Narzissten und Co-Abhängige sind häufig Gegenspieler in toxischen Beziehungen. Wenn du dich fragst, warum du immer wieder Opfer von Narzissmus wirst, könnte es daran liegen, dass du durch kindliche, familiäre Beziehungsmuster co-abhängig bist. Auch Partner von Suchtkranken stehen zumeist in co-abhängigen Beziehungen zu diesen. Die Beteiligten in co-abhängigen Beziehungen können ganz unterschiedlich sein.
Endet die Beziehung eines Co-Abhängigen zu einem kranken, leidenden beziehungsweise verhaltensauffälligen Menschen, suchen sich die meisten Co-Abhängigen unbewusst wieder einen neuen problembehafteten Menschen und führen ihr Verhaltensmuster fort. Die Prägung in der Kindheit ist der Versuch einer Erklärung, warum Co-Abhängige fortwährend in toxische Beziehungen geraten. Sie kennen es schlichtweg nicht anders und glauben, dass Beziehungen sich in der Form gestalten.
Co-Abhängigkeit: eine Begriffsklärung

Heutzutage sind Frauen weniger abhängig und müssen nicht mehr Opfer von Narzissmus sein. © Paul Townsend under cc
Bricht man es herunter, sind co-abhängige Beziehungsmuster dadurch gekennzeichnet, dass man das Verhalten eines Menschen stark auf sich einwirken lässt. Man lässt sich von diesem kognitiv und emotional beeinflussen und versucht, das Verhalten des anderen zu kontrollieren.
Es gleicht einer Besessenheit, in welcher Co-Abhängige bemüht sind, sich in die Gedankenkreise des anderen einzuarbeiten. Sie spekulieren, welche Annahmen bei dem anderen dahinter stehen könnten, glauben, dessen Verhalten vorhersagen und durch Manipulation eine Kontrolle über das Verhalten des Partners herbeiführen zu können.
Diese Art zu denken, zu leben und Beziehungen zu führen, indem man sich um den anderen stärker zentriert als um sich selbst, ist für Co-Abhängige zu einem natürlichen Muster geworden. Indem sie sich um den anderen kreisen, sind sie das ideale Opfer für Narzissten und werden folglich immer wieder Opfer von Narzissmus. Denn ein narzisstischer Partner fordert die Konzentration auf sich selbst ein.
Co-Abhängigkeit als reaktiver Prozess
Das Verhalten von Co-Abhängigen geschieht nicht im Sinne eines Vorsatzes der bloßen Machterlangung über einen anderen. Nein, vielmehr sehen sich Co-Abhängige zu diesem Verhaltensmuster gewissermaßen gezwungen, weil sie andernfalls den Kontrollverlust über Situationen genauso wie ein schadhaftes Verhalten durch den Partner fürchten. Vor allem in narzisstischen Partnerschaften, in denen verletzende Manipulationstaktiken wie Gaslighting und Co. an der Tagesordnung sind, müssen Co-Abhängige beständig reagieren, um ihren Selbstwert und ihr Wohlergehen einigermaßen schützen zu können.
Co-Abhängige stammen häufig aus desolaten, schädigenden Familienstrukturen und haben sich diese Taktiken als Überlebensstrategien angeeignet. Diese Strategien führen sie in ihren Partnerschaften fort. Dass sie Opfer von Narzissmus sind – und womöglich bereits in der Kindheit schon waren –, merken sie oftmals gar nicht.
Ihr Fokus liegt ganz selbstverständlich eher auf dem problembehafteten Anderen als auf ihrem eigenen Leben. Sie haben für andere Verantwortung übernommen, weil diese für sich selbst keine Verantwortung übernommen haben. Im Zuge dessen haben sie sich dabei selbst aus den Augen verloren, weil sie vom Leben und Treiben anderer übermäßig vereinnahmt sind.
Die Einsicht: Ich bin Opfer von Narzissmus
Da die Co-Abhängigkeit von Kindesbeinen an häufig in ihnen verankert wurde, können sich Co-Abhängige kaum vorstellen, dass man Beziehungen auf anderer Art führen könnte. Jemand, der co-abhängig ist, merkt oftmals erst, dass etwas nicht stimmt, wenn die Probleme im eigenen Leben ihm über den Kopf wachsen. Sie waren so sehr auf den anderen konzentriert, dass sie die Verantwortung für ihr eigenes Leben vollständig hintenan gestellt haben. Mit dieser Erkenntnis lassen sich dann allmählich die toxischen Fänge aus der Kindheit auflösen – manches Mal mit therapeutischer Begleitung, einem Coaching oder mittels Selbsthilfegruppen.
Co-Abhängigkeit als Krankheit?

Als Co-Abhängiger fokussiert man sich mehr auf den Partner als auf sich selbst. © Seth Jackson under cc
Es gibt vereinzelt Bestrebungen in der Psychologischen Intervention, Co-Abhängigkeit als Erkrankung zu definieren. Ähnlich einer Posttraumatischen Belastungsstörung greifen die Denk- und Verhaltensmuster aufgrund von langjährigem psychischen (und ggf. körperlichen) Missbrauch tief und beeinflussen den Betroffenen ein Leben lang. Folglich ließe sich Co-Abhängigkeit als Folge einer andauernden traumatischen Belastungssituation als Beziehungsstörung stärker klinisch definieren und im Zuge dessen der Fokus auf speziell darauf zugeschnittene Interventionsansätze legen.
Der Kern der Genesung liegt in dir
Wie die Schriftstellerin und Ikone der Co-Abhängigkeits-Selbsthilfebewegung Melody Beattie in ihrem Buch Die Sucht, gebraucht zu werden schreibt, liegt der Kern der Definition von Co-Abhängigkeit genauso wie der Kern der Genesung nicht in dem anderen Menschen sondern beim Co-Abhängigen selbst (S. 47):
»… Er liegt in uns, in der Art, wie wir das Verhalten anderer auf uns einwirken lassen, in der Art, wie wir versuchen, auf sie einzuwirken: die Besessenheit, die Kontrolle, das fanatische Helfenwollen, die Sorgen, das schwache Selbstwertgefühl, das an Selbsthaß und Selbstunterdrückung grenzt, das Übermaß an Wut und Schuldgefühlen, die eigenartige Abhängigkeit von eigenartigen Menschen, die Anziehung von Bizarren, die Toleranz Bizarrem gegenüber und die Konzentration auf andere. Dies alles führt zu Selbstaufgabe, Beziehungsproblemen, Intimproblemen und ist eine fortwährende Orkanfahrt …«
Co-Abhängigkeit umfasst viele Bereiche
Co-Abhängige versuchen, durch das Umsorgen des anderen auf ungesunde Weise glücklich zu sein. Diese Annahme ist so weitreichend, dass sie in nahezu alle Lebensbereiche des individuellen Lebens und des partnerschaftlichen Miteinanders greift sogar bis in die partnerschaftliche Intimität. Die Selbstaufopferung bis hin zur Selbstaufgabe kann zu Angststörungen, Depressionen und Suizidgedanken beim Co-Abhängigen führen, außerdem zu Süchten und Gewalttätigkeit.
Im nächsten Teil dieser Artikelserie zur Co-Abhängigkeit erarbeiten wir eine Merkmalscheckliste, die einen Großteil der Bereiche abdeckt, in welche Gedanken, Stimmungen und Verhaltensweisen das Dasein als Co-Abhängiger beziehungsweise als Opfer von Narzissmus führen kann.