimik

Zeigt sich jemand unangemessen tief enttäuscht und geht mit seinen Gefühlen hausieren, sollte man an emotionale Erpressung denken. © Guian Bolisay under cc

Auch die Gefühle des Erpressenden dienen als ein Mittel für eine emotionale Erpressung.

„So lange du die ganze Zeit weinst, rede ich nicht mit dir.“

„Ich bin so enttäuscht von dir! Ich weiß nicht, was ein solches Verhalten von dir zukünftig mit meinen Gefühlen machen wird.“

„Wenn du so wütend bist, hat Papa dich nicht mehr lieb.“

„Das macht mich ganz traurig, weil du dich so unartig verhältst. Oma guckt auch schon, weil du so herum wütest.“

Schlechtes Gewissen machen als subtile Form

Zeigt sich jemand demonstrativ enttäuscht und beabsichtigt, der anderen Person ein schlechtes Gewissen zu machen, kann jenes Verhalten eine leise Form der emotionalen Erpressung sein. Manchmal zeigt sich dieses Verhalten nicht einmal in Worten, sondern in einem Schweigen, starren Blick, Aufeinanderpressen der Lippen, demonstrativen Schmollen, schnippisch werden oder einer betont vorwurfsvollen Mimik, solange bis der andere nachgibt. Es wird mit Emotionen hausiert, manchmal auch über einen längeren Zeitraum, bis man beim Gegenüber die gewünschte Reaktion erhält.
Hin und wieder drücken die Worte beim Erpressenden sogar aus, dass deine Reaktion, dein Verhalten oder Grenzen setzen absolut in Ordnung sei und akzeptiert werde, aber die Tonlage stimmt mit dem Gesagten nicht überein. Beispielsweise wird geantwortet, dass alles in Ordnung sei, aber im Unterton schwingt Verärgerung mit oder Enttäuschung.

Offene Kommunikation als Methode der Wahl

Natürlich hat jeder Mensch das Recht, seine Enttäuschung auszudrücken. Insbesondere wenn das Verhalten eines anderen Menschen tatsächlich nicht in Ordnung war, darf sein Gegenüber ausdrücken, dass er enttäuscht ist. Der Unterschied zu einer emotionalen Erpressung ist jedoch, dass man nicht indirekt versucht, die andere Person zu einer Verhaltensänderung zu bringen. Wünscht man sich eine Verhaltensänderung beim Gegenüber, ist eine klare und offene Kommunikation die Methode der Wahl. Es geht also nicht um das Erzeugen eines schlechten Gewissens, sondern um einen offen geäußerten Wunsch, der andere Mensch möge bitte sein Verhalten ändern.

Schlechtes Gewissen machen als Manipulationsstrategie

Gerade in Partnerschaften oder zwischen Eltern und Kindern dürfte nicht wenigen das Erzeugen eines schlechten Gewissens bekannt sein. Kinder wollen ihre Eltern nicht enttäuschen. Das liegt in ihrer Prägung von kleinauf. Andersherum wollen auch viele Eltern ihre Kinder nicht enttäuschen und immer für sie da sein. Auch die Liebe zwischen zwei Erwachsenen wird oft so propagiert, dass die PartnerInnen alles füreinander tun (sollten). Ein gesundes Grenzen setzen kann dabei schnell hintanstehen.

Bleiben einige Dinge unausgesprochen und werden nur indirekte Botschaften vermittelt, ist die Wahrscheinlichkeit für das Nutzen von psychischen Manipulationsstrategien erhöht.
Enttäuschung als Manipulationsstrategie in einem familiären Kontext ist manchmal kaum durchschaubar und wird von vielen Ausführenden oft nicht einmal selbst bemerkt. Ihr Verhalten ist wie automatisiert und so verinnerlicht, dass sie häufig gar nicht verstehen, dass sie gerade dabei sind, eine emotionale Erpressung anzuwenden.

Beispiele im familiären Kontext

Mögliche Beispiele sind:

„Ist schon gut. Du musst uns nicht besuchen kommen. Wir wissen ja, du hast viel zu tun. Geh du mal deinen Weg ins Leben.“
Gerade wenn der oder die Angesprochene vor nicht allzu langer Zeit zu Besuch war, ist jene unterschwellige Enttäuschung ungerechtfertigt.

„Bei deinem Bruder habe ich so ein Verhalten ja erwartet, aber bei dir? Ich habe vorher extra zu Papa gesagt, du als seine Tochter wirst den Tag auf jeden Fall nicht vergessen. Und nun das!“
Hier wird der betreffenden Person eine bestimmte Rolle in der Familie zugewiesen, dem Bruder eine andere. Eventuell wird im Sinne der sozialen Prägung der erwachsenen Schwester eine Verantwortung für die Familie stärker zugesprochen, wogegen der Bruder mehr „Narrenfreiheit“ erhält.

Ein weiteres Beispiel für Enttäuschung als emotionale Erpressung ist:

„Ja, ist ja gut! Ich weiß ja, dass du davon wenig Ahnung hast. Du musst mir nicht helfen. Aber es ist schon komisch mit meinem Handy, weil ich plötzlich von da aus nicht mehr etwas ausdrucken kann. Ich weiß gar nicht, warum das so ist? Ich kann auch niemanden fragen. Der Elektroladen an der Ecke, der hat gerade zu. Dann frage ich XX, aber der kommt ja auch erst in zwei Monaten zu Besuch. Eigentlich wollte ich die Urlaubsbilder ausdrucken, um sie den Freunden bei meinem Geburtstag zu zeigen. Wann bist du denn mal wieder bei uns?“
Auch jener Hilferuf kann je nach individueller Konstellation bereits einer emotionalen Erpressung gleichkommen.

Einbringen von Bindungsschuld

Gerade zwischen Eltern und Kindern können die Enttäuschung und das schlechte Gewissen machen häufiger mit einer Bindungsschuld einhergehen, beispielsweise weil die Eltern den Kindern die Ausbildung finanziert haben. Und nun erwarten sie, dass die Kinder für sie über die Maßen da sind. Die erwachsenen Kinder fühlen sich dann verpflichtet zu etwas, was sie nicht selten vor dem Hintergrund der Bewältigung ihres eigenen Lebens gar nicht bewerkstelligen können.

„Du weißt ja, wir haben dir immer alles gegeben. Dass du jetzt so weit wegziehen willst, damit haben wir nicht gerechnet.“

Zusammengefasst: Anzeichen emotionaler Erpressung

Oberkopf einer Frau mit Dutt vor heller Wand

Wird emotionale Erpressung angewendet, bemerken es die Betroffenen oft gar nicht. Sie fühlen sich nur irgendwie schuldig und verpflichtet. © Dannyqu under cc

Meistens bekommen die von einer emotionalen Erpressung Betroffenen gar nicht mit, dass es sich um eine solche Verhaltensbeeinflussung handelt. Sie spüren nur ein Unwohlsein aufgrund der sozialen Interaktion. Die psychischen Manipulationen geschehen unterschwellig und lassen beim Gegenüber ein unklares Gefühl aufkommen. Es ist so, als würden sie in einem Nebel stehen und gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Mögliche Anzeichen, die dich eine emotionale Erpressung indirekt spüren lassen können, haben wir nachfolgend auf einen Blick zusammengefasst:

Bauchgefühl: Wie du emotionale Erpressung bemerkst

  • Du fühlst dich durch den anderen unter Druck gesetzt und gestresst.
  • Du fühlst dich nicht frei in deiner Entscheidung und deinem Verhalten.
  • Eventuell fürchtest du negative Konsequenzen in Bezug auf die Beziehung (Abstrafen etc.), wenn du nein sagst.
  • Du trägst das Gefühl in dir, du wirst deinem Gegenüber nicht gerecht.
  • Vermutlich spürst du ein schlechtes Gewissen, obwohl du dich, nach deiner Meinung, anständig verhalten hast.
  • Vielleicht hast du Schuldgefühle, obwohl du respektvoll warst.
  • Du gehst wie auf Eierschalen, versuchst, einen Ausweg zu finden, weil der andere Mensch etwas von dir möchte, was du, objektiv betrachtet, gerade nicht geben kannst oder magst.
  • Du hast das Gefühl, ein schlechter Mensch für die andere Person zu sein (keine gute Tochter oder kein guter Ehemann), wenn du ihren Erwartungen nicht gerecht wirst, weil du Grenzen setzt.
  • Dein Verhalten in Reaktion auf den Erpressungsversuch steht dann plötzlich im Fokus der Entrüstung.
  • Du denkst, du musst immer mehr machen.
  • Du spürst vielleicht Beschämung und Schamgefühle. Vielleicht fühlst du dich verpflichtet, schuldig oder hast Angst.

Was kann man gegen emotionale Erpressung tun?

Die emotionale Erpressung zu erkennen ist ein erster Schritt, um sich von ihr zu befreien. Es gilt das Prinzip, das als Harvard-Methode bekannt ist.

Menschen verknüpfen häufig die Inhaltsebene mit der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen. Beides gilt es voneinander zu lösen und auf der Sachebene zu bleiben. Angriffe auf GesprächspartnerInnen sollen vermieden werden, der oder die andere wird nicht als FeindIn oder GegnerIn betrachtet. Man soll sich bemühen, sich in sein Gegenüber empathisch einzufühlen und seinen Standpunkt zu verstehen. Vor der Entscheidung werden verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickelt. An welchen Punkten wäre man bereit, der anderen Person entgegenzukommen, bei welchen Punkten nicht.

Die Havard-Methode für gute Kommunikation

Insgesamt beinhaltet die Harvard-Methode folgenden Konzeptkern: Einerseits steht man für seine Grenzen ein, andererseits verhält man sich freundlich, höflich und respektvoll. Natürlich sollte man auch kompromissbereit sein, aber nur insoweit es das eigene Bauchgefühl zulässt. Das Erbitten von Pausen im Gespräch darf ebenfalls als eine bewährte Strategie verstanden werden, um zur Ruhe zu kommen und die Gedanken neu zu ordnen. Gerade im Umgang mit Personen, welche die emotionale Erpressung nebst Schuldumkehr und Wahrnehmungsverwaschung als gewohnte Gesprächskultur verinnerlicht haben, sind gute Kommunikationsstrategien gefragt: Umgang mit Narzissten – Wenn jedes Gespräch zum Streit wird (1).