Die Spielsucht oder das pathologische Spielen, wie die klinische Bezeichnung dafür lautet, ist durch die Unfähigkeit des Betroffenen gekennzeichnet, dem Impuls zum Glücksspiel zu widerstehen. Selbst wenn negative Konsequenzen im beruflichen, finanziellen, familiären und sozialen Bereich drohen, kann der Spielsüchtige seinem Verlangen nicht Einhalt gebieten und muss dem nachgeben. Worin liegen die Ursachen der Spielsucht? Gibt es charakteristische Merkmale, die einen Menschen zu einem Spielsüchtigen machen können?
Online-Glücksspiele: Weniger Hürden für Spielsüchtige?
Wer heutzutage dem Glücksspiel frönen möchte, der muss dazu nicht einmal vor die Tür. Online-Casinos und Sportwetten bieten via Internet die Möglichkeit, von dem heimischen Sofa aus oder mittels der Handy-App dem Verlangen zum Spielen nachzugehen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Dank der Künstlichen Intelligenz wird auf den Online-Plattformen der Spielbetreiber jede Aktion eines Spielers zugeordnet. Spezielle Algorithmen prüfen, basierend auf den Diagnosekriterien der Spielsucht, inwiefern das Verhalten eines Spielers in den klinischen Bereich fallen könnte.
Das neue Online-Glücksspiel-Gesetz, welches ab dem 01.07.2021 in Deutschland in Kraft getreten ist, regelt einheitlich über alle Bundesländer die Auflagen beim Online-Glücksspiel zum Schutz des Spielers. So sieht der Glücksspielstaatsvertrag unter anderem verpflichtend vor, den Spieler regelmäßig auf seinen Gewinn beziehungsweise Verlust hinzuweisen, das Einzahlungslimit zu begrenzen sowie eine Wartezeit von fünf Sekunden zwischen den einzelnen Spielen zu gewähren.
Ungeachtet der wichtigen staatlichen Regelungen des Glücksspiels wird nicht jeder, der hin und wieder im Online-Casino pokert, zwingend süchtig. Gibt es charakterliche Merkmale oder Hinweise in der Biografie, die den einen Menschen süchtig machen und einen anderen wiederum nicht?
Worin liegen die Ursachen der Spielsucht?
Häufig finden sich in der Biografie von Spielsüchtigen traumatische Ereignisse. Diese können in Form von Lebenskrisen auftreten, aber auch chronische Traumatisierungen sein, die bis in die Kindheit zurückreichen. Dazu gehören unter anderem physische und psychische Gewalterfahrungen im Elternhaus, Mobbing-Erlebnisse in der Schule, Verlusterfahrungen durch den Tod eines Elternteils oder die Scheidung der Eltern. Auch ambivalente Bindungen zu den Bezugspersonen, gezeichnet durch Zuneigung versus Ablehnung, genauso wie Suchtproblematiken innerhalb der Familie können eine Rolle spielen.
In der therapeutischen Aufarbeitung zeigt sich oft, dass die Auslöser für die Spielsucht einschneidende Veränderungen im Erwachsenenleben sein können. Der Jobverlust, ein Unfall, eine Erkrankung oder die Scheidung vom Partner können die Weiche in Richtung des pathologischen Spielens stellen. Genauso können anhaltende Konflikte im sozialen Umfeld oder eine generelle Perspektivlosigkeit im Leben zu einer Flucht in die Spielwelt beitragen. Bei den meisten Betroffenen fehlen die kompensatorischen Mechanismen zur Bewältigung seelischer Krisen. Seelische Anspannungen, Ängste, Minderwertigkeits- oder Schamgefühle, andererseits aber auch eine übersteigerte Selbsterhöhung, können als Charakteristika von Süchtigen benannt werden. Der Griff an den Spielautomatenhebel verschafft zunächst ein oberflächliches Glücksgefühl und wird mit der Zeit für viele ein Ausweg, um einen trügerischen Schutz im Leben und Stabilität zu erfahren.
Welche Begleiterscheinungen kommen erschwerend hinzu?
Die Baden-Württemberg-Studie zum pathologischen Spielen des Zentralinstituts für Mentale Gesundheit in Mannheim zeigt, dass bei Spielsüchtigen eine hohe Komorbidität mit substanzbezogenen Abhängigkeiten wie Alkohol und Nikotin vorliegt. Ferner besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Depressionen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen sowie eine stärkere emotionale Impulsivität. Spielsüchtige neigen oft zu einer gedanklichen Verzerrung der Realität:
- »Wenn-Dann«-Rituale: »Wenn ich die Würfel vorher in meiner Hand in einer bestimmten Weise positioniere, dann werde ich hohe Gewinne erzielen.«
- Abmildern ihrer Gewinn-Verlust-Rechnung: »Ich habe die letzte Woche 200 Euro gewonnen.« – »Und wie viel hast du verloren?« – »Das ging eigentlich. Nicht so viel.«
- Überhöhung einer angeblich cleveren Taktik: »Ich setze immer auf Rot und die geraden Zahlen, so umgehe ich den Zufall.«
Dem Umgang mit dem eigentlich zufallsbasierten Glücksspiel begegnen Glückspielsüchtige mit einem fast magischen Denken. Der Selbstwert scheint dabei für viele labil und an den Ausgang des Spiels gekoppelt zu sein. Verlieren sie, erleben sie sich als Opfer der Umstände. Gewinnen sie, führen sie das Ergebnis auf ihre Fähigkeiten zurück und erleben einen wahren Selbstwert-Schub.
Fazit: Es gibt nicht »den typisch Süchtigen«
Die Baden-Württemberg-Studie zeigt außerdem: Je jünger die Betroffenen bei ihrem ersten Glücksspiel waren, desto höher war auch ihre Ausprägung beim Schweregrad der Erkrankung. Die Forschergruppe um den Mediziner Prof. Dr. Karl Mann kam zu dem Schluss, dass es nicht »den typischen Süchtigen« gibt. Vielmehr existieren unterschiedliche Subtypen mit verschiedenen Begleiterkrankungen, eventuellen genetischen Dispositionen und neurokognitiven Auffälligkeiten im Gehirn wie eine verringerte graue Substanz im Frontalhirnbereich, was sich nachteilig auf die Planungs- und Entscheidungsprozesse auswirken könnte.
Wie lassen sich die Ursachen der Spielsucht behandeln?
Viele Kliniken bieten den Betroffenen und den Angehörigen eine individuelle Erstberatung in Form von zum Beispiel einem anonymen Telefongespräch an. In diesem Gespräch werden die Ausprägungen des Spielverhaltens geschildert. Seitens der Klinik oder Beratungsstelle wird auf die Behandlungsmöglichkeiten Bezug genommen, die ambulant, stationär sowie ergänzend durch Selbsthilfegruppen bestehen.
Für die Behandlung der Spielsucht ist ein breites therapeutisches Konzept angeraten, welches an mehreren Punkten ansetzt.
Therapeutische Ansatzpunkte der Spielsucht
Zuvorderst ist die Abstinenz vom Glücksspiel eine Voraussetzung, um therapeutisch arbeiten zu können. Ein weiterer Baustein besteht in der Aufklärung des Betroffenen hinsichtlich seines Suchtverhaltens und den dahinterstehenden Ursachen der Spielsucht. Je mehr der Betroffene über seine Erkrankung weiß, desto mehr steigt seine Bereitschaft, auch auf lange Sicht an den therapeutischen Interventionen teilzunehmen. Die Gefahr eines Rückfalls sinkt.
In Gesprächen mit dem Therapeuten sowie in Gruppengesprächen mit anderen Betroffenen werden die negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit aufgearbeitet. Zudem werden im therapeutischen Kontext Bewältigungsstrategien erlernt, welche den zukünftigen Umgang mit negativen Lebensereignissen oder seelischen Krisen in eine gesündere und nicht suchtkompensatorische Richtung lenken. Neben einer Verbesserung der emotionalen Selbstregulation, einem Training der Konfliktfähigkeit und dem rechtzeitigen Setzen individueller Grenzen, sobald man Überlastungen spürt, werden mit den Betroffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensumstände erarbeitet.
Resozialisierung im Zuge der Spielsucht-Therapie
Die Spielsucht ist eine Erkrankung, die sich nicht nur auf die Psyche eines Menschen auswirkt, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf das Leben eines Betroffenen haben kann. Nicht wenige Erkrankte haben ihre Arbeit verloren und stehen aufgrund der Spielsucht vor einem kaum zu bewältigenden Schuldenberg. Ein Ziel der ambulanten Resozialisierung ist die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt durch beispielsweise Bewerbungstraining und das Erlernen von Bewältigungsstrategien im Umgang mit arbeitsplatzbezogenen Konflikten. Beim Freizeittraining werden alternative Ideen zur Freizeitgestaltung erarbeitet, um die Illusion des schützenden und zufluchtsgebenden Glücksspiels aufzubrechen. Das Selbstbewusstsein beim Knüpfen sozialer Kontakte wird gestärkt und die Freude an gemeinsamen Tätigkeiten mit anderen Menschen entfacht.
Darüber hinaus hilft die Schuldnerberatung, um einen realistischen Plan zur Tilgung der Schulden zu erarbeiten. Die Experten erstellen gemeinsam mit dem Betroffenen Pläne für ein verlässliches Geldmanagement.
Wie wahrscheinlich ist ein Rückfall?
Die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall nach der Therapie liegt bei der Spielsucht bei etwa sechzig Prozent. Von dem pathologischen Spielen langfristig loszukommen, gestaltet sich als eine Herausforderung, die jedoch bewältigbar ist. Wichtig für den andauernden Erfolg der therapeutischen Interventionen könnte die weiterführende, beharrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Person und den Ursachen der Spielsucht sein, womöglich auch im Rahmen der Inanspruchnahme ambulanter Therapieangebote. Welche ungesunden Fehlprägungen und Gedankenspiralen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall? Auf welche Stärken sollte man sich stattdessen fokussieren? Auch das regelmäßige Aufsuchen von Selbsthilfegruppen könnte eine entscheidende Position für eine verringerte Rückfallwahrscheinlichkeit sein. Zum einen bieten die Termine eine verlässliche Alltagsstruktur. Zum anderen sorgen der Kontakt mit den Gleichgesinnten und das Besprechen der gemeinsamen Probleme und Alltagsherausforderungen für die Stärkung des Selbstwert- und Gemeinschaftsgefühls sowie für eine lebenstechnische Ausrichtung auf die Genesung.