Nicht nach Amerika gereist zu sein? Keine Zeit für die Kinder genommen? Zu wenig auf sich selbst geachtet und allzu oft darauf, was andere sagen? Immer auf denselben Typ Mensch hereingefallen? Nicht geschafft, geduldiger oder ehrlicher zu sein? Scheinbar häuft sich Vieles über die Daseinsmonate an, was man bedauern könnte. Doch was im Leben Stehende und Sterbende am meisten bereuen, gestaltet sich letztlich als sehr linear und scheint ganz wunderbar einfach zu sein. Der Versuch eines Leitfadens für eine zufriedene Existenz.

Silvester ist Stichtag

Feuerwerk über Fluss

Silvester: Zeit für Vorsätze. Aber reichen die? © Marcel Berkmann under cc

Es gibt viele Lebensphilosophien, besonders an Silvester. Dann kommt die persönliche Abrechnung ins Haus, der Status quo nach weiteren verstrichenen 365 Tagen. Wer bin ich? Wo stehe ich? In welche Richtung möchte ich gehen?
Mit der Vorweihnachtszeit beginnt der Feierabend des Jahres. Die Arbeit ist getan. Nun endlich Ruhe. Verschnaufen. Ab auf die Couch und Resümee ziehen.
Demzufolge formulieren wir an Silvester unermüdlich so viele gute Vorsätze, dass alle in der sektbeschwingten Runde bereits beim Erkalten des Bleis und vor Weiterreichen der Kelle an den nächsten Entschlossenen sich darüber im Klaren sind, wie wenig einhaltbar diese sein werden. Die Motivierten sitzen alle am selben Tisch, bestäubt mit Konfetti und besten Wünschen, noch gefangen im Taumel von Partyhütchenmusik und Feuerwerksblumen – versucht gewappnet für unbekannte zeitliche Gefilde. Mit der Tröte halb im Mundwinkel sieht man einander an, zwinkert sich zu, zuckt die Schultern und prostet. Aufs neue Jahr! Hast du Mama schon angerufen? Mach ich später. Man kommt jetzt ja kaum durch. Noch einmal Prosit Neujahr!

Dennoch scheinen Vorsätze eine implizite Norm zu sein. Ein ungeschriebenes Gesetz unseres westlichen, wohl behüteten Lebens.

Vorsätze aus dem Vorjahr

Um zu ergründen, inwiefern die einst mit Naivität und Tatendrang gefassten Vorsätze sich als fruchtbar erwiesen, muss man weiter in die Vergangenheit zurück – ins Jahr 2017. In jenen fernen Tagen haben sich nämlich die Jahresendabrechnungswilligen auch schon etwas vorgenommen. Gemäß einer DAK-Studie standen folgende Vorsätze für 2018 hoch im Kurs:

  • Handy, Computer, Internet weniger nutzen: mehr Offline-Zeit
  • Stressabbau (Platz 1 der guten Vorsätze, seit so vielen Jahren …)
  • mehr Zeit mit Familie und Freunden
  • mehr Bewegung
  • mehr Zeit für sich selbst
  • Abnehmen und Ernährung verlieren leicht an Bedeutung, stehen dennoch nach wie vor in den Top 10
  • weniger Alkohol (vor allem bei den Männern)

Und? Ertappt?

Dinge, die man tut, und die, die man nicht tut

Bett im Zimmer schmutzige Tapete, Kreuz, Stuhl

Was Sterbende am meisten bereuen: Damit die letzte Andacht positiv ausfällt. © olavXO under cc

Mit dem Alter kommt die Weisheit, so sagt man und es scheint etwas daran zu sein. In Jedem von uns ruht die Angst, irgendwann einmal auf dem Sterbebett zu liegen – dann, wenn es kein Zurück mehr gibt -, mit der untrüglichen Erkenntnis, im Leben irgendeinen entscheidenden Fehler begangen zu haben, der nun erst recht nicht mehr umkehrbar ist. Sind es die Dinge, die man tut, die Sterbende am meisten bereuen lassen? Oder sind es demgegenüber eher die Dinge, welche man nicht tut, die spätes Bedauern über unser Leben auslösen? Fragen wir die, die es wissen müssen: die Sterbenden.

Das Leben: Welche Abzweigung soll ich nehmen?

In ihrem Buch „The Top Five Regrets of the Dying: A Life Transformed by the Dearly Departing“ lässt die Palliativpflegerin Bronnie Ware Todkranke und Sterbende zu Wort kommen. Sie hört ihnen zu und fasst nach acht Jahren in diesem Bereich ihre Erkenntnisse zusammen. Wenn Menschen sterben, kommt eine Menge Furcht aus ihnen heraus, so Bronnie.
Hier die Top Five der Einsichten kurz vor dem Tod:

  • Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben, und nicht das, was andere von mir erwartet haben.
  • Ich wünschte, ich hätte weniger gearbeitet.
  • Ich wünschte, ich hätte die Courage gehabt, mehr zu meinen Gefühlen zu stehen.
  • Ich wünschte, ich wäre in Kontakt zu meinen Freunden geblieben.
  • Ich wünschte, ich hätte mir gestattet, glücklicher zu sein.

Und? Ertappt?





Ja, schon. Aber Leben ≠ Zuckerwatte.

Machen wir uns nichts vor. So wichtig und entscheidend diese Vorsätze sind, es fällt uns schwer, diese im alltäglichen Leben vor Augen zu behalten. Womöglich bräuchten wir etwas weniger Komplexes als Maxime für unser Dasein. Einen Grundsatz, der im Hirn gewissermaßen aufploppt, sobald wir in stressigen Situationen vor Entscheidungen stehen.

Anhand ihrer Umfragestudien konnten der Sozialpsychologe Shai Davidai, Assistant Professor of Psychology an der New Yorker »New School for Social Research«, und seine Kollegen ein schlichtes, aber elementares Prinzip ausmachen, das uns als Leitlinie für jeden Tag dienen könnte – und nicht nur an Silvester.
Um diesen philosophischen Höhenflug zu verstehen, müssen wir vorerst hinab: in die geistigen Tiefen der Sozialpsychologie.

Das Selbst … also drei davon

Psychologen definieren drei Elemente des Selbst:

  • das aktuelle Selbst: beinhaltet deine Annahmen darüber, wer du bist
  • das ideale Selbst: beinhaltet deine Wünsche darüber, wie du sein möchtest
  • das Soll-Selbst: beinhaltet deine Annahmen darüber, wer du sein solltest (was andere von dir erwarten)

Zwischen diesen drei Arten des Selbst kann es zu Diskrepanzen kommen. Welcher Weg ist der richtige?

Was Sterbende am meisten bereuen vs. Königsweg fürs Leben

In ihrer groß angelegten Umfrage wollten Davidai et al. (2018) unter anderem wissen, hinsichtlich welches einzelnen Aspektes im Leben die Befragten die größte Reue verspüren. Etwa 76 % gaben eine ergreifend schlichte Antwort: wenn sie nicht ihrem Ideal-Selbst entsprochen haben.

Vorrangig ist es also nicht das, was wir getan haben (Fehler, Irrtümer, Schuld etc.), was uns mit Bedauern zurücklassen könnte. Sondern hauptsächlich das, was wir unterließen, könnten wir später als Sterbende am meisten bereuen. Mit jedem Schritt, den wir im Leben gehen, sowie mit jeder Erfahrung, die uns zu dem macht, der wir sind, ändern sich womöglich unsere Wünsche an das Ideal-Selbst. Aber zu versuchen, in den meisten Lebenslagen – egal, ob wir mit unseren Kindern sprechen oder einen neuen Job in Aussicht haben – dem momentanen Ideal-Selbst zu entsprechen, scheint der Königsweg des Lebens zu sein. Vermutlich wird er nicht immer umsetzbar sein, ein Jeder hat Verpflichtungen, sich in den Alltag einzufügen – als grobe Richtlinie fürs Leben hat dieser dennoch seinen Wert. Wir entscheiden jeden Tag von Neuem, wer wir sein möchten – nicht nur an Silvester.