Zukunftsentwürfe aller Art werden gerne mit Jahreszahlen verbunden, das gilt auch für technische Utopien. „1984“ war der Titel von Orwells dystopischem Roman, ansonsten werden gerne runde Jahreszahlen genommen. Das Jahr 2000 war so eine Schwelle, in den 1980ern hieß es mitunter, dann hätten wir überall Mondstationen und 30 Jahre später, würden wir den Mars besiedelt haben. Unklar ist gegenwärtig, ob bis 2030 überhaupt irgendein Mensch den Mars besucht haben wird, von einer Besiedlung ganz zu schweigen.
Die Jahreszahlen einiger technische Utopien stehen direkt vor der Tür: Von den eine Million E-Mobilen, die bis 2020 durch unsere Straßen rollen sollen, gibt es derzeit etwa 140.000, das Ziel ist damit um 86% verfehlt. 2022 soll es dann doch so weit sein, man wird sehen.
Etwa 2020 sollte auch das erste menschliche Bewusstsein, nach Aussagen des Physikers Frank J. Tipler, komplett auf einen Rechner überspielt werden können, ungefähr 10 Jahre später das Bewusstsein der ganzen Menschheit. Einer der führenden Technik-Utopisten und Google Direktoren, Ray Kurzweil, prognostiziert ähnliches, nur für das Jahr 2045. Singularität nennt er dieses, nun um 25 Jahre verschobene Ereignis, der Lohn klingt verlockend: virtuelle Unsterblichkeit.
Andere, mögliche technische Utopien sind, vermutlich politisch gewollt, verschlafen worden, wie ein frühzeitiger und umfassender Ausbau erneuerbarer Energien. Die größte technische Revolution kam auf leisen Sohlen, über die drei Schritte PC, Internet bishin zum Smartphone, der nicht mehr wegzudenkenden digitalen Nabelschnur, die unser aller Leben weitreichend beeinflusst. Die technische Entwicklung wird also einerseits unterschätzt, zugleich aber immer wieder auch überschätzt. Schauen wir uns deshalb einige Bereiche etwas genauer an, um einschätzen zu können, was auf uns zukommt.
Roboter und KI in der Arbeit
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und das bedeutet immer auch, der Verunsicherung. Der Mensch ist aber ein Gewohnheitstier und sehnt sich in einigen Bereichen nach Stabilität und Kontinuität. Das Beste, was an seinen Kindern geben kann, ist Umfeld der Ruhe und Verlässlichkeit, Streit in politischen Parteien wird nicht gemocht und so haben zu viele und zu große Umbrüche es immer schwer. Die Zukunft der Arbeit ist so ein Bereich, an dessen Ende für die einen das Paradies steht, nämlich nicht mehr arbeiten zu müssen, für die anderen ist es der nackte Albtraum, nicht mehr arbeiten zu dürfen. Deutschen wird noch mal ein besonderes Verhältnis zur Arbeit nachgesagt und Psychologen sind recht einhellig der Meinung, dass die Arbeit den Menschen stabilisiert, Freud hierzu:
„Keine andere Technik der Lebensführung bindet den Einzelnen so fest an die Realität als die Betonung der Arbeit, die ihn wenigstens in ein Stück der Realität, in die menschliche Gemeinschaft sicher einfügt. Die Möglichkeit ein starkes Ausmaß libidinöser Komponenten, narzisstische, aggressive und selbst erotische, auf die Berufsarbeit und auf die mit ihr verknüpften menschlichen Beziehungen zu verschieben, leiht ihr einen Wert, der hinter ihrer Unerlässlichkeit zur Behauptung und Rechtfertigung der Existenz in der Gesellschaft nicht zurücksteht. Besondere Befriedigung vermittelt die Berufstätigkeit, wenn sie eine frei gewählte ist, also bestehende Neigungen, fortgeführte oder konstitutionell verstärkt Triebregungen durch Sublimierung nutzbar zu machen gestattet. Und dennoch wird die Arbeit als Weg zum Glück von den Menschen wenig geschätzt. Man drängt sich nicht zu ihr wie zu anderen Möglichkeiten der Befriedigung. Die große Mehrzahl der Menschen arbeitet nur notgedrungen, und aus dieser natürlichen Arbeitsscheu der Menschen leite sich die schwierigsten sozialen Probleme ab.“[1]
Man muss also mit gemischten Gefühlen auf den allseits prognostizierten Wegfall der Arbeit schauen, der so sicher zu kommen scheint, wie das Amen in der Kirche. Aber kommt er wirklich in diesem rasanten Tempo?
Die Industrialisierung brachte ja bereits den Einsatz von Fließbändern, Maschinen und Robotern mit sich. Es ist nicht so, dass 2020 auf einmal alles automatisiert wird, sondern vielmehr, wird alles, was sich lohnend automatisieren lässt schon seit Jahrhzehnten umgestellt. Ein rasanter Ausverkauf der Arbeit in den letzten Jahren ist dabei nicht zu sehen, im Gegenteil, das Tempo schwächt sich ab. So sind die Arbeitsstunden pro Jahr sind in den Jahren 1960 – 1990 (im Westen) von 2163 auf 1566 um etwa 6000 Stunden gesunken, in den folgen Jahrzehnten von 1990 – 2017 (für Gesamtdeutschland) allerdings nur noch um 2000 Stunden von 1566 auf 1354. Das ist nicht dramatisch.[2]
Man hört immer wieder von dubiosen Statistiken, in denen gesagt wird, dieser oder jener Job sei zu 13, 50, 79 oder 100% durch Roboter zu ersetzen. Aber was heißt es denn, wenn man einen Job zu 88% durch einen Roboter ersetzen kann? Es heißt, dass man ihn eben nicht vollwertig ersetzen kann. Einen Roboter oder eine Maschine einzusetzen, die den Menschen nicht erreicht, ist ein Qualitäts- oder Seviceverlust, warum sollte man den hinnehmen? Viele Menschen sind ohnehin schon schlecht gelaunt und unzufrieden, was also sollte mit schlechterer Qualität erreicht werden?
Dazu kommt, dass mehr Roboter auch mehr Wartung erfordern und erst mal müssen die Roboter programmiert und gebaut werden, auch das machen immer noch Menschen. Die Programmierungs- oder Wartungsroboter, die selbst Roboter bauen gibt es einfach noch nicht, schon gar nicht in Serie. Neben den Rohstoffen wird vor allem die Frage nach dem Energiebedarf relevant und mit dem Energiebedarf hängt die Frage nach der Klimaerwärmung zusammen, denn die heutige Energieversorgung kommt keinesfalls flächendeckend aus erneuerbaren Quellen und die Maschinen produzieren selbst Wärme.
Wie gut sind Roboter heute? Nach wie vor gilt Moravec’s Paradoxon, das besagt, dass Roboter zwar phänomenale Rechenleistungen erbringen und bereits Großmeister des Schach oder deutlich komplexeren Go besiegen, aber bei Alltagshandlungen wie ein Glas Wasser reichen, Einkaufen gehen oder dergleichen komplett unfähig sind.
Das setzt auch den Pflegerobotern Grenzen. Es ist nicht so, dass die Kranken- und Altenpflege nicht Hilfe dringend gebrauchen könnte und liebend gerne auf Tätigkeiten wie Tabletten stellen, Kurven heften und Dokumentieren verzichten würde und noch immer reichlich zu tun hätten, nur ist eine Lösung nicht in Sicht. Der Roboter, der einer dementen Omi Essen anreicht, ihr Schlager von früher vorspielt, Geschichten erzählt und Tabletten gibt, mag in Einzelfällen eine probate Lösung sein, aber wollen wir das als Zukunft für uns alle? Wir sind keine Japaner, in deren Kultur der Umgang mit Technik eine ganz andere Rolle spielt und Akzeptanz findet.
Zuletzt die schreibende Zunft. Einfache Texte kann ein Programm schon heute zusammenstellen, etwa die Zusammenfassung eines Fußballspiels. Die Informationen eines Spiels können in sporttypische Redewendungen gepackt werden und fertig. Übersetzungen misslingen, auch wenn sie besser werden, Romane sind noch nicht möglich. Manchen reicht die reine Information. Doch die Würze sind ja nach wie vor die Emotionen, die Kommentare: War der Elfer berechtigt, sitzt der Trainer fest im Sattel? Drei gelbe Karten und 54% Ballbesitz, das ist vielen zu dünn. Was uns interessiert ist selten die reine Information, vielleicht beim Wetter und den Lottozahlen, wir wollen aber auch wissen, wie politische Entwicklungen oder die Hochzeit im Königshaus eingeschätzt werden, wir wollen Interviews hören, Meinungen und der ganze Kleinkrieg auf Social Media, den sich so viel schon beinahe süchtig antun, hat wenig mit Informationen, aber sehr viel mit Emotionen zu tun.