Die Angst vor Ablehnung trägt ein Großteil der Menschen in sich. Niemand möchte sich zurückgesetzt oder nicht geliebt fühlen oder suggeriert bekommen, nicht zu genügen. Mit der Angst vor Ablehnung können verschiedene Verhaltensmuster zur Kompensation zusammengehen. Beispielsweise kann sie zu impulsgeleiteten Handlungen führen und zu großer Wut, die einen schützen soll vor dem inneren Schmerz. Oder aber sie bringt einen Rückzug in sich selbst mit sich und ein Verschließen vor den anderen. Ebenso gut kann es durch sie zu einem übermäßigen Unabhängigkeitsstreben kommen oder zu einer stärkeren emotionalen Abhängigkeit. Außerdem kann sie mit People Pleasing einhergehen, also wenn man dazu neigt, andere Menschen auf einen Sockel zu stellen und sich ihnen unterzuordnen.
Letzteres geht häufig mit einer Überanpassung einher. Doch was bedeutet es eigentlich, überangepasst zu sein?
Überanpassung: die stillen Kinder
Bei Menschen, die in Elternhäusern aufwuchsen, in denen sie sich den Bedürfnissen der erwachsenen Bezugspersonen überwiegend unterzuordnen hatten, kann es zu einer Überanpassung kommen. Hatten zum Beispiel Vater oder Mutter stärker mit sich zu tun, waren sie emotional impulsiv oder überfordert von den Geschwistern, ziehen manche Kinder sich zurück und werden leise. Es sind oft die stillen Kinder, die sich weitestgehend problemlos einfügen, die als unkompliziert und hilfsbereit gelten, die jedoch trotz allem leiden. Manchmal werden sie vielleicht wütend oder versuchen, sich aufzurichten, weil ihnen die ständigen Grenzübertritte der Personen in ihrem Umfeld zu viel werden, doch alles in allem verhalten sie sich eher passiv und sind von großer Unsicherheit geplagt. Weil sie sich ständig fügen müssen und ihre Bedürfnisse und Gefühle denen der Menschen in ihrem Umfeld weichen müssen, verlieren sie sich selbst aus den Augen. Die Angst vor Ablehnung kann dazu führen, dass sie immer alles richtig machen wollen, dass sie gefallen wollen und nicht wirklich für sich einstehen. Später als Erwachsene wissen sie eigentlich gar nicht wirklich, wer sie sind und was sie selbst im Grunde fühlen und möchten in ihrem Leben.
Angst vor Ablehnung: Muster im Erwachsenenalter

Viele soziale Beziehungen von Überangepassten sind nicht selten von einem Ungleichgewicht geprägt. © Erich Ferdinand under cc
Das anerzogene Muster zeigt sich auch oft in den späteren Partnerschaften. Nicht selten haben Menschen, die überangepasst sind, mit Beziehungen zu kämpfen, in denen ein Ungleichgewicht herrscht. Ihr Gegenüber beansprucht viel Raum, sie dagegen nehmen sich zurück. Auch kann es sein, dass sie alle Verantwortung auf sich nehmen und eigentlich chronisch überlastet und ausgebrannt sind. Manche stellen vielleicht irgendwann in ihrem Leben fest, dass sie den Lebensweg ihrer Eltern gegangen sind und nicht ihren eigenen.
8 Anzeichen von Überanpassung
Überangepasst zu sein, bedeutet, wie bereits gesagt, nicht, dass man nicht auch einmal ausflippen oder wütend werden kann. Solche impulsgeleiteten Ausbrüche treten oft auf, wenn sozusagen „das Fass überläuft“. Besser wäre es natürlich, man würde vorher lernen, auf sich zu achten, um rechtzeitig Stopp sagen zu können.
Überanpassung hat auch immer etwas mit einer empfundenen Fremdbestimmung zu tun. Die nachfolgenden Punkte zeigen, warum.
1. Du bist mit deiner Aufmerksamkeit im Außen
Menschen, die zur Überanpassung neigen, sind mit ihrer Wahrnehmung oft auf ihr Umfeld orientiert. Sie können die Stimmungen anderer Personen sowie deren Charakter gut einschätzen. Häufig nehmen sie die Erwartungen anderer Menschen vorweg und stellen sich darauf ein. Sie sind oft bemüht, diese zu erfüllen, manchmal bewusst, manchmal unbewusst. Nicht selten besteht der innere Glaubenssatz, etwas dafür tun zu müssen, um gemocht zu werden.
Eine bedingungslose Liebe ist eine Liebe ohne Bedingungen. Eine Liebe, die an Bedingungen geknüpft ist, wäre keine gesunde Liebe. In der Familie, in Freundschaften und Partnerschaften sollte eine Liebe immer bedingungslos sein.
2. Angst vor Ablehnung: bloß nichts fordern
Da die Betroffenen in der Kindheit eventuell abgestraft wurden, sobald sie für sich einstanden, greift natürlich auch im Erwachsenenalter die Angst vor Ablehnung. Menschen mit dem Verhaltensmuster der Überanpassung glauben, sobald sie etwas fordern würden oder für ihre Bedürfnisse einstehen würden, wäre die Konsequenz, dass es Probleme gäbe oder sie verlassen beziehungsweise abgelehnt werden.
Wäre die Ablehnung durch einen anderen Menschen tatsächlich die Konsequenz, ist davon auszugehen, dass das Gegenüber wesentlich von der Überanpassung der Betroffenen profitiert hat und wir es hier nicht mit einer gesunden sozialen Beziehung auf Augenhöhe zu tun haben. Daraus folgt die Frage, ob man selbst sich mit solchen Menschen umgeben möchte.
3. Probleme, Grenzen zu setzen, aus Angst vor Ablehnung
Gegenüber anderen Personen fällt es überangepassten Menschen häufig schwer, Grenzen zu setzen. Im Grunde wissen sie oft gar nicht, wie das Grenzen setzen eigentlich funktioniert. In ihrer Kindheit haben sie ein vernünftiges Grenzen setzen, ohne die Integrität einer anderen Person zu schädigen, nicht gelernt. Im Erwachsenenalter müssen sich die Betroffenen ein gesundes Grenzen setzen erst erarbeiten. Sie neigen dazu, viel zu erdulden und für alles und jeden Verständnis aufzubringen.

Betroffene von Überanpassung haben aufgrund ihrer Angst vor Ablehnung Probleme damit, Grenzen vorzugeben. © collusion under cc
Gerade in dysfunktionalen sozialen Beziehungen, beispielsweise in Verbindungen mit narzisstischen Personen, kommt es dann zusätzlich noch zu einem Aufweichen der eigenen Grenzen. Wenn ein Part seine Bedürfnisse vor allem anderen stellt und der andere keine Schutzwälle hat, so kann der dominantere Part in die Seele des passiveren Parts direkt einmarschieren.
Auch im Job findet sich bei den Betroffenen, die mit Überanpassung und Angst vor Ablehnung zu kämpfen haben, häufig eine Überverantwortlichkeit in Bezug auf die Arbeitsaufgaben. Damit einher kann eine emotionale Erschöpfung gehen, die beispielsweise bis in den Burnout führen könnte.
4. Starke Selbstkritik
Die Angst vor Ablehnung geht bei überangepassten Menschen mit einer hohen Neigung zu selbstkritischem Verhalten einher. Häufig glauben sie, die Fehler lägen bei ihnen. Wird ihnen, zum Beispiel in einer Partnerschaft, eine Schuld vorgeworfen, sind sie häufiger bereit, diese für sich anzunehmen. Sie fühlen sich dann schuldig, eventuell auch beschämt, geloben sich selbst und ihrem Gegenüber Besserung und denken sich nicht selten: Vielleicht hat die andere Person ja doch recht und ich bin jemand, mit dem etwas nicht stimmt.
5. Du kannst nur schwer in dich hinein spüren
Die eigenen Bedürfnisse und mitunter auch Gefühle können viele Betroffene oft schwerer erspüren, weil sie es gewohnt sind, diese auszublenden. Manchmal ist ein diffuses Unwohlsein in ihnen, eine Ohnmacht, starke Wut oder verzweifelte Trauer. Doch die feinen Nuancen der Emotionen ebenso deren Ursachen können von ihnen nicht immer ausgemacht werden. Die Tendenz, vor sich selbst unsichtbar zu sein, hat mitunter einen hohen Preis. Manchmal begleitet diese Menschen eine emotionale Schwere, die ihnen zu einem vertrauten Gefühl geworden ist.
6. Erdulden statt Mitgestalten

Für Menschen mit Überanpassung fühlt es sich nicht selbstverständlich an, soziale Beziehungen aktiv mitgestalten zu können. © Cheryl Jaeger under cc
Die Angst vor Ablehnung führt bei überangepassten Menschen häufiger dazu, dass sie aktuelle Gegebenheiten einfach hinnehmen oder aber versuchen, im Sinne einer Überkompensation, diese stark zu kontrollieren und sich dabei aufreiben. Auch haben sie den Glaubenssatz verinnerlicht, soziale Beziehungen nicht aktiv mitgestalten zu können. Für sie bedeutet es implizit eher, dass sie eine Beziehung über sich ergehen lassen müssen oder eben alleine bleiben müssten. Weil sie es von der Kindheit an nicht gewohnt sind, sich in soziale Beziehungen einzubringen, haben sie für sich verinnerlicht, sie hätten kein Recht dazu. Sie hätten kein Recht auf Sein, auf Wünsche, auf Leben. Die Angst vor Ablehnung geht zusammen mit der Befürchtung, nicht geliebt zu werden, sobald sie „nicht mehr unkompliziert“ sind.
7. Du sagst Ja, dein Bauch Nein
Menschen, die zu überangepassten Verhaltensmustern tendieren, werden nicht selten von anderen als unkompliziert und hilfsbereit geschätzt. Sie sind umgänglich und höflich. Weil sie nicht anecken wollen, überhören sie oft ihr eigenes Bauchgefühl. Wenn sie beispielsweise bereits mit Arbeit zugeschüttet sind, treffen sie vielleicht eine Zusage auf Mehrarbeit, obwohl ihr Bauch schon längst Nein schreit. Auch passiert es nicht selten, dass sie beispielsweise in einer Partnerschaft in Dinge einwilligen, obwohl ihr Bauchgefühl ganz klar ein Veto einlegt. Doch ihre Angst vor Ablehnung lässt sie ihr Bauchgefühl überhören.
8. Um Harmonie bemüht
Überangepasste Menschen benehmen sich oft freundlich, korrekt und mit Respekt. Sie wünschen sich Harmonie und Ruhe. Doch dieser Wunsch steht nicht selten mit ihrem Inneren im Gegensatz. Im Inneren fühlen sie sich oft unbestimmt diffus, nicht in Einklang mit sich, so als ob „noch etwas offen wäre“, zudem häufig erschöpft, doch sie wissen nicht warum.
Der Angst vor Ablehnung richtig begegnen
Wer so viel leistet, der muss sich zwangsläufig erschöpft fühlen. Wer nie gelernt hat, auf eine gesunde Art für sich einzustehen und Grenzen zu setzen, der wird ein emotionales Ungleichgewicht verspüren. Der Angst vor Ablehnung angemessen zu begegnen, gleicht bei überangepassten Menschen oft einem vorsichtigen Vortasten. Selbst bei Wünschen und Bedürfnisäußerungen, die für andere absolut legitim sind, denken sie: Kann ich es wagen, mich tatsächlich so zu positionieren? Darf ich diese Grenzen setzen?
Betroffene, die versuchen, ihre Angst vor Ablehnung zu bewältigen, und anfangen, für sich einzustehen, können anfangs durchaus häufiger denken, dass sie sich unfair, egoistisch und fies verhalten würden, wenn sie dieses oder jenes fordern oder das Verhalten eines anderen Menschen begrenzen würden. Tatsächlich besteht in den allermeisten Fällen kein Grund für derlei Befürchtungen. Das, was überangepasste Betroffene oft als dreist für sich empfinden, sobald sie sich diesen Spielraum an gesetzten Grenzen gestatten würden, erachten andere Menschen zumeist als völlig normal und im Rahmen.