Und das will man nach wie vor, nur wird zunehmend unklar, wer eigentlich unten und der oben ist. Ist der Geisteswissenschaftler wirklich Unterschicht, nur weil manche Reinigungskraft mehr verdient? Ist der moralisch fragwürdige, aber finanziell erfolgreiche Geschäftsmann wirklich noch Vorbild? Aber andererseits ist man in der Selbstoptimierungsgesellschaft auch für alles selbst verantwortlich. Wie gut die man die Work-Life-Balance im Griff hat, wie gesund, fit und ausgeruht man ist und immer mehr, wie souverän und cool man zum Manager in eigener Sache geworden ist.
Nur keine Zeit verschenken? Doch, gerade. Zeit ist einer der neuen Luxusartikel, sich Qualitätszeit leisten zu können, für die eigene Familie, die Bildung, die Herzensnangelegenheiten, das soziale Engangement, so nebenher und ganz selbstverständlich. Die Mischung macht’s, aber wie die richtige ist, ist ebenfalls nicht genau klar, denn Ansehen gibt es nur noch in und von der eigenen Community.
„Auffallen und sich seiner selbst vergewissern wird eins. Je mehr wir nach Feedback und Bestätigung dürsten, umso mehr wird Sinn aus Handlungen und Erlebnissen gezogen, die besondere soziale Anerkennung und Aufmerksamkeit versprechen. In Südostasien als Backpacker umhergetrampt zu sein, ist bereits Standard in der Generation Y. Wildes Reisen avanciert tatsächlich zu einem neuen Status-Parameter: Wer viel herumkommt, hat viel zu erzählen und gilt als weltoffen, tolerant und kosmopolitisch.“[3]
Klotzen und protzen ist also out, meint sogar Capital:
„Diejenigen, denen materielle Güter als Distinktionsmerkmal zu uncool sind, nennt Currid Halkett „aspirational class“. Diese Gruppe setzt auf kulturelles Kapital, nicht auf materielles. Wichtiger als eine teure Marke zu tragen, sind bestimmte Stil- und Wertvorstellungen. Auf Partys beeindruckt man nicht mit kubanischen Zigarren, sondern mit den raffiniertesten Smalltalkthemen – sei es die Kenntnis der nordafrikanischen Literaturszene oder das eigene humanitäre Engagement.“[4]
Doch Besitz und unterscheiden will man sich nach wie vor, auch da ist man sich einig, vor allem auffallen, koste es, was es wolle. Immer online zu sein ist ein Teil des Preises, denn aufzufallen heißt immer mehr, auch online aufzufallen. Vielleicht nicht bei den Reichen, Schönen und Erfolgsverwöhnten, aber auch andere wollen sich Besitz, haben ihre Statussymbole, die nicht unbedingt Prestigesymbole sein müssen, sondern die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht, mit der man sich identifiziert, ausdrückt.
Es ist nicht mehr klar, was oben ist
Universelle Statussymbole haben den Vorteil, dass jeder sie versteht. Auto und Haus, wenn die Massen einem näher kommt, eben in der Luxus- oder Vielfachvariante. Aber weder mit dem dicken Schlitten, noch mit endlos viel Geld oder viel Macht und Einfluss kommt man heute überall gleichermaßen gut an. Manche betrachten einen genau deshalb und dafür als Drecksack. Beneidet zu werden gehörte zwar schon immer zum Spiel, denn da man die gleichen Statussymbole teilte, konnte man sich auch jeder daran orientieren, man wusste, wer das bessere Auto hatte, aber heute stellt das Auto für viele eben einfach kein Statussymbol mehr da, das ist peinlich und antiquiert.
Mobilität hingegen ist hoch im Kurs und eine Sharing-Kultur. Sein, statt Haben. Zeit, statt Geld. Doch auch das ist eben nicht durch die Bank so, daher gehen viele Ansichten und Lebensansätze inzwischen so weit auseinander, dass man den anderen gar nicht mehr beneidet, weil die eignen Ziele komplett andere sind. Wer die Umwelt retten will, wird keine Kreuzfahrtgäste beneiden, sondern eher verachten. Da der allseits unbeliebte Mainstream, die eine, konventionelle Position der tumben Masse, immer mehr ausdünnt, sind auch seine Werte und Ziele nicht mehr selbstverständlich, somit auch nicht, wann man es geschafft hat. Extragroße Flachbildschirme und Elektrospielzeug für ihn, Fashion und die Beauty OP für sie, auch das ist nur nur noch eine Variante von vielen.
Ansehen, jemand zu sein, ist nicht mehr so billig zu haben, oder vielleicht sogar gerade billig, wenn man seine Werte nämlich authentisch vertritt und lebt, erwirbt man wenigstens in seiner Communtiy Ansehen und Anerkennung. Denn, sich für das Klima einzusetzen, heißt für die einen Held, für andere ein Spinner zu sein. Wer sich für Flüchtlinge engagiert, ist keinesfalls unumstritten und die Kenntnis der nordafrikanischen Literaturszene ist für manche das Überflüssigste, was es gibt.
Was ist nun wirklich wichtig, Online oder Real Life? Oder ist das im Grunde kein Unterschied mehr und geht es nur noch darum in allen Welten eine gute Figur zu machen, um bewundert zu werden, sein Ansehen zu steigern? Er muss besonders krass sein, sie besonders sexy, oder beide besonders normal, um die ideale Projektionsfläche abzugeben. Der oder die da, auf dem erfolgeichen YouTube Channel, das könnte im Prinzip auch ich sein. Ein mitunter sehr aufwendiges und durchorganisiertes Leben[internet], so fürchterlich normal zu sein. Aber sehr beliebt, bei vielen Jugendlichen. Aber ist das noch authentisch oder schon lächerlich? Ansehen ist zur Quantität geworden, die Zahl der Likes, Klicks und Follower entscheidet. Gut ist, was Klicks bringt und so richtet man sein Leben ein, um das Ansehen zu vergrößern.
Die soziale Kontoführung
Likes, Sprache, Werte, Kenntnisse, Fähigkeiten oder doch Besitz? Worum geht es in der Welt von heute? Vielleicht am ehesten darum, zu begreifen, dass es die eine Welt von heute nicht mehr gibt. Sie ist vielfältiger geworden, bunter, in einer Weise, dass ein gemeinsamer Pool des Rückgriffs auf uns letztlich doch noch alle verbindende Werte immer seltener zu werden scheint. Doch genau darum wird auch gerungen. Kann man letztlich aus jedem Spiel aussteigen, wenn man sich nicht mehr mit der Gesellschaft, sondern nur noch mit seiner Gruppe identifiziert und innerhalb der eigenen Blase kommuniziert?
Die soziale Kontoführung, das heißt, einen Menschen danach zu bewerten, ob er macht, an was sich hält, scheint eine Konstante zu sein, die in allen Gruppen bleibt. Selbst wenn Werte und Ziele von anderen gesellschaftlichen Subgruppen nicht anerkannt werden, die Einschätzung ob jemand integer ist, gilt ein gutes Stück weit in jeder Gruppe. Ebenfalls ist die Logik der Argumente etwas, auf was man nicht verzichten kann. Wer dies oder das vertritt, will ja überzeugen, wenigstens in dem Sinne, dass seine Art zu leben, die bessere ist. Sei es, dass man dadurch wohlhabender, freier, mächtiger oder emotionaler wird, oder was auch immer die eigene Gruppe für Werte vertritt.
Ein gewisses Ansehen, ein Ruf war wohl schon in früher Vergangenheit wichtig. Bei der gemeinsamen Nahrungssuche waren bestimmte Eigenschaften nützlich und wichtig. Mut, Klugheit, Kenntnisse und Fähigkeiten, die Bereitschaft zu teilen und zu kooperieren, gehörten dazu. Damals noch für alle. Der eine hatte ein wenig mehr von diesen, der andere von jenen Eigenschaften, so dass erste Rollen entstanden. Wer schnell und mutig war, konnte eine andere Rolle spielen als ein behäbiger, vorsichtiger Taktiker.
Es waren die Rollen, die fortan tradiert und als wichtig erkannt wurden, wenn der Fußballmannschaft der Torwart abhanden kommt, bringt ein weiterer Stürmer nichts, denn der gute Stürmer kann als Torwart eine Niete sein. Auch die sozialen Rollen wurden tradiert, der Arzt war früher einer der wenigen, die gebildet waren und lesen konnten, heute kann das so gut wie jeder. Seine Rolle gut und verlässlich zu spielen, verhilft zu sozialem Ansehen. Die Rolle zu finden, die gut zu den eigenen Neigungen passt, verhilft zu einem gewissen Maß an Glück. Bei den Rollen nicht stehen zu bleiben und ein breites und selbstbestimmteres Leben zu führen können Ansehen und Glück in einigen Fällen weiter steigern.