Pluralismus der Werte

Technische Neuerungen haben Macht- und Wahrheitsaspekte. © Steve Jurvetson under cc
Wenn man mit anderen zusammen leben will, muss sich auf gemeinsame Spielregeln einigen. Ein häufiger Widerspruch der Pluralisten besteht darin, dass sie in den eigenen Kreisen oft verachten und bekämpfen, was sie zugleich in fremden Kreisen als bunt und interessant bewerten. Ein weiteres Problem und vielleicht das größere ist, wie man es rechtfertigen möchte, dass man sich auf bestimmte universelle Werte einigen soll, wenn der Pluralismus sich dafür stark macht, jede Sichtweise zu würdigen, also auch all jene, die mit einem Universalismus der Werte nun überhaupt nichts anfangen können.
Dazu kommt, dass dieser Pluralismus oft flach interpretiert wird, was zu der Auffassung führt, dass irgendwie jeder recht hat, was zu einer regelrechten Erosion der Werte führt, die in einem Werterelativismus anfängt, schnell in einen Wertenihilismus einmündet und dann letztlich das Prinzip Narzissmus befeuert. Da sitzt man dann in der Falle und das heißt, in der Welt jener, für die das menschliche Zusammenleben etwas rein instrumentelles geworden ist. Instrumentelles Denken und strategische Absichten haben in vielen Lebensbereichen aber bereits um sich gegriffen. Es geht immer mehr um den guten Auftritt und die beste Performance oder darum, aus allem den maximalen Vorteil zu ziehen.
Für Michael Hampe beginnt all das bereits in den Schulen, aber nicht in konkreten Unterrichtsinhalten, sondern in der Deutung dessen, was Schulen bewirken sollen: Schule soll heute oft Bildung vermitteln, damit man fit für den Markt und seine Anforderungen gemacht wird, die Konkurrenz schläft nicht. Die Konkurrenz, das sind bereits die anderen Schüler in der Klasse. Das ist, laut Hampe, eine strategische Interpretation von Bildung, die sagt, man müsse gut sein, damit man studieren kann, damit man später einen gut dotierten und möglichst einflussreichen Posten bekommt. Dann geht es nicht mehr darum Individuen hervorzubringen, die sich mit besseren Argumenten wechselseitig überzeugen können, sondern man ist bereits auf Konkurrenz gedrillt und macht mit 13 Praktika in den Ferien, um mit Blick auf die Karriere im Vorteil zu sein. Macht sich gut im Lebenslauf.
Erneut werden einige sagen, dass es doch genauso bereits Realität ist und dass man eben möchte, dass das eigene Kind keine Nachteile hat und so dreht jeder etwas weiter an der Schraube, ist irgendwie Täter und Opfer in einem.
Macht und Wahrheit in der Politik
Politik ist eine der Ausdrucksformen von Macht und ist vermutlich von einem gewissen Grad an immer an Macht gebunden, da hier per def die Interessen des Landes zu mehren sind. Dies muss nicht zwingend gegen andere Staaten geschehen, sondern kann in Kooperation mit diesen passieren, aber ein Rest von Vorteilsnahme kann man auf internationaler Ebene nicht überwinden, das liegt in der Natur der Sache. Nach innen kann ein Staat jeodch ermöglichen, dass seine Bürger über rein instrumentelle und strategische Beziehungen, in denen man schaut, wer wem von Nutzen sein kann, hinaus wächst. In Familien, Partnerschaften und engen Freundschaften, ist das der Fall, es sollte zumindest so sein.
In regressiven politischen Bewegungen, die im Moment überall stark vertreten sind, leugnet man nicht, dass es notwendig ist zu lügen und man das auch tut, man leugnet nur, dass es irgendwo so etwas wie Wahrheit oder Aufrichtigkeit gibt. Wenn man das glaubt und Überzeugen zu einem Überwältigen geworden ist – und wer will sich schon gerne überwältigen lassen? – dann ist man der Meinung, dass alles nur mit Gewalt zu lösen ist und auch das Gespräch nur ein Akt der Gewalt ist, der Offenheit suggeriert, aber überrumpeln will.
Das wird dann irgendwann zu einem gefährlichen Ritt, bei dem das Pferd auf dem man reitet dann schon mal mit einem durchgehen kann. Man hat sein Klientel dann auch zu bedienen und wer schwächelt, riskiert schneller als er oder sie gucken kann, selbst unter die Räder zu kommen. Wer das erkennt und nicht will, muss seine Reihen geschlossen halten und wenn man selbst schon eine monothematische Randgruppe ist, muss man die eigenen Extremisten bedienen.
Jeder für sich und für alle
Es gibt keine absolute Wahrheit, zumindest gibt es nicht genügend Menschen, die sie bezeugen können. Vielleicht stimmt die Sicht einiger Erleuchteter, aber um das einschätzen zu können, muss man einige Erfahrungen in diesen Regionen gemacht haben, die so stark waren, dass sie zu einer subjektiv sehr starken Überzeugung auf dem Boden eigener Erfahrungen geworden sind.
Aber nicht alles zu wissen, heißt nicht, gar nichts zu wissen. Wir können sehr vieles selbst prüfen und erkennen, auch wenn wir nicht sagen können, ob es Gott gibt oder ob die Struktur des Universums reine Mathematik ist. Einen absoluten Erkenntnispessimismus, den immer wieder mal einige Menschen vertreten, kann man mit der philosophischen Denkfigur, die wir nun schon zwei mal eingeübt haben, auch hier widerlegen:
Wenn der Mensch nun zu keinerlei Erkenntnis oder Wahrheit fähig ist, ist diese Aussage dann selbst eigentlich eine Erkenntnis, die Wahrheit beansprucht? Wenn ja, dann widerlegt sie die eigene Prämisse, denn dann ist dies eine wahre Erkenntnis und damit gibt es solche. Wenn es aber keine Erkenntnis ist mit der man Wahrheit beansprucht, dann könnte auch ihr Gegenteil wahr sein und man braucht sie nicht ernst zu nehmen. Man tritt also keinesfalls auf der Stelle, wenn man bei dem Thema vorwärts schreiten will.
Wir stehen an der Grenze und jeder kann was tun. Man braucht nicht einmal die Mehrheit, denn ein großer Teil der Mehrheit richtet sich nach dem, was die meisten glauben. Manche sagen, man müsse die 20 oder 30 Prozent der kulturell Kreativen auf seine Seite bekommen. Angesichts der maximalen Hysterie mit denen viele Themen in der letzten Zeit behandelt wurden, ist es bereits ein Gewinn, wenn man die Emotionen ein wenig raus nimmt. So ganz ziehen die immer ähnlichen Empörungen auch längst nicht mehr bei jedem.
In welche Richtung die Waagschale von Macht und Wahrheit in der heutigen Zeit sich neigt, ist weniger als zuweilen geglaubt wird eine Frage von politischer Einflussnahme, sondern auch eine des Bewussstseins und seiner Entwicklung in jedem von uns. Die einen können nachempfinden, dass es ein aufrichtiges Streben nach Wahrheit und Erkenntnis gibt, mit all der Leidenschaft, die dazu gehören kann. Sie können nachempfinden, dass man ein echtes Interesse am Austausch mit anderen Menschen haben kann, für andere ist das etwas, was sie nie erfahren haben. Diese Menschen brauchen vielleicht die Hilfe von Spezialisten, aber den regressiven Trend der breiteren Masse kann jeder ein wenig stoppen. Indem man cool bleibt, weiter macht und nicht auf die Idee hereinfällt, dass es wieder mal um den Endkampf von Gut gegen Böse geht. Es geht auf der intellektuellen Ebene um das Dämmern der Gewissheit, dass die Nummer mit den Wahrheiten im philosophischen Sinne tatsächlich schwer bis aussichtslos ist (im Rahmen unseres gegenwärtigen Weltbildes), dies aber gleichzeitig nicht heißt, dass wir nicht im Alltag genügend Gewissheiten haben können, die für die Bewältigung normaler Leben reichen. Es geht darum, klar zu machen, dass es Aufrichtigkeit, intellektuelle Redlichkeit, ein offenes Interesse und eine gesunde Neugier auf das Leben wirklich gibt. Am besten vermittelt man das, wenn man es von sich selbst kennt. Wenn die Argwöhnischen das Ruder übernehmen, so wird das kein Spaß.