Schachfiguren auf ungewöhnlichem Brett

Das Spiel der Macht nimmt manchmal merkwürdige Formen an. © fdecomite under cc

Da selbst der beste Kämpfer und gerissenste Akteur von einer überschaubaren kleinen Gruppe besiegt werden kann, muss er sicherstellen, dass es nicht zum Aufstand gegen ihn kommt. Dafür ist die Forderung nach absoluter Loyalität ist ein wichtiges Element. Ein schwieriges Gleichgewicht, wenn wir uns vor Augen halten, dass wir uns in einem Klima des generellen, wechselseitigen Misstrauens befinden. Wir sind nicht mehr in der Welt der weitgehend gutartigen narzisstischen Regression, in der sich am Ende des Tages alle lieb haben, sondern im Klima der paranoiden Regression, in dem sich alle misstrauisch beäugen und auf ihre Stunde warten. Um besser dazustehen, denn das ist allen klar: Geschenkt wird einem nichts, man muss sich seine Postion erkämpfen und sie verteidigen.

Das ist stressig und begünstigt sind in diesem Fall Charaktere, die diesen Stress gut verarbeiten können oder gar nicht empfinden. Das ist ein Teil der Todesspirale, sie zieht psychopathische Charaktere an. Psychopathen sind in aller Regel nicht für große Ideen zu begeistern. Wenn sie im Rahmen irgendeiner Ideologie mitmachen, dann nur und solange sie darin einen eigenen Vorteil sehen. Da ihnen Werte egal sind, können sie jederzeit zu jeder beliebigen Überzeugung umswitchen und sei sie auch der von eben diametral entgegengesetzt. Psychopathen spielen so gut wie immer nur auf eigene Rechnung. Das Problem für den charismatische Führer ist, dass Psychopathie und Loyalität einander weitgehend ausschließen.

Loyalität

Loyalität geht über reinen Eigennutz hinaus. Mit ausschließlichem Blick auf den eigenen Aufstieg kann es zwar von Vorteil sein zwischenzeitliche Koalitionen, vor allem zu hierarchisch übergeordneten oder einflussreichen Personen einzugehen, aber eben nur so lange, wie diese vor den eigenen hierarchischen Aufstieg nützlich sind. Danach kann man sie fallen lassen oder muss sie sogar aus dem Weg räumen, weil sie den eigenen Aufstieg behindern. Das ist das Gegenteil von Loyalität.

Für hierarchisch Höhergestellte und insbesondere Anführer in einem Macht-System ist es daher von Interesse ein Netz von Abhängigkeiten knüpfen, möglichst asymmetrischer Natur, so dass man nicht mehr verliert, wenn ein anderer wegbricht, als dieser verlieren würde. In größeren Organisationen bedeutet das, dass man kleinere Machtballungen innerhalb des Systems ausbalancieren muss. Man kann bestimmte Mitglieder ins Vertrauen ziehen, aber nie total, während man anders herum dafür sorgen muss, dass diese Mitglieder sich einem vollständig anvertrauen. Etwa durch die Aussicht auf einen aussichtsreichen Posten in der Zukunft.

Das heißt, Kontrolle rückt an die Stelle von Vertrauen. Wenn man seinen Untergebenen vorspielt ihnen zu vertrauen, gleichzeitig aber Loyalität, die ein gewisses Vertrauen voraussetzt, fordert, muss man logischerweise denken, dass die anderen nicht wirklich loyal sind, sondern dies nur spielen. Das klappt genau dann am besten, wenn man selbst ganz authentisch der Ansicht ist, dass Menschen einander nicht vertrauen und sich wechselseitig nur belauern, bis sie die Position des anderen, auf die sie immer gewartet haben, einnehmen.

Es kann sein, dass man auch als Anführer der Meinung ist, dass die Loyalität der anderen nur gespielt ist und es wäre dann gut, sie in dem Glauben zu lassen, man meine, sie sei echt. In manchen Fällen kann man auch echtes Vertrauen finden, wenn man jemanden schon sehr lange kennt. Doch im Zuge einer fortschreitenden Regression der narzisstischen Persönlichkeitsstruktur werden Aggression, Paranoia und Sadismus immer größer. Man lässt die anderen also im Unklaren darüber, was man wirklich von ihnen denkt und so installiert man in der Psyche der anderen nach und nach das, was man selbst erlebt: alles hat einen doppelten Boden, man sollte niemandem Vertrauen, es gilt stets kontrolliert und wachsam zu sein.

Das hört sich stressig an, kann bei einer entsprechenden Charakterdisposition aber durchaus auch ein Lustgewinn sein. Wir erinnern uns, gefürchtet zu werden ist an die Stelle des Wunsches getreten geliebt zu werden. In anderen Angst auszulösen ist daher Teil der Versicherung der Loyalität. Der Andere muss die Aussicht auf Machtgewinn und Aufstieg haben, aber genügend verunsichert sein um zu wissen, dass er nicht, ohne erhebliche Konsequenzen, inklusive Folter und Tod, vor seiner erlaubten Zeit agieren kann.

Für den Anführer ist es gut, mächtigere Untergebene wissen zu lassen, dass es weitere mächtige Untergebene mit einem starken Drang nach oben gibt, so dass eine interne Konkurrenzsituation entsteht. Zudem sollte der Anführer den aufstrebenden Akteuren dass Gefühl geben, ihnen etwas mehr zu vertrauen und sie mehr in die Planung einzubeziehen, als die anderen aufstrebenden Akteure, so dass die interne Konkurrenz hoch gehalten werden. Gleichzeitig muss die ganzen Organisation natürlich auch effektiv und handlungsfähig bleiben.

Der Charakter der Mitglieder

Mitglieder in kleinen Macht-Systemen haben in aller Regeln einen narzisstischen bis psychopathischen Charakter. Es spricht viel dafür, dass Psychopathie die Eskalationsform des Narzissmus ist.

Narzissmus beginnt im Normalen und erstreckt sich weiter ins Pathologische. Bei den leichten Formen des Narzissmus möchte der Betroffene vor allem geliebt werden, die aggressive Seite betrifft vornehmlich Entwertungen und oberflächliche Einstellungen, die es einem erlauben über die Bedürfnisse anderer hinwegzugehen, in dem man sie einfach nicht wahrnimmt oder sich nicht dafür interessiert.

Wenn Narzissten nicht bekommen, was sie wollen, sind die beleidigt und können auch schon mal manipulativ werden, sie können lügen, sind oft korrumpierbar und erzählen alternative Geschichten, die sie vermutlich zum Teil selbst glauben, weil sie das zur Aufrechterhaltung ihrer grandiose Fassade brauchen.

Bei zunehmender Eskalation der narzisstischen Persönlichkeitsstörung verblasst vor allem das Gewissen, das innere Wertesystem. Lügen, Stehlen und manipulative Aggressionsbereitschaft nehmen zu, stets verbunden mit dem Gefühl seine Sonderstellung verdient zu haben, manchmal, weil die anderen sowieso nicht einschätzen können, was sie da in den Händen halten, man selbst aber schon, manchmal, weil man einfach derjenige ist, der kühn genug ist zuzugreifen, verbunden mit der Einstellung, dass die anderen das auch gerne tun würden, nur eben nicht mutig oder gerissen genug sind.

Mit dem Eintritt in den Bereich der mit dem Begriff Psychopath popularisiert wurde, finden wir technisch gesehen einfach eine weitere Eskalation der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. In diese wird immer mehr Aggressionsbereitschaft eingebaut, eine Aggression, die bewusst ist und mit der man ausgesöhnt ist, zudem wird der Grad an Paranoia immer größer – weil man automatisch denkt, die anderen seien so, wie man selbst ist: stets auf den eigenen Vorteil aus – zugleich wird der Grad an charakterologischem Sadismus immer größer. Der dominante Wunsch geliebt zu werden wird mehr und mehr von der Lust daran gefürchtet zu werden abgelöst.

Wir müssen verstehen, dass Psychopathen keine einheitlichen Verhaltensweisen haben, sondern zum einen Individuen mit eigener Lebens- und oftmals Leidensgeschichte sind und es im Spektrum der Psychopathie ebenfalls Abstufungen in Eskalations- oder Schweregrade gibt. Wir gehen gleich näher darauf ein.

In kleinen Macht-Systemen wird die Mehrheit der Mitglieder narzisstisch bis psychopathisch sein, der Anführer besonders krass, brutal, tollkühn, geschickt und furchteinflößend sein, so dass er seine Anerkennung daraus bezieht, Erster unter Gleichen zu sein. Ein großes organisatorisches Talent ist nicht notwendig.

Große Macht-Systeme können riesig sein, mitunter ganze Staaten mit einer totalitären oder tyrannischen Struktur, aber es können auch international agierende mehr oder weniger kriminelle oder subkulturelle Organisationen sein. Die Fähigkeit des Anführers ist hier mehr organisatorischer Natur und bei riesigen Organisationen werden viele Mitglieder keine harten Psychopathen sein, schon weil es davon gar nicht so viele gibt, sondern normale Narzissten, die opportunistisch genug sind, ihren Vorteil zu sehen und sich zu sagen: ‚Gemacht wird es ohnehin, ob ich es mache oder nicht, spielt keine Rolle, also kann ich es auch machen.‘ Man fühlt sich nicht moralisch verantwortlich, weil man das System ja nicht erschaffen hat, man macht nur mit. Man tut nur seine Pflicht. Was sollte man als Einzelner auch ausrichten?

Diese Menschen sind manchmal willige Helfer, manchmal werden sie als Kanonenfutter eingesetzt. Manche Macht-Systeme vertreten eine bestimmte Ideologie, die sadistische Perfektionsansprüche oder messianische Ideale verbreitet und den Mitgliedern eine Sonderrolle in der Welt zuschreibt, die sie daher auch oft von allen üblichen Regeln der Gesellschaft oder der Staaten zu entbinden scheint. Die Macht, Allgegenwart und Unerschrockenheit dieser Systeme wirkt auf viele Menschen faszinierend, eine Parallelwelt mit scheinbar ganz anderen Regeln. Novizen werden einerseits oft warten gelassen, brauchen einen Fürsprecher und müssen sich bewähren, diese Hürde wirkt reizvoll, besonders, auf der anderen Seite werden sie in der Bewährungsphase schnell verwickelt, so dass ein Rückzug erschwert wird.