Bereits in der Kindheit zeichnet sich in dysfunktionalen Familienstrukturen ab, wer das schwarze Schaf in der Familie ist. Diese Konstellation bleibt in vielen Fällen bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. Nachfolgend zählen wir einige Charakteristiken auf, die das schwarze Familienschaf im Erwachsenenalter erkennen lassen. Außerdem machen wir deutlich, warum es mitunter gar nicht so schlecht ist, das schwarze Schaf in der Familie zu sein.
Erwachsene schwarze Schafe
Ein anderer Lebensweg als Erwachsener muss nicht immer mit Rebellentum in der Kindheit einhergehen. Auch Menschen, die in der Kindheit nicht gesehen wurden, still waren und »einfach so mitliefen«, denen man wenig Beachtung schenkte, weil die anderen Plätze durch die älteren Geschwister schon besetzt waren, können im Erwachsenenalter einen »problematischen« Lebensweg einschlagen. Auch sie können zum schwarzen Schaf in der Familie werden. Sie hatten früher mitunter keine Möglichkeit, ihre Identität auszubilden. Sie wissen nicht, wer sie sind, was sie mögen und wo ihre Grenzen sind. Sie kommunizierten ihre Bedürfnisse nicht, weil man sie sowieso nicht gehört hätte, nahmen sich selbst zurück und haben nun als Erwachsene Probleme, im Leben zu bestehen.
Dementsprechend muss das schwarze Schaf in der Familie nicht zwingend ein Aggro-Schaf sein, das laut oder kriminell oder drogenabhängig ist und Probleme bereitet. Es kann auch als emotionaler Fußabtreter herhalten, weil es seit jeher still und unsichtbar ist. Oder es ist die helfende Instanz. Nachfolgend schlüsseln wir die verschiedenen Rollen auf.
Woran erkennst du als Erwachsener, dass du als das schwarze Schaf in der Familie giltst? Welche Empfindungen und Eindrücke gehen damit einher?
Wichtig: Nicht alle Punkte müssen zutreffen. Die Aufzählung ist nicht erschöpfend.
Du stichst heraus

Als bunter Vogel stichst du in deiner Familie heraus. © Simon Samtleben under cc
Es ist nicht nur so ein Gefühl, dass du anders bist. Im Vergleich mit den anderen Familienmitgliedern fällst du durch deine Andersartigkeit auf. Nicht unbedingt ist damit das äußere Erscheinungsbild gemeint. Die Andersartigkeit, die jemanden zum schwarzen Schaf in der Familie werden lassen kann, kann sich auch auf eine unkonventionelle Berufswahl oder einen gänzlich anderen Lebensstil beziehen. Vielleicht bist du der einzige Mensch in deiner Familie, der sich gegen einen soliden Lebensweg entschieden hat, der nie geheiratet oder sich scheiden lassen hat, der seine Kinder auf Augenhöhe erzieht oder eine nonkonformistische Meinung zu gesellschaftlichen Belangen hat.
Merke: Wann immer Menschen dich nicht einordnen können, werden die meisten dich auf die eine oder andere Art ausgrenzen und als sonderbar empfinden.
Kein inniges Verhältnis zu anderen Familienmitgliedern
Natürlich kann es sein, dass der eine oder die andere dich besser versteht als der Rest der Familie. Aber letzten Endes hast du zu keinem Familienmitglied eine feste, sichere Bindung. Du fühlst dich missverstanden und isoliert – und vielleicht auch immer wieder enttäuscht, sobald du zwischenzeitlich Hoffnung schöpfst, etwas an der Konstellation könnte sich ändern. Gehst du auf die anderen Familienmitglieder zu, versuchst, dich ihnen vertrauensvoll zu nähern, läufst du vielleicht sogar manches Mal durch offene Türen, aber schnell auch gegen eine Mauer. Du erreichst deine Bezugspersonen nicht emotional und du spürst, dass diese emotionale Nichtverfügbarkeit bereits in deiner Kindheit der Fall war.
Mangelnde Zuwendung und wenig Interesse
Hast du beispielsweise das Gefühl, dass deine Geschwister beliebter bei deinen Eltern sind? Oder dass sie stärker von ihnen hofiert und für gut befunden werden? Studien zeigen, dass ein solches Ungleichgewicht durchaus der Fall sein kann. Natürlich hat jede Medaille zwei Seiten und es kann in sehr seltenen Fällen auch sein, dass man sich schlichtweg zu viel Aufmerksamkeit wünscht. Meistens kann man sich jedoch auf sein Bauchgefühl verlassen. Jeder ist der Experte für seine Familie und die Beobachtungen lassen sich kaum wegdiskutieren.
Indirekte Bedrohung für die anderen?
Vielleicht bemerkst du, dass andere abschätzig die Mundwinkel verziehen, desinteressiert sind oder sich abwenden, sobald du etwas im Familienkreis erzählst. Oder dass man dich unterbricht und dir über den Mund fährt, wohingegen andere ausreden können. Dabei tust du lediglich deine Meinung kund, so wie dein Umfeld es auch praktiziert. Du bist dabei weder wertend noch verletzend noch übergriffig. Ein klassisches Beispiel, das oft in der Praxis besprochen wird, sind die Schilderungen von geschiedenen Frauen. Plötzlich verändert sich das Verhalten der Männer in ihrer Familie ihnen gegenüber. Es ist fast, als würden die männlichen Familienmitglieder ihre Entscheidung zur Scheidung persönlich nehmen.
Möglicherweise nimmst du auf der anderen Seite gegebenenfalls sogar ein wenig Neid wahr?
Insgesamt bemerkst du unterschwellig oder direkt, dass dein Herausstechen aus der Familie für die anderen irgendwie bedrohlich wirkt. Manchmal kann das daran liegen, dass dein nonkonformistischer Lebensweg den anderen ihre eigenen verdeckten Bedürfnisse aufzeigt. Deshalb bemühen sie sich, ihn mit abfälligen Bemerkungen abzuwerten.
Merke: Jemand, der völlig in Einklang mit seinem Leben ist, wird einem anderen Menschen kein schlechtes Gefühl geben wollen.
Du bist Sündenbock und emotionaler Fußabtreter

Ein Sündenbock ist gleichermaßen das schwarze Schaf in der Familie. © Martin Fisch under cc
Du hast das Gefühl, du musst für die Dinge, die schief laufen, herhalten. Damit wirst du zu einer Projektionsfläche für die Familie und ihre Unzulänglichkeiten. In einer solch prekären Familienkonstellation wird es zu einem gefährlichen Automatismus, wenn Eltern und Geschwister emotional ihren Frust an einem Familienmitglied abarbeiten. Der/die Betroffene hat dann als Kind keine Chance auf die Ausbildung seines Selbstbewusstseins oder auf sichere Bindungserfahrungen. Oft gerät er/sie auch im Erwachsenenalter in Partnerschaften, die emotional unausgeglichen und funktionalisierend sind. Mitunter hat er/sie sogar eine psychiatrische Diagnose erhalten und mit psychischen Problemen zu kämpfen.
Du bist die helfende Instanz – mehr nicht
Weil man dem schwarzen Schaf in der Familie wenig individuelle Entfaltung zugesteht, bekommt es eventuell nur Aufmerksamkeit, wenn es hilfreich ist. Ist es in deinem Fall vielleicht so, dass deine Geschwister sich nur bei dir melden, wenn sie deine Hilfe oder deinen Rat brauchen? Gehen deine Eltern wie selbstverständlich davon aus, dass du diejenige Person bist, die sie im Alter unterstützen wird? Sind sie bei dir gekränkt, wenn du keine Zeit hast, wohingegen es bei den anderen erwachsenen Kindern als selbstverständlich genommen wird, dass diese sich um ihr eigenes Leben kümmern?
Kurzum: Man erwartet von dir, dass du da bist. Wundert sich andererseits aber auch, warum du dein Leben nicht auf die Reihe bekommst. Stichwort: Kümmer-Natur.
Man sorgt sich um dich
Man wundert sich, warum du so anders bist. Wie bereits weiter oben aufgeführt, unterscheidet sich dein Lebensweg möglicherweise tatsächlich von dem der anderen. Eventuell bist du weniger erfolgreich im Sinne von Status oder Karriere. Oder du hast dich für den kreativen, freien, nonkonformistischen Lebensweg entschieden. Auf jeden Fall sorgt man sich um dich. Mitleidige Blicke, halbherzige Aussagen zu deinem Leben oder ein Abtun, wenn du versuchst, dich zu erklären. Jegliche Erfolge, die du kundtust, geraten in Vergessenheit, weil über dich die intuitive Meinung besteht, du hättest im Leben versagt. Du spürst es, dass du in den Augen der anderen ein »Problemkind« bist. Egal, was du tust, es reicht einfach nicht. Dementsprechend ringst du als Erwachsener mit deinem Wunsch nach Anerkennung von den Eltern oder auch anderen Personen.
Das schwarze Schaf in der Familie? Nicht dein Problem!

Das schwarze Schaf in der Familie fällt manchmal gar nicht auf. © Frerk Meyer under cc
Vielleicht hat dir das noch keiner gesagt, aber du bist gut so, wie du bist. Die vorgenannte Aufzählung hat dir gewiss verdeutlicht, dass das schwarze Schaf in der Familie in den überwiegenden Fällen eher die Problematik der anderen und nicht die deine ist. Und falls nicht, gehen wir die Sache doch einmal gemeinsam durch:
Zunächst einmal solltest du für dich sorgfältig auseinandernehmen, welche Anteile in der dysfunktionalen Familienkonstellation deiner Ursprungsfamilie tatsächlich zu dir gehören und welche du getrost bei den anderen belassen kannst. Beispiel: Was hat es mit dir zu tun, wenn andere glauben, dich ständig bewerten oder schief anschauen zu müssen? Was du bei ihnen auslöst, hat doch im Grunde für dich überhaupt keine Wichtigkeit oder einen Einfluss auf dein Leben. Anderes Beispiel: Warum solltest du den Erwartungen deiner Eltern, für sie da zu sein, in einem übertriebenen Maße nachkommen, während deine Geschwister munter ihren eigenen Weg „über die Weide“ verfolgen können? Wer muss wie viel Verantwortung für einen anderen erwachsenen Menschen übernehmen? Und inwieweit wird man nicht vielmehr in einer unrühmlichen und nicht gerechtfertigten Schuld gehalten, weil die einfordernde Person keine Verantwortung für sich selbst übernehmen mag? Natürlich kannst du für deine Eltern in einem gewissen Rahmen da sein und sie im Alter unterstützen. Aber eben in einem gewissen Rahmen. Ansonsten darfst und solltest du für dein eigenes Leben Sorge tragen. Wenn du dich nicht um dich kümmerst, wer dann?
Mehr Licht für dich!
In einer Familienkonstellation, in der du das schwarze Schaf bist, wirst du vermutlich Unmut erzeugen, wenn du nicht mehr als schwarzer Fleck zugegen sein magst, sondern dich von der dysfunktionalen Familiendynamik etwas mehr fern hältst. Erwarte jedoch nicht, dass sich etwas an der Konstellation sowie an der Einschätzung der anderen von dir ändern wird. Dazu profitieren Menschen, die andere abwerten, viel zu sehr von dieser Degradierung. Denn durch diese werten sie ihr eigenes Dasein auf. Du musst auch nicht in irgendeinen Kampf ziehen und deiner Familie irgendetwas beweisen wollen. Alles, wozu du dir selbst gegenüber verpflichtet bist, ist dein eigenes Wohlergehen und dein Seelenfrieden. Was für Pflanzen gilt, gilt auch für Schafe: In einer schlechten Umgebung, in der ihre Bedürfnisse nicht erfüllt sind, gedeihen sie nicht. Aufmerksame Hobbygärtnernde werden die Pflanze an einen anderen Standort bringen. Etwas mehr weg vom Schatten, hin zum Licht. Auch ein schwarzes Schaf braucht Sonnenlicht. Also wende dich ab von den Unfreundlichkeiten (Natürlich musst du nicht den Kontakt abbrechen, sondern nur etwas mehr in die innere und auch äußere Distanz gehen) hin zu einer dir wohlgesonnenen Umgebung.
In der Psychologie bemühen wir uns, das Glas halbvoll zu sehen. Folgen wir deshalb einmal weiter dieser „trotzigen“ Richtung, in der das schwarze Schaf sich aufbäumt. Ergo: Wie lassen sich die Nachteile, die dir daraus entstehen, das schwarze Schaf in der Familie zu sein, in Vorteile umkehren? Mehr dazu: Warum es nicht schlimm ist, das schwarze Schaf zu sein – Dysfunktionale Familienstruktur (3).