Wir leben in unsicheren Zeiten der Veränderung, da ist es gut, wenn man Zentren von Kraft und Ruhe in sich selbst finden und anlegen kann.
In den letzten Jahrzehnten war man vor allem in jungen Jahren verunsichert, wenn man ins Leben startete, voll von der Überzeugung, dass vieles anders laufen sollte oder wenn man irgendwo in der Mitte des Lebens in eine Krise rutschte, weil ein wesentliches Standbein des Lebens, in das man viel Zeit und Energie, vor allem aber emotional investiert hat, weggebrochen ist. Beruflich, in der Beziehung oder in privaten Projekten.
Nun ist eine neue Komponente hinzu gekommen, dass sich nämlich die fest gefügte gesellschaftliche Ordnung, in der wir ewig zu leben glaubten, ebenfalls verändert. Dabei liegt in der Darstellung im Grunde schon die Lösung, die lauten könnte, sich mit dem Wandel oder der Veränderung zu identifizieren und alles ist in Ordnung. Allein, wie so vieles im Leben kann man das nicht mal eben so beschließen und mit einem Fingerschnippsen seine Einstellungen ändern, aber man kann sich relativ systematisch der Fähigkeit annähern, diese Identifikation mit dem Wandel ins Leben zu integrieren, der dann nicht als Bedrohung empfunden wird.
Ein emotionales Konto
Wenn man Unruhe und Unsicherheit verspürt kommen Spannungen auf und die Unsicherheit verfliegt oft, wenn man die Spannungen abbauen kann. Es gibt verschiedene Wege des Spannungsabbaus, manche wirken kurzfristig, andere eher mittel- und wieder andere langfristig. Langfristig meint, dass man bestimmte Strukturen über Jahrzehnte etablieren kann und muss, was natürlich wenig hilfreich ist, wenn man gerade 17 ist und dicke Probleme hat.
Toll, wenn man hört, dass stabile Beziehungen zu Menschen, die man über Jahrzehnte pflegt, sehr stabilisierend für die eigene Psyche sind, nur wenn man selbst noch gar keine Jahrzehnte auf der Welt ist, hat man davon nicht viel, außer vielleicht eine weitere Quelle von Frust.
Aber hier können schon mal die Grundlagen für die späteren Jahrzehnte gelegt werden. In der Jugend hat man in der Regel viele verschiedene Freunde und Bekannte, teils für einige Wochen, aber auch hier geht manches schon tiefer, man probiert viel aus und das sind sehr intensive Zeiten. Es kommt später seltener vor, dass man gemeinsam lange Nächte über dies und das redet, Lebensmöglichkeiten entwirft, Horizonte erweitert, das ist ein Privileg der Jugend.
Vor allem kann es auch dem Spannungsabbau dienen, denn es gibt nicht den einen Weg, sondern viele, die man in kurz-, mittel- und langfristige unterteilen kann, die aber durchaus auch fließend ineinander übergehen.
Kurzfristiger Spannungsabbau
Die kurzfristigen führen zur sofortigen Spannungsreduktion, allerdings müssen sie auch immer wiederholt werden, die Ursachen möglicher innerer Spannungen werden nicht behoben. Diese Wege zahlen in der Regel auch nicht auf das langfristige Konto ein, manche nutzen sich ab oder können zur Gewohnheit oder sogar Sucht werden. Doch sie sind schnell verfügbar.
Ein häufig genutzter Weg in Deutschland ist der Alkohol, der zwar schnell wirkt, aber eben auch mit gesundheitlichen Gefahren verbunden ist und durch Gewöhnung in die Sucht führen kann. Dennoch, die meisten Trinker sind Entspannungstrinker, die meisten Alkoholiker allerdings auch, da viele Angstpatienten, die nicht wissen, dass sie Ängste haben, sich mit Alkohol herunter regeln. Analoges gilt für andere Drogen, auch wenn beim Cannabis die körperliche Suchtkomponente reduzierter ist, die Gefahr eine Psychose zu entwickeln jedoch etwas größer.
Sport ist eine weitere Möglichkeit zum Spannungsabbau, es sei denn, man hat spezifische Ängste, die genau das verhindern. Ein einmaliges Austoben kann etwas bringen, regelmäßiger Sport auch, der macht einen auch fitter, selbstbewusster und lässt einen den Umgang mit Grenzen üben. Zudem erfordert er eine gewisse Routine und Disziplin und schenkt einem oft Momente angenehmer Erschöpfung.
Sex ist ebenfalls bestens geeignet um Spannungen abzubauen, zu zweit ist es in der Regel besser, aber im Notfall auch allein, es ist ja nicht immer ein geeigneter Mensch da. Zufrieden stellender Sex ist immer auch ein schöner Baustein einer Beziehung, die für die Psyche im Allgemeinen stabilisierend ist.
Die mittlere Distanz
Es ist eigentlich eine ganz gesunde Reaktion, dass offenbar immer mehr Menschen die gesammelten Krisen in Nachrichtenform bewusst herunter dimmen oder ausblenden. Informiert zu bleiben ist sicher wichtig, aber dass muss nicht alle paar Minuten sein. Digital Detox tut auch mal ganz gut, das merken immer mehr Menschen.
Wohl dem, der eingebunden in bestimmte Abläufe ist, die den Tag strukturieren. Arbeit, Familie, Tiere, um die man sich kümmert. Man schwimmt mit im sedierenden Strom der Normalität, in der auch in Krisenzeiten erst mal weiter gemacht wird, was gemacht werden muss.
Hier, inmitten des Alltags hat man seine sozialen Kontakte, kann sehen, dass man beruflich und sozial weiter kommt und auch das verankert einen stärker in der oft zu unrecht gescholtenen konventionellen Welt. Mit all dem zahlt man auf ein emotionales Konto ein, anfangs ist das noch nicht viel, doch nach einiger Zeit kann man auf entsprechende Guthaben zurück greifen.
Wichtiger als der Inhalt ist im Grunde, dass man in mehrere Strukturen eingebunden ist. Sie müssen nicht zwingend der konventionellen Norm entsprechen, aber es ist gut, wenn man in ein Netz von Verpflichtungen eingebunden ist. Diese Quellen von Stress können sich zugleich auch als Zentren von Kraft und Ruhe erweisen, weil man auch dann noch gebraucht wird, wenn es Krisen in einem Bereich des Lebens gibt. Die soziale Einbindung zeigt einem, dass man weiter funktionieren kann und dass andere Menschen oft ähnliche Probleme haben. Das löst die Probleme zwar noch nicht, aber es ist etwas anderes, als wenn man völlig allein damit klar kommen muss.
Aber man kann auch private Routinen etablieren, je länger man das tut, umso mehr tragen sie. Ob man täglich Sport oder Yoga macht, in einem Forum oder Tagebuch schreibt, sich um ein Haustier oder Pflanzen kümmert, künstlerisch tätig ist, all das bringt in dem Moment Zentren von Kraft und Ruhe ins Leben, wo man in einer Tätigkeit versinken kann, bei der man weiß, was man tut.
Vieles von dem, was man macht und auf das man sich festlegt, tut man zu einem nicht unerheblichen Teil auch für sich selbst, die Geschichte kippt in dem Moment, in dem man sich zu viel aufbürdet und – aus welchem Grund auch immer – nur noch von Termin zu Termin, von Pflicht zu Pflicht hetzt, so dass der Gewinn den man davon hätte, selbst zum Stress wird. Sei es, dass man nicht delegieren kann oder dass kein Raum zur Reflexion mehr vorhanden ist. Struktur ist also kein Selbstzweck und kann auch in Zwang übergehen.