Gehörst du zu den Menschen, welche die Stimmung in einem Raum spüren können? Bei denen das Geräusch der anfahrenden Bahn so stark sensorisch widerhallt, dass man annehmen könnte, die Bahn führe mitten durch den Kopf? Nimmst du Gerüche wahr, die andere Personen so schnell nicht wahrnehmen? Und bist du im Zusammensein mit anderen schnell überreizt? Falls dem so ist, solltest du dir die Frage stellen: Bin ich hochsensibel?
Hochsensibilität: Was ist das eigentlich?
Bin ich hochsensibel? Das fragen sich Menschen, denen oftmals gesagt wird, sie hätten ein »krasses Gespür« oder sie seien »zu empfindlich« oder sie hätten eine »ausgeprägte Detailwahrnehmung«. Für diese Menschen fühlen sich sensorische und soziale Inputs, aber auch interozeptive Reize sehr eindringlich an, das heißt, sie gehen bis tief hinein. Deshalb fühlen hochsensible Personen schneller eine Erschöpfung, wenn sie sich in der reizintensiven Außenwelt oder innerhalb eines sozialen Umfeldes bewegen. Sie nehmen schlichtweg zu viele Reize ohne Filter auf, die verarbeitet werden müssen. Hochsensible brauchen zwischendrin immer wieder Phasen zum Regenerieren, um wieder in ihrer Mitte anzukommen.
Hochsensibilität ist keine Störung

Wenn dich Außenreize und Menschen schnell überfordern, solltest du dich fragen: Bin ich hochsensibel? © Helen Alfvegren under cc
Streng genommen ist die Hochsensibilität kein klinisches Konstrukt. Hochsensibel zu sein, geht zwar mit einigen Einschränkungen einher – weil man eben mehr auf eine mögliche Überreizung achten muss –, stellt aber keinen psychiatrischen Symptomkomplex dar. Vielmehr ist die Hochsensibilität auf einem Spektrum im Sinne eines Temperaments oder Persönlichkeitsmerkmals zu verstehen. Hochsensibilität kann mit einer mentalen Hocheffizienz einhergehen. Diskutiert wird die Hochsensibilität beispielsweise hinsichtlich möglicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Zusammenhang mit dem Autismus-Spektrum, Depressionen, Angststörungen etc. Einige Vertreter der Psychologie stellen zudem die Möglichkeit in den Raum, eine Hochsensibilität könne auch durch eine frühkindliche chronische Traumatisierung entstehen. Etwa weil man als Kind immer achtsam vor möglichen Gefahrenreizen sein und die Stimmung der Bezugspersonen einschätzen musste.
Woran erkennt man: Bin ich hochsensibel?
Die Frage »Bin ich hochsensibel?« kann letztlich nur jeder für sich beantworten. Es gibt zwar einige Anhaltspunkte, die dafür sprechen, aber keine klassische Checkliste wie bei einer genormten klinischen Diagnostik. Schauen wir uns die möglichen Aspekte der Hochsensibilität nachfolgend einmal an:
Du reagierst stark auf sensorischen Input
Laute Geräusche, helle Lichter oder auch bestimmte Gerüche nimmst du rasch wahr und auch wesentlich stärker. Vielleicht haben dir im Laufe deines Lebens andere Personen überrascht zurückgemeldet, dass sie diese Reize gar nicht bemerkt haben, ehe du darauf Bezug genommen hast. Sehr wahrscheinlich erschreckst du dich auch schneller und stärker als andere.
Du spürst die Stimmungen anderer
Die Launen und Stimmungen anderer nimmst du beinahe als Schwingungen wahr. Herrscht eine angespannte Atmosphäre im Raum, spürst du sie sofort. Die Gefühlswelt der anderen geht bei dir bis tief rein. Manche Hochsensible sagen, ihr Einfühlungsvermögen geht so weit, dass sie die Stimmungen anderer körperlich spüren. Ferner kann die Beeinflussbarkeit auf die eigene Stimmung erhöht sein.
Du hast eine gute Intuition und denkst »groß«

Viele hochsensible Menschen haben eine gute Intuition und erahnen Dinge. © Grace Boyle under cc
Viele Hochsensible besitzen eine gute Intuition. Sie erahnen die Verhaltensweisen anderer und wie sich Situationen weiterentwickeln. Hochsensible verfügen nicht nur über eine gesteigerte Empathie, sondern auch eine hohe Vorstellungskraft. Sie hinterfragen den Sinn von Dingen und dem Leben, versuchen zu ergründen und geben sich nicht mit oberflächlichen Antworten ab. Sie denken in großen Bögen. Das bedeutet, sie stellen kognitive Bezüge sowohl im Querschnitt (über Vergleiche) als auch im Längsschnitt des Lebens (in Form von Lebensbrücken) her.
Du fühlst dich überfordert von den Reizen
Während andere Menschen völlig easy und sehr gelöst bei sozialen Kontakten sind und bei einem sozialen Event erst recht aufblühen, bist du schnell überreizt und überlastet. Du nimmst so viele Details wahr und einzelne Sequenzen anderer Menschen, was zwangsläufig zu einer seelischen Überforderung führen muss. In privatem Kontext kannst du dich zurückziehen, problematisch wird es für dich im beruflichen Bereich. Ein Tag auf der Arbeit mit anderen Menschen belastet dich und du verspürst den Wunsch, dich des Öfteren zurückziehen zu können.
Bestimmte Szenen triggern dich stark
Es kann sein, dass dich bestimmte Szenen aus den Medien wie beispielsweise Gewaltdarstellungen stark triggern. Da du das Leid tief drinnen in dir spürst, versuchst du möglicherweise, medialen Input von dieser Art zu vermeiden. Manche Hochsensible berichten von einem ähnlichen intrusiven Erleben, wenn es um traurige Szenen oder Szenen von sexueller Natur geht.
Du stellst dich auf die Hochsensibilität ein
Wer die Frage »Bin ich hochsensibel?« für sich mit Ja beantworten kann, der hat bereits einige Mechanismen im Laufe seines Lebens entwickelt, mit denen er darum bemüht ist, der übersensiblen Wahrnehmung angemessen zu begegnen.
Du begegnest dir bewusster
Hochsensible Menschen haben oftmals nicht nur eine höhere Selbstüberwachung, sie fühlen sich auch schneller verantwortlich für Situationen beziehungsweise Menschen. Kurzum: Sie versuchen, das Richtige zu tun. Viele von ihnen sind bemüht, keine Fehler zu machen, und versichern sich oft rück, um sich zu beruhigen. Hochsensible neigen nicht selten zu Perfektionsstreben und einer gewissen Zwanghaftigkeit, die ihnen ein Gefühl von Kontrolle verleiht.
Du suchst Harmonie
Weil Hochsensible die Stimmungen anderer Menschen spüren, ist ihr Ziel die Harmonie. Sie sind auf der Suche nach beruhigenden, ausgeglichenen Situationen, und versuchen Situationen, die aus dem Gleichgewicht geraten sind, wieder ins Lot zu bringen. Hochsensible haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden.
Du bevorzugst Stabilität

Viele Hochsensible bevorzugen Harmonie und Stabilität. © cattan2011 under cc
Mitunter bevorzugen hochsensible Menschen eine hohe Stabilität im Leben, gerade weil sie so vieles emotional und sensorisch aus dem Gleichgewicht bringen kann. Sie sind meistens kein Freund von Veränderungen, weil sie wissen, dass sie länger als andere brauchen, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen.
Andererseits können sie Schwierigkeiten mit starren Strukturen haben, insbesondere wenn diese für sie keinen Sinn ergeben.
Auswirkungen auf die Psyche
Die Hochsensibilität kann durchaus einige Auswirkungen auf die Psyche eines Menschen haben. Diese sind unter Umständen nicht nur positiver Natur. So können neben einer hohen Begeisterungsfähigkeit und dem Erleben von Freude im Positiven auch Ängste, Melancholie oder psychosomatische Symptome mit der Hochsensibilität einhergehen.
Angst vor Ablehnung und Selbstzweifel
So einige Hochsensible haben zeitlebens ein Gefühl der Andersartigkeit. Sie erleben sich anders als alle anderen, fühlen sich missverstanden und vielleicht sogar sozial ausgegrenzt. Etwaige Folgen der Hochsensibilität können starke Selbstzweifel, Ängste vor Zurückweisungen und ein Minderwertigkeitsgefühl sein.
Treffen viele der vorgenannten Punkte auf dich zu, kannst du folglich die Frage »Bin ich hochsensibel?« für dich bejahen, hast du fortan die Möglichkeit, dein Selbst nicht nur besser einzuordnen, sondern auch, dich auf deine überhöhte Empfindsamkeit einzustellen. Gönne dir immer wieder Pausen, um dir ausreichend Ruhe und innere Festigung zu gewähren. Alles Gute für dich!