Es gibt Ereignisse, die mit der Wucht einer inneren Bombe in unser Leben einschlagen, so dass unsere Welt in Trümmern liegt.
Ein ziemlich hohes Erregungslevel gehört offenbar zu so gut wie allen Phänomenen der letzten Jahre dazu, nicht selten in Bereichen, bei denen lediglich die Komfortzone eines Ichs angekratzt ist, dass sich selbst zum Nabel der Welt erklärt hat. Doch die Bombeneinschläge in die innere Welt liegen jenseits der Komfortzone. Während bei der allgegenwärtigen Erregung und Empörung das Geschnatter und Selbstwichtigkeit dominieren, bringt manches Ereignis alles aus dem Gleichgewicht und bricht mit der Gewohnheit.
Es bleibt etwas zurück, ein Knacks, wie Roger Willemsen es schriebt, zumindest wissen wir intuitiv, dass ab jetzt etwas anders ist. Unser Leben wird nicht so weiter gehen und vielleicht nie wieder so werden, wie vor diesem Ereignis.
Wenn unsere Welt in Trümmern liegt
Da ist natürlich der unerwartete Todesfall eines nahen und geliebten Menschen zu nennen. Wenn das eigene Kind stirbt. Wenn die Eltern eines Kindes jung sterben. Wenn ein Lebenspartner oder sehr enger Freund stirbt, bei einem Unfall, an einer plötzlichen schweren Krankheit oder einfach zu früh und oft besonders verheerend für die Hinterbliebenen: wenn ein naher Mensch sich selbst getötet hat.
In all diesen Fällen sind wir geschockt und nach dem Knall wird erst einmal alles still. Fassungslosigkeit und Entsetzen machen sich breit, unser Lebensfluss ist unterbrochen und wir wissen nicht was ist und was kommen wird. Wir wissen auch nicht, was wir jetzt tun sollen.
Eine andere gravierende Erschütterung ist das Ende einer langen Beziehung. Das ist immer ein Trauma, eines, was von einigen nie so ganz überwunden werden kann. Wir sind Beziehungswesen und so ist das Wegbrechen einer bedeutenden Beziehung immer eine Katastrophe. Besonders auch für Kinder, etwa, wenn die Eltern sich scheiden lassen. Was gerne rationalisiert wird und in manchen Fällen unausweichlich ist, wenn es einfach nicht funktioniert, ist sogar noch für erwachsene Nachkommen traumatisch. Auch hier können Leere, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit die Folge sein.
Sehr erschütternd kann es sein, wenn man feststellt, dass das Leben in irgendeinem Aspekt völlig anders ist, als man dachte. Wenn man sich in irgendeiner gravierenden Auffassung über das Leben, ein Ideal oder einen Menschen getäuscht hat. Wenn man denkt, man führe eine tolle Beziehung und erfährt, dass der Partner seit Jahren fremd geht, die Kinder missbraucht oder das Leben auf einer Lüge errichtet wurde, die nun zusammenfällt. Eine plötzliche, heftige und schmerzhafte Erfahrung, die übrigens auch bei Psychotherapien erscheinen kann, wenn man sein Selbstbild revidieren muss. Der Durchbruch und die Erkenntnis sind der eine Pol, aber da ist dann eben auch der andere, die Erschütterung über das, was da in Trümmern vor einem liegt.
Das Wegbrechen der wirtschaftlichen Existenz, an der bei uns so viel hängt, ist natürlich dementsprechend schlimm, weil damit oft auch der soziale Status zusammen hängt. Wir leben in einem Staat der den Wert von Menschen nicht unwesentlich an ihrem Einkommen und Besitz misst. Wenn das von jetzt auf gleich zerronnen ist, weil eine gut gehende Existenz dahin ist, durch Corona, durch eine Firmenpleite oder Rationalisierung, ist das ebenfalls oft heftig und schambesetzt, selbst wenn man gar nichts dazu kann. Gar nicht so wenigen Rentnern geht es ebenfalls so, dass sie, wenigstens gefühlt, über Nacht ihren Status verlieren, wesentliche Teile ihres Lebens und es versäumt haben, sich eine neue Betätigung frühzeitig aufzubauen. Vielen fallen nach kurzer Zeit in ein tiefes Loch, es wird nur nicht oft drüber gesprochen.
Vielleicht die vernichtendste Situation ist es, wenn man eine ärztliche Diagnose erhält, die offenbart, dass man sehr schwer krank ist, es werden wird oder gar tödlich erkrankt ist. Der Boden wird einem unter den Füßen weggezogen wenn man auf einmal hört, dass man nur noch ein paar Wochen oder ein halbes Jahr leben wird.
Was tue ich jetzt noch, was lasse ich? Nur noch die wirklich wichtigen Dinge? Nur noch das, was mir Spaß macht? Aber was macht jetzt noch Spaß und macht es den gleichen wie eben noch, als man seine Diagnose noch nicht kannte? Und was ist wirklich wichtig im Leben? Auch eine plötzliche psychische Erkrankung kann das Leben radikal verändern. Eine Psychose, eine heftige Angsterkrankung oder der bleischwere Deckel einer Depression, die sich über das ganze Leben legt.
Alles wird still
Im Angesicht wirklicher Katastrophen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es für uns nichts mehr zu tun gibt. Jedenfalls nicht, was diese Explosion in unserem Inneren angeht. Es gibt kein Zurück mehr, das Ereignis ist bereits eingetreten und es kümmert sich nicht darum, ob wir damit einverstanden oder dazu bereit sind. Die Wucht haut uns einfach um, alles wird still. Man schaut irgendwann nach, was überhaupt noch steht.
Wenn es nichts mehr zu tun gibt, dann kann man aber immerhin etwas lassen. Das ist nicht als Gag gemeint, sondern eine durchaus ernsthafte Vorstellung breiterer Teile der Mystik. Das Lassen des Meister Eckhart, des Buddhismus, der psychosomatische Arzt Rüdiger Dahlke empfiehlt es öfter mal der Medizin und ihren Patienten, Dinge einfach zu lassen, statt immer zu machen und auch die inneren Explosionen beenden erst mal unseren Aktionismus. Dieses Lassen heißt aber in Fällen der Katastrophe nicht, dass man etwas freiwillig nicht macht, sondern man wurde in gewisser Weise dazu gezwungen.
„In den Lehren des Buddha hören wird von Ich-Losigkeit. Das hört sich schwer verständlich an. Wovon ist eigentlich die Rede? Wenn die Lehren über Neurosen sprechen, dann fühlen wird uns sofort zu Hause. Davon verstehen wir etwas. Aber Ich-Losigkeit? Wenn wir an unsere Grenzen stoßen und uns bemühen, diesen Bereich wirklich kennen zu lernen – das heißt, dass wir uns trauen, weder in Emotionen zu schwelgen noch sie zu unterdrücken –, dann löst sich etwas Hartes in uns auf. Die bloße Kraft jeder Energie – sei es die Energie des Zorns, die Energie der Enttäuschung oder die Energie der Angst – weicht uns auf. Wenn wir sie nicht in irgendeine Richtung kanalisieren, dann durchbohrt uns genau diese Energie bis ins Herz – und öffnet uns. Das ist die Entdeckung der Ich-Losigkeit. Sie geschieht, wenn all unsere Strategien versagen. An unsere Grenzen zu stoßen ist so, als würden als würden wir eine Tür zu geistiger Gesundheit und zur bedingungslosen Güte der Menschheit entdecken, statt einem Hindernis oder einer Bestrafung zu begegnen.“[1]
Das ist jedoch eine für unser Denken ungewohnte Wendung und geht über übliche Lebenshilfe Konzepte hinaus. Es ist ernst gemeint, in dem Sinne, wie ein Leben gelingen könnte, auch in Krisen. Wir werden hilflos, wenn wir keinen Plan, kein Konzept mehr haben, im Buddhismus wird genau das geübt. Wir wollen die Dinge verstehen, in weiten Teilen des Ostens geht es darum davon abzulassen verstehen zu wollen.
Aber dieses Lassen ist kein passives vergraben, sondern es geht darum, die Qualität dessen was ist genau zu spüren. Dass es noch eine Position dazwischen gibt, ist bei uns eher unbekannt, es fehlen die Begriffe und das Verständnis hier für.