Da ist es nicht schlecht, wenn man aus all dem die Luft lassen kann und Innenwelten insgesamt mit dem Siegel privat, nachgeordnet und nicht wirklich existent versieht. Dieses Weltbild zieht einen mächtigen Bannkreis um alle Arten von Innerlichkeit, auf die es irgendwie nicht ankommt. Depressionen, Psychosen und alles weitere sind dann fehlgeleitete Hirnchemie, ein materielles Ungleichgewicht. Woher das kommt, weiß keiner, braucht auch nicht näher zu interessieren, solange man es reparieren kann. Die Frage nach dem tieferen Sinn ist damit auch beantwortet, es gibt ihn einfach nicht. Das ist die Konsequenz: Ein entqualifiziertes Universum, ohne Sinn und Ziel und man muss lernen, mit dieser Variante irgendwie klar zu kommen. Das ist keineswegs immer so leicht, wie es sich anhört und anfühlt. Wenn das Leben halbwegs rund läuft mag das noch klappen, doch auf die Frage nach dem ‚Warum?‘ gibt es in dem Bild vom großen Lotteriespiel keine Antwort, außer, dass eben auch Nieten im Spiel sind, die einer eben ziehen muss.
Magie ist im Grunde, auf den späteren Stufen ein bewusster Weg in die Psychose, besser in die auch psychotischen Bilder. Mit dem Unterschied, dass der Magier sie steuern kann. Dafür auch die langen Vorübungen, in denen man Selbstkontrolle lernen soll. Auch beim Zazen, einer mystischen Praxis, ist es ähnlich. Es gibt Erfahrungen der Einheit, aber eben konstant verbunden und geerdet durch Praktiken der äußeren Einfachheit und Struktur. Boden schrubben, den kargen Besitz in Ordnung halten, praktisch und körperlich arbeiten. Das hilft auch bei einer manifesten Psychose, die in allem Leid auch immer noch verlockend erlebt werden kann. Daran sieht man, ein Spiel mit dem Feuer und ein Eintauchen in eine wirklich andere Welt.
Die Erfahrungen, die man dort machen kann wirken jedoch erstaunlich real und das sind sie ja auch. Es gibt diese Erfahrungen, die andere Frage ist, wie sie nun zustande gekommen sind. Magie ist eine der Praktiken, ein Weg in diese Welten und es gibt andere. Neuerdings (erst) werden luzide Träume ernst genommen, es gibt Wege über Drogen, bestimmte Atemtechniken, man Nahtoderfahrungen und so weiter. Keine der Erklärungen die es gibt, sind aktuell sonderlich überzeugend, das muss man aushalten.
Das Ende der Geschichte 2.0
Wenn die Fokussierung allein auf die Rationalität es offenbar nicht fertig bringt uns weiter zu führen und inzwischen an mehreren Stellen, wie in der Bewusstseinsforschung, in der Kosmologie, aber auch im alltäglichen Leben auf der Stelle tritt, was fehlt? Was könnte der nächste Schritt sein?
Zunächst einmal das Sacken der Erkenntnis, dass die Stimme der Vernunft ihre Grenzen hat und immer wieder von unbewussten Aspekten untergepflügt wird, wie Freud im Grunde schon wusste und wie Kernberg noch mal deutlich unterstrich. Elemente des Irrationalen sind nicht aus der Welt zu drängen, ganz augenscheinlich sehen wir es an der erstaunlichen Beliebtheit, der sich diverse Verschwörungstheorien derzeit erfreuen. Diese haben große Ähnlichkeit mit den ungesunden Formen des magischen Denkens. Da ist die große, alle Fäden in der Hand haltende Macht im Hintergrund. Es gibt nicht den einen Grund diese Ideen attraktiv zu finden, sondern wie so oft ein ganzes Bündel.
Nun stellt sich die Frage müssen die alten Segmente der Psyche alle mit eingebunden werden? Haben wir von archaisch bis integral immer die ganze Palette der Stufen der Entwicklung mit an Bord? Wilber selbst schreibt, dass wir einige Strukturen mitschleppen, auch wenn diese bewahrt und negiert werden, während wir andere hinter uns lassen. Ein relativ durchgehendes Element der Psyche scheint aber auf allen Stufen die Sehnsucht nach Außeralltäglichem zu sein, also jenen Verschmelzungen und Einheitserfahrungen die immer wieder gesucht werden, ob bewusst oder unbewusst.
Unsere Gesellschaft ist nicht homogen, sondern ziemlich aufgesplittet in diverse Subgruppen, die sich horizontal aber auch vertikal in ihrer Entwicklung unterscheiden. Man dachte, die rationalen Elemente würden sich nach und nach durchsetzen, aber Rationalität allein macht nicht jeden satt, auch wenn man mit Begeisterung forschen und Erkenntnisse sammeln kann. Aber Rationalität, darunter fällt nicht nur der Glanz der Vernunft, in ihrer Freiheit und der Fülle all ihrer kreativen Möglichkeiten, sondern auch die Zweckrationalität, die Bürokratie und die nervenden Überstrukturierungen gehört dazu. Zum Teil muss das sein, aber es kann schnell zu viel werden, vor allem wenn man keinen Ausgleich hat.
Ausgleich heißt konkret, dass Individuum muss sich entspannen dürfen und aus dem Fokus der Aufmerksamkeit treten können, den es sich als Ausweg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit selbst verordnet hat. Die Regression bis zum Faschismus oder der Drogenkonsum bis zur Zerstörung von Körper und Psyche sind die beiden schlechtesten Wege, hin zu einer,dann schwer regressiven Einheit. Entspannende Gruppenerfahrungen kann man jedoch rituell inszenieren und damit auch begrenzen. Darüber hinaus gibt es individuelle Möglichkeiten, die wir im ersten Teil vorstellten.
Aber was wäre, wenn Einheit unser Hintergrund wäre? Wenn Einheit gar nichts ist, was man schaffen oder beschwören muss, sondern bereits da ist? Die Mystiker, so gut wie aller Traditionen sagen uns genau das. Das kann gewiss zu süßlich und ‚esoterisch‘ interpretiert werden – eigentlich ein Widerspruch in sich, denn Esoterik meint den kleinen, inneren Kreis – aber das ist nicht schlimm, da längst nicht alle Menschen die Erkenntnisse der Mystiker fassen können. Aber selbst in dieser vereinfachten Form wird die Idee einer inneren Verbundenheit transportiert.
In der anspruchsvollen Version liegt keine vordergründige Tröstung. Da erscheint kein Engel, der uns final bei der Hand nimmt, es ertönen keine Fanfarenklänge, kein Tusch begleitet die Erleuchtung. Es ist schlanker: Genau hier und jetzt, bei diesem Atemzug, was fehlt mir da? Wenn ich jetzt ganz in diesem Moment bin, was fehlt?
Es mag der Einwand kommen, dass man das sehr genau sagen kann, gefolgt von einer Liste mit 50 Punkten. Die Antwort wäre jedoch, dass das Einwände des rationalen oder emotionalen, zeitlich entfalteten Ich sind. Zu wenig Geld, Freunde, Ansehen, zu viele Schmerzen, Depressionen und Ängste. Das kann durchaus einbrechen in diese Außeralltäglichkeit. Diese Anderswelt, die wo genau eigentlich ist? Ist das reine Phantasie? Probieren Sie es mal aus, es kostet nichts, nicht mal viel Zeit. Erleben Sie diesen Atemzug ganz bewusst, nur diesen. Wenn Sie meinen, es sei nicht gelungen, dann eben den nächsten. Wenn dies und das auf Sie einstürmt, warten Sie, bis der Sturm sich etwas legt und bleiben Sie beim Atem. Was fehlt?
Irgendwann werden Sie zu dem Punkt kommen, an dem Sie vielleicht sagen können, dass gerade jetzt nichts fehlt. Danach mag alles wieder so schön, mittelmäßig oder schlimm sein, wie zuvor. Aber es geht um diesen einen Moment, in dem nichts fehlt. Nur einen bewussten Atemzug lang, wobei es weniger auf den Atem, sondern auf das offene oder leere Bewusstsein ankommt. Wenn Sie das einmal erleben konnten, können Sie es auch noch mal, für einen weiteren Atemzug. Vielleicht gelingt es auf Anhieb, vielleicht auch erst etwas später. Egal wann, was Sie damit tun, ist zu meditieren. Offen sein und erst mal alle Gedanken ins Leere laufen lassen. In diesen Momenten können Sie erleben, dass in einigen davon nichts fehlt. Niemand kann Sie daran hindern, dies wieder und wieder zu erleben. Wie kommt das eigentlich? Eine Theorie ist, dass die Leere der Hintergrund aller Erfahrungen ist. Wenn Sie das wieder und wieder erleben, können Sie loslassen und sich in diese Empfindung hineinfallen lassen. Sie können diesen Hintergrund immer wieder durchschimmern lassen, indem Sie sich desselben bewusst werden. Sie können diese Empfindung selbst ausbuchstabieren, aber oft wird sie als Einheit beschrieben. Ich bin in allem. Alles ist in mir. Sagen ein Sufi-Mystiker. Alles Karma verschwindet mit einem Mal, heißt es im Zen. Das ist nicht unendlich weit weg, sondern zum Greifen nahe, nur einen Atemzug entfernt. Ohne Fanfaren und Engel, aber eben sehr leicht erreichbar. Was das für Sie bedeutet und was Sie draus machen, steht auf einem anderen Blatt.
Auf eine Art ist das das Ende der Geschichte 2.0. Gleichzeitig geht es weiter, weil der Fortschritt nicht aufhört. Die Welt wird sich weiter verändern, neue Berufe, neue Technik und Lebensformen, an die man sich anpassen muss. Wilber fasst die Aussagen vieler Mystiker quer durch die Kulturen und Jahrhunderte zusammen und kommt zu dem Schluss, dass es auf der anderen Seite der Entwicklung des Bewusstseins ein Ende gibt, das – vorgeschriebener Platz hin oder her – in der Erleuchtung seine Erfüllung findet, die uns eins mit allem sein lässt. Wenn das zu bombastisch klingt, es ist genau die Erfahrung, dass nichts fehlt.
Wieviel Einheitserfahrungen brauchen wir? Das ist verschieden, bei manchen reicht eine, andere brauchen mehr. Eins mit allem und allen heißt nicht, dass alles sorgenfrei ist und eine große Party, eins mit allem heißt eben mit dem ganzen Spektrum. Wer bin ich eigentlich nicht? Irgendwann stellt sich auch die Frage, was ich eigentlich davon habe. Nichts, denn das Ich gilt es hinter sich zu lassen, mindestens die Egozentrik. Hier gilt es auszubalancieren, was das nun für mich bedeutet und was nicht. Viel spricht dafür, dass unsere Sicht als vereinzelte Individuen eine lediglich antrainierte Sicht ist, die jedes Jahr mehr revidiert wird. Das Ende der Geschichte 2.0 heißt dieser Entwicklung und Revision ruhig auch kognitiv nachzugehen und gleichzeitig auf die Praxis diverser Einheitserfahrungen nicht zu verzichten. Sie kennen nun viele, die vermeintlich sehr einfache Übung am Ende, ist in Wahrheit eine der kraftvollsten. Das ist dann die praktische Arbeit im Wilber-Combs-Gitter, der Abbildung.