Eliten haben in unserer Zeit keinen guten Ruf, was aber vornehmlich einer Veränderung des Elitebegriffs geschuldet ist, ja sogar einem Kampf der Eliten. Kampf bedeutet dabei, dass wir eine alte Elite sehen, deren Bedeutung und Status abnimmt, während eine oder mehrere neue Eliten dabei sind, sich zu etablieren. Das führt zu einem Gerangel in dem sogar die grundlegenden Ziele und Einstellungen hinterfragt werden.
Verschiedene Arten Eliten
Elite ist, wer Einfluss hat und nicht nur über virtuelle Macht verfügt. Dazu der Soziologieprofessor Michael Hartmann:
„Wenn jemand Millionär ist und sein Geld bloß auf dem Sparbuch liegen lässt, gehört er nicht zur Elite. Wenn er es nutzt, um Einfluss zu nehmen, dann schon. Natürlich kann man darüber streiten, wie mächtig man sein muss, um dazuzugehören. In unserer letzten Elitestudie untersuchten wir nur die wichtigsten Machtpositionen: Konzernmanager, Ministerpräsidenten, Bundesrichter, einige Journalisten. Andere zählen auch die Oberbürgermeisterin von Köln dazu. Aber egal wie man rechnet: In Deutschland umfasst die Elite im Kern etwa 1000, breiter gefasst maximal 4000 Leute.“[1]
Die Elite verfügt öfter über ein höheres Einkommen, aber dies ist nicht zwingend, in Wikipedia lesen wir:
„In der Soziologie wird der Begriff sowohl wertfrei beschreibend oder erklärend als auch in gesellschaftskritischer Absicht gebraucht. Als „eigentliche“ Elite wird z. B. im Strukturfunktionalismus mehr die Funktions- und Leistungselite gesehen; die Konfliktsoziologie rückt die Machtelite in den Mittelpunkt ihres Interesses.
[…] „Elite“ unterscheidet sich vom Begriff „Oberschicht“, obwohl es häufig Schnittmengen gibt. Eine Elite muss aber nicht notwendigerweise aus Mitgliedern privilegierter sozialer Schichten bestehen. Konzepte wie Schicht und Klasse betonen die ökonomische Dimension sozialer Strukturen, während mit dem Konzept „Elite“ deren politische Dimension betont wird. Zudem zielt der „Schicht“-Begriff auf industrielle Gesellschaften ab, während der „Elite“-Begriff auf alle möglichen Formen gesellschaftlicher Differenzierung Anwendung gefunden hat, bis zurück in die Ur- und Frühgeschichte, insoweit dort bereits feste Arbeitsteilung bzw. legitimierte Herrschaftsformen erschlossen werden konnten.“[2]
Eliten sind also diejenigen, die was zu sagen haben, die den Stil einer Zeit prägen oder mitbestimmen. Es ist vermutlich ein Zeichen des Umbruchs, dass nicht so ganz klar ist, wer nun alles zur Elite gehört und wer nicht mehr. Denn nur Geld zu haben, reicht nicht. Wer Geld und Macht hat, Beziehungen und einen Einfluss über Netzwerke, der hat weit bessere Chancen, bei einem Vergehen nicht bestraft zu werden, als jemand, der, ohne in die sozialen Codes der Elite eingeführt worden zu sein, einfach nur zu Geld gekommen ist.
Was vielen Machteliten fehlt ist ein Unrechtsbewusstsein. In einem gewissen Selbstverständnis gehen Menschen, die vielleicht tatsächlich etwas für die Welt getan haben, davon aus, dass ihnen aufgrund besonderer Leistungen nun auch automatisch mehr Rechte zustehen, als den normalen Bürgen. Was an sich gegen das Gesetz ist, wird vielleicht von Teilen der Bevölkerung noch verstanden, wenn es sich um echte Leistungen handelt, von denen alle irgendwie profitieren. Sei es durch Verbesserungen des Alltags, sei es über gute Unterhaltung, in Show Biz oder Sport. Doch diejenigen, bei denen man das Gefühl hat, dass sich Inkompetenz und Selbstüberschätzung paaren ernten immer mehr Kopfschütteln. Diese Menschen können oft nicht tief fallen, weil die Strafe allenfalls eine Versetzung in einen Bereich ist, in dem man wieder zu viel Einfluss und Geld hat. Oft sind damit Wirtschaftbosse und Politiker gemeint, bei denen man das Gefühl hat, dass sie sich nicht verantworten müssen. Wo der mittelständische Unternehmer oft noch persönlich gerade steht und hohe Risiken eingeht, ist man, wenn man in 12 Aufsichtrräten sitzt, fein raus.
Doch heute kann man auf der anderen Seite schneller zur Elite gehören, als man denkt. Entgegen den immer wieder zu hörenden Beteuerung, der Einzelne sei machtlos, erleben wir in steter Reihenfolge das Gegenteil. Die Schiffskapitänin Carola Rackete, der YouTuber Rezo, die schwedische Klimaaktivisten Greta Thunberg sind aktuelle Beispiele.
Die alten Werte zählen nicht mehr
Und da ist noch etwas. Man verweigert den alten Eliten, die bislang den gesellschaftlichen Ton angaben, aktuell immer stärker die Nachfolge. Die Mitglieder dieser alten Eliten waren es gewohnt letztlich doch das letzte Wort zu haben, indem, durch die Unterstützung breiter Teile der Gesellschaft klar gemacht wurde, wer hier was zu sagen hatte, wer wichtig war, etwas erreicht hatte und wen man gar nicht erst zu nehmen brauchte.
Doch genau diese Menschen, die die soziokulturellen Trends setzten, betrachtet man skeptisch. Nicht nur, dass ihre Ansichten nicht mehr geteilt werden, auch das Insgesamt ihrer Lebensweise und ihrer Ziele werden abgelehnt und nicht mehr kopiert. Vielleicht in einem dramatischeren Ausmaß als früher, denn auch wenn es Ende der 1960er schon einmal breite und lautstarke Proteste gab, nur wurden die Protestierer in ihrem Marsch durch die Institutionen ruhiger und viele Revoluzzer haben heute gut dotierte Posten und sind irgendwie „zur Vernunft“ gekommen oder so geworden, wie sie selbst nie werden wollten.
Das Auto, das eigene Haus, das solide Einkommen, vor allem Macht und Anseehen, das beruhigte viele Revolutionäre doch nachhaltig in ihrem Drang und genau das wird heute nicht mehr automatisch geteilt. Besitz, Einkommen, soziales Ansehen nach den alten Kriterien und Auto sind nicht länger die überragende Werte, junge Menschen wollen heute etwas von der Welt sehen, vor allem wollen sie sich nicht für einen Beruf aufreiben und sind nicht bereit ihr sonstiges Leben dem vollkommen unterzuordnen.
Vertreter der alten Garde reagieren wie gewohnt, reden davon, dass wir eben eine Leistungsgesellschaft seien und rechnen damit, dass die Jugend sich schon wieder beruhigen und auf Kurs kommen wird, aber es tut sich tatsächlich was in Deutschland, denn die Milieus derjenigen, die auf neugierige und eher spielerische Weise der Zukunft zugewandt sind, steigen von zusammen 23% in den Jahren 2015 (Adaptiv-Pragamatische, Expeditive und Performer) auf heute 28% und das geht auf Kosten der bürgerlichen Mitte und der Traditionalisten, die in 2015 noch 28% auf sich vereinten, 2018 waren es noch 24%. Die Zahl der Konservativ-Etablierten ist seit 2010 stabil bei 10%.[3]
Die Elite der alten weißen Männer vs. Neue Kosmopoliten
Das was heute eher unglücklich als alte weiße Männer diskreditiert wird, ist neben einer dreifachen Entwertung ganzer sozialer Gruppen – aus einem Milieu heraus, dass sich sonst ausdrücklich gegen jede Art der Gruppendiskriminierung ausspricht – auch eine Neupositionierung, die sich artikuliert: Man kündigt die Gefolgschaft auf und zwar insbesondere die Selbstverständlichkeit, mit der man einem bestimmten Gestus folgte und einer Denkweise, dass die Dinge hier nun mal so laufen, wie sie immer liefen.
Inbesondere die Mischung aus sexueller Anzüglichkeit, Herabsetzung der Frauen und der nichtweißen Teile der Bevölkerung wird den Betreffenden vorgeworfen, so kommt die Begriffsbildung aus dem linken, neofeministischen Milieu, doch auch andere Teile der modernen Kosmopoliten schließen sich an, die dem Herrenwitz und dem gefühlten Anrecht auf das letzte Wort und die traditionellen Werte von Heimat und Besitzwahrung nichts mehr abgewinnen können.
Die neuen Kosmopoliten sind in vielem anders aufgestellt: Sie sind quirlig, wollen die Welt kennen lernen, fühlen sich nicht an bestimmte Standorte gebunden, sondern überall zu Hause. Mobilität ist daher ein hohes Gut ebenso wie Vernetztheit auf der Online-Ebene. Die Werte sozialer und Gendergerechtigkeit sind ihnen selbstverständlich, auch die prinzipielle Gleichheit Ethnien und Länder. Doch diese Arten des Denkens und Protest hat es immer schon gegeben, was neu ist, ist dass die Zwangsläufigkeit mit der man irgendwann so wird, wie die ältere Generation, sich nicht einstellen muss, denn die Jugend hat eigene Kompetenzfelder.
Das Internet ist eine neue Größe, auch viele älteren Menschen haben das erkannt und nutzen dies auf ihre Art, doch die Generation derer, die mit der digitalen Welt ganz selbstverständlich aufwachsen, für die das Smartphone oder Tablet, der Klang des Modems oder das Intro bestimmter Programme so selbstverständlich war oder ist, wie das Schuhe zu binden, wird immer größer. Und hier stehen die alten weißen Männer oft vor verschlossener Tür, diese Welt ist ihnen fremd, über YouTuber oder Influencer lesen sie etwas, aber sie bewegen sind nicht in diesen Welten. Und langsam dämmert, dass die digitale Welt kein Ausdruck von Jugendkultur ist, die sich dann irgendwann wieder auflöst, sondern eine Neuerung, die bleibt, wie seinerzeit das Auto, das Radio oder die Waschmaschine. Da kommen die alten weißen Männer nicht mehr mit, es ist nicht ihr Terrain, hier fühlen sie sich abgehängt und sind es auch oft.
Ob das immer gut ist, weiß man nicht, doch man muss konstatieren, dass die Attraktivität der digitalen Medien hoch ist und durchaus mit den Angeboten der Etablierten konkurrieren kann. Der Kampf der Eliten wird auch über die Attraktivität der Ziele ausgefochten. Mit dem Cabrio oder Chopper durch die Welt fahren, Partys oder die luxuriöse Segelyacht, als Zeichen, dass man es geschafft hat, damit kann die neue Elite der Kosmopoliten durchaus mithalten. Denn die wollen das alles gar nicht unbedingt besitzen und live präsentieren, es reicht ihnen oft das auch mal erlebt zu haben, es vielleicht noch in den Social Media per Selfie zu dokumentieren und dann geht die Reise weiter.
Auf der Segelyacht irgendwo vor Monaco zu liegen oder eine Nummer kleiner, eine Kreuzfahrt zu unternehmen, um attraktive Orte zu erleben, das toppen die Kosmopoliten locker, bei denen die Individualreise in den Urwald führt, oder an Orte, zu denen der normale Tourist überhaupt keinen Zugang hat. Nur alles eben lockerer und selbstverständlicher.