Macht und Wahrheit in der heutigen Zeit

Jemanden zu überzeugen heißt nicht, ihn zu besiegen. © istolehtetv under cc

Die Idee, dass alle Menschen, die nach Wissen, Wahrheit und Erkenntnis streben, dies nur vorgeben und eigentlich mit allem was sie sagen und tun eine strategische Absicht verbinden, zerplatzt philosophisch auf die gleiche Weise, die wir eben vorführten: Wenn jeder eine strategische Absicht hat und nie aufrichtig ist, warum sollte der, der diese These vertritt keine strategische Absicht damit verbinden? Warum sollte man ihm glauben und auf den Leim gehen?

Meistens wird so ein Konstrukt erweitert, mit der These, man selbst wolle ja aufklären, die Wahrheit ans Licht bringen und die anderen warnen. Aber wenn es einen gibt, der ernsthaft an Wahrheit und Aufklärung interessiert ist, dann ist die These, das alle immer nur an der Durchsetzung ihrer Macht und Interessen interessiert seien, hinfällig. Der Behauptende selbst zeigt ja, dass es auch anders geht. Eine konsequent misstrauische Einstellung, die allen Strategiespiele unterstellt, geht in letzter Konsequenz nie auf. Doch gleichzeitig offenbart das Misstrauen und das Unterstellen manipulativer Absichten auch einen Mangel. Menschen, die so gestrickt sind, können sich oft tatsächlich nicht vorstellen, dass es andere gibt, die kein Interesse daran haben, andere zu manipulieren und tatsächlich an Erkenntnis und Wahrheit um ihrer selbst willen interessiert sind. Weil sie es von sich selbst nicht kennen und das hängt sehr häufig damit zusammen, dass sie dies nie gelernt haben, das heißt, sie kommen häufig aus einem berechnenden bis manipulativen Umfeld. Was sie erzählen, ist ihre Lebenswirklichkeit, die sie verallgemeinern, auch, wenn sie das nicht wissen.

Man muss dem anderen vertrauen, dass er ein aufrichtiges Interesse daran hat, einen Sachverhalt zu klären, seine Sicht zu erläutern oder das Wissen vergrößern zu wollen, statt seine Mitmenschen in eine Richtung drängen zu wollen. Andernfalls kommt kein Dialog und keine symmetrische Beziehung zusammen, weil der mürrische Skeptiker ständig nur auf Fehler und Widersprüche des anderen wartet, dem er von vorn herein misstraut. Wenn er sich bislang nicht widersprochen hat, so ist das kein Grund sich zu beruhigen, sondern zeigt nur, dass der andere rhetorisch geschickt und besonders gerissen ist. Denn dass er strategische Absichten hat, das steht bereits fest. Die Unkorrigierbarkeit der eigenen Thesen, ist aber kein Qualitätsmerkmal, sondern längst als Schwäche identifiziert. Eine Theorie muss prinzipiell falsifizierbar sein, das gehört heute zum kleinen 1×1 der Wissenschaftstheorie.

Der Philosophieprofessor Michael Hampe betont in der WDR 5 Sendung „Das philosophische Radio“ den nächsten, analogen Unterschied, der zum Thema gehört:

Überwältigen und Überzeugen

Aus Sicht jener, die sich bei bei den Polen Macht und Wahrheit ganz bei der Macht angesiedelt haben, besteht zwischen Überzeugen und Überwältigen kein Unterschied. Die misstrauische Position sagt, dass jeder, der diskutiert, das nur tut, um dem anderen seine Meinung trickreich aufzunötigen. Dass man selbst etwas gewinnt, wenn man überzeugt wurde, entgeht dem Misstrauischen völlig. Dabei ist es einfach. Wenn der Inhalt zweier Dosensuppen nachweislich identisch ist, die Marke A aber doppelt so viel kostet wie bei Marke B, wäre es in aller Regel nicht klug den doppelten Preis zu zahlen.

Dazu kommt: Wenn man jemandem nachweisen kann, dass er sich irrt, hat er am Ende etwas gewonnen, nämlich Einsicht. Überrumpelt fühlt sich nur, wer etwas (noch) nicht eingesehen hat, aber mit seinen Argumenten nicht weiter kommt. Die kurze narzisstische Kränkung, die oft damit einher geht, wenn man merkt, dass eine Position die man (vielleicht jahrelang) vertreten hat, unhaltbar ist, kann man ja respektieren. Es tut etwas weh dumm dazustehen, aber selten wird man mit Häme überschüttet, das Leben geht weiter und nach mehreren solcher Erfahrungen kehrt sich das Gefühl der Demütigung und Kränkung dann schließlich langsam in Freude und Dankbarkeit um. Wenn das der Fall ist, weiß man auch, dass es bei Diskursen nicht um Eitelkeiten und Rechthaberei geht, sondern um die Lust an der Erkenntnis. Man erfährt dann, was ein anderer Philosoph, Jürgen Habermas, als „den eigentümlich zwanglosen Zwang, des besseren Arguments“ bezeichnet, wenn man hier ist, bereitet einem intellektuelle Unredlichkeit fast körperliche Schmerzen. Mit einer Einstellung die überall Manipulation im Spiel sieht, kann man sich das nicht vorstellen.

In unserer Zeit wird viel von Spaltungen geredet, zwischen Links und Rechts, Arm und Reich, den Geschlechtern, den Ethnien, quer durch Europa oder gar den Westen. Längs durch all diese Spaltungen, geht eine weitere, die zwischen Macht und Wahrheit.

Die eine Fraktion glaubt nicht an Wahrheit und Wahrhaftigkeit und wenn man das prinzipiell nicht glaubt, wird jede Beteuerung, man würde es doch ehrlich meinen, automatisch als strategischer Trick gedeutet, dem mit der scheinbar pfiffigen Frage: Cui bono? Wem nutzt es, wer hat was davon?, scheinbar der Wind aus den Segeln genommen wird. Es ist gewiss sinnvoll ab und zu zu schauen, wer eigentlich davon profitiert, wenn eine bestimmte Deutung geglaubt wird. Das Problem ist nicht, dass dieser Punkt falsch wäre, sondern, dass er erstens, von vorn herein strategischen Nutzen unterstellt und zweitens, dass dieser eine Kniff oft der einzige ist, den man beherrscht. Es gibt weitere und wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, der kommt weniger weit, als jemand, der über einen gut bestückten Werkzeugkasten verfügt und das gilt für das geistige Werkzeug genauso.

Philosophie und Psychologie

Philosophie und Psychologie gehen hier Hand in Hand und sind sehr mächtige Werkzeuge. Die Philosophie ist kein komisch abgehobenes Gerede für ein paar Snobs, sondern ungeheuer radikal und gleichberechtigt, denn sie beginnt bei Null und hier hat man die Möglichkeit tatsächlich alles infrage zu stellen. Man muss buchstäblich überhaupt nichts glauben und die Schwierigkeit, die die Philosophie bereitet, liegt eher darin, dass sie uns herausfordert, wirklich mal alles zu zerstrümmern, was wir an angebilchem Wissen und Gewohnheiten mitbringen. Ein Beispiel von vielen ist Descartes, der diesen Zweifel zur Methode erhob, indem er sagte, dass es doch sein könne, dass all unsere Sinneseindrücke eine Täuschung sind.

Daraus resultieren Fragen, die wir uns vielleicht alle mal stellen (Lebe ich eigentlich oder träume ich nur zu leben?) und die immer wieder auch popularisiert werden, in der Frage, ob wir nicht alle in der Matrix, einer Computersimulation, als Gehirn in einem Tank leben könnten, aber auch, ob man unser Bewusstsein, samt Eindrücke des Körpers nicht auf einen Computer hochladen können. Das alles und mehr ist möglich in der Philosophie, man muss überhaupt nichts glauben, nur Belege vorlegen. Das heißt, die Schlüsse, die man aus seiner Position zieht, müssen logisch stimmig, also widerspruchsfrei sein. Es zählt das Argument, nur das Argument und im Zweifelsfall das bessere.

Bei diesem Argumentieren unterlaufen einem immer wieder typische Fehler und weil das so ist, verfügt man in der Philosophie über eine Liste typischer Fehlschlüsse. Die Frage, wem etwas nutzt – Cui bono? –, ist bei Licht betrachtet ein Fehlschluss, da sie bereits unterstellt, dass es stets um Nutzen geht. Findet man dann jemanden, dem etwas nutzen könnte, ist dies manchmal ein guter Hinweis, aber streng genommen nichts wert, da man nur gefunden hat, was man bereits voraussetzte, philosophisch ist das eine petitio principii, die keinen Erkenntnisfortschritt bringt. Wer annimmt, dass überall betrogen wird, muss keine Beispiele aufführen, die zeigen, dass betrogen wird, sondern er muss prüfen, ob es auch Menschen gibt, die nicht jederzeit betrügen. Dazu muss man verstehen, dass es der kürzere Weg ist, eine Theorie zu stärken, in dem man zeigt, dass sie prinzipiell widerlegt oder falsifiziert werden kann, aber bislang eben noch nicht widerlegt wurde. Die Behauptung, dass alle Schwäne weiß sind, wird durch die Präsentation von 1000 weißen Schwänen nicht stärker, aber sie zerfällt mit dem ersten schwarzen Schwan.

Etwas sehr Ähnliches finden wir in der Psychologie. Ein Denken, das von einer bestimmten Voraussetzung ausgeht und sich diese immer wieder bestätigt, ist ein Vorurteil. Diese haben durchaus ihren Nutzen, nämlich den einer schneller Orientierung, aber eben auch Gefahren, die einer vorschnellen Beurteilung. Normalerweise hat man aber die Möglichkeit, mit dem zweiten Blick noch mal genauer hinzuschauen und die Denkdrüse richtig anzukurbeln, wenn es nötig erscheint. Vorurteile können sich dann bestätigen, aber auch widerlegt werden, meistens wird die Sicht einfach etwas differenzierter. Lässt sich jemand aber überhaupt nicht überzeugen und ist aus Prinzip misstrauisch und überzeugt, man wolle ihn bloß überwältigen, umerziehen oder sonst etwas, liegt der Verdacht nahe, dass man es mit jemanden aus der paranoiden Gruppe zu tun hat.

Anders als in der philosophischen Beweisführung, sucht die Psychologie nach Punkten, die mit psychischen Möglichkeiten oder ihrem Fehlen korrespondieren. Es wird gefragt, warum jemand eigentlich nicht in der Lage ist jemandem zu vertrauen? Nicht in der Lage ist, zu glauben, dass irgendwer, irgendwas ehrlich meint, aufrichtig macht und authentisch ist. In aller Regel geschieht dies dann, wenn jemand in einem Umfeld groß wird, in dem wechselseitges Misstrauen, Argwohn, Entwertungen, Häme und schroffe Asymmetrien dominieren, bei denen der Stärkere oder Mächtigere dem anderen immer wieder klar macht, dass er am längeren Hebel sitzt und der andere vollkommen unterlegen ist. Im Gegensatz zu einer ebenfalls asymmetrischen Machtverteilung, in der der Stärkere aber den Schwächeren beschützt und versorgt.

Wie soll jemand, der aus einer solchen Umgebung kommt, mit einem Mal den Schalter umlegen und zur Welt vertrauen fassen? Man hat es nicht anders kennen gelernt und es ist keinesfalls unvernünftig, anzunehmen, dass das, was man kennt, einfach der normale Modus ist, nach dem die Welt funktioniert, woher sollte man Alternativen auch kennen? Da diese Glaubenssätze auch noch tief ins Unbewusste abrutschen können und dort Schäden anrichten und eine weitere Entwicklung behindern, ist auch der gelegentliche Kontakt mit aufrichtigen Menschen nichts was grundsätzlich hilft. Das Misstrauen ist ja da und folglich wird noch das Verhalten des aufrichtigsten Menschen als manipulativ oder strategische behandelt, denn wer so tut, als habe er nichts Böses vor, der ist dann eben nur jemand, der sich besonders raffiniert tarnt.

Auf diese Weise wird jede Begegnung zum Beweis, dass die Welt wirklich so funktioniert, wie man es denkt und die anderen mutieren zu blauäugigen Trotteln, die das einfach nicht kapieren wollen. Gutmütige, aber naive Schafe, im schlimmsten Fall allerdings Wölfe im Schafspelz. Da man auch andere findet, die diese Weltsicht teilen, spielt man sich in Echokammern den Ball gegenseitig zu und bestätigt sich und anderen das, was sich inzwischen zu einem Weltbild verdichtet hat. Manche hatten das Pech in einem solchen Klima aufzuwachsen, jedoch sind Massenregressionen der anderen Weg, zu einer solchen Einstellung zu gelangen, auch dann, wenn man an sich zu einer differenzierter Sicht in der Lage ist.

Psychologisch fällt auf, dass hier ein Mangel vorliegt. Einer, von dem man nichts wissen kann, weil man auch nicht weiß, wie man als jemand empfindet, der lesen kann, wenn man selbst dazu nicht in der Lage ist. Was psychologisch fehlt, ist der Zugang zu einem bestimmten Empfinden, nämlich dem, dass es so etwas wie Aufrichtigkeit, Vertrauen, das Streben nach Wahrheit, Verzeihen, Reue und den Wunsch nach Wiedergutmachung tatsächlich gibt. Statistisch wird die Mehrzahl unserer Leser das bestätigen können, einfach weil sie selbst so empfinden, eine bestimmte Anzahl wird dies aber für einen weiteren Trick halten, weil sie das Gefühl von sich nicht kennen.

Philosophisch fällt auf, dass viele, die an die Dominanz der Macht glauben, aus dem Denken in Zirkelschlüssen nicht heraus kommen, in dem die eigenen Prämissen immer wieder bestätigt werden, ohne größeren Erkenntnisfortschritt. Man glaubt vielleicht noch daran, dass es eine Wahrheit hinter den Dingen gibt, aber typisch ist, dass man genau ein Thema identifiziert, was wichtig ist oder auf das alles hinaus läuft. Und die anderen haben dann das Interesse dieses Thema klein zu halten. Man kriegt die immer gleichen Zirkelschlüsse einfach nicht zu fassen und das kann auch Menschen betreffen, die sehr intelligent sind. Nicht der Verstand ist das Problem, es ist die Spaltung zwischen Verstand und Emotionen, von der man nichts weiß und die man nicht durch eine paar Rechenspiele kuriert bekommt.

Nachdem es Anfangs so aussah, dass die Vertreter der Machtfraktion im Vorteil waren, weil wir Menschen oft nicht so gut und uneigennützig sind, wie wir glauben und einige unserer Motive uns selbst nicht bewusst sind, hat der Wind nun gedreht und die Vertreter der Wahrheits-Fraktion scheinen Oberwasser zu haben. Doch wir müssen noch genauer hinschauen: