Derzeit erleben wir einen kollektiven Ausnahmezustand, der aber individuell sehr unterschiedlich erlebt wird und es führen viele Wege durch die Krise. Wir zeigen einige, Ihren individuellen Weg finden Sie dann bestimmt selbst. Wenn Sie von all dem überfordert sind, können Sie sich jederzeit an Profis wenden, es gibt auch da nach wie vor viele Wege: Etwa diese.
Struktur und Kompetenz zurück gewinnen
Auch innerhalb des Ungewohnten tauchen sehr bald Inseln der Gewohnheit auf. Wir müssen ja weiter Schlafen, Essen, die Wäsche waschen und so weiter. Das sind alles Tätigkeiten, die wir aus dem Alltag auch kennen und beherrschen, die uns ein Stück weit Normalität zurück geben und damit eine Welt, in der wir uns auskennen. Ebenso schnell können wir innerhalb des Unnormalen neue Routinen ausbilden und damit Struktur in den Alltag bringen, an der man sich entlang hangeln kann, wenn man allein ist. Oder solche, die eine gewisse Ordnung in ein Paar oder eine Familie bringen, die nun ungewohnt lange und intensiv bei einander sind. Einfache Regeln, die den Alltag strukturieren, oder mit denen man das aktuell richtige Verhalten einübt, vielleicht sogar spielerisch.
Allein sein und gedrubbelt sein, können jeweils als Belastung erlebt werden, aber das muss keinesfalls so sein. Es liegt immer auch an uns, Die Situation ist für alle ungewohnt, manche haben Angst, bleiben wir deshalb so gut es geht gelassen und freundlich, das schont die Nerven aller Beteiligten und minimiert den Stress.
Sehr viele Deutsche erleben die Zeit aber sogar als Entspannung (in der täglichen Zeit-Online Umfrage, derzeit fast 80%, entschleunigt ist der Begriff, der jetzt Konjunktur hat), weil sie nun endlich mal die Gelegenheit haben, die Dinge zu tun, die sonst immer liegen bleiben, weil eben so viel anderes zu tun war. Welche wären das denn bei Ihnen? Vielleicht das Buch, was Sie doch so gerne lesen wollten, oder einfach mal ausschlafen, vielleicht aber auch Ordnung in die Akten bringen oder den Keller aufräumen. Eine Serie schauen?
Oder wollten Sie schon immer mal etwas anfangen, ein neues Hobby? Mannschaftssport wäre jetzt unpassend, aber die Fremdsprache, oder Handarbeiten oder den Computer besser verstehen? Legen Sie los. Wann, wenn nicht jetzt?
Der weltgrößte Psychologenverband APA, hat folgende eigene Empfehlungen heraus gegeben:
- Nutzen Sie verlässliche Quellen, um sich über das neue Coronavirus zu informieren. Auf dem Laufenden zu bleiben ist wichtig, Pausen aber ebenso. Eine ständige Beschäftigung mit Corona-Meldungen kann ebenso verunsichern und Ängste schüren wie Falschmeldungen.
- Gestalten Sie Ihren Tag so bewusst wie möglich: Geben Sie sich einen festen Tagesablauf und halten Sie gewohnte Routinen bei – aufstehen zu bestimmten Zeiten, regelmäßig essen, arbeiten, lernen, sich bewegen, abschalten. Eine solche Struktur gibt Halt und Sinn und beugt schlechter Stimmung vor.
- Schlafen Sie genügend, essen Sie abwechslungsreich und mit viel frischen Zutaten, machen Sie zu Hause Sport. Tun Sie sich zwischendurch etwas Gutes. Gehen Sie mit Drogen wie Alkohol und anderen Rauschmitteln bewusst und zurückhaltend um.
- Bleiben Sie digital verbunden: Gehen Sie mit Video-Chats, Telefonaten, Textnachrichten mit Menschen in Kontakt, die Ihnen wichtig sind. Sprechen Sie über das, was Sie beschäftigt.
- Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie tun können, und akzeptieren Sie die Dinge, die Sie nicht ändern können. Smartphone-Apps mit Achtsamkeits- und Entspannungsübungen helfen zusätzlich. Machen Sie sich bewusst, dass Sie gerade all das auf sich nehmen, um anderen Menschen das Leben zu retten.
- Wenden Sie sich an einen Profi, wenn Ihnen alles zu viel wird – vor allem dann, wenn Sie mit Ängsten, starker Anspannung, Reizbarkeit und depressiven Stimmungen zu tun haben. Oft helfen schon einige Onlinesitzungen mit einer Psychotherapeutin. Viele Psychotherapeuten haben auf digitale Therapie umgerüstet.[1]
Einander noch mal neu kennen lernen
Wenn Sie ohnehin schon wissen, was Sie an einander haben, Glückwunsch. Genießen Sie die Zeit zu zweit, Ihnen wird bestimmt jede Menge einfallen.
Anders ist es bei den Paaren, bei denen unterschwellige Spannungen bestehen, die sie dadurch entspannen konnten, dass sie sich oft aus dem Weg gingen. Gründe vielleicht auch drängende Gespräche zu verschieben, gibt es viele. Davon fallen nun viele weg. Gönnen Sie sich die Zeit, sich auszutauschen, über das, was ihnen vielleicht schon länger auf der Seele lastet.
Provozieren Sie einander nicht. Männer neigen eher zur körperlichen Gewalt, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen, Frauen kritisieren und sticheln und treiben Männer damit oft in die Enge, das ist eine ungesunde Mischung, wie wir aus anderen Ländern schon wissen. Deshalb verabreden Sie auch hier feste Strukturen und unter Umständen einen oder zwei Räume für Auszeiten, in denen der anderen sicher sein kann, ungestört zu sein. Ein wenig Privatsphäre in der Gemeinsamkeit kann wichtig sein.
Wenn Sie lange schon eine Paartherapie brauchten, aber sich irgendwie nie getraut haben oder was auch immer, warum nicht jetzt? Weil da derzeit ja kein Schiedsrichter dabei ist? Darum geht es nicht. Wenn Sie denken, Paartherapie sei der Ort, wo ein anderen Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin mal so richtig die Leviten liest, sind Sie ohnehin schief gewickelt. Es geht um Sie beide, immer nur, Sie müssen es letztlich zusammen hin bekommen. Ein Paartherapeut ist kein Lehrer oder großer Vater, der „Du, Du, Du“ sagt. Er oder sie will nur helfen, dass Sie wieder mit einander reden können, respektvoll. Eine wunderbare Übung ist dazu das Zwiegespräch, das wir in Wie lerne ich meinen Partner kennen? vorstellten.
Vermutlich ist die kürzere Variante ausreichend, wichtig ist, dass der eine in der ersten Runde (von 20 oder 30 Minuten) redet, reden darf, auch mal stottern, schweigen oder weinen darf und der andere ihn dabei nicht unterbricht. Lassen Sie Ihre Partnerin einfach auf sich wirken, die Rollen werden ja gewechselt. Dann redet der andere und die erste schweigt. In der dritten Runde, von wiederum 20 oder 30 Minuten können Sie sich beide austauschen, darüber, wie Sie das Zwiegespräch oder den anderen erlebt haben.
20 Minuten ungestört reden zu dürfen ist sehr lange. Danach ist oft viel Spannung raus, was gesagt werden wollte, wurde gesagt. Verabreden Sie vorher bestimmte Themen oder ein bestimmtes Thema, damit nicht alles durcheinander gewirbelt und 20 Türen geöffnet werden. Ein bis drei Themen reichen, Sie können die Zwiegespräch ein bis zwei Mal pro Woche durchführen, das klärt.
Annehmen, was ist
Wen Sie sich tatsächlich mit Vorwürfen überhäufen und vielleicht beide gekränkt sind, verzeihen Sie sich und dem anderen das erst mal, so gut es geht. Wenn viele Worte zu vielen Missverständnissen führen, machen Sie eine Radikalkur. Setzen Sie sich gegenüber hin, so wie bei, Zwiegespräch oder wahlweise auch, wie zur Meditation. Nur vielleicht mit ein wenig mehr Abstand, zwei oder drei Meter.
Sie haben versucht zu reden, es hat nichts gebracht, also machen Sie es nun anders. Schauen Sie ihren Partner an, in meditativer Offenheit, aber nicht in die Augen, sondern etwa auf die Herzregion. Lassen Sie sich Zeit, damit die Emotionen, die inneren Worte und vielleicht das, was war sich langsam setzen können, wie Sediment, das sich allmählich am Grund des Meeres in den stillen Tiefen ablagert. Können Sie erkennen, was bleibt, wenn Sie Ihrem Partner gegenüber sitzen?
Atmen Sie ruhig und entspannt, lassen Sie kommen und gehen, was kommen und gehen will, schauen Sie es einfach nur an, vielleicht 10 oder 15 Minuten. Sagen Sie nun Ihrem Partner oder ihrer Partnerin ein Wort oder einen Satz, den Sie sagen wollen. Klar, konzentriert, das was Sie gesehen und empfunden haben. Was ist die Essenz, die wichtigste Botschaft, an ihren Partner, wenn Sie all das was war und ist, sich setzen lassen? Sprechen Sie es aus. Und dann der andere.
Nehmen Sie an, was Ihr(e) Partner(in) Ihnen gesagt hat. Sie können dann später immer noch drüber reden und streiten. Das können Wege durch die Krise sein.
Merkwürdige Paare
Es gibt merkwürdige Paare, die zusammen sind, um sich gegenseitig zu erzählen, wie furchtbar sie einander finden. Vermutlich brauchen gerade diese Paare einander in besonderer Weise und auch wenn es fraglich ist, ob das noch unter liebenswerte Marotte zu zählen ist, man wird selten was daran ändern können. Vermutlich sind diese Paare, da sie ohnehin immer streiten und einander Vorwürfe machen, aktuell in gar keiner besonders stressigen Situation.
Häusliche Gewalt wird zum Glück immer weniger bei uns toleriert, das darf auch ruhig so weiter gehen, im Falle von eskalierenden Situationen ist nach wie vor der Notruf das Mittel der Wahl, aber es muss ja nicht so weit kommen.