Für Narzissmus Ursachen zu benennen, kommt einer Vorstellung verschiedener theoretischer Ansätze, klinischer Beobachtungen und Studien nahe, die alle gleichermaßen für die Ursachen von Narzissmus ihre Bedeutung haben. Wie bei jeder menschlichen Charakterausprägung ist es auch für Narzissmus so, dass bei der Entstehung ein multifaktorielles Geschehen zugrunde liegt.
Darüber hinaus können narzisstische Merkmalsausprägungen in ihrer Gesamtheit unterschiedliche Schattierungen besitzen (mal eher funktional, mal eher maladaptiv sein, mal eher subklinisch oder von klinisch bedeutsamer Ausprägung), was zudem die Suche nach den Narzissmus-Ursachen facettenreicher, aber auch komplizierter gestalten kann.

Nachfolgend werden wir einige Erklärungsansätze aus Forschung und Praxis vorstellen, wohlwissend, dass der Komplexität der Thematik zu den Narzissmus-Ursachen nicht genüge getan wird.

Merkmale einer narzisstischen Charakterausprägung

junge Frau Spiegelbild verweint

Ein labiler Selbstwert und ein vulnerables Selbstkonzept können mit einer narzisstischen Charakterausprägung in Zusammenhang stehen. Welche Narzissmus Ursachen gibt es? © KaMa Photography under cc

In Anlehnung an die Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie zeichnen sich Personen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung durch folgende Merkmale aus:

  • Glaube an sich und die eigenen Fähigkeiten; wissen, was sie wollen
  • oft Führungspersönlichkeiten; stehen häufiger im Mittelpunkt ihrer Welt
  • ausgeprägtes Bedürfnis und Verlangen nach Anerkennung und Bewunderung
  • ausgeprägtes Gefühl der eigenen Wichtigkeit, Großartigkeit oder Einzigartigkeit
  • Herausstellen der individuellen Fertigkeiten und Stärken
  • hohes Anspruchsdenken an die eigene Person und andere; Erwarten einer Vorzugsbehandlung
  • mangelnde Kritikfähigkeit
  • hinter Schutzwall der Großartigkeit Verletzlichkeit; hohe Angst vor Ablehnung, Einsamkeitsgefühle
  • zeigen kaum Einfühlungsvermögen für andere
  • sich selbst für überlegen und einzigartig halten
  • Schwierigkeiten, mit Fehlern und Misserfolgen umzugehen
  • oft angegriffen fühlen, Gegenangriff starten
  • labiles Selbstwertgefühl (mitunter Wechsel von Überhöhung und negativem Selbstkonzept)

Zwar können Patienten, die unter einer solchen Störung leiden, gut erkennen, was andere Menschen fühlen, denken und beabsichtigen, sie zeigen jedoch wenig Mitgefühl.

Charité Universitätsmedizin Berlin, Pressemitteilung

Narzissmus Ursachen: Gene und Umwelt

Ob und inwieweit sich eine charakterliche Ausprägung zeigt, ist aus psychologischer Sicht ein Zusammenspiel aus genetischen und umweltbezogenen Faktoren. Zusammenhänge innerhalb des Familiengeflechts, äußere systematische Einflüsse wie Schule, Peergroup, weitere Bezugspersonen genauso wie die Einbettung in bestimmte gesellschaftliche Systeme können von Seiten der Umwelt unter anderem mit reinspielen.

Narzissmus: genetische Komponente als eine Ursache

DNA Buchstaben CTGA und Linien, Genetik als Narzissmus-Ursache

Der genetische Anteil als eine von mehreren Narzissmus-Ursachen scheint nicht unerheblich zu sein. © MIKI Yoshihito under cc

Viele Studien deuten darauf hin, dass Narzissmus einen starken genetischen Anteil hat. Beispielsweise fand die Zwillingsstudie der Forschungsgruppe um Prof. Dr. Svenn Torgersen von der Universität Oslo einen genetischen Anteil bei der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung von .79, das heißt, dass 79 % der Varianz durch einen genetischen Einfluss erklärbar war. Es ist einer der am stärksten genetischen Anteile im Vergleich zu anderen untersuchten Persönlichkeitsstörungen. Manche Expert:innen gehen von einem etwas geringeren genetischen Anteil für Narzissmus von etwa 50 % aus.

Narzissmus: psychosoziale Einflüsse als Ursachen

In Bezug auf die psychosozialen Einflussfaktoren für die Entwicklung narzisstischer Züge existieren in der Psychologie unterschiedliche Ansätze. Benannt werden unter anderem als mögliche frühkindliche Belastungsfaktoren im Elternhaus: Vernachlässigung, Beschämung, Verängstigung, Unterkühltheit, latente Abwertung bzw. Bewertung, unterschwellige Aggressivität gegenüber den Kindern und fehlende Akzeptanz ihnen gegenüber.
Andererseits scheint aber auch ein ständiges unangemessenes und übertriebenes Loben sowie ein zugesprochener Sonderstatus einen Einfluss zu haben.

Einige klinische Expert:innen sehen begünstigend in Bezug auf die Entwicklung einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung unter anderem eine fehlende emotionale Wärme im Elternhaus, ein Verwöhnen mit materiellen Werten sowie die Verknüpfung von Anerkennung an Leistung. Das Bedürfnis nach Zuwendung und Aufmerksamkeit scheint nicht bedingungslos erfüllt worden zu sein. Eine bedingungslose Wertschätzung blieb aus. Bei Misserfolgen oder dem Zeigen von Schwäche waren mitunter Ablehnung und Bloßstellung die Folge.

Auch das Äußern von Gefühlen und Bedürfnissen wurde häufig ignoriert, abgewertet oder bestraft. Betroffene empfinden daher meist auch später noch große Scham, wenn sie eine Verletzlichkeit an sich entdecken und versuchen diese zu verbergen. Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung kommen oft aus Familien, in denen es kaum körperliche Zuwendung, emotionale Wärme und Nähe gab. Auf der anderen Seite wurden Betroffene auf materieller Ebene häufig sehr verwöhnt, bekamen wenig Grenzen gesetzt und lernten nicht, auf die Bedürfnisse anderer zu achten. Häufig hatten Sie auch ein Elternteil, welches das Verhalten der Selbstüberhöhung vorlebte.

Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie

Narzissmus Ursachen: Einfluss familiärer Konstellationen?

Innerhalb eines Familiensystems können manche Kinder narzisstischer werden als andere. Woran könnte das, neben den bereits genannten Ursachen, liegen? So kann es beispielsweise sein, dass ein Kind sich mehr zurücknimmt und zur Überanpassung neigt, weil das Geschwisterkind bereits ein hohes Anspruchsdenken hat und viel Aufmerksamkeit von den Eltern fordert. Ist die Rolle des/der Rebellierenden quasi schon besetzt, nehmen sich die anderen Geschwisterkinder eventuell zurück, erdulden die Abwertungen anderer Familienmitglieder und schlüpfen in eine helfende, sich unterordnende Rolle.

Narzissmus und Schamgefühl: ein Zusammenhang

Narzissmus scheint nicht selten mit einem labilen und schambehafteten Selbst einherzugehen. Die Studie des Forschungsteams um Dr. Kathrin Ritter von der Berliner Charité deutet darauf hin. Es zeigte sich in der Studie unter anderem, dass Personen mit einer klinisch diagnostizierten Narzisstischen Persönlichkeitsstörung im Vergleich zu psychisch unauffälligen Personen durchaus eine stärkere unbewusste Schamneigung (implizite Scham-Selbst-Assoziation) aufweisen und auch verhältnismäßig stärkere Schamgefühle berichten.

Frau mit halblangen Haaren hat Hände vorm Gesicht aus Schamgefühl

Narzissmus geht offenbar nicht selten mit einem höheren empfundenen Schamgefühl einher. © Mills Baker under cc

Die Studienergebnisse untermauern die Annahme, dass Menschen mit einer starken Ausprägung im Narzissmusbereich über ein vulnerables Selbstkonzept, also ein stark verwundbares Selbstkonzept, verfügen. Bei einzelnen kritischen oder ablehnenden Reaktionen anderer Menschen oder bei problematischen Situationen fühlen sich narzisstische Personen offenbar stärker und im Ganzen als Person abgewertet. Vielleicht gehen sie aus diesem Grund häufiger in den Verteidigungsmodus und suchen die Schuld für ihre Scham im Außen.

Unter dem Aspekt könnte Narzissmus auch als eine Art Bewältigungsstrategie, als ein Abwehrmechanismus, verstanden werden, um das labile Selbstwertgefühl zu schützen.

Narzissmus und Veränderungen im Gehirn

Gemäß einer Studie des Forschungsteams um Dr. Stefan Röpke von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité und Leiter der Arbeitsgruppe Persönlichkeitsstörungen scheint bei Menschen mit einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung eine Verminderung der grauen Substanz in einer für das Empfinden von Mitgefühl relevanten Region des Gehirns vorzuliegen.

Es zeigte sich, dass diejenigen Probanden, die unter Narzissmus litten, strukturelle Auffälligkeiten in genau jener Region des Gehirns aufwiesen, die in die Verarbeitung und Erzeugung von Mitgefühl involviert ist. Diese Region der Großhirnrinde war im Vergleich zur Kontrollgruppe bei den Patienten mit einer solchen Störung deutlich dünner.

Charité Universitätsmedizin Berlin, Pressemitteilung

Forschung zu den Narzissmus-Ursachen

Hinsichtlich der Ursachen für Narzissmus gibt es viele unterschiedliche und sich ergänzende Ansätze, denen zukünftig weiter nachzugehen ist. Gerade die Kausalzusammenhänge, also was ist die Ursache und was eine mögliche Folge daraus (z. B. bezüglich etwaiger struktureller Veränderungen im Gehirn), lassen sich schwer erfassen. Weitere Forschung zu den Narzissmus-Ursachen ist also zukünftig insgesamt vonnöten.