Die Skyline von Manhattan

Ist das der Westen? Die Skyline von Manhattan. © Guiseppe Milo under cc

Die Sorgen, dass wir blindlings in einen atomaren Weltkrieg stolpern, werden immer größer, um so dringender sind Lösungen gesucht.

Auch wenn der atomare Krieg in Europa noch immer wahrscheinlicher ist, kann uns Europäer das nicht beruhigen. Die Zeit der Regression ist auch bei uns längst da, die einen wollen nun alles Russische boykottieren, was immer über Ziel schießt, die anderen finden alle eigentliche Schuld beim Westen und üben sich in masochistischer Selbstzerfleischung.

Es gibt drei große Probleme, die langfristigen und ernst gemeinten Verhandlungen im Weg stehen.

  • 1. Unrealistische Maximalforderungen: Wenn eine Partei Friedensverhandlungen sabotiert, redet, aber kein Interesse an Lösungen hat, weil man unrealistische Maximalforderungen stellt, braucht es virtuose Diplomaten, um irgendwas zu retten, aber völlig ohne Baumaterialien und Arbeiter kann man kein Haus bauen.
  • 2. Die Phantasie der monokausalen Entstehungsgeschichte: Gesucht wird, wie so oft, der eine Grund, der alles erklärt. Putin ist irre. Die NATO ist der heimliche Kriegstreiber. Es geht immer nur ums Öl. Häufige, aber beliebige Beispiele, vielleicht nie ganz falsch, aber immer einseitig.
  • 3. Projektionen verhindern den Diskurs: Verzerrte eigene Bilder, sowohl Bevölkerung, bis hin zu den Experten, lassen die eigene Sicht oft als die gute oder einzig möglich dastehen. Wir brauchen einen differenzierten Blick, der Stärken und Schwächen beider Seiten einbezieht und das Denken der anderen überhaupt vom eigenen Denken zu unterscheiden lernt.

Die knappe Geschichte des Westens und des Ostens

Den homogenen Westen gibt es so wenig, wie es ‚den Osten‘ gibt. Nicht nur China und Russland sind anders, auch der eruropäische Osten und auch die postsowjetischen Staaten haben eine eigenständige Kultur und Traditon wie der Historiker und Soziologe Mischa Gabowitsch in der Sendung Redezeit erläutert. Daher ist schon das Narrativ vom verlorenen Anhängsel Russlands verfehlt.

Dass der Westen eine Einheit ist, kann man auch nicht behaupten, nach 9/11 im Jahr 2001 ist der Westen gespalten, wenn er es nicht vorher schon war. Polen, Portugal und Deutschland, was ist deren gemeinsamer Nennen? Es gibt nur nicht den einen Riss, der Europa trennt, es gibt diverse Risse, aber dann auch wieder mehrere geteilte Interessen.

Was sicher insgesamt richtig ist, ist, dass die 500 Jahre dauernde Macht des Westens und der sich über die Welt ausgebreitenden Europäer, die wir in Nordamerika und Ozeanien finden, mit den USA als wankendem wirtschaftlich-militärischen Machtzentrum, schwindet: wirtschaftlich, militärisch, demografisch und im Zuge einer besonders in Teilen Europas voranschreitenden Selbstreflexion, die die eigene Kolonialgeschichte zunehmend in den Blick nimmt. Die Welt ordnet sich gerade neu.

Viele Stränge in Russland

Neuerdings ist es beliebt in Putins Kopf gucken zu wollen, aber natürlich kann das nur in Grenzen gelingen und in die Zukunft schauen kann man dann noch immer nicht. Oft pendeln die Urteile zwischen völlig irrational und isoliert, zum hoch rationalen, gerissenen Schachspieler. Die einen sagen, Putin hätte sich in der Ukraine völlig verzockt und würde hier auf Jahre geschwächt werden können, andere meinen, alles liefe nach Plan, je nach dem finden die einen die Situation brandgefährlich, die einen, weil Putin vor einer Niederlage stehen und Atomwaffen einsetzen könnte, die anderen, weil er vor einem Sieg und weiteren Durchmarsch nach Belieben steht.

Die einfache Bevölkerung scheint fest auf seiner Seite zu sein, da kritische Stimmen verboten sind und die meisten sich demnach aus unkritischen Quellen informieren. Bei jenen, die Zugang zu anderen Quellen haben, ist das Bild gemischter, manche verlassen das Land, aber sicher werden auch viele gebildete Menschen auf Seiten Putins sein.

Wie sehr Putin ein Einzelgänger ist, ist unklar, die ehemalige Financal Times Reporterin Cathrine Belton hat ein dickes Buch Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste geschrieben. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagt sie:

„Nach dem Ende der Sowjetunion glaubte der Westen, Russland werde nun Teil der westlichen, regelbasierten Ordnung. Dass Russland im Grunde wirtschaftlich schwach und unorganisiert sei – und alles, was noch fehle, sei die Integration in den Westen. Das war eine ziemlich herablassende und ein bisschen arrogante Sichtweise, mit der sich die meisten westlichen Staatsführer Russland gegenüber verhielten.

Darüber vergaßen sie das sowjetische Drehbuch, als der KGB Strohfirmen, Mittelsmänner und Handelsverbindungen nutzte, um auf sehr intransparente Weise Geld anzuhäufen und damit Operationen von kommunistischen, verbündeten Parteien zu finanzieren. Oder für illegale, Unruhe stiftende Aktivitäten wie Desinformationskampagnen oder sogar für politische Morde oder um Verbündete an der Macht zu halten. Darin waren sie sehr geübt.“[1]

Wir sehen hier also eine enge Verflechtung des ehemaligen KGB, heute FSB, mit legalen und illegalen Firmen und Machenschaften. Diese haben wiederum ihre Wurzel zu einem Teil in den ‚Dieben im Gesetz‘ eine Untergrundorganisation, die in den Gefängnissen der Stalinära entstand, einst mit der Ausrichtung, sich aus Politik und Wirtschaft heraus zu halten, die später zur russischen Mafia wurden.

In den 1990ern tobten in Russlands Großstädten blutige und brutale Mafiakriege, zu denen sich weitere Kreise gesellten:

„Der Zerfall des sowjetischen Staates und seiner Strukturen, die Ausrufung neuer Nationalstaaten sowie die wirtschaftlich schlechte Lage zu Beginn der 1990er Jahre trugen zum Entstehen neuer krimineller Gruppierungen bei. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde auf Jelzins Anweisung die KGB-Belegschaft um rund 100.000 Personen reduziert. Mit ihrem Insiderwissen und ihren Kontakten waren die entlassenen Mitarbeiter für die Verbrecherwelt in hohem Maße attraktiv. So entstand in Russland das heutige organisierte Verbrechen aus den Strukturen der Diebe im Gesetz, aus ehemaligen KGB-Agenten und vielen korrupten Beamten und Verwaltern staatlichen Eigentums.“[2]

Ein undurchsichtiges Geflecht, das wir nur streifen können, mit der Zeit wurde es noch undurchsichtiger, da legale und illegale Geschäfte ineinander übergingen. Doch damit nicht genug gibt es noch einen Strang, den man nicht unterschätzen darf.

Die mythisch religiöse Erzählung: Zusatz, Gegensatz oder einigendes Band?

Entgegen dem Bild, das man im Westen vom atheistischen Osten, per Dekret hat, sind Putin und sein KGB Clan im Kreml eng mit der russisch-orthodoxen Kirche verbunden. Man kann nicht entscheiden inwieweit dies, bei wem, eine tief gefühlte Überzeugung ist oder nur ein taktisches Spiel, um eine eigene Erzählung gegen den Westen zu benutzen, denn die russisch-orthodoxe Kirche ist zu einem nicht unwesentlichen Teil genau das, ein Negativbild des Westens, den man als dekadent ansieht. Kurz und gut, alles, wofür der Westen in dieser Lesart steht, ist eine Ausgeburt des Bösen, wir diskutieren einige Begriffe später.

Unabhängig davon wie authentisch oder taktisch diese Religiosität – oder jede andere zur Schau gestellte Einstellung – nun ist, so verpflichtet sie denjenigen, der sich auf sie beruft. Zudem kann es sein, dass jemand im Laufe der Beschäftigung mit einem Themengebiet, auf den Geschmack kommt, das heißt, etwas, was vielleicht nur ein Baustein unter vielen war, kann auf einmal sehr relevant werden, weil er den eigenen Lebensweg konsistent erklärt. Das ist allen Menschen wichtig. Damit können wir nun den Blick wenden und auf ‚uns‘ richten.