Schuldgefühle

Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch. (Hölderlin) © A_Peach under cc

Irgendwann haben Sie mal etwas falsch gemacht. Ohne böse Absicht, einfach ein dummer Fehler, hätte jedem passieren können, aber er ist nun mal Ihnen passiert. Fällt Ihnen da was ein? Bleiben Sie bei dem „Oh nein“-Gefühl und dann stellen Sie sich vor, dieses miese Gefühl würde Sie von nun an ständig begleiten. Nicht etwa, weil Sie etwas falsch gemacht hätten, sondern einfach so das Gefühl haben, Sie hätten etwas falsch gemacht. Dass die anderen böse auf Sie sein könnten, ist dabei nicht der Punkt, die haben ja Recht, Sie sind ja die Überkrähe. Aber eben immer. Bemerkt jemand ihm sei kalt, knallt in Ihnen die Peitsche, weil Sie das erstens, nicht bemerkt und zweitens, nicht verhindert haben. Mal wieder alles falsch gemacht, zum zigsten mal. Dass sich das in schweren Fällen bis in einen Schuldwahn steigern kann – man könnte dann meinen, man sei Schuld an der Corono-Pandemie, technisch sind das schwere Depressionen mit psychotischen Episoden – ist manchen vielleicht bekannt, aber das andauernde Gefühl der Schuld und die generellen Ansprechbarkeit für Vorwürfe ist auch dann nagend, wenn es nur auf das reale und enge Umfeld beschränkt ist. Die machen ja nur einen Teil des Ganzen aus.

Suizidalität

Depressionen sind gefährlich, weil man in der Gefahr steht, sich das Leben zu nehmen. Im Zweifel den Rettungswagen rufen oder in eine Klinik gehen, dort werden Sie immer und sofort aufgenommen, wenn Sie mit dem Gedanken spielen, sich das Leben zu nehmen. Für das Umfeld ist es wichtig zu wissen, dass Sie jemanden, der mit dem Gedanken spielt nicht triggern können, wenn Sie ihn klipp und klar darauf ansprechen. Wenn Sie das Gefühl haben, jemand könne sich umbringen, fragen Sie nach.

Was man wissen sollte: Hinweise auf einen Suizid sind immer ernst zu nehmen! Wenn jemand nur vage Andeutungen macht, ist es vielleicht nicht so schlimm. Behalten Sie es im Auge. Je konkretere Pläne es gibt, um so größer ist die Gefahr, weil daran zu erkennen ist, dass sich jemand schon ernsthaft und konkret mit dem Thema beschäftigt hat.

Suizidalität als Lebensform ist ein Sonderfall, den Sie nicht zwingend unterscheiden können müssen, aber es schadet nichts, wenn man es mal gehört hat. Im Rahmen mancher Erkrankungen, vor allem der Borderline-Störung, wird nicht selten damit gedroht, sich umzubringen, oft sehr theatralisch und manchmal mit echten Suizidversuchen. So schrecklich das ist, diese sind in der Regel nicht ernst gemeint, sondern sollen dem anderen zeigen, was passiert, wenn man nicht mitspielt. Aber auch diese Versuche können mehr oder weniger unbeabsichtigt schief gehen und Menschen versterben daran. Dies ist ohne Therapie nicht aufzulösen und jede Form der akuten Selbstgefährdung ist ein Notfall, für dem man den Rettungswagen der 112 rufen sollte. Folgen Sie auch dem Hinweis meiner Kollegin, zur Suizidprävention.

Die Suizide der Depressiven sind in der Regel ohne jede Theatralik, manchmal ohne jeden Hinweis, sie sind leise aber todernst gemeint und daher gelingen sie oft. Jemand geht still aus dem Haus und kommt niemals wieder. Das ist die große Gefahr bei Depressionen, je schwerer sie sind, umso schlimmer.

Dazu wieder Schlecky Silberstein:

„Bin ich geheilt aus der Klinik gegangen? Die Antwort klingt leider nach einem bärtigen Ninja-Meister: Das hängt davon ab, was Du als geheilt bezeichnest. Die Krankheit hat sich nicht in Luft aufgelöst und das wird sie auch nie. Ich weiß jetzt allerdings, dass es einen Ort gibt, an den ich gehen kann, wenn mich alle Hoffnung verlässt. Bislang war mein täglicher Begleiter die ständige Angst davor, mich früher oder später doch wieder wie ein Ertrinkender zu fühlen. Wenn wir beim Bild des Drachen bleiben: Er kann mich maximal bis in die Klinik jagen, aber nicht weiter. Leider suchen viel zu viele den anderen, irreversiblen Ausweg, ohne jemals die Chance einer Klinik ausprobiert zu haben, weil sie völlig falsche Vorstellungen davon haben.“[2]

Viele Gesichter, viele Schweregrade

Es gibt weitere Symptome, aber besser ist es, die wenigen wichtigen zu behalten. Depressive Menschen sind nicht mal gerade ein wenig traurig, müde und lustlos im üblichen Sinne. Richtig hart ist, dass sie irgendwann buchstäblich nichts mehr fühlen, alles nur noch ein grauer, unbezwingbarer Nebel ist ist man sich außerstande sieht auch irgendwas dagegen zu machen und nicht das Gefühl hat, dass es jemals wieder besser werden wird.

Neben den Symptomen gibt es verschiedene Schweregrade und theoretische Neueinordnungen. Wichtig sind die Schweregrade. Eine leichte reaktive Depression, die neuerdings Anpassungsstörung heißt, kennen wir alle, wenn sich unser Leben dramatisch verändert hat, wodurch auch immer.

Mittelschwere und schwere Depressionen sind den meisten Menschen unvorstellbar, eine große Gnade. Bei der Depression hilft es nämlich wenig bis nichts, wie großartig das Leben nach allgemeinen Maßstäben aussieht. Ob man eine glückliche Partnerschaft, Wohlstand bis zum Reichtum, Gesundheit, Schönheit oder Erfolg hat, das alles zerfällt zu Staub, wenn man von einer knackigen Depression erwischt wird. Und knackig heißt, mittlerer Schweregrad und aufwärts.

Man kann nicht immer helfen, aber sehr häufig

Bleiben wir Realisten. David Foster Wallace, ein Genie und medizinisch sicher bestens versorgt, hat den Kampf verloren. Es gibt grausam schwere Formen der Depression, bei denen die Betroffenen alle Restenergie darein legen, sich das Leben zu nehmen, auf Wegen, über die man nicht sprechen will. Aber das Spektrum der Depressionen ist breit, sehr breit und das heißt, dass man sehr häufig helfen kann.

Wie so oft ist Information der erste Schritt und Depressionen besser verstehen heißt, die Informationslage zu verändern. Je schneller man sieht, was mit einem selbst oder anderen los ist, umso besser. Man kann sich darüber streiten, ob und wie weit Depression nun eine Stoffwechselstörung ist oder erlernte Denkmuster oder was auch immer, allein, das hilft keinem, außer, wenn man sich als Betroffener mit einem diese Erklärungsansätze extrem (un)wohl fühlt. Schon bei Wikipedia sind aktuell 16 verschieden Ursachen aufgeführt, was einerseits verwirrend ist, aber zugleich eine Chance bietet.

Es ist wie bei den Schmerzen und so vielem anderen: Wo viele potentielle Ursachen gefunden werden, gibt es viele potentielle Lösungen. Wem Weg A nicht passt, der hat noch 15 weitere zur Verfügung. So wie man meistens nicht von einem Ereignis herab gezogen wird, aber wenn acht Dinge gleichzeitig schief gehen man schon mal in die Knie gehen kann, so gibt es auf der anderen Seite eben auch das, was ich gerne Aufwärtsspiralen nenne. Synergieeffekte: Macht man eines, merkt man nichts, nimmt man etwas anderes dazu auch nicht, dann noch was und noch was und irgendwann verändert sich etwas und wenn dieser Effekt einsetzt, kann er immer stärker und schneller werden.

Sprechen wir kurz darüber: Psychotherapie und Medikamente gelten als der therapeutische Goldstandard. Beides! Dem einen hilft das eine mehr, dem anderen das andere, man kann schauen, wie es einem selbst geht, man selbst ist der Gradmesser.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten die zusätzlich helfen können, die depressive Menschen probieren können, in jedem Fall in Absprache mit Therapeuten oder Ärztinnen, die dafür offen sind. Weil es so viel ist, nur kurze Stichwörter oder Erklärungen:

  • Sie sind nicht allein. Es ist im Notfall immer jemand für Sie da und sie haben jedes Recht der Welt darauf Hilfe in Anspruch zu nehmen.
  • Sie sind nicht allein. Es geht sehr vielen Menschen so wie Ihnen.
  • Erlauben Sie sich, glücklich zu sein. So simpel, wie manchmal effektiv. Kleben Sie sich an alle möglichen Stellen Ihrer Wohnung blaue Punkte, die Sie jedes mal daran erinnern, dass Sie es verdient haben ein glücklicher Mensch zu sein. Erinnern Sie sich jedes mal daran.
  • Bewegen Sie sich, so oft es geht. Bewegung setzt Dopamin frei, ein anderes biologisches Glückshormon und Bewegung tut einfach jedem gut. Hat man Schmerzen, erst recht.
  • Setzen Sie sich kleine und kleinste Ziele, bei deren Erreichen Sie (Sie allein bestimmen das!) dennoch stolz auf sich sein können. Das sind realistische Ziele. Versuchen Sie diese Ziele zu erreichen. Gönnen Sie sich diese Erfolge. Machen Sie sich klar, dass es Erfolge sind.
  • Versuchen Sie Stressoren abzustellen. Erst mal wieder zu sich kommen, nicht mehr funktionieren.
  • Versuchen Sie ihren Lebensstil wieder mehr natürlichen Rhythmen anzugleichen.
  • Wenn Sie keine Medikamente wollen, schauen Sie ob Johanniskraut eine Alternative für Sie sein kann, aber informieren Sie sich über die Art Zubereitung.
  • Lesen Sie Bücher und Berichte von Menschen, die die Depression überwunden haben oder mit ihr klar kommen.
  • Schauen Sie, ob Meditation etwas für Sie ist.
  • Probieren Sie, ob eine Ernährungsveränderung Ihnen etwas bringt.
  • Sie haben es verdient ein glücklicher Mensch zu sein.
  • Nein, Sie sind nicht schuld daran, dass die Welt so ist, wie sie ist.
  • Wenn Ihre bisherige Versuche keinen Erfolg brachten, überlegen Sie, ob Sie andere Wege probieren. Was würden Sie im schlimmsten Fall verlieren? Denken Sie an die Möglichkeit der Aufwärtsspiralen.
  • Nein, Sie sind nicht schuld daran, dass andere Menschen so sind, wie sie sind.

Schlecky Silberstein (hier sein ganzer Text) soll das Schlusswort haben:

„In der Klinik habe ich auch gelernt, dass es keine falschen Menschen gibt.“[3]

Quellen