Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte. Luis Marina under cc

Wenn wir uns der üblichen Lesart verweigern, dann kann man behaupten, die zu späte, wie auch die viel zu frühzeitige Geburt sei die zweite oder dritte Verweigerung im Leben.

Da hält sich jemand schon ganz zu Beginn nicht an den Fahrplan und kommt einfach zur Unzeit. Die zu späte Geburt kommt heute kaum noch vor, weil man sie hormonell steuern kann, bei zu frühen Geburten ist es dafür möglich Kinder zu retten, die früher kaum Chancen gehabt hätten, zu überleben. Und in gewisser Weise ist ja auch die Kultur insgesamt eine Verweigerung gegenüber der reinen Eingebundenheit in die Natur.

Einmal sah ich alte Filmaufnahmen eines fröhlichen kleinen Mädchens, das die elterliche Fütterung mit kurzen, aber entschiedenen Bewegungen des Kopfes nach links oder rechts, nur für einen Moment die Fröhlichkeit verlierend, verweigerte. Sie wollte nicht. Kinder sind oft begabte Frühverweigerer, wie etliche Eltern wissen.

Verweigerung aus Prinzip

Eine Zeit der kindlichen Verweigerung bekommt in der Psychologie besondere Aufmerksamkeit, die Trotzphase. In der Trotzphase sagt das Kind zu allem ‚Nein‘, in Wort und Tat, es verweigert sich, will nicht, testet dadurch Grenzen aus und setzt eigene. Freud schenkte dieser Phase besondere Beachtung, weil ein ‚Nein‘ nicht nur zu sagen, sondern auch zu verstehen und in Wort und Tat zu leben, ein erster fundamentaler Akt ist, mit dem man sich gegen die Natur auflehnt, die durch das Kind zunächst hindurch fließt, meistens in die Windel. Doch wir wissen, dass das Kind irgendwann auch anders können wird, auf dem Topf merkt das Kind das dann auch und spielt mit dieser Erkenntnis in kindlicher Spielfreude und Hemmungslosigkeit.

Die Macht der reinen und rohen Verweigerung ist jedoch begrenzt, so geht diese Runde dann irgendwann an die Eltern, nicht ohne dass Kinder sich nicht zwischendurch immer wieder verweigern. Die Phase in der Kinder Warum-Fragen stellen wird als Form der Verweigerung gedeutet, auf der anderen Seite sind diese Fragen nicht unberechtigt, Ausdruck von Neugier und überdies passiert etwas, dem wir uns oft nicht verweigern, weil wir es für alternativlos halten: Wir lassen uns einfädeln in eine Sichtweise, die Warum-Fragen, Fragen nach Sinn und Bedeutung, als Kinderfragen deklarieren. Man hat sich im Laufe der Zeit damit abzufinden, dass es auf bestimmte Fragen keine Antworten gibt, also gilt es als Zeichen der Reife und Vernunft, danach auch nicht mehr zu fragen.

Ein frühes Revival erfährt die Verweigerung dann in der Pubertät, in der die ihrer Kindheit entwachsenden Kinder ganz eigene Vorstellungen entwickeln und zu denen der Eltern zumindest eine klare Haltung, dass nämlich diese nervenden Eingriffe vollkommen überflüssig sind. Die Pubertät erscheint von außen nicht immer zielgerichtet, doch nicht selten erwachsen dieser Zeit der inneren und äußeren Veränderung und der routinemäßigen Einfädelung der Sexualität in den Alltag, die nun nicht mehr unterdrückt wird, ganz klare Vorstellungen.

Das geht auch ganz anders: Einsicht und Idealismus

Die Pubertierenden und Adoleszenten sehen das Leben ihrer Eltern und haben in den meisten Fällen die Idee, dass das auch irgendwie anders gehen muss. So wie die Eltern, will man auf jeden Fall nicht leben, auch wenn man oft noch nicht genau weiß, wie sonst, wie soll man auch? So wird innerlich und äußerlich jede Menge durchgespielt und ausprobiert und wenn eine Phase im Leben eine idealistische ist, dann die Adoleszenz und/oder das frühe Erwachsenenalter. Die Fridays for Future Bewegung wird wesentlich von dieser Kraft getragen, aufgrund der bekannten Klimaproblematik und den immer gravierenderen Veränderungen.

Doch auch andere Zeiten hatten ihre idealistischen Strömungen und immer waren junge Menschen daran beteiligt. Wenn die Zeiten ruhiger sind, spielt man innerlich durch, wie man gerne leben würde, Zuspitzungen und Einseitigkeiten gehören notwendig dazu. Im Grunde oft Träume von einem Aussteigerleben, bevor man richtig eingestiegen ist. Zugleich eine versuchte oder reale Abwehr gegen die gnadenlos vernünftigen Vorschläge der Eltern, die das alles schon durch und erlebt haben, ihre Kinder nachvollziehbarer Weise vor Fehlern und Gefahren bewahren wollen. Weil sie wissen, dass ihr eigener Weg oftmals nur so eben noch gut gegangen ist und zumindest genügend Kreuzungen kannte, denen man auch hätte folgen können, es aber dann doch nicht getan hat.

Die Choreographie hiesiger Lebenswege sieht dann auch so aus, dass man den Idealismus der Jugend als Phase wertet, die nicht sonderlich ernst genommen wird, bei der man sich die Hörner abstoßen muss, bevor man dann später vernünftig und einsichtig wird. Das impliziert, dass man erkennt, dass die Eltern doch recht hatten. Spätestens dann, wenn man arbeitet oder eigene Kinder hat und sieht, wie das Leben wirklich ist.

Geht doch: Vernunft oder gebrochenes Rückgrat?

Doch einige verweigern sich dieser Zwangsläufigkeit. Man muss auch diese Verweigerung nicht idealisieren, diese Menschen haben es vermutlich oft schwerer als diejenigen, die dem Drehbuch folgen. Glück ist nach Erkenntnissen der Forschung zu einem großen Teil eine Frage der Anpassung. Aber ist es nicht irgendwie auch schrecklich, seine Ideale zu verlieren, zu verraten und zu verkaufen? Oder ist gerade das die Stimme der Vernunft, dass man eben einsieht, dass und wo man früher übertrieben hat und heute einfach reifer geworden ist?

Diesen Zwiespalt hat die Werbung gut erkannt und bedient. Die Vitalität und Spontaneität der Jugend würde man gerne behalten: ‚Ich will so bleiben, wie ich bin‘, heißt es in einem alten Werbespot. Verheißungsvoll wurde geflüstert, dass man das darf, wenn man fettreduzierte Wurstwaren isst. Sie soll dann ihre Linie behalten, er seine rauhe Wildheit, die passenden Produkte stehen auch hier bereit: das Bier, das einen ‚einzig, nicht artig‘ macht. Obwohl dies gleich die nächste Idealisierung ist, die Kindheit und Jugend zu verklären, zur guten alten Zeit, in der man noch so schlank und frei war und alles noch so unbeschwert.

Wobei auch das Teil der Choreographie ist, festzustellen, dass alles nicht so leicht ist, wie man anfangs dachte und sich zurück zu sehnen. Immerhin, wenn man in der Erinnerung an alte Lieder, Klamotten, Möbel, Filme und Fernsehsendungen die glücklichen Momente der Kindheit zurückholen oder neu erzeugen kann, ist dagegen vielleicht nichts einzuwenden, wenn man nicht zu sehr in Klischees eingefädelt wird. Klingt einfach. Nur ist es so, wie mit anderem, die Gewohnheit hat auch Macht. So sehnt man sich dann zurück in das, dem man endlich entwachsen war, um frei, selbstständig und groß zu leben zurück: Wie unbeschwert Kindheit und Jugend doch angeblich waren.

Gehen lernt man am besten beim Gehen, nicht indem man ein Buch darüber liest. So prägen sich auch die Klischees der heilen Kinderwelt mit jedem Bad in ihnen ein wenig mehr ein. Sie begleiten uns weiter auf unserem Lebensweg und seinen Ausschmückungen. Da hatte man so seine Flausen, früher, aber irgendwann dann doch, zum Glück, noch die Kurve gekriegt. Einige sind anders geblieben, sie sind ihren Idealen oder Talenten, manchmal ihrer Berufung treu geblieben. Das ist in mehrfacher Weise herausfordernd. Wir brauchen einerseits diese Ausbrecher, um in uns zu spüren, dass wir das auch könnten … jederzeit … immer noch. Einfach noch mal neu anfangen und alles auf Null stellen. Zu gut darf es den Ausbrechern aber auch nicht gehen, das würde uns zu klein machen und Neid erzeugen. So blicken wir manchmal schadenfroh auf jene, die sich verweigert haben und gescheitert sind.

Die dyssozialen Verweigerer mögen wir ohnehin nicht. Doch auch die oft verräterisch große Fürsorge, wenn es jemand versuchte und dann doch nicht schaffte, hat etwas verdrängt Hämisches. Einerseits hört man doch ganz gerne die Geschichten der Ausbruchsversuche, denn irgendwie ahnen auch wir, dass das nicht alles gewesen sein kann. Andererseits ist es doch ganz gut, wenn sich am Ende herausstellt, dass es sich nicht lohnt und liebevoll können wir die gefallenen Engel in die Geschichte vom ganz normalen Leben einfädeln, für das wir die Experten sind. Wir freuen uns, wenn die anderen auch nur mit Wasser kochen, darum auch die Mischung von Sehnsucht und Genugtuung beim Blick auf die Promis: Glanz und Glamour, Shampus und Blitzlich, aber eben auch Cellulite an den Schenkeln, Scheidung und Entziehungskur, vielleicht alles ein bisschen greller und größer, aber im Grunde wie bei uns.

Die beruhigende Seite der Massenunterhaltung, die beständige Versicherung, dass ein Ausweg gar nicht vorhanden ist. Im Grunde sind alle Leben identisch, mitsamt ihrer Wünsche, Höhen und Tiefen, so die stille Botschaft. Die einen trinken eben Schampus und essen Kaviar, die anderen Bier und Grillwürstchen. Man will was haben und wer sein, es aber nicht nötig haben, das raushängen zu lassen. Alles ganz gechillt.

Das durchorganisierte Leben und seine Brüche

Oft genug, man muss es zugeben, geht der Plan auf. Ob zum Glück oder leider ist eine Frage der Perspektive, die meisten werden es eher als Glück empfinden. Doch gibt es in vielen Leben immer wieder auch Brüche. Etwa wenn die geplanten Kinder ihr Kommen verweigern. Wenn Sie sich am Anfang gefragt haben, warum die Geburt die zweite oder dritte Verweigerung ist, die Empfängnis wäre die wahlweise erste oder zweite. Wobei man sagen kann, das sei ja nun keine Entscheidung des Kindes, sondern Pech, Unfruchtbarkeit oder was auch immer, so kann man sich dieser Sichtweise eben auch verweigern. Wer weiß schon, wie das Leben wirklich funktioniert? Wir haben uns nur auf bestimmte Lesarten geeinigt, die wir übernehmen und von deren Richtigkeit wir zutiefst überzeugt sind. Doch dazu später, immerhin ist es ein Bruch, der Plan geht hier nicht auf.

Anderes kommt dafür oft früher im Leben, als man denkt. Nehmen wir exemplarisch Rückenschmerzen und Depression, verbreitete Krankheiten, die zu vielen Fehlzeiten führen und daher Sand im Getriebe des großen Systems darstellen. Denn eigentlich waren wir ja mal als produktive Mitglieder der Arbeitswelt gedacht. Krankheit ist eine Methode sich dem unbewusst zu entziehen, eine stille Form der Verweigerung. Auf unseren Gesellschaftsvertrag haben wir uns geeinigt, manche sind dafür, andere eher nicht, manche protestieren offensiv, andere still. Krankheit ist ein Weg, sich dem still zu entziehen. Auch das darf nicht einseitig überhöht werden, aber die Befunde kennt man nicht erst seit gestern.

Überdruss oder Entwicklung?

Eine typische Geste der Verweigerung. Forest Runner under cc

Es gibt auch ein natürliches Ende einer Auseinandersetzung mit einem Thema. Wir verweigern uns dann nicht aus Trotz, Protest oder Prinzip, sondern weil wir mit einem Thema durch oder fertig sind. Ein merkwürdiges Gefühl habe ich dabei an mir selbst erfahren. Vor längerer Zeit interessierte ich mich sehr intensiv für ein Thema, das mein Leben stark bestimmte. Ich weiß nicht mehr aus welchem Anlass, aber irgendwann schrieb ich über das Thema einen Text und als dieser beendet war, hatte ich das Gefühl, mit dem Thema abgeschlossen zu haben. Ich war erstaunt und etwas verwirrt, merkte, dass irgendwas anders war und fühlte mich … ein wenig wie ein Verräter an meinem damaligen Lebensthema.

Aber es half nichts, auch Versuche der Wiederbelebung wollten nicht richtig fruchten, das Thema liegt mir noch immer am Herzen, aber es ist zu Ende bearbeitet gewesen und eine gewisse Trauer gehörte dazu. Andere Abschiede gingen deutlich leichter, folgten aber dem gleichen Muster. Irgendwann ist man fertig mit dem, was einen früher interessiert hat und man lässt es dann einfach sein. Etwas ’sein‘ zu lassen hat ja durchaus eine doppelte Bedeutung. Einerseits – und wohl häufiger – ist damit gemeint, dass man etwas bleiben lässt: Lass‘ das sein. Doch es bedeutet auch etwas seiend zu lassen, etwas einfach geschehen und bestehen zu lassen, vielleicht auch, sich selbst zu überlassen. Gewisser Dinge werden wir überdrüssig und auch das ist ein organischer Weg, sie sein zu lassen. Da fehlt dann nichts, wenn man mit etwas durch ist.

Manchmal ist es nicht so ganz klar, ob man nicht mehr kann oder nicht mehr will. In einer Phase der Jugend, tanzten wir die Nacht durch, gingen im Pulk, die nass geschwitztenen Klamotten dampften, in der Morgendämmerung nach Hause, aßen Nudelsuppe, gingen irgendwann schlafen, nur um am frühen Nachmittag Billard zu spielen und uns wieder zum Vorglühen zu treffen, dann einige Kneipen mit zu nehmen, um erneut in unserem favorisierten Tanz- und Nachtclub (wie er heute nachträglich genannt wird) bis zum Ladenschluss durchzumachen. Am nächsten Tag: The same procedure … . Ich bin froh diese Zeiten erlebt zu haben und habe ebenso wenig den Drang dies heute noch mal zu erleben. Aber vielleicht ist es gerade das, dass man etwas erlebt und ausgekostet haben muss, um davon tatsächlich frei zu werden, statt dem nachzutrauern, was man früher vielleicht gerne erlebt hätte. Ist es Überdruss gewesen? Nicht wirklich, aber irgendwann war die Zeit einfach vorbei, man verweigert sich der Fortsetzung, aber ohne faden Beigeschmack. Es bleibt eine liebe Erinnerung. Natürlich auch hier unter Ausblendung aller Schattenseiten.

Verweigern kann man sich auch durch die Erfüllung seiner Pflichten. Einmal dadurch, dass man tut, was man tun soll, aber frei von jedem Engagement. Man erfüllt seine Aufgabe, das war’s. Viele machen ihre Arbeit mehr oder weniger widerwillig, ein paar im Zustand der inneren Kündigung. Die Nummer ist für sie durch, frei von jeder Leidenschaft oder Identifikation erfüllt man seinen Dienst nach Vorschrift. Eine weitere Variante ist die subversive Wende des scheinbaren Opportunisten, der der Obrigkeit das Gefühl gibt, alles übergenau ausführen zu wollen und genau dadurch das System auflaufen lässt. Man kann ihm eigentlich nicht böse sein, er scheint ja bemüht, aber irgendwie umständlich, tollpatschig oder begriffsstutzig zu sein. Jedenfalls sind Nachfragen, um es auch ganz genau zu machen und jede Frage bis ins Detail zu klären, Sprengstoff in einem System. Nicht nur Warum-Fragen haben das Potential dazu, auch die Frage danach, wie man es denn nun ganz genau richtig machen soll.

Das Setzei

Manche Menschen sind mit wenig zufrieden. Man weiß nicht warum, aber man weiß, dass es sie gibt. Sie sitzen einfach da und tun nichts. Sie schauen vielleicht in die Gegend, aber reagieren im Grunde auf nichts und kommentieren auch nichts. Das tun sie dann aber mit einer gewissen Ausdauer. Hand aufs Herz, falls Ihnen gerade jemand einfiel, war das ein Mann oder eine Frau? Vermutlich ein Mann, wie er hier.

Irgendwie scheint es mehr als ein Klischee zu sein, dass Männer eher die Tendenz haben, einfach mal nichts zu tun. Frauen sind tendenziell in dieser Hinsicht aktiver, sehen Dinge, die es noch zu tun gäbe oder die man machen könnte, wo Männer eher zufrieden zu sein scheinen. Wie gesagt, tendenziell, es gibt immer Ausnahmen, vermeintliche Ursachen gibt es wie Sand am Meer. Auf jeden Fall gibt es aber Menschen, die sich dem Aufruf des ewigen Tuns auch dann verweigern, wenn sie bei Bewusstsein sind.

Weitere Varianten sind Menschen, die das Glück haben mit dem was sie haben und sind zufrieden zu sein. Sie sehen und wissen, da gibt es anderes und es ginge auch anders, doch sie sind mit ihrem Zipfel Welt vollkommen einverstanden und sind im Leben angekommen. Das gilt auch für Menschen, die nach einigem Herumprobieren ihr Ding, ihren Stil gefunden haben und sich den immer neuen Modeerscheinungen weitgehend verweigern. Das sind die eher positiven Seiten der Nichtstuer.

Die andere gibt es auch. Es sind jene Nichtstuer, die andere für sich springen lassen, weil sie selbst zu bequem sind oder es als unter ihrer Würde empfinden, niedere Arbeiten zu verrichten – dafür gibt es doch andere – und solche, die untätig sind, aus Angst, etwas falsch zu machen. ‚Wer nichts macht, kann auch nichts falsch machen‘, lautet ihre ängstliche Rechnung, wobei es zwischen Ängstlichkeit und Bequemlichkeit nicht selten einen fließenden Übergang gibt und die Rechnung in der Regel nicht aufgeht, denn nun ist man von anderen abhängig.

Eine weitere Art der Verweigerung ist die Resignation. Man hat es, dem eigenen Empfinden nach, versucht – weit über die Komfortzone hinaus – und irgendwann hat man es sein lassen, weil man der Auffassung ist, dass es nichts bringt. Man hat resigniert, das Feuer, jedenfalls für diese Sache, ist erloschen.

Sich der Verweigerung verweigern

Einmal eingebunden in die Vernünftigkeiten, die den Lebensweg prägen, die immer auch erzählen, was man vom Leben zu erwarten hat und was ganz normal ist, weil es einfach bei jedem so ist – und jeder, der was anderes behauptet, ist ein Träumer, der sich was vor macht – und auch gar nicht anders sein kann, sonst würden es ja viele machen, gibt es immer Gründe, etwas nicht zu tun. Der Vernünftige hat zu akzeptieren, dass die Welt nun mal ist, wie sie ist, auch wenn man es vielleicht gerne anders hätte. Aus diesem Grund muss man auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn man wegschaut und meint, hier sei nichts zu ändern, das tun die anderen schließlich auch.

Manche Menschen verweigern sich dieser Verweigerung, vielleicht gar nicht so oft aus Gründen, über die sie lange nachgedacht haben, sondern aus dem spontanen Impuls heraus, hier etwas machen zu müssen, was implizieren würde, dass man sich das auch zutraut. Vielleicht können sie es einfach nur nicht haben, einen Menschen oder ein Tier zu sehen, das leidet, vielleicht sehen sie es als eine Frage des Anstandes, des Prinzips oder auch der Verweigerung gegenüber dem Wegschauen. Einfach, weil man in so einer Welt nicht leben will. Manche wollen am nächsten Morgen in den Spiegel schauen und in der Nacht ruhig schlafen können, wohl dem, dessen Gewissen sich noch meldet. So ist die Verweigerung dann auch ein Stück weit Selbstfindung.

Es gehört tatsächlich etwas dazu, sich der Verweigerungshaltung zu entziehen und zu arbeiten, wenn andere nur gelangweilt ihre Zeit absitzen. Manchmal bis zum Boreout, da hat man die Alternative, schon im Eigeninteresse, selbst in der Hand. Richtig blöd ist die Situation, wenn motivierte Menschen von ihren Vorgesetzten ausgebremst werden, diese Menschen resignieren in der Folge häufig und machen nur noch Dienst nach Vorschrift.

Doch auch sich dem Kollektiv zu verweigern, kann über das Ziel hinaus schießen. Querulanten kann man nichts recht machen, niemand. Sie finden den Fehler auch dann, wenn es keinen gibt. Nervensägen, Querulanten und Systemsprenger haben alle ihre jeweilige Geschichte und ihre Motive, aber es ist gut, dass es sie gibt.

Verweigerer in der Literatur

Die einzige Realität sei diese, meint der Künstler. © anokarina under cc

‚Bartleby der Schreiber‘ ist vielleicht einer der bekanntesten Verweigerer in der Literatur, nach einer Erzählung des Moby Dick Autors Herman Melville. Bartleby ist ein stiller, höflicher Mensch, der als Schreiber in einem Büro Texte kopiert, aber darüber hinaus gehende Anfragen und Anweisungen mit den knappen Worten: „Ich möchte lieber nicht“ ablehnt. Man rätselt, was der tiefere Sinn dieser kuriosen Geschichte ist.

Herr Laponder, aus dem Kapitel ‚Mond‘, aus Gustav Meyrinks Roman ‚Der Golem‘ ist ein ebenfalls ausnehmend höflicher und rücksichtsvoller Mann, der mit dem letztlich unbekannten Ich-Erzähler des Romans in einer Gefängniszelle sitzt, wie sich herausstellt, wegen eines Lustmordes. Der Ich-Erzähler schwankt zwischen Entsetzen und Zweifeln und wäre bereit zu versichern, dass dieser Mann überhaupt nicht – wenn er klaren Sinnes ist – zu einer solche bestialischen Tat fähig sei, doch Herr Laponder unternimmt keinerlei Anstalten sein Leben überhaupt retten zu wollen. Auch das wirft Fragen auf.

Denn die Moral von der Geschicht‘, die wir in vielen Fällen und ganz nebenbei mitgeliefert bekommen, gibt es hier nicht. So gilt Meyrink als irgendwie okkult, als Schriftsteller phantastischer Romane, die uns helfen sollen, das was wir nicht einordnen können, doch einzuordnen. Ähnlich ist es mit Franz Kafkas Geschichten, von denen uns einige ratlos, aber nicht stimmungslos, zurück lassen. Samuel Beckett (‚Warten auf Godot‘) und Knut Hamsun (‚Hunger‘) wären weitere Autoren und noch ‚Der Zauberberg‘ von Thomas Mann führt uns schon zu Beginn ein in die Geheimnisse der Zeit, die hier oben, auf dem Zauberberg so eigenartig anders vergeht.

Aber heißt Romane, Erzählungen, Phantasiewelten zu zeichnen eigentlich sich der Realität zu verweigern? Häufig sind es gerade Phantasiegeschichten, denen es gelingt Typisches einzudampfen und auf den Punkt zu bringen, weit mehr als die realen Ereignisse des Alltags, die immer dem Momentanen verhaftet bleiben. Realität oder Phantasie? Die Frage stellt sich in der Form gar nicht, aber wir sind es gewohnt, die Welt in Wahrheiten und Richtigkeiten einzuteilen, der Raum des Dazwischenliegenden ist uns fremd, bleibt uns fern, denn er verweigert sich dem Wunsch nach Eindeutigkeit und Einordnung. Das Überdeutliche, Grelle, Eindeutige ist das Kennzeichen des Kitsches und die Stereotype unserer gesellschaftlichen Rollen, die sich durch Wiederholung immer tiefer einbrennen, werden gerade in den Massenmedien immer und immer wiederholt.

In einem lesenswerten, sich der gegenwärtigen Kollektivdeutung über Peter Handke verweigernden Artikel, schreibt der Autor Mladen Gladić über den Soziologen und Systemtheoretiker Niklas Luhmann:

„Alles, was wir von der Welt wissen, sagte der Soziologe bekanntlich, wüssten wir aus den Massenmedien. Aber, diese weitere Beobachtung des Systemtheoretikers ist weniger bekannt, wir wissen so viel über diese Medien, „daß wir diesen Quellen nicht trauen können. Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen führt.“ Eine Zwickmühle: „Man wird alles Wissen mit dem Vorzeichen des Bezweifelbaren sehen – und trotzdem darauf aufbauen, daran anschließen müssen.“[1]

Wir wissen, dass die Geschichten, die wir hören oft Murks sind, aber wir können dennoch nicht anders, als auf sie Bezug zu nehmen, einfach, weil sie das sind, was alle kennen.

Westliches Denken – Das geht auch ganz anders

Und so ‚wissen‘ wir, wie die Indianer und die Piraten, die Bösewichte und die Kommissare so sind, aus Spielfilmen. Moral kennen wir aus Krimis, Vorabendserien und aus im Vorfeld bereinigten Märchen. Wenn wir uns die Mühe machen, in ein Thema tiefer einzusteigen ist es in der Regel so, dass die Standard Erzählungen, die unseren Teppich grundlegender Wahrheiten bilden oft irgendwo zwischen dramatisch verkürzt und ganz und gar falsch liegen. Aber es geht noch grundlegender.

Andere Sprachen und Kulturkreise setzen ganz andere Akzente, erzählen die Geschichte der Welt in anderen Begriffen, die nicht das Feste, Starre betonen, hier ein Ding, da ein anderes, sondern den Prozess, das Dynamische, die Beziehung, das Dazwischen. Etwa die chinesische Sprache, in der es weniger ums Machen geht, als um ein Erspüren von Strömungen und um schleichende Prozesse, allmählich sich Veränderndes, das bei uns auf den Begriff fixer Zustände gebracht wird. Jemand ist krank oder gesund, arm oder reich, ein Guter oder ein Böser. Im tibetischen Kulturkreis gibt es die Trennung von Gedanken und Emotionen in der Weise, die wir kennen nicht.

Auch bei uns finden wir diese Betonung bisweilen, aber wir können nicht so recht was damit anfangen, sie kommt uns immer ein wenig gegen den Strich gebürstet vor. Bei Heidegger finden wir die Bezeichnung ‚Ding‘, für das, was wir kennen. Das Buch da, der Stuhl dort. Doch so als Ding ist es seiner Wesentlichkeit beraubt, die darin besteht, dass der Stuhl ein Ding zum Sitzen und das Buch eines zum Lesen ist. ‚Zeug‘ nennt Heidegger das. In Fahrzeug und Feuerzeug begegnet uns diese Beziehung noch. Das Auto, mit dem man nicht fahren kann ist noch immer ein Ding, aber ihm fehlt das Wesentliche, Zeughafte, sofern man kein Sammler ist.

Die anderen Zwischentöne finden wir eher in der Kunst, die wir dann vom Wahren abgrenzen wollen, nicht ganz wissend, was eigentlich der Sinn dahinter ist, wozu das gut ist. Gut heißt bei uns, dass es einen Nutzen haben muss, so erklären wir uns die Welt. Dinge müssen für etwas gut sein, wenn man sich ’nur‘ irgendwie dran erfreuen kann, so sind wir ein wenig verstört, sofern sie nicht wertvoll sind und dadurch wieder einen Nutzen haben.

Dabei decken Romane auf, was fehlt, zeigen Bilder und Musik gerne, dass etwas ‚da‘ aber nicht sichtbar ist, wohl aber erlebbar. Das was dazwischen liegt erscheint uns oft, wie die hauchfein geschnittene Schinkenscheibe zwischen zwei dicken Brötchenhälften, sie machen das Ganze schmackhaft, aber nicht satt. Dabei ist es aus einer anderen, durchaus auch psychologischen Sicht genau umgekehrt, die äußere Realität ist das, was wir nie groß zur Kenntnis nehmen, statt dessen bewegen wir uns unentwegt im Raum unserer Verinnerlichungen und Projektionen und Romane kommen diesen Zuständen oft näher, als dröge Funktionszuschreibungen.

Man kann sich dieser Sicht verweigern, uns fällt es schwer zu verstehen, dass man damit nicht zwingend falsch liegen muss, doch allmählich gerät auch unsere gewohnte Sicht ins Trudeln und sogar in der Basiswissenschaft unserer Weltsicht, der Physik verweigern sich ganze Bereiche, etwa in der Quantenphysik, bei der bis heute nicht geklärt ist, was eigentlich der alles entscheide bewusste Beobachter im Rahmen einer Messung macht:

„Wenn aber die Quantenmechanik die zutreffende grundlegende Theorie aller physikalischen Vorgänge ist, müsste sie alle physikalischen Systeme – inklusive der Messvorrichtung selbst – und deren wechselseitige Wirkung aufeinander beschreiben können. Der Quantenmechanik zufolge überführt der Messvorgang das untersuchte System und die Messvorrichtung in einen Zustand, in dem sie miteinander verschränkt sind. Wenn dann – spätestens durch das Ablesen an der Messvorrichtung – das Messergebnis festgestellt wird, stellt sich wieder das Problem der Zustandsreduktion. Offenbar mangelt es an einer Definition in physikalischen Begriffen, was genau den Unterschied einer „Messung“ zu allen anderen physikalischen Prozessen ausmacht, so dass sie den Kollaps der Wellenfunktion verursachen kann. Insbesondere bleibt offen, wo man die Grenze zwischen dem zu beschreibenden Quantensystem und der klassischen „Messapparatur“ festlegen soll. Dies wird als Demarkationsproblem bezeichnet. Für die konkrete Vorhersage der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Messergebnisse am untersuchten System ist es allerdings unerheblich, wo man diese Grenze zieht, also welche Teile der Messapparatur man mit in die quantenmechanische Betrachtung einbezieht. Fest steht nur, dass zwischen dem Beginn der Messung und dem Registrieren des einzelnen eindeutigen Ergebnisses die Zustandsreduktion erfolgen muss.

Die Kopenhagener Interpretation erklärt den Kollaps und die Fragen zur Demarkation nicht weiter: Eine Messung wird schlicht beschrieben als Interaktion eines Quantensystems mit einem Messgerät, das selber als klassisches physikalisches System aufgefasst wird. Die oben gegebene Beschreibung von Observablen und Zuständen ist an dieser Interpretation orientiert. Davon stark unterschieden ist die Interpretation nach der Viele-Welten-Theorie. Sie betrachtet die im Kollaps verschwundenen Komponenten nicht als verschwunden, sondern nimmt an, dass in der Messung für jede einzelne Komponente ein Universum neu erschaffen wird, in dem sie als einzige weiterexistiert. Zu diesen und weiteren Sichtweisen siehe Interpretationen der Quantenmechanik.“[2]

Einfach formuliert, ist uns im Alltag klar, was es bedeutet, wenn man sagt, dass die Frau am Fenster die Katze beobachtet. Folgt man unserer Erzählung, in der große Einheiten wie Katzen aus kleineren bestehen und zusammengesetzt sind und geht immer mehr ins Detail, gelangt man zu den Zellen der Katze. Dann zu den einzelnen Molekülen, schließlich zu den Quanten, den kleinsten Einheiten der Materie. Hier aber fällt die Trennung zwischen Beobachtung oder Messung bei der jemand (oder etwas) etwas beobachtet (oder misst), was vorher so war, wie es nachher ist, in sich zusammen. Und da alles auch Quanten besteht … .

Eine Erklärung geht in die Richtung, dass wir dabei gar nicht zu wenig wissen, sondern, dass die Superpositionen (von denen nicht klar ist, ob sie nun reale Zustände oder mathematischen Möglichkeiten sind, oder ob beides überhaupt ein Unterschied ist oder eben gerade der alles entscheidende) ein zu viel an Wissen bedeutet. Erst der Kontakt, die Messung, die Beobachtung legt fest, was mit dem Teilchen geschieht, es ist daher nicht dadurch definiert, was es ist, sondern was er werden kann.

In der Wisssenschaftstheorie hat man gerade den Arzt und Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck wiederentdeckt, der die wissenschaftliche Tatsache ebenfalls nicht als etwas ansieht, was einfach so da ist und für alle gleich vorliegt, sondern als soziale Konstruktion.

In der tibetischen Religionsmythologie gibt es zwischen Leben und Leben die Bardoreiche. Zwischenzustände, die mythologisiert dort beginnen, wo bei uns der Tod einsetzt, mit der Möglichkeit sehr verschiedende Ausgänge zu benutzen, die sich jeweils nach dem Bewusstseinsstand des Sterbenden richten. Wobei betont wird, dass jeder den Ausstieg aus dem Rad der Wiedergeburten finden kann, er normalerweise aber nicht erkannt wird und nicht attraktiv erscheint.

So geht man daran vorbei, hin zum dem was im der tibetischen Mythologie eigentlich als große Niederlage und nicht Trost gilt, zur nächsten Geburt und zur nächsten Runde Leid durch Anhaftung. Aber, die Bardozustände sind nicht nur nach dem Tod da, sondern bilden auch die Lücke zwischen allen Momenten des Lebens. Im Leben geht man nur noch leichter drüber hinweg, als im Sterben. Hier gilt jedoch der gleiche Mechanismus, man landet in der Welt, die man kennt und mag, in der man sich auskennt. Alle offensichtlichen Beweise, dass die Welt doch nun genau so ist, wie man denkt, liegen buchstäblich vor den eigenen Füßen und jede andere Erklärung erscheint absurd, man ist in keiner Weise offen für sie, da man ja noch nicht mal dabei ist zu sterben. In Todesnähe ist man fähiger bestimmte Vorstellungen loszulassen und verbunden mit einem Leben aus vorbereitenden Übungen, den Ausstieg aus dem Rad der Wiedergeburten zu schaffen. Das wäre gewissermaßen die erste Form sich zu verweigern, noch vor Geburt und Empfängnis oder die letzte.

All diese Sichtweisen verweigern sich der bei uns antrainierten Lesart. Sind sie denn nun richtig? Man weiß es nicht, aber wahr ist, dass diese Art zu fragen, den Fragenden in einen selbst errichteten Käfig steckt.

Quellen