Stein mit blauer Aufschrift

Gib niemals auf! © Jørn Eriksson under cc

Vermutlich kennt jeder die eine oder andere Geschichte von Menschen, die niemals aufgeben.

Ein Muster in unserer Gesellschaft, was etwa bei Jahresrückblicken tradiert wird, inszeniert vor allem im Sport, wenn der Außenseiter über sich hinaus wächst und den Champion besiegt. Mit Geschick, Zähigkeit und unbändigem Willen. Wir lieben solche Geschichten. Sie stehen stellvertretend dafür, dass man fast alles erreichen kann, wenn man nur richtig will. Für viele ist das, was diese Menschen tun unerreichbar, es bleibt nur ein Traum, manchmal einfach deshalb, weil unser Leben einfach schon zufriedenstellend läuft. Aber im Zweifel könnte man auch so sein.

Wir lieben allerdings auch andere Geschichten. Die, jener Menschen, die es nicht schaffen. Die versuchen, gegen alle Wahrscheinlichkeiten ihren Weg zu gehen und dabei scheitern. Die ungewöhnliche Modelle der Beziehung, des Berufs oder der Lebensführung umsetzen wollen und sich dann irgendwann resignierend eingestehen müssen, dass es doch nicht so gut gelaufen ist, wie erhofft. Wir kuuddeln und trösten diese Menschen, weil sie nun wieder sind wie wir und uns zeigen, dass es gut ist vernünftig zu bleiben. Schuster bleib‘ bei Deinen Leisten. Unser Mitleid enthält manchmal etwas Schadenfreude, die durch übergroßes Verständnis kompensiert wird.

Pioniere und der Normalbetrieb

Es gibt geniale Sonderlinge, die im Normalbetrieb der Gesellschaft oder der Scientific Community einfach nicht ankommen, zumindest zu Lebzeiten nicht. Jahrzehnte später greift man vielleicht auf ihr Wissen zurück, manchmal wird es vergessen, manchmal wird es in abgeschwächter Form in den Normalbetrieb eingeflochten. Manchmal entwickeln sich neue Strömungen daraus, auch in Psychologie und Pychotherapie.

Für Yvonne Diewald könnte das gelten. Sie zählt definitiv zu den Menschen, die niemals aufgeben. In einem Radiointerview erzählt sie die Geschichte ihres Sohnes, der nach einer Hirnblutung zum Pflegefall auf Lebenszeit erklärt wird, der sich nie wieder wird eigenständig bewegen können und die Botschaft des behandelnden Arztes war, dass sich die Eltern am besten so schnell es geht damit abfinden sollten. So was sitzt.

Yvonne Diewald war nicht bereit, sich damit abzufinden und so arbeitete sie mit ihrem Sohn von Anfang an, gegen alle Prognosen und mit Erfolg. Der Sohn, der sich niemals hätte bewegen können, wohnt heute in einer eigenen Wohnung und macht sein Fachabi. Das ist schon sensationell genug, aber Frau Diewald hat gleich aus der Not eine Tugend gemacht und alles über unser Gehirn gelernt, was sie in die Finger kriegen konnte. Sie ist nicht nur eine Mutter, die um ihr Kind kämpft:

„Yvonne Diewald ist Mitglied der Harvard Medical School und mit führenden Neurowissenschaftlern weltweit vernetzt. Sie besitzt den Master in Kognitive Neurowissenschaft und ist erfahrene Neuro-Coach. Sie ließ sich in NLP und diversen Coaching-Methoden und Therapie-Formaten ausbilden.“[1]

Vor diesem Hintergrund hat sie Führungskräfte beraten und Menschen mit psychischen Alltagsproblemen, auf der Basis der Erkenntnisse der Neurowissenschaften. Für uns ist interessant, dass sie in einigen Bereichen von der klassischen Psychotherapie abweicht. Bei Ihren eigenen Forschungen hat sie neue Methoden gefunden, mit deren Hilfe man die Hirnverschaltungen ändern kann.

Dabei knüpft sie an Grunderkenntnisse der Hirnforschung an, dass nämlich neuronale Bahnungen wie Trampelpfade sind. Je öfter sie benutzt werden, umso stärker werden sie und umso mehr spult sich auch ein gewisser Automatismus ab. Man neigt dazu diese Bahnungen immer wieder zu nutzen und vielleicht auch, sich in Situationen zu bringen und diese sogar unbewusst zu suchen, in denen diese Bahnungen benutzt werden. So werden diese noch dominanter.

Das Gehirn aus seiner Routine bringen

Das muss aber nicht so bleiben. Im Interview erzählt sie, dass man bei den immer gleichen Dauerschleifen, vor allem, wenn sie problematisch und leidvoll sind, das Gehirn, metaphorisch gesprochen auch verwirren kann. Ein wenig ähnelt das dem ‚Stopp!-Signal‘ der kognitiven Verhaltenstherapie. Wenn es destrutktive, katastrophisierende oder Angstzustände abspult, ist es gut, dieses Muster nicht immer wieder und immer weiter zu füttern, weil es sich jedes Mal noch tiefer in die Psyche einbrennt.

Frau Diewald empfiehlt bei Angstzuständen etwa rückwärts zu gehen. Die Idee ist, dass das Gehirn nun nicht auf den gewohnten Highway einbiegen kann, sondern auf einmal ist es mit einer ganz anderen Aufgabe konfrontiert, für die es volle Aufmerksamkeit braucht, eben rückwärts zu laufen. Von anderen Forschern, die sich mit dem Hirn beschäftigten hörte ich ähnliches. Das Gehirn kann sich nicht gut auf mehrere Dinge konzentrieren und wenn man zum Beispiel beim Atem bleibt oder die 5,4,3,2,1-Übung macht: 5 verschiedene Dinge kurz bewusst anschauen, welche, ist egal. anach 4 Geräusche hören, die man gerade wahrnimmt, danach 3 Dinge fühlen (Druck des Sitzes, Wind auf der Haut, Kleidung am rechten Unterarm), 2 Gerüche wahrnehmen und einen Geschmack, dann ist das Hirn, auch durch das ständige Umswitchen oft schnell raus aus fiesen Gewohnheitsmustern. Auch Lachyoga ist sehr effektiv, nur bei uns eben sozial daneben, fast ein wenig schade.

Das Füttern mit endlosen negativen Informationen kann nicht gut sein, deshalb lieber mal der Tierfilm oder Pilcher, als Krieg und Katastrophen in der Endlosschleife. Es geht also darum, bewusst auszuwählen, wem und was man Aufmerksamkeit schenkt, mit welchem Input man sein Hirn füttert. Doch ihr nächster Vorschlag ist durchaus kontrovers.

Wo sich alt und neu begegnen

Yvonne Diewalds Erkenntnisse sind für manche Bereiche der Psychologie und Pychotherapie herausfordernd. Denn ihr System beruht darauf, dass man sein Gehirn in Eigenregie umprogrammiert, indem man seine Gewohnheitsschleifen konsequent durchbricht. Wenn immer man auf den gewohnten Highway einbiegt, sperrt man die Straße, indem man etwas völlig anderes tut. Man springt auf und klatscht in die Hände oder geht rückwärts oder fokussiert sich auf etwas anderes, so dass nicht immer und immer wieder die gleichen Bahnungen genutzt werden. Wenn sie weniger benutzt werden, verkümmern sie auch wieder, das ist der Neuroplastizität des Hirns geschuldet: Use it, or lose it. Wie ein Muskel oder das Lungenvolumen. Trainiert man sie nicht, fällt ihre Funktion in sich zusammen.

Menschen, die niemals aufgeben interessieren Aussagen von anderen, auch von sogenannten Experten nicht sonderlich. Sie nehmen sie zur Kenntnis und suchen dennoch ihren Weg. Auf dem Gebiet der Medizin ist das oft besonders eindrucksvoll, wenn wir sehen, was gegen alle Wahrscheinlichkeiten und Erfahrungen dennoch geht. Aber eben nicht häufig, darum nennen wir so etwas Wunderheilungen oder Spontanremissionen.

Aber das gibt es auch auf anderen Gebieten. Ich hörte von einem Menschen, der sich irgendwo in den Alpen ansiedelte, der allerlei anbauen wollte und dem die Ansässigen sagten: Zitronen wachsen hier nicht. Bei ihm dann schon. Oder eben die vom Tellerwäscher, zum Millionär Storys, die zu unserer Mythologie gehören. Es gibt sie schon, aber als Grundmodell der Gesellschaft funktionieren sie eben nicht. Man muss beides brücksichtigen.

Für die Psychologie und auch Teile gesellschaftskritischer Bewegungen ist die eine Herausforderung, weil dort manchmal die Meinung vorherrscht, bestimmte Probleme müssten immer wieder betrachtet und durchgearbeitet werden. Frau Diewald sagt: Nein, vergessen sie es einfach. Wobei auch sie sagt, in einigen Bereichen sei es wichtig wieder zum Ereignis hin zu gelangen, etwa bei Traumatisierungen. Ich gestehe, dass ich viele mit der Vorsilbe ‚Neuro‘ für einen aufgebauschten albernen Hype halte, aber ich fand Frau Diewald im Interview überzeugen und wir sollten immer offen sein neue Bausteine zu integrieren.

Zumal ihre Erkenntnisse mit alten Methoden des positiven Denkens, der Stoa und auch magischer Praktiken konform gehen. Frei von einem Thema ist man nicht, wenn man vehement dagegen kämpft – das kann mal seinen Sinn haben – sondern, wenn man ihm die Aufmerksamkeit komplett entzieht. In magischen Systemen werden suchthafte Gewohnheiten als Larven betrachtet, die irgendwann ein gewisses Eigenleben entwickeln, immer größer werden und immer mehr Aufmerksamkeit einfordern und so Energie von anderen Bereichen abziehen, bis sie alldominierend werden.

Auch dort geht es nicht darum, heldenhaft gegen die Larven zu kämpfen, sondern ihnen die Aufmerksamkeit mehr und mehr zu entziehen, sie verhungern zu lassen und den Highway wieder zur Straße und dann zum Trampelpfad zu machen. Das geht. Wo es seinen Platz im Gesamtgebäude finden wird, muss man sehen aber es ist eine weitere schöne Technik, die uns helfen kann.

Menschen, die niemals aufgeben

Menschen, die niemals aufgeben, sind nicht ignorant, sie nehmen in der Regel die gängigen Sichtweisen zur Kenntnis, sie verabsolutieren sie nur nicht, machen kein Dogma daraus. Jeder ‚Ja, aber es gibt doch‘-Sichtweise, die darauf pocht, dass etwas auf eine bestimmte Art gesehen werden sollte setzen sie ein ‚Ja, aber es gibt sicher noch einen anderen Weg‘ gegenüber.

Damit sind wir dann wieder am Anfang. Wir brauchen diese Ausbrecher aus dem Konventionellen, weil sie uns zeigen, dass es auch anders geht. Wir freuen uns aber auch, wenn sie scheitern, weil wir uns dann bestätigt sehen, dass der normale Lebensweg doch der beste ist. Aber so oder so: Es ist gut, dass es Menschen, die niemals aufgeben gibt.

Quellen:

[1] https://yvonnediewald.de/