Klinik Harburg

Nicht jede Klinik wirkt äußerlich spontan einladend. Gerhard Kemme under cc

Auf die Idee, dass wir uns ein krankes Gesundheitssystem leisten, ist man schon öfter gekommen. Oft werden dabei bestimmte Teilbereiche betrachtet, die nicht gut laufen, von der schleppenden Terminvergabe, bis zu überflüssigen Operationen, doch seltener wird der Blick aufs Ganze gerichtet. Wo dies versucht wird, werden oft Teilbereiche als Ganzes verkauft. Wir wollen den Blick erweitern und sagen, welche wichtigen Bereiche mindestens mitberücksichtigt werden müssen. Grob könnte man sagen, dass es sich dabei um die Bereiche Geld, Ideologie und eingefahrene Gewohnheiten handelt, doch diese Bereiche greifen ihrerseits ineinander.

Das liebe Geld

Mehr als man denkt, hat sehr direkt mit Geld und Gewinn zu tun. Das hängt mit so vielfältigen Bereichen wie der Arzneimittelforschung zusammen, der Terminvergabe, individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), sozusagen der Bauchladen des Arztes, Diagnostik und Therapie, mit Organtransplantationen aber auch mit der Personaldichte in der Pflege und der Arzt- und Krankenhausdichte auf dem Land.

Viele Patienten klagen über die Terminvergabe. Man geht ja in der Regel zum Arzt, weil es einem genau jetzt schlecht geht. Vielleicht wartet man, ob es von selbst besser wird, probiert ein paar Hausmittel, hilft das nicht, ist der Arzt die nächste Adresse. Beim Hausarzt bekommt man in der Regel schnell einen Termin, kann der helfen, ist alles gut, wenn nicht, geht es weiter zum Facharzt. Ist man gesetzlich versichert muss man unter Umständen viele Wochen bis Monate Geduld haben, die hat man aber nicht, wenn es schmerzt oder man sich Sorgen macht. An gesetzlich versicherten Patienten kann man wenig verdienen, es gibt ein bestimmtes Budget für ein Quartal, ist das erschöpft, zahlt der Arzt sogar drauf, bei privat Versicherten bekommt man mehr Geld. Privatpatient zu sein, ist aber nicht unbedingt ein Vorteil, denn weil man mit ihnen verdienen kann, ist die Verlockung groß die eine oder andere, an sich nicht notwendige Diagnose oder Therapie durchzuführen, immer so, dass man es noch irgendwie rechtfertigen kann, eine Grauzone. Dabei muss einem klar sein, dass der überdiagnostizierte Patient nicht unbedingt der ist, dem es besser geht.

Damit sich auch die Behandlung eines Kassenpatienten lohnt gibt es ein System von Zeitvorgaben und IGeL. Diese zahlt der Patient aus eigener Kasse, weil er und sein Arzt vom zusätzlichen Nutzen überzeugt sind, was die Arzt allerdings in die Rolle eines Verkäufers bringt und das Verhältnis zum Patienten belastet. Überdies ist der Nutzen der meisten Leistungen umstritten bis unbelegt, manche sind sogar schädlich, wie der IGeL Monitor zeigt. Aktuell ist der Nutzen nur bei zwei Verfahren belegt: Akupunktur bei Migräne und Lichttherapie bei Winterdepression. Die Diskussion über Sinn und Unsinn ist in vollem Gange, aber man ist besser im Bilde, wenn man beide Seiten hört. Den Machern des Monitorings wird nachgesagt, der verlängerte Arm der Krankenkassen zu sein. „Initiator und Auftraggeber des IGeL-Monitors ist der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V.“, wie wir auf deren Website erfahren.

Geld verdienen und für sich behalten, wollen dann die meisten, auch Krankenkassen sind keine Wohlfahrtsunternehmen und auch sie verdienen daran, dass der Patient möglichst lange gesund bleibt und dann, zynisch gesagt, schnell stirbt, wenigstens aber keine chronische Erkrankung hat, am wenigsten gerne eine, bei der Folgeerkrankungen mehr oder weniger gesichert sind, wie bei Diabetes mellitus.

Der Patient selbst möchte schnell behandelt werden und daher gehen viele in die Notfallaufnahme der Krankenhäuser. Menschlich einerseits verständlich, andererseits eine Unsitte, denn das verzögert die Wartezeiten für echte Notfälle, hier kann es um Leben und Tod gehen. Viele werden dort abgewiesen und in die hausärztliche Notfallpraxis überwiesen, was richtig ist, aber zu Frustrationen führt. Immerhin die Terminvergabe versucht die Politik neu zu regeln, ob es klappt weiß man nicht, viele Ärzte arbeiten bereits am Limit.

Denn bevor man über gierige Ärzte schimpft, die den Hals nicht voll bekommen, muss man sich klar machen, das Arzt zu werden heute keine Gelddruckmaschine mehr ist. In den ersten fünf oder sechs Jahren bis zur Facharztprüfung sind die jungen Ärzte für wenig Geld sehr lange im Krankenhaus, Überstunden und Stress sind die Regel. Der Facharzt hat dann etwas mehr Geld und Ruhe, der Funktionsoberarzt in der Regel kaum mehr Geld, dafür mehr Arbeit und Verantwortung, erst der wirkliche Oberarzt ist wieder ein lukrativer Schritt, doch da wird die Luft dann auch schon dünner.

So ist die Lösung für viele sich niederzulassen, doch auch das ist kein Zuckerschlecken, die Praxis muss attraktiv und in möglichst guter Lage sein und man muss mit dem Verfahren Geld verdienen können. Radiologen verdienen viel, allerdings sind die Kosten für die Anschaffung neuer Geräte oft horrend und auch sich in eine Praxis einzukaufen ist finanziell eine Herausforderung, die man erst mal stemmen muss und danach ist man gezwungen zu verdienen, weil man danach laufende Kosten für diverse Finanzierungsmodelle abbezahlt. Es sei denn, man etabliert ein vollkommen anderes System, von dem man dann aber auch sagen muss, wie es aussehen soll. Der Landarzt ist nur im Fernsehen eine Option, in der Realität ist er, bezogen auf das Verhältnis von Arbeit (inklusive weiter entfernte Noteinsätze in der Nacht) zu Lohn, eher unbefriedigend.

Kosten minimieren, Gewinne maximieren

Auch Krankenhäuser, Rehakliniken, Alten- und Pflegeheime, sowie ambulante Pflege- und Praxisketten sind öfter als man denkt Wirtschaftsunternehmen. Wenn sich dort Hedgefonds eingekauft haben, ist die Katastrophe perfekt.

„Die Frage, die sich viele Investoren stellen: Wo lassen sich auf diesem gesättigten Markt noch lohnenswerte Geldanlagen tätigen? Unsere Antwort: Pflegeimmobilien. Zu diesen zählen Altersheime, Pflegeheime, kombinierte Alters- und Pflegeheime, Seniorenresidenzen, Pflegeappartements und andere stationäre Pflegeeinrichtungen.“[1]

So lautet es recht unverblümt auf der Seite eines Unternehmens. Konkurrenz auf dem Markt Gesundheit und Pflege gibt es überall, wie die Berliner Morgenpost exemplarisch berichtet. Kosten minimieren, Gewinne maximieren, so ist das immer gleiche Prinzip und bedeutet dasselbe, was es immer bedeutet. Viel Geld, wenig Service und da 60 Prozent der Kosten Personalkosten sind, heißt das möglichst wenig Personal, macht für möglichst geringen Lohn, möglichst viel Arbeit. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist dieses Prinzip bis an und über die Schmerzgrenze ausgereizt worden. Aber die Probleme in der Pflege sind nicht beschränkt auf das dort arbeitende Personal sondern betreffen uns über Bande alle, wenn nicht heute, dann in Zukunft. Mehr Service ist durchaus drin, aber dann zu deutlich höheren Kosten, doch auch die müssen immer noch kräftig Gewinn abwerfen.

Auch für Kliniken heißt das, Verfahren mit einer hohen Einnahmen/Ausgaben-Differenz möglichst oft durchzuführen und auf den Rest zu verzichten oder ihn zu minimieren. Praktisch bedeutet es, dass bei uns eine Vielzahl von Herzkatheter-Untersuchungen und orthopädischen Operationen, so wie anderes, bei weitem häufiger durchgeführt wird als in anderen euroäischen Ländern. Der Verweis auf die hohe Qualität der deutschen Medizin ist nur bedingt ein Argument, denn die Lebenserwartung in Deutschland ist nicht spitze.