Entspannen Sie sich! Das ist oft leichter gesagt, als getan, gerade in diesen Zeiten. Immerhin blicken 58% zuversichtlich ins Jahr 2022.
Aber es wird auch berichtet, dass immer mehr Menschen Angst haben, in dieser Zeit. Es gibt aktuell genügend Gründe sich zu fürchten, wenn man denn will. Das mit dem Wollen ist natürlich etwas provozierend, denn wer will schon Angst haben?
Wenn man das ernsthaft beantworten will, so gibt es durchaus auch eine gewisse Faszination der Angst, auch der Begriff der Angstlust ist bekannt. Manche steigern sich von einer Angst in eine Phase der Erregung oder Wut und auch das Leben am Anschlag kann offenbar eine Lust sein. Es ist zwar nicht gesund, aber manche agieren so, vielleicht weil sie es nicht anders können.
Angst muss nicht nur schrecklich sein, an Eifersucht und Neid hingegen ist eigentlich gar nichts schön, im eigenen Erleben. Auf der anderen Seite kann die Angst dann aber vielleicht mehr als jede andere Empfindung zum Horror werden, wenn man sie nicht mehr kontrollieren kann und sie einen überflutet und mitreißt, wie ein innerer Tsunami. Eine heftige Panikattacke kann mit einem Vernichtungsgefühl einher gehen, da ist dann jede Restlust vorbei, es ist der nackte Horror, die nackte Angst, eine unerträgliche Angst. Im eben verlinkten Artikel sind wir einigen Ursachen nachgegangen, hier wollen wir uns etwas stärker auf einige Lösungswege konzentrieren. Gerade weil zur Zeit mehr Menschen Angst haben.
Es gibt sehr viele, sehr gute Entspannungsverfahren und -techniken
Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, man muss sie dann auch anwenden. Ich habe mal gelesen, dass wir Deutsche lieber Bücher über den Nutzen von Waldspaziergängen lesen, als im Wald spazieren zu gehen. Ansonsten tritt die Wirkung von Entspannungsverfahren irgendwann ein, bei Wiki lesen wir:
„Während der Übung eines Entspannungsverfahrens können aktuelle Spannungszustände oft schnell gelöst und chronische Spannungszustände reduziert werden. Nach drei bis vier Wochen regelmäßiger Übung wird der entspannende und beruhigende Effekt im Alltag spürbar, einerseits als eine größere allgemeine Gelassenheit und andererseits als eine bessere Fähigkeit der Selbstregulation, indem der geübte Entspannungszustand willentlich hergestellt werden kann.“[1]
Da gibt es zwei oder drei Probleme. Wenige Wochen, das ist zwar schnell, aber für manche, eben nicht schnell genug. Klar, wir wissen, Fleiß, Planung, Disziplin und Ausdauer sind immer sehr gute Verbündete, aber nicht jeder ist in der Lage sie aufzubringen und – entweder gehört das dazu, oder man betrachtet es separat – vermutlich werden viele Angstpatientinnen nicht zu jenen gehören, die sorgfältig alles planen und diszipliniert durchziehen. Es sind vielleicht eher Menschen, die ohnehin schon nervös und hektisch wirken, nichts lange durchhalten, sich von Rückschlägen schnell frustrieren lassen und so ein Selbstbild speisen, das sie glauben macht, sie seien einfach dumm, unfähig und nichts wert. Das ist der Boden, auf dem dann auch Angst gut gedeiht. Und man kann auch daran was ändern, muss es sogar.
Alle paar Jahre gibt es auch in der Psychologie Modetheorien und -begriffe. Die Selbstwirksamkeit ist so einer. Man erlebt, dass man in der Lage ist, etwas hinzubekommen. Nur erleben sich zutiefst verunsicherte Angstpatienten, die gerade zum erstem Mal in ihrem Leben Panikattacken haben und nicht wissen, was das ist, wo das auf einmal herkommt, wann und ob das jemals wieder aufhört und was sie dagegen machen können, mit Sicherheit nicht als selbstwirksam, sondern maximal weit davon entfernt. Außerdem stellt sich eine Panikattacke nicht als Panikattacke vor, sondern als Gefühl von Angstsymptomen aus dem Nichts, gerne mit dem Gefühl jetzt und hier sterben zu müssen. Von allen Scheißgefühlen gebührt diesem ein Platz unter den Top 3, vielleicht ist es das schlimmste, was ein Mensch erleben kann, in jedem Fall ist es entsetzlich.
Das andere Problem ist, dass es schnellere und bequemere Wege zur Entspannung gibt. Ist doch gut, könnte man sagen und das ist es auch, aber sie bringen mitunter eigene Probleme mit. Gemeint sind Alkohol, Drogen und Medikamente. Besonders der Alkohol wird zur Angstregulation benutzt. Die meisten Menschen sind Entspannungstrinker, die meisten Alkoholiker auch. Der Hintergrund ihrer Sucht ist nicht selten eine Angstthematik. Dann hat man zwei Probleme. Viele können damit umgehen, aber wieder sind es die weniger Disziplinierten, die so zur Verdopplung ihrer Probleme neigen. Durchaus verständlich, aber eben auch schwierig.
Finden Sie Ihren Weg
Das heißt nicht, dass man alles alleine machen muss. Wenn man völlig überrumpelt ist, wird das nicht gelingen, zumindest wäre es nicht der beste Weg. Gerade bei Angst gilt es im Grunde keine Zeit zu vertrödeln, weil die Angst sich dann tiefer fest frisst. Dennoch sollten diese Aussagen nicht demotivieren, man kann immer etwas machen.
Reagiert man schnell, kann nach plötzlich einsetzenden Ängsten, vor dem Auto fahren, etwa nach einem Unfall, mit weniger Stunden Therapie, die Furcht in der Regel schnell wieder beseitigt werden. Hat man in einem echten Trauma grauenhafte Bilder gesehen oder Todesnähe gespürt, kann das länger nachwirken, aber auch hier gibt es gute Möglichkeiten der therapeutischen Hilfe. Es gibt immer wiederkehrende Erfahrungen von sexualisierter und nicht sexualisierter Gewalt in der Kindheit, die zu einer charakteristischen Veränderung der Psyche führen und Jahre später als Symptome ausbrechen, oft in Form einer Borderline-Störung. Darauf gehen wir am Ende noch mal näher ein, denn – Spoiler – Heilung ist hier viel besser möglich als gemeinhin gedacht wird. Also: Entspannen Sie sich!
Anspannung, nein Hochspannung ist auch der charakteristische Zustand in dem sich viele Menschen befinden, die solches erleiden mussten. Und auch wenn es gewiss nicht den einen Zaubertrick gibt, der sofort und bei allen hilft, so gibt es doch effektive Hilfe.
Hilfsmittel zu haben, ist Teil des Weges. Ebenfalls ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass und wie man mit Tricks arbeiten darf und sollte. Regeln und Strukturen, Verlässlichkeit ist etwas, was auf dem Weg zur Entspannung von fundamentaler Bedeutung ist, aber es ist gleichzeitig etwas, bei dem Menschen, die Angst haben, sich zuweilen fundamental eingegrenzt fühlen. Sie können die Regeln anderer einfach nicht ertragen, weil sie sich ihnen anpassen müssen und sich dann ausgeliefert fühlen und sei es nur für eine gewisse Zeit. Sie möchten lieber nach ihren eigenen Regeln spielen, aber oft haben verunsicherte und verängstigte Menschen keine eigenen Regeln, außer vielleicht der einen, sich an keine anderen zu halten.
Das Problem dabei ist, dass das ganze Leben dann Improvisation ist, was an sich super ist, wenn man sich drauf einlassen kann. Menschen, die Angst haben, können genau das aber nicht. Neues überfordert sie, sie haben nichts an dem sie sich orientieren und ausrichten können, keine oder eine zu fragile innere Struktur, die ihnen Sicherheit geben könnte.
Wenn die Innenwelt ein Haufen an Trümmern ist, wofür man selbst nichts kann, so hat man doch die Möglichkeit diesen Trümmerhaufen anzuschauen. Neutral, mit Abstand. Vielleicht aber auch entsetzt, möglicherweise auch traurig oder wütend, das alles ist denkbar. Manchmal braucht man dabei Hilfe, manchmal geht es allein. Vielleicht entdecken Sie etwas in den Trümmern, was noch heil ist und was Sie weiter verwenden möchten. Dann nehmen Sie es an sich und bauen daraus etwas Neues. Zuerst keine Trutzburg, sondern nur eine kleine Hütte, oder sogar nur ein kleines Zelt. Aber es ist Ihres.
Geschützte Räume in Innen und Außen schaffen
Wenn Ihnen das kleine Zelt, aus alten Planen und Plastik viel zu wenig ist, dann schaffen Sie sich einfach einen anderen inneren Ort in der Phantasie. Einen, zu dem nur Sie Zugang haben oder vielleicht noch die, denen Sie den Weg dahin erklären. Eine eigene Insel, ein Tempel, ein heiliger Ort im inneren Wald. Wann immer man will, kann man sich seine eigene Welt schaffen, sie kann ja mehr sein, als nur der Wunsch, alle anderen Welten ebenfalls zur Trümmerwüste zu machen. „Nein, nein, will ich nicht, da spiel‘ ich nicht mit.“ Kennt man manche Biographien näher, kann man das sofort verstehen. Sogar noch den Neid und den Wunsch, das was andere haben, zu zerstören. Auch eine Form der Einheit, wenn alles in Trümmern liegt. Ich habe zwar nichts für mich, aber alle anderen auch nicht.
Die Alternative ist, sich etwas für sich zu nehmen. Nehmen heißt zugleich auch schaffen, umbauen. Wie schnell, geschickt und kreativ man dabei ist, kann man selbst bestimmen, ist dann aber natürlich auch selbst verantwortlich. Nächster Spoiler: Man ist es sowieso, aber man hat alles Recht diese Einsicht erst mal zu verweigern. Wer an die Hand genommen werden möchte, warum nicht? Wer Krücken braucht, sollte welche bekommen. Wer aber gegen die Strukturen anderer Einwände hat, sie sind ja nur Angebote, sollte sich trauen, eigene Welten zu entwerfen.
Innen und Außen scheinen einige Regeln in gleicher Weise zu gelten. Man kann sehr schnell Luftschlösser bauen, schillernde Fassaden errichten, aber sie neigen dazu nicht wirklich zu halten. Doch es gibt auch innere Räume, die Stabilität besitzen, einfach in dem man sie wieder und wieder aufsucht. Wenn Sie sich einen inneren Ort schaffen, an den Sie sich zurückziehen können, der Ihnen Ruhe und Kraft, Schutz und Sicherheit gibt, dann können Sie ihn durch Wiederholung immer besser erreichen. Sie kennen sich dann dort immer besser aus oder können immer mehr Details hinzufügen.
Ähnliches geht, wenn Sie in der Lage sind sehr konzentriert und fokussiert vorzugehen. Aber ängstliche Menschen springen oft gedanklich hin und her. Wiederholung und Konzentration schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich. In Ihnen finden Sie schon zwei Entspannungsverfahren kombiniert, ein imaginatives und Fokussierung. Beide wirken, auch wenn man zweifelt und meint, das sei doch nur Phantasie. Ängste sind auch nur Phantasie. Es sind Erwartungen von Katastrophen, zwar oft auf der Basis eigener Erlebnisse oder wiederholter Suggestionen, aber einen Sadisten zu kennen heißt nicht, dass alle Menschen sadistisch sind.
Geschützte Räume, das sind auch therapeutische Angebote. Was hier erzählt wird, bleibt im Raum, privat. Viele kennen das nicht. Das heißt auch, dass die üblichen Muster, die man aus seiner bisherigen Welt kennt, enttäuscht werden. Ich werde nicht verurteilt, sondern, man will mir helfen. Allenfalls wird mein Verhalten und das, was ich sage gedeutet. Ohne Wertung, Verurteilung, Strafandrohung. Wenn man das nicht kennt, verunsichert es und man ersetzt den fehlenden Part durch seine eigene Phantasie. Die Therapeutin ist bestimmt total sauer auch mich, die sagt das nur nicht. Oder man beginnt zu provozieren, um zu schauen, ob dieses Verhalten wirklich echt ist, oder nur aufgesetzt, gespielt. Damit das nicht eskaliert, werden Therapieregeln aufgestellt, zu Beginn. Wer alle Regeln als Affront betrachtet, ist hier sofort auf Drehzahlen, was an sich nicht schlimm ist, sondern erwünscht. Man kann umstandslos mit der Deutung beginnen und ist gleich mitten im Thema, wenn der Therapeutin vorgeworfen wird, sie sei ja auch nicht anders, als alle anderen. „Wie sind die anderen denn?“ Schon hat man einen Überblick über die Innenwelt, die Beziehungen.
Geschützte Räume sind auch ganz konkret gemeint. Man muss sich eigene Räume schaffen, in denen man die Möglichkeit hat, ungestört zu sein, solange wie man es will und braucht. Man muss sich auch die Zeit nehmen und sich eben nicht von jeder Kleinigkeit ablenken lassen. Wenn es beim ersten mal nicht klappt, kann man das Zeitfenster immer weiter ausbauen, bis man so viel hat, wie man will und braucht. Das bringt riesige Entspannung, wenn man es aushält, sich Freiraum zu nehmen und abzugrenzen. Auch mal ‚Nein‘ zu sagen.
Eine Regel wendet sich nicht selbst an
Wenn Sie das alles können, haben Sie schon viel erreicht. Ihre Welt wird deshalb nicht in drei Tagen besser, aber jetzt haben Sie Zeit und Raum zu überlegen, zu planen, zu phantasieren, zu meditieren und zu schauen, welcher Weg zu Ihnen am besten passt. Machen Sie diese Zeit zu einer besonderen Zeit. Sie können Sie durch irgendwas in besonderer Weise markieren, durch bestimmte Kleidung, Musik, total Stille, ein Räucherstäbchen oder Duft-Öl, ein anderes Licht nur für diese Zeit.
Je mehr Sinne Sie einbinden, umso mehr finden Sie dann, allein durch das sich daraus allmählich entwickelnde Ritual nach Innen, an Ihren dortigen besonderen Ort der Entspannung. Sie können den Weg nach Innen mit Atem und Körperübungen kombinieren und die immer gleichen inneren Wege gehen, bis sie dort ankommen, wo Sie sich so entspannt fühlen, wie es jetzt gerade möglich ist.
Ihre eigenen Regeln können Sie auch im Außen aufstellen. Nicht unbedingt für alle anderen, aber für sich. Sie können sich überlegen, wie weit Sie in einer Situation gehen können, wollen und wie weit nicht. Wenn Sie eigentlich weiter wollen, sich aber nicht trauen, was könnte ihnen dabei helfen? Menschen? Welche? Freunde, Familie, Therapeuten? Ein Tier? Bestimmte Hilfsmittel?
Der Notfallkoffer hat sich bewährt, der Menschen in Angstsituationen daran erinnert, wie sie sich helfen können und ihnen Mittel zur Unterstützung und Ablenkung an die Hand gibt. Beispielhaft hier. Was einem selbst besonders hilft, kann man probieren und natürlich sollte man sich erlauben, auch zu tricksen. Es ist ja für den guten Zweck die eigenen Grenzen zu erweitern. Wenn man es denn will und nur so weit, wie man es selbst will. Tricksen heißt, erlaubt ist alles, was mir gut tut, im Notfall auch ein bisschen mehr als im Normalfall. Man darf die eigenen Regeln auch brechen, denn eine Regel wendet sich nicht selbst an, sie muss immer interpretiert werden. Das heißt, alle Regeln ermöglichen einen gewissen Spielraum. Verlässliche Regel bieten aber auch Schutz und Sicherheit, durch innere Struktur. Das ist der Zusammenhang den man erkennen muss, danach und damit hat man den Rest selbst in der Hand.
Wie gesagt, ’selbst‘ bedeutet nicht, dass man keine Hilfe annehmen sollte, wenn man sie braucht. Innere Struktur ist unsere seelische Architektur, sie macht aus unserer Trümmerwüste, dem Luftschloss oder Kartenhaus ein immer stabileres Gebäude. Heißt, die eigenen Regeln immer mal wieder nachzuschärfen oder zu vergessen ist okay, es zum Normalfall werden zu lassen, geht auf Kosten der inneren Struktur und das ist ein wesentlicher Auslöser der Angst.