
Sind wir in Wirklichkeit Raubtiere? © DUPAN PANDU under cc
Wie sind wir denn nun wirklich? Die Frage kann man leicht beantworten und die Antwort lautet: Man kann es nicht sagen.
Genauer vielleicht: Wir können es nicht sagen. Aber wir wollen nicht akzeptieren, dass wir es nicht sagen können und so wird in schönster Regelmäßigkeit ein Konzept nach dem anderen veröffentlicht, das die Frage, wie wir Menschen denn nun wirklich sind, eindeutig beantworten soll. Seit vielen Jahrhunderten in schönster Abwechslung, mal ist der Mensch ein aggressiver und gieriger Egoist, mal hilfsbereit, kooperativ und friedlich. Mal ist er von der Gesellschaft verdorben, mal sozialisiert und erzogen.
Wissenschaftliche Forschung
Seit 250 Jahren leben wir im der westlichen Wertehemisphäre in einer Gemeinschaft, die der Wissenschaft zugesteht, dass sie die offenen Fragen, durch immer mehr Fortschritt und Technik beantwortet und dann doch wieder zu einer Erzählung kommt, die uns darüber aufklären kann, wie es denn nun wirklich ist.
Doch mehr und mehr kommt auch die Wissenschaft von der Idee einer für alle und jeden gültigen Aussage ab, sondern erkennt, dass die Menschen in vielen Aspekten ihrer Einstellung bunt gemischt sind. So gemischt, dass dies eine gute Basis für die menschliche Individualität ist. Auf der anderen Seite aber anderen so ähnlich, dass wir über reichliche Gemeinsamkeiten mit anderen verfügen.
Es hängt davon ab welchen Aspekt wir stärker betonen, um zu unterstreichen, dass wir doch alle mehr in einem Boot sitzen oder eigenständige Individuen sind. Die extremen Ende fallen kommunikativ weg. Aussagen wie: ‚Zunächst sind wir alle Menschen‘, mögen richtig sein, sind aber inhaltsleer, weil sie alles und nichts bedeuten können. Für ‚Wir sind alle individuelle Geschöpfe‘ gilt dasselbe, auch das kann im Zweifel alles Mögliche bedeuten. Beide Aussagen klingen immer richtig, genau das ist ihr Problem.
In der Wissenschaft greift man nun pragmatische Parameter heraus. Wer Schmerzen hat, bekommt bestimmte Schmerzmittel, deren Wirkungsweise man kennt. Wer eine bakterielle Infektion hat, bekommt ein Antibiotikum. Aber man kann auch nichtbiologische Komponenten erfassen, wie den Zusammenhang zwischen Bildung und Einkommen. Pragmatisch zu sein heißt, nahe am Ort dessen zu sein, was man untersuchen will.
Das kann auch zu nah oder eng sein und die Kritik könnte lauten, dass man bestimmte Parameter vernachlässigt, die bei den Themen Schmerz, bakterielle Infektion oder Bildung/Einkommen ebenfalls eine Rolle spielen und beachtet werden sollten. Wie weit muss der Kreis gezogen werden, um ein Thema angemessen zu betrachten? Eien generelle Frage.
Wie Vorurteile entstehen
Im Laufe des Lebens macht man bestimmte Erfahrungen mit anderen Menschen. Einerseits unterschiedliche, andererseits immer ähnliche. Einige sind sehr prägend, andere weniger. Irgendwann entdecken wir in uns bestimmte Muster. Mit bestimmten Menschen haben wir immer wieder Probleme, mit anderen läuft es in der Regel sehr rund. Wieder anderen begegnen wir halbwegs neutral.
Das ist erst mal in uns da, ob wir wollen oder nicht. Es hat auch seine Gründe. Muster oder Routinen anzulegen ist eine der Aufgaben unseres Gehirns oder Ichs und läuft vergleichsweise unbewusst ab. Ein sehr prägende oder ein paar ähnliche, schwächere Erfahrungen und schon ist so eine Gruppe von Menschen fertig, zu der man in Zukunft eine bestimmte affektive Einstellung hat. Man mag sie irgendwie oder sie sind einem spontan eher unsympathisch. Fertig ist ein Vorurteil.
Es ist nicht böse oder schlecht, sondern einfach eine Navigations- und Orientierungshilfe im Leben. Alles was wir als bekannt wiedererkennen, ist etwas, dem wir keine größere Aufmerksamkeit schenken müssen und das tun wir auch nicht. Es versinkt im Strom der Normalen. Die Ursachen für diese Vorurteile sind vielfältig. Etwas Genetik, zufällige Begegnungen, eigene psychische Muster und auch die der anderen spielen eine Rolle.
Haben wir Vorurteile, so werden wir uns in der Nähe von Menschen, die uns unsympathisch sind, auch in Zukunft nicht wohl fühlen und den Kontakt eher meiden, die Zeit des Zusammentreffens minimieren und während dessen angespannt und gestresst sein. Bei Menschen, die uns sympathisch sind, fühlen wir uns gleich wohl, wir sind ihnen nahe, öffnen uns. Leicht zu erkennen, dass die Vorurteile oder angelegten Muster so vertieft werden und wenn wir offen und entspannt sind, reagieren andere auch selbst offener und entspannter auf uns, als wenn wir reserviert, linkisch oder verkrampft sind, schon wegen der Spiegelneuronen.
Beispiele gibt es reichlich. Ein Mann kann gegenüber Frauen gehemmt sein. Man kann abweichende sexuelle Orientierungen seltsam finden, oder Menschen in Uniform, Migranten oder Lehrerinnen oder Männer mit blonden Haaren und Bart. Ebenso kann man auch alle genannten Merkmale sympathsich finden, je nach dem, welche Erfahrungen man mit Menschen gemacht hat, die solche Merkmale haben.
Klar ist, dass Vorurteile einerseits sehr individuell sind, denn meine schlechten oder guten Erfahrungen mit bestimmten Menschen, muss ein anderer so nicht erlebt oder empfunden haben. Daher können meine privaten Vorurteile erheblich von denen anderer Menschen abweichen.
Wie Blasen entstehen
Aber sie können sich auch mit denen anderer Menschen überlagern. So bilden sich Gemeinschaften, in denen Menschen ihre Erlebnisse mit anderen teilen können und in der Regel zieht das naturgemäß jene an, die eine sehr ähnliche Einstellung zu bestimmten Lebensthemen und deren Bedeutung haben. Wenn ich eine Einstellung mit anderen teile, aber das Thema selbst in meinem Leben nur eine kleine Nebenrolle spielt, werde ich dafür nicht demonstrieren und auch keiner Chatgruppe beitreten, die sich damit befasst. Bin ich emotional stark verwickelt und hat der Lebensbereich eine große Bedeutung in meinem Leben, sieht das anders aus.
Dann sucht und trifft man Menschen, die das eigene Lebensproblem in ähnlicher Weise erleben, sich für Fragen interessieren, die einen selbst umtreiben und diesen eine große oder überragende Bedeutung zumessen, während sie andere Fragen eher nebensächlich finden. Heute geht das problemlos im Internet und so finden Menschen auch über größere Entfernung zusammen, die in ihrer nahen Umgebung vielleicht wenige Gleichgesinnte finden.
Aber ‚das Internet‘ und seine Möglichkeiten ist kein vom normalen oder wie man manchmal hört ‚echten‘ Leben abgetrennter Raum, sondern gehört längst zu unserem Alltag, wie Auto, Radio und Zahnbürste. Gerade wenn man in seiner nahen sozialen Umgebung keine Möglichkeit findet, über die Themen zu reden, die einen umtreiben kann das ein Segen sein.
Wo Licht ist, ist auch Schatten und der besteht in dem Fall darin, dass man sich nicht nur über seine Vorlieben austauschen, sondern auch in seinen Vorurteilen bestätigt werden kann. Wo die Grenze verläuft, kann man nicht generell sagen. Das Problem ist erstens, dass immer stärkere Vorurteile zu sozialen Spannungen führen und zweitens, dass man an projizierte eigene Probleme so immer schwieriger heran kommt. Oft muss man sich gar nicht entscheiden, da viele Probleme eine äußerliche Komponente haben – indem dort ein realer Missstand ist, der auch von anderen so empfunden wird – aber oft auch eine innere, die Frage, wie ich mich dazu verhalte, ist weiter bedeutend.
Blasen oder Echokammern sind Phänomene der virtuellen Welt in denen sich mehrere Menschen, mit einer oft sehr ähnlichen Sicht auf bestimmte Phänomene, wechselseitig immer mehr bestärken und so mehr und mehr das Gefühl bekommen, ihre Sicht sei die einzig vernünftige, weil viele andere denken, wie sie. Jene die anders denken, ziehen sich auch solcher Filterblasen mehr und mehr zurück. Bei Themen wie Autos, Rosen und Katzen ist das eher unproblematisch, werden aber die Probleme der Welt an den Frauen, den Männern, den Farbigen, den Weißen, den Linken, den Rechten und so weiter fest gemacht, ist das Problem für viele deutlich.
Wie sind wir denn nun wirklich? Egoistisch und gierig? Kooperativ und einsichtig? Darüber haben verschiedene Blasen verschiedene Antworten.