Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Mit diesen klugen Worten sind wir großgeworden. Wer fleißig ist, der erledigt Dinge sofort. Tut man es nicht, so ist man eben – naja, eben – faul. Doch ganz so leicht lässt sich aus psychologischer Sicht die „Aufschieberitis“ nicht erklären. Sie ist wesentlich komplexer und das zugrundeliegende Hauptmotiv ist gewiss nicht Faulheit. Warum Prokrastination keine Faulheit ist, erfahrt ihr hier.

Prokrastination ist nicht gleich Faulheit

Prokrastination bedeutet kurz gesagt: das fortwährende Aufschieben von Arbeitsaufgaben oder anderen Tätigkeiten. Bis zu einem gewissen Grad ist das Verschieben von Aufgaben sogar natürlich bedingt, weil der Organismus sich von Hause aus gegen eine vermehrte Anstrengung wehrt oder um unangenehme Aufgaben herumdrückt. Unser Organismus ist ein sprichwörtlicher fauler Löwe, der nur jagt, wenn er Hunger verspürt. Ob der Löwe im Vorhinein antizipiert und sich sagt: Hey, wenn ich jetzt loslaufe, habe ich spätestens heute Abend eine Antilope auf dem Teller … Das hängt vom jeweiligen Löwen ab. Es hängt davon ab, mit welcher Bereitschaft er den zunehmenden Hungerdrang aushält, aber auch, ob er beispielsweise durch eine Löwin abgelenkt ist. Ablenkung und Verdrängung sind bewährte Mechanismen in der menschlichen Natur und sie haben auch einen die Psyche schützenden Zweck, etwa wenn einen Menschen eine bestimmte Hürde seelisch überwältigen würde.

Die Psyche hinter Aufschieberitis

Löwe trockenes Gras

Auch der Löwe „prokrastiniert“. © Mitchell Fitzsimmons under cc

Unter dem Denkmantel verschiedenster kreativer Ausflüchte macht der Prokrastinierende sich selbst und den anderen weis, dass diese oder jene Tätigkeit besser am morgigen Tag zu erledigen wäre. Das Aufschieben kann zu einem vermehrten Stresserleben führen, da man die anstehenden Erledigungen ja unterschwellig verdrängen muss. Die Angst, am Ende das Pensum nicht zu schaffen, wächst und kann zudem für unterschwellige Panik im Inneren sorgen. Prokrastination kann soweit gehen, dass man die Aufgaben in der Schule, im Studium oder auf der Arbeit nicht schafft und einem dadurch Nachteile für den Lebensweg entstehen. Aber um Prokrastination effektiv angehen zu können, muss man den Feind in seinem Inneren zunächst verstehen lernen. Hier sind einige zugrundeliegende psychische Zusammenhänge in Bezug auf die Prokrastination.

Du bist überfordert von den negativen Gefühlen

Die Arbeitsaufgabe, die vor uns liegt, überfordert uns emotional. Und ich sage bewusst emotional, nicht kognitiv. Prokrastination hat nämlich nichts mit dem kognitiven Leistungsvermögen zu tun. Eine Arbeitsaufgabe kann uns in mehrerlei Hinsicht emotional überwältigen. Zum Beispiel kann die Angst vor der Angst eine Rolle spielen. Stellt man sich der Aufgabe, geht diese quasi an, kann das eigene Angsterleben, die Aufgabe nicht schaffen zu können, so immens sein, dass man sogar eine Angst vor dieser Angst entwickelt. Man möchte schlichtweg diese unangenehmen Gefühle nicht aushalten. Die heißkalte Panik. Das Schwitzen, sobald man eine Schwierigkeit bei der Erfüllung der Aufgabe wahrnimmt. Die innere Stimme, die einem nur allzu bereitwillig einflüstert: „Siehst du, du packst das einfach nicht.“ „Du wärst mit einem anderen Beruf besser dran gewesen.“ „Nie bringst du etwas zu Ende.“ „Immer überschätzt du dich.“ „Jetzt fliegst du auf und alle merken, dass du nichts drauf hast.“

Ordne den Stellenwert der Aufgabe richtig ein

  • Sage Nein zu der inneren Stimme. Sei vorsichtig, wie du zu dir selbst sprichst. Immer wertschätzend!
  • Analysiere deine Gefühle beim Aufschieben und deren mögliche Ursprünge, zum Beispiel in einem Tagebuch, und spreche mit jemandem darüber (Freund, Familie, Therapeut, Selbsthilfegruppe).
  • Sorge für Entspannungsphasen: Yoga etc.
  • Belohne dich mit etwas: abends Essen gehen etc. Binde die Aufgabe in dein Leben ein und sage nicht: „Wenn ich das erst erledigt habe, erst danach geht mein Leben wieder los.“ Dadurch machst du die Aufgabe größer, wenn du ihr einen solchen Stellenwert einräumst. Sie wirkt bewältigbar, wenn du ihr zwar gemäß des Aufwandes ausreichende Zeitfenster gewährst (Bsp. 8 h Arbeitstag), am frühen Abend aber noch anderen Facetten deines Lebens nachgehst. Aber: Deine Freizeitgestaltung darf deine Leistungsfähigkeit am nächsten Tag nicht beeinträchtigen!

Das Problem ist die Selbstregulation, nicht das Zeitmanagement

Fahrrad Kaminsims Karton

Warum Prokrastination keine Faulheit oder Trägheit ist: selbst wenn das Fahrrad mit einem Ausflug lockt. © Seth Vidal under cc

Du hast Schwierigkeiten, die Gefühle und Ängste, die du im Vorhinein in Zusammenhang mit der Erledigung der Aufgabe antizipierst, zu beherrschen. Dadurch entsteht eine mangelnde Selbstregulation. Beinahe ist es so, dass dein emotionales Erleben in Zusammenhang mit einer Prokrastination wie abgestumpft ist. Das Innere ist emotional abgeschottet, während viele Prokrastinierende im Außen wie angeknipst agieren und sich vielleicht sogar emotional über den Arbeitsaufwand erheben (Bsp. „Das schaffe ich locker auch später. Ist doch ein Klacks.“) Sie gehen von einer Party auf die andere, stürzen sich in ihren Nebenjob, putzen die Wohnung oder müssen noch der Nachbarin beim Einkaufen helfen.
Auf die Art wird die emotionale Anspannung ein Stück weit vermindert, weil man ja etwas Sinnvolles macht (ja, auch Party kann fürs Leben sinnvoll sein), aber der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der Prokrastination wird nicht angegangen. Statt dich um den Auslöser zu kümmern, machst du Übersprunghandlungen. Je weiter du dieses Spiel treibst, desto mehr wird das Problem der mangelnden Selbstregulation in Bezug auf deine negativen Gefühle zu einem tatsächlichen Zeitmanagement-Problem. Erst wenn es unangenehmer ist, die Aufgabe aufzuschieben, als diese zu erledigen, schaffen es viele Prokrastinierende zu starten. Versuche, diesen Punkt gedanklich für dich früher zu setzen, indem du dir verstärkt bewusst machst, wie hektisch die Erledigung bei Zeitknappheit wird.

Ebne den Aufgabenberg zu bewältigbaren Hügeln

  • Breche frühzeitig die Aufgabe in Teilaufgaben herunter, damit du den Berg der psychischen Mehrlast in kleine Hügel unterteilst. Gewähre dir ausreichend Zeitpuffer.
  • Mit jedem Hügel, den du bestehst, steigt deine Selbstwirksamkeit in Bezug auf die Aufgabenerledigung.
  • Vermeide es, während der Absolvierung der Hügel über den kompletten Aufgabenberg nachzudenken, gehe stattdessen stoisch und fokussiert Hügel für Hügel an.

Verstehe, dass Prokrastination eine Form des Selbstboykotts ist

Waldweg dichter Wald

Gehe voran, egal wie schwierig dir der Weg auch erscheinen mag. © Henry Burrows under cc

Zum Abschluss des Artikels möchte ich dir diese Wahrheit mit auf den Weg geben. Prokrastination ist eine Form der Selbstsabotage. Du boykottierst dich lieber selbst, anstatt dass die unangenehme innere Stimme, die wahrscheinlich aus deiner Kindheit stammt und zu deiner eigenen inneren Stimme geworden ist, recht haben könnte. Du sabotierst dich und dein Leben im Voraus, damit du nicht Gefahr läufst, dir bei einem eventuellen Misserfolg eingestehen zu müssen, dass du tatsächlich nicht gut genug sein könntest. Doch eigentlich muss es in anderer Hinsicht gedanklich gerade gezogen werden. Letztendlich hättest du so oder so einen Misserfolg zu verbuchen: 1. Wenn du die Aufgabe nicht angehst. (Dann ist es im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung: „Ist ja auch klar, ich habe ja auch nichts für die Prüfung gelernt.“) 2. Wenn du sie angehst und scheiterst. („Mist, ich habe gelernt und mich angestrengt und habe trotzdem nicht bestanden.“) Das Ergebnis ist letztlich das Gleiche. Die unangenehmen Gefühle beim Versagen (trotz des Lernens für die Prüfung, ergo Variante 2) können verarbeitet werden. Sie verklingen irgendwann. Dagegen bleibt das instinktive Wissen, es gar nicht erst versucht zu haben (ergo Variante 1), ein Leben lang bestehen.

Finde einen Mittelweg zwischen Fleiß und Perfektionszwang

  • Finde einen guten Weg der Selbstfürsorge. Lerne, dich zu lieben und dich als einzigartigen Menschen mit einer einzigartigen Charakterkombination und Lebenserfahrung anzunehmen.
  • Erprobe verschiedene Strategien, aber schelte dich nicht für Fehler. Jede Lektion bringt dich weiter, egal wie du die Dinge angehst und welche Fehler folgen. Alles ist besser, als es gar nicht erst zu versuchen.

Der Unterschied zwischen langfristig erfolgreichen und nicht erfolgreichen Menschen ist, dass die erfolgreichen nach einem Misserfolg beharrlich weitergemacht haben.

  • Das Leben ist ein beständiger Wechsel aus anstehenden Problemen und deren Lösungen. Für jeden Menschen. Finde dich mit dem Fluss des Lebens ab. Gehe die notwenigen Schritte, entspanne dich, und vertraue darauf, dass es gut werden wird. Falls ein Misserfolg kommt, solltest du lernen, ihn emotional mit Abstand zu dir zu verarbeiten und dein Selbst nicht abzuwerten.
  • Erfahre, das Gefühle aushaltbar sind. Gefühle können wahrgenommen werden, aber man muss seine Handlung nicht nach ihnen ausrichten. Sie gehen vorüber.
  • Gehe klar voran. Vertraue auf deinen Weg. Du bist genau da, wo du sein sollst.
  • Verabschiede dich von Perfektion. Perfektionsstreben ist unnötiger Ballast, denn Perfektion gibt es nicht.
  • Lerne, den „Reiter“ ins Feld zu schicken, den sensiblen Erschaffer aber zu schützen. Du bist nicht deine Leistung. Das heißt: Grenze dich von deinem Outcome ab und hefte nicht deinen Selbstwert daran.
  • Fake it. Handle so, als ob du keine Probleme mit dem Aufschieben der Aufgabe hättest.
  • Setze dich wie ein Arbeitsroboter einfach an den Schreibtisch ran, agiere, ohne nachzudenken. Jeder Mensch verspürt die Blockaden der Unlust, viele haben aber gelernt, diese zu übergehen. Nur dadurch kommst du in den Arbeitsflow.

Jede neue Gewohnheit ist ein Erfolg!

Es sind die einzelnen Schritte, die du tun kannst, um verstehen zu lernen, warum Prokrastination keine Faulheit ist. Sobald du ehrlich und liebevoll aufrichtig im Umgang mit dir selbst bist, kannst du deinen Weg gehen und Prokrastination für dich zu einem immer kleiner werdenden Problem werden lassen. Nämlich dann, sobald du gegenteilige Erfahrungen machst und Stück für Stück neue Gewohnheiten etablierst. Bleibe sorgsam im Umgang mit dir. Viel Erfolg!