Das psychische Trauma und chronische Aggression

Auto lehnt an Hauswand

Schwere Autounfälle können traumatisieren. © Brad Greenlee under cc

Weitaus schwieriger ist es den Einfluss von traumatisieren Ereignissen und chronischer Aggression zu differenzieren. Das psychische Trauma wurde oben definiert, darin hieß es unter andrem, dass „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer“ vorliegt. In der Regel wurde ein Trauma als einmaliges Ereignis definiert. Was aber, wenn ein gewalttätiger Mensch, der Familienvater ist, Frau und Kinder über Jahre drangsaliert? Wenn es immer wieder zu Gewaltexzessen kommt, wenn zu Hause der schrecklichste Ort der Welt ist und kein Nest der Geborgenheit. Wenn also das Trauma kein einmaliges Ereignis ist, sondern der dramatische Regelfall?

In diesem Fall sprach man nicht von einem Trauma, sondern von chronischer Aggression und was vielleicht auf den ersten Blick marginal erscheint, weil die Folgen in beiden Fällen fürchterlich sein können, ist doch von hoher Bedeutung, da Diagnose und Therapie in eine andere Richtung gehen. Inzwischen hat sich dafür die Unterscheidung zwischen Typ-I-Trauma, das kurzfristig und einmalig ist und Typ-II-Trauma, das lang anhaltend oder wiederholt ist. Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob es sinnvoll ist, das, was den Begriff Trauma spezifisch macht, zu kassieren. Ein langes und kompliziertes Thema, aber verkürzt kann man sagen, dass chronische Aggression, die mit den so schädlichen Spitzenaffekten verbunden ist, tendenziell etwas ist, was man gewöhnlich in jungen und jüngsten Jahren erleiden muss, in denen man gerade die wiederholten Situationen nicht beeinflussen oder einfach gehen kann. Tragischerweise werden in diesem Alter auch die folgenreichsten Ursachen gesetzt und hier ist die häufigste Folge die Identitätsdiffusion, die anzeigt, dass eine schwere Persönlichkeitsstörung vorliegt, deren Hauptursache die chronischen Aggressionen und Spitzenaffekte sind. Diese führen zu einer Spaltung zwischen Kognition und Affekten/Emotionen, also zwischen dem, was man denkt oder versteht und dem was man fühlt und empfindet.

Ein psychisches Trauma kann jedoch in jeder Phase des Lebens auftreten und auch bei ansonsten psychisch gesunden Menschen. Man kann auch mit 20 oder 50 Opfer einer Entführung werden, einen Krieg oder ein schweres Erdbeben erleben. Die Folgen sind mitunter schrecklich, aber anders als wenn man chronischer Gewalt oder chronischem sexuellen Missbrauch ausgesetzt ist, oder bezeugen muss.

Auch die Therapie des psychischen Traumas und der schweren Persönlichkeitsstörung ist eine deutlich andere, darum ist diese Unterscheidung ungeheuer wichtig.

Die schlechte Nachricht

Sowohl Traumatisierungen, als auch chronische Aggressionen haben mitunter fürchterliche, fremd- und selbstzerstörerische Folgen, die alles andere als eine Bagatelle sind. Menschen, die ein psychisches Trauma erlitten haben sind von den Folgen oft gepeinigt und selbst erfahrene Traumatherapeutinnen wie Luise Reddemann sehen viele Fälle, in denen man lindern kann, in denen aber eine komplette Heilung kaum möglich erscheint.

In einigen Fällen ist es so, dass es zu Retraumatisierungen im Rahmen einer Psychotherapie kommt, nämlich dann, wenn ein Trauma von einem Patienten abgespalten wurde, die Erinnerung im Rahmen der Therapie wieder hoch kommt.

Längst nicht alles, was als psychisches Trauma verkauft wird, ist eines, aber wenn Menschen dann eines erlitten haben, stellt das oft ihr gesamtes Leben auf den Kopf und das ihrer Mitmenschen gleich mit. Wir sind zum Glück seit Jahren keine Kriege mehr gewöhnt, doch nach dem Ersten Weltkrieg kamen viele der an den fürchterlichen Kämpfen beteiligte Menschen als sogenannte Kriegszitterer wieder, ein Symptomenkomplex der heute weitgehend als posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gedeutet wird und der zeigt unter welchem immensen Druck diese Menschen gestanden haben müssen. Wir erleben PTBS heute wieder, in einer Zeit wo wir erstmals wieder mit einer äußerst geringen Zahl, heimkommender Soldaten konfrontiert sind, die schwer unter dem, was sie in Kriegsgebieten wie etwas Afghansitan erlebt haben leiden und eine diagnostizierte PTBS haben. Dass sich die Formen psychisch bedingter Symptome häufig ändert ist ein interessantes und vielfach bestätigtes Phänomen.

Die gute Nachricht

Eine gute Nachricht ist, dass es vermutlich zu dem Thema heute insgesamt mehr positive und mutmachende Nachrichten gibt, als schlechte. Selbst das ICD-10 gibt Anlass zur Hoffnung: „Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.“[6]

Man versteht, auch durch Fehler immer besser, was bei einem Trauma hilft. EMDR ist eine die bewusste Aufarbeitung und rationale Einordnung umgehende Therapieform, bei der mit der Hilfe eines Therapeuten eine als traumatisch erlebte Situation (die nicht immer ein echtes psychisches Trauma sein muss), durch eine Kombination von einer Wiedererinnerung dessen, was erlebt wurde, die man auch Konfrontation nennt und Augenbewegungen von links nach rechts und wieder zurück, denen man zuschriebt (als Analogie zu den Rapid Eye Movements (REM) des Schlafs), das Geschehen zu bewältigen und zu verarbeiten.

Inzwischen geht man davon aus, dass die Augenbewegungen an sich verzichtbar sind und die Konfrontation der wesentliche Faktor ist, dennoch sollte man daraus nicht machen, der Rest sei nur Quatsch, denn die Augenbewegungen können in ritualisierter Form ihre eigene Kraft gewinnen, in dem man weiß, wie man mit Erlebnissen umgeht, man kann sie wegwischen, wie Regen von der Windschutzscheibe.

Auch das klassische Arsenal der Traumatherapie wird immer besser und kann sich durch unseren Wissenszuwachs weiter ausdifferenzieren. Von besonderem Interesse ist dabei auch das Thema Resilienz. Resiliente Menschen überstehen nicht nur normale Alltagsschwierigkeiten besser als andere, es gibt immer wieder auch Menschen, die entsetzliche Erfahrungen erstaunlich gut wegstecken können. Wenn man versteht, was bei diesem Menschen anders ist und was ihre Stärke ausmacht, könnte dies wiederum dafür genutzt werden traumatisierten Menschen besser zu helfen.

Auffallend ist dabei, dass es – wie auch in anderen Bereichen des Lebens – immer wieder auf den generellen Rahmen anzukommen scheint, mehr als auf Medikamente oder spezielle Therapiemethoden. Im Leben einen Sinn zu sehen und das Geschehen in ein Weltbild integrieren zu können, das auch außergewöhnliche und traumatische Belastungen integrieren kann, kann man nicht therapeutisch verordnen, sind aber Eigenschaften die bei der Analyse von schützenden Persönlichkeitsanteilen immer wieder auftauchen, bei Spontanheilungen, dem Einfluss der Psyche auf den Körper und eben auch bei dem Erleben von stark belastenden äußeren Faktoren, so dass man die Frage, ob es Ereignisse gibt, bei denen man zwingend traumatisiert ist, annähernd verneinen kann. Aber schon der Durchschnittsmensch ist zäh, so dass er viele Erlebnisse besser verarbeiten kann, als man meinen sollte.

Sinn oder die Einordnung des Ereignisses in ein tragfähiges Weltbild, sowie sich als selbstkompetent (oder geborgen) im Rahmen dieses Weltbildes zu erleben, das scheinen hoch bedeutsame Fähigkeiten zu sein. Früher versuchte man dies als eher irrelevantes Beiwerk abzustreifen doch heute erleben gerade diese Faktoren wieder ihre Renaissance. Nicht selten können gerade auch belastende Lebensereignisse oder sogar ein psychisches Trauma oder Todesangst Türen öffnen, um diese Bereich neu zu sortieren.

Quellen