Schon die alten Römer erkannten, dass das Donnern der Wagenräder über die Pflastersteine zu Schlaflosigkeit und Verärgerung führt. Im Europa des Mittelalters existierten Verbote in manchen Städten, nachts durch die Straßen zu reiten, um einen friedvollen Schlaf der Einwohner zu gewährleisten. Auch heute ist man sich der empfundenen Belastung durch Geräusche und damit einhergehender möglicher Gesundheitsprobleme bewusst. Dennoch sind die Geräusche stärker denn je: Straßenlärm, volle vierundzwanzig Stunden lang, Flugzeuge, Industriemaschinen, Züge, Radio, Video, Podcast, Werbeslogans etc. übersteigern das Pferdegetrappel von einst. Und so mancher empfundene Dauerstress lässt sich eben auch auf Geräusche zurückführen oder wird zumindest durch diese gesteigert. Dabei ist Ruhe gut für das Gehirn, wie immer mehr Studien zeigen.

Ruhe, bitte!

Stau Autobahn nachts LKW

Auch nachts haben Städter keine Ruhe vor Geräuschen. © Mayastar under cc

Gemäß einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation sind circa 40 % aller Bewohner der europäischen Union tagsüber einer Straßenverkehrs-Geräuschbelastung von etwa 55 db(A) ausgesetzt und 20 % von sogar 65 db(A). Zusammengefasst sind also mehr als die Hälfte der Einwohner der europäischen Union andauerndem akustischen Stress ausgesetzt. Das ist erschreckend. Hinzu kommt der Lärm, den wir selbst veranstalten, wenn wir uns dauerbeschallen lassen.
Überlege einmal: Wie viele Momente verbringst du in völliger Stille?

Dabei ist Lärm nicht zwingend laut. Auch monotone Geräusche oder immer wiederkehrendes Klicken, Klingeln, Surren oder Piepen kann stresssteigernd sein.

Der moderne Lärm: Was er in uns auslöst

»Noise pollution«, heißt es so treffend im Englischen. Unsere Welt ist verschmutzt von Geräuschen. Wann haben wir das letzte Mal das Knirschen von Schritten im Schnee beim Spaziergang durch den ansonsten stillen Winterwald gehört? Wann allein das abendliche Zirpen der Grillen? Diese einst für unsere natürliche Umgebung normal anmutenden Geräusche sind für uns zu einer Besonderheit geworden. Man verbindet sie mit Urlaub. Mit Luxus.

Lärm macht uns krank, das wissen Forscher schon seit Langem. Die klinischen Studien untermauern, dass die Geräusche unserer westlichen Gesellschaft mit höherem Blutdruck und Herzinfarkten in Zusammenhang stehen können. Weitere Folgen des Lärms können Schlafstörungen, ein erhöhter Stresspegel und damit quasi ein ständig in Alarmbereitschaft versetzter Organismus sein.
Zudem scheint die kognitive Entwicklung bei Kindern, ihre Sprach- und Lesefähigkeiten durch andauernde Lärmbelästigung, negativ beeinflusst zu werden.

Mach mal Pause!

Begeben wir uns in eine Phase der Andacht und Besinnung, reagiert auch unser Gehirn neurowissenschaftlich nachweislich entsprechend darauf. Stille und vermeintliches Nichtstun, so zeigt sich in Studien, scheinen positiv für unser Gehirn zu sein, weil in diesem Zustand andere Prozesse angestoßen werden – im Gegensatz zu einem Gehirn, welches ständig im Verarbeitungsmodus externer Stimuli ist beziehungsweise damit beschäftigt ist, uns auf zukünftige Geschehnisse permanent gedanklich vorzubereiten.

Wenn es still ist, kann das Gehirn anders arbeiten

Brain Schrift Zeitungen

Täglich prasseln tausende Informationen auf unser Gehirn ein. © Jesper Sehested under cc

Befindet sich das Gehirn im scheinbaren »Ruhemodus«, wird das Default Mode Network aktiv. Eine Gruppe von Gehirnregionen, die beim »Nichtstun« beginnen zu arbeiten. Neurowissenschafts-Legende Professor Marcus Raichle von der Washington University entdeckte dieses Netzwerk per Zufall. Als die Probanden bei wissenschaftlichen Studien im Positronenemissionstomographie-Scanner lagen und gerade nichts zu tun hatten, leuchteten plötzlich im Scanner Hirnregionen auf, die sich bis dato kaum wissenschaftlicher Beachtung erfreuten.

Die betreffenden Regionen ziehen sich an der Mittellinie des Gehirns entlang. Unter anderem zählen zu diesen Gehirnregionen Teile des präfrontalen Cortex, welcher in die Absichtsbildung und in Planungsprozesse eingebunden ist, sowie (hin und wieder benannt im weiteren Sinne) Bereiche des Hippocampus, eine Gehirnregion, welche an der Gedächtnisbildung beteiligt ist. Raichle dazu:

»Es gab aber überhaupt keine Erklärung für dieses ungewöhnliche Phänomen, also begann ich es genauer zu studieren. Wir gaben dieser Mittellinien-Region damals zunächst einen Scherznamen: Wir nannten sie die ›Mysteriöse Region im mittleren Scheitellappen‹. Denn sie verminderte über verschiedenste Aufgaben hinweg immer wieder ihre Aktivität.«

Stille macht klug: Ruhe ist gut fürs Gehirn

Das eben beschriebene sogenannte »Ruhezustandsnetzwerk« fördert die nach innen gerichtete Aufmerksamkeit, wie sie zum Beispiel bei der Meditation oder beim Tagträumen dienlich ist.

Ist dieses Netzwerk aktiviert, unterstützt es auch unsere Kreativität und Problemlösekompetenzen sowie die Identitätsbildung. Wer bin ich? Wie fühle ich? Was möchte ich? Fragen, die sich auftun, lässt man die Gedanken schweifen. Und eine Antwort darauf formt sich am besten, wenn sich das Gehirn im »geistigen Ruhezustand« befindet. Außerdem weiß man: Längerfristig gesehen fördert diese Art der Meditation die Konzentration. Verständlich, bedenkt man, dass ein erholter Muskel auch leistungsfähiger ist gegenüber einem ausgepowerten.

Ernst Pöppel, Professor für medizinische Psychologie an der Universität München, sagt dazu in einem Interview mit der ZEIT: »Wenn ganz Deutschland jeden Tag für eine Stunde nicht kommunizieren würde, dann hätten wir hier den größten Innovations- und Kreativitätsschub, den man sich vorstellen kann.« Und weiter: »Kreativität ist ein wichtiges Merkmal eines ausgeglichenen Menschen. Wer nur noch erledigt, abarbeitet, reagiert, braucht definitiv eine Pause.«

Stille als Brain-Booster?

Winterwald Tannenbäume Schnee

Natürliche Geräusche: Warum Ruhe gut für unser Gehirn ist. © Martin Fisch under cc

Bei Mäusen zeigte sich, dass zwei Stunden Stille offenbar neue Zellen im Hippocampus entstehen lassen kann: »But after 7 days«, so die Forschergruppe um Kirste, »only silence remained associated with increased numbers of BrdU-labeled cells. Compared to controls at this stage, exposure to silence had generated significantly increased numbers of BrdU/NeuN-labeled neurons.«

Inwieweit diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, wird zukünftige Forschung zeigen. Die Ansätze dafür scheinen jedoch vielversprechend zu sein.

Stille: Mehr Schlaf, weniger Stress

Auch unser psychisches Wohlbefinden scheint von mehr Stille zu profitieren. So verbessert Stille selbstredend unsere Schlafqualität. Auch senkt sich nachweislich unser Stresslevel, wenn wir die Geräusche außen vor lassen. Vermindertes Angsterleben kann damit ebenso einhergehen wie mehr Zuversicht im Alltag.

Man muss nicht Unsummen von Geld ausgeben, um abgelegene Inseln oder Klöster, die Stille versprechen, aufsuchen zu können. Das Unterbrechen unserer sozialmedialen Erreichbarkeit sowie das heimische Sofa in stiller Umgebung genügen ebenso, damit das Gehirn von der Ruhe gut profitieren kann. Traust du dich?