Heulsuse, ist schon lange nicht mehr aktuell. Weinen scheint eine beruhigende Wirkung zu haben und fördert unser Wohlbefinden. Warum Tränen je nach Grund eine unterschiedliche Zusammensetzung haben und wieso manches Mal Weinen heilsam zu sein scheint, zeigen wir nachträglich auf.
Heul’ doch!
Weinen hat eine Urfunktion und seinen Ursprung in den sogenannten »separation calls«, dahingehend sind sich Wissenschaftler einig. Diese Funktion der Trennungsrufe eint alle Säugetiere und viele Vögel. Wenn Nachkommen von ihren Eltern getrennt sind, tätigen sie Laute, um auf sich aufmerksam zu machen, allerdings ohne Tränen.
Diese Signale verschwinden bei den meisten Tieren, sobald sie älter werden. Bei den Menschen hingegen, so der Forscher Ad Vingerhoets, Professor für Klinische Psychologie an der Tilburg University, gibt es eine Verschiebung von dem vormals akustischen Signal hin zu einem visuellen: dem Weinen. Es wird Bestandteil intimer Interaktionen, denn nur Menschen können emotionale Tränen weinen, und nur Menschen tun dies in ihrem Erwachsenenleben.
Die Heulsuse: ein überwiegend weiblicher Wesenszug?
Frauen weinen häufiger, circa 30- bis 64-mal pro Jahr, sie schluchzen auch mehr. Das starke Geschlecht hingegen macht seinem Namen alle Ehre. Knapp 17-mal im Jahr weinen Männer im Durchschnitt. Der Unterschied zwischen beiden Geschlechtern zeichnet sich etwa ab dem 13. Lebensjahr ab.
Oft weint Mann aus Empathie und vor Trennungsschmerz beispielsweise im Trauerfall. Genauso wie Frauen. Diese weinen zudem häufiger bei Filmen oder wenn sie sich an vergangene Situationen erinnern. Auch Streit, Stress oder Überforderung können mögliche Gründe für Weinen sein.
Aber: Männer weinen heimlich
Dass Männer ihre Gefühle geschlechtsstereotyp weniger zeigen, kann für sie zu einem gesundheitlichen Problem werden. Geht man in die klinische Diagnostik, so werden Depressionen bei Männern um die Hälfte weniger diagnostiziert als bei Frauen. Häufiger kommen bei ihnen stattdessen Suizide und Suchterkrankungen vor. Wie es scheint, ignorieren Männer zunächst ihre seelischen Probleme psychischer und somatischer Natur und neigen zur Kompensation durch Alkohol sowie andere Drogen beziehungsweise Süchte wie Glücksspiele. Suizid ist demnach vorwiegend männlich, so Professor Dr. med. Gündel von der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Ulm. Handeln, anstatt zu reden, ist offenbar immer noch ein Problem des vermeintlich starken Geschlechts.
Damit einhergehend wählen Männer auch öfter »harte« Methoden des Suizids, welche häufiger zum Tode führen als die »weichen«, von Frauen gewählten Methoden wie ein Selbstmordversuch mit Tabletten.
Das klassische Bild der Depression, welche sich durch sozialen Rückzug und Antriebslosigkeit ausweist, kann bei Männern auch durch aggressive Tendenzen, antisoziales Verhalten sowie Substanzmissbrauch ergänzt werden. Zudem beschreiben Männer eher körperliche als psychische Symptome, wenn sie ihren Hausarzt aufsuchen.
Solcherlei Besonderheiten müssen in der klinisch-psychiatrischen Diagnostik berücksichtigt werden, um in adäquater Form beiden Geschlechtern helfen zu können. Denn Emotionen zu verstecken, ist nie von Vorteil. Tränen haben durchaus Funktionen.
Drei Tränenformen, drei Funktionen
Weinen ist nicht gleich Weinen. Je nach Ursache des Weinens verfügen die Tränen über eine unterschiedliche Zusammensetzung. Und sie sind noch wenig erforscht. Zwar bestehen sowohl die emotionalen Tränen als auch die reflektorischen, die durch einen Reiz von außen entstehen (Klassiker: Zwiebel schälen), und die basalen, die das Auge reinigen, aus Wasser, Elektrolyten und Proteinen, doch sind die Anteile unterschiedlich (Zitat: Springer Medizin):
»Emotionale Tränen, ein ausschließlich menschliches Kommunikationsmittel, sind höchst komplex und wenig erforscht. Für die Produktion werden wahrscheinlich die gleichen Nerven,- Rezeptor,- und Transmitterstrukturen benutzt wie für basale und reflektorische Tränen. Jedoch müssen zunächst Stimuli in einem kognitiven/sozialen Kontext empfangen und von ›Induktionszentren‹ im Telencephalon detektiert werden, um an Effektorzentren weitergeleitet zu werden. Erhöhte Proteinkonzentrationen, Prolaktinwerte, Mangan-, Kalium- sowie Serotoninwerte zeichnen emotionale Tränen aus.«
Warum Weinen heilsam ist
Zum einen besitzen Tränen eine soziale Komponente, zum anderen tun sie anscheinend dem Körper wohl. Weinen ist offenbar ein Stück weit heilsam.
Tränen als Gefühlsanzeiger
Die Forschergruppe um Vingerhoets konnte zeigen, dass Versuchspersonen auf Bilder mit weinenden Gesichtern mit mehr Zuwendung, dem Willen zu helfen und sozialer Verbundenheit reagierten, im Vergleich dazu, wenn man die Tränen auf den Fotogesichtern digital entfernte. Tränen verstärken demnach zusätzlich unsere Empathie und haben damit eine deutliche soziale Komponente.
Von der Erleichterung nach dem Weinen
Die Wissenschaftler um Sharman von der University of Queensland ließen Probanden traurige (Experimentalgruppe) beziehungsweise neutrale Videos (Kontrollgruppe) schauen, also emotional anrührende Alltagsbegebenheiten versus TED-Vorträge. Bei den Versuchspersonen, welche die traurigen Videos ansahen, kamen bei einigen Betrachtern Tränen auf. Dem gegenüber konnten andere wiederum durch die traurigen Videos nicht zu Tränen gerührt werden.
Im Anschluss an die Videos wurden die Versuchspersonen einem Stresstest unterzogen. Sie sollten ihre Hand so lange in eiskaltes Wasser halten, so lange es ihnen physisch und psychisch möglich war. Derweil zeichneten die Forscher Herz- sowie Atemfrequenz auf und entnahmen bei den Probanden Speichelproben. Das Ergebnis: Versuchspersonen, welche geweint hatten, und Versuchpersonen, welche nicht geweint hatten, hielten in etwa gleich lang im eiskalten Wasser aus. Auch schütteten die Probanden, welche zuvor geweint hatten, nicht weniger Stresshormone während des Eiswasser-Stress-Testes aus. Allerdings blieben bei ihnen sowohl Atem- als auch Herzfrequenz ruhiger und stabiler im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen der Nicht-Weinenden.
Die Forscher schlussfolgern nun, dass Weinen offenbar die Homöostase des Organismus stützt, indem dieser nach einer Zeit seelischer Aufruhr zurück in sein Gleichgewicht findet.
So scheint es also, dass in mehrerlei Hinsicht Weinen heilsam ist, weil es einerseits den Seelenstress eindämmen kann. Andererseits den Trost, der einem entgegengebracht wird, wahrscheinlicher werden lässt, da Weinen die soziale Unterstützung durch andere forciert.