
Neid tut weh. © Gregor Schmidinger under cc
Im dritten Teil der Reihe, wollen wir einige Lebens- und Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus ein wenig praktischer darstellen, weniger um an einer konkreten Situation eindeutig festzumachen, dass in jemandem das Prinzip Narzissmus wirkt, sondern vielmehr, damit man in der Fülle der Verhaltensweisen sieht, die auch sehr gegensätzlich sein können, was das Prinzip Narzissmus ausmacht, wozu sich die Bausteine aus dem vorigen Teil zusammenfügen und worin man sie typischerweise wieder erkennt. Im idealen Fall schimmert allmählich eine rote Linie durch, anhand derer unsere Leser das Prinzip Narzissmus im Alltag besser erkennen können.
Was wir hier vorlegen sind also eher zuspitzende Karikaturen, die nicht in allen Fällen eins zu eins so sein müssen, aber doch zeigen sollten, was das Prinzip Narzissmus im alltäglichen Leben ausmacht. Warum es wichtig sein könnte, das Prinzip Narzissmus näher und besser erkennen zu können, soll im vierten und letzten Teil erläutert werden.
Krankhafter Individualismus
Oft wird der Individualismus, der Kult um das Ich als Geißel unserer Zeit betrachtet, einige meinen allerdings dieser Trend sei bereits wieder vorbei und alle setzten inzwischen auf das Wir und doch scheint sich das Prinzip Narzissmus unter beiden Überschriften wohl zu fühlen. Individualismus und Anpassung schließen sich beim Narzissmus nicht aus, da sie sich entweder für die Größten und Mächtigsten halten, oder sich mit denen, die sie als solche entdeckt zu haben glauben, identifizieren und die idealisieren. Narzissten geben sich ungern mit Nebenrollen im Leben zufrieden, sie halten sich für einzigartig, folgen aber Trends, an denen sie ihre Einzigartigkeit meinen festmachen zu können, in dem sie die Kriterien des Trends übererfüllen. Die tiefere Einsicht, dass man als Mensch durch sein Dasein immer einzigartig ist, dies aber für jeden gilt, verfehlen sie und meinen, die Einzigartigkeit stünde allein ihnen und ein paar ganz besonderen anderen zu. Der Rest verschwimmt in einer grauen, amorphen Masse, der Gesellschaft, die immer aus den anderen besteht. Damit dies auch klar erkennbar wird, muss man sich mit bestimmten Kennzeichen der Besonderheit umgeben.
Narzissten neigen notorisch zur Selbstüberschätzung. Sie halten ihre Erkenntnisse für tiefe Wahrheiten und dass man etwas überhaupt noch anders sehen kann, als sie es tun, entgeht ihnen oder sie halten es, für nicht der Rede wert. Die anderen haben, im Fall abweichender Meinungen, dann nur ihren Punkt nicht verstanden, den die Narzissten selbstgefällig, aber ohne das Bemühen, die Position des anderen zu verstehen, gerne wiederholen. Allenfalls sind sie bemüht dem anderen seinen Fehler zu erklären, die Idee, dass er Recht haben könnte, seine Sicht wenigstens geprüft werden sollte oder sogar die eigene Perspektive bereichern könnte, kommt ihnen nicht. Sie glauben, als einzige einen klaren Blick auf die Tatsachen zu besitzen, sich nichts vorzumachen und zu wissen, wie die Dinge wirklich sind. Dass es doch nun mal so sei, so und nicht anders, das hört man oft. Feinheiten, wie jene, dass allein der Rekurs auf sogenannte Tatsachen noch überhaupt nichts aussagt, sondern die Fakten immer Ausgangspunkt einer Deutung sind und manchmal sogar das Ergebnis einer Vorselektion, entgehen ihnen, doch dafür ist ihre Welt simpel und robust. Man unterwirft sich konventionellen Klischees, die man allerdings für besonders hält, wie der Unterteilung in gut und böse und der Überzeugung, dass man sich für das Gute einsetzen muss und daraus leitet man das Recht ab, das Böse zu bestrafen oder zu zerstören. So kann man sich einzigartig fühlen, auch wenn oder gerade weil man Teil einer Bewegung oder Gruppe ist, die für eine perfekte oder erlösende Idee steht.
Doch auch wer sich keiner Bewegung anschließt, weil er zwar revolutionäre Ideen super findet, ein Engagement, das eine Unterschrift einer Online Petition übersteigt aber zu lästig, wird mit Angeboten die Einzigartigkeit suggerieren reichlich bedient. Auto, Kleidung, Versicherungen für ihn, aber natürlich auch der ganz individuelle Look für sie, damit man so begehrenswert wird, wie der liebste Serienstar oder die Prinzengattin, mehr und mehr bestimmen aber auch die Vorgaben der Pornoindustrie, was sexy ist. (Den Körperkult behandeln wir in der nächsten Folge.)
Erfolgskult
So oder so, man muss erfolgreich sein. So gerne Narzissten betonen, dass ihnen die Normen der Gesellschaft völlig egal sind, so wichtig sind ihnen deren Insignien, es geschafft zu haben. Freilich, typisch für den Narzissmus und insofern glaubhaft, bedeutet ihnen das alles auf eine bestimmte Art nichts. Es füllt ihre innere Leere nicht. Wer auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet, fühlt, wenn er dieses Ziel erreicht hat, ein Gefühl der Zufriedenheit, das über den Moment hinausgeht. Ob Auto, Eigenheim, der extra breite Bildschirm, mit den passenden Boxen oder die Reise in ein bestimmtes Land, eine Sprosse der Karriereleiter, wer dies als Ziel hat und es erreicht, lehnt sich vielleicht stolz zurück und kann im Moment und der späteren Erinnerung schwelgen und sich entspannen. Ahh, endlich. Nicht so Narzissten. Sie mögen jene verachten oder bemitleiden, die nicht haben, machen oder sind, was ihnen zu eigen ist, aber sie finden in dem was die haben, machen oder sind dennoch keine tiefe Befriedigung. Ein mit dem Prinzip Narzissmus Infizierter zieht sich nicht selbstgenügsam zurück, genießt und schweigt, sondern er zieht seine Lust aus dem Triumph, über andere zu dominieren. Die Blicke der anderen sind neidisch, das spürt der Narzisst ganz genau, weil Neid das ist, was alle Welt bewegt und Freude und Anerkennung in narzisstischer Lesart immer heimlichen Neid bedeuten. So muss er der Welt ständig präsentieren, wie großartig sein Leben ist, doch still zu genießen und dabei nicht, wenigstens in der Phantasie andere abzuwerten, das gelingt unter dem Einfluss des Prinzips Narzissmus selten bis nie. Selbst der reale Erfolg macht nicht glücklich, weil es immer irgendwen gibt, der besser ist oder sein könnte und das ist der ewige Stachel im Fleisch, der größere Erfolg irgendeines anderen.
Die Entwertung der Leistung oder Bedeutung des anderen ist das kurze Gegengift, gegen den Neid, so meint man, nur bedeutet das für das Prinzip Narzissmus eben nicht einfach, sich seine Nische zu suchen und zu sagen, dass man sich hier wohl und glücklich fühlt. Das können Narzissten gerade nicht. Die erlöste und gesunde Variante des Narzissmus ist, darauf zu achten, dass man auch etwas abbekommt und sich sein Leben so einzurichten, dass man gut und gerne lebt und das geht besonders dann, wenn man sich nicht fortwährend zwanghaft mit anderen vergleichen muss und sich nur besser fühlen darf, wenn man mehr hat. Das Prinzip Narzissmus vergleicht fortwährend.
Man muss Erfolg haben. Da aber längst nicht jeder der unter dem Prinzip Narzissmus leidet auch realen Erfolg hat, muss uminterpretiert werden, was eigentlicher und wirklicher Erfolg ist. Reich, schön und berühmt, das kann ja jeder. Statt dessen interessiert man sich für die wirklich Mächtigen und diskreditiert und belächelt die Marionetten, die alle nur vorgeschoben werden, die wahre Macht, die sitzt woanders. Wenn man sich mit den wahren Mächtigen identifiziert, muss man die auf der Bühne nicht mehr beneiden, man weiß ja, die sind in Wahrheit nur zweitklassig. So strickt man sich nach und nach seine eigene Welt, aber nicht eine in der man sagt: „So ein Leben in der Öffentlichkeit, das wäre nichts für mich“, sondern in dem man so ein Leben oft radikal entwertet und die wahre Leistung, wahre Macht oder wahre Bedeutung der bekannten Größen infrage stellt, denn so braucht man sie nicht mehr zu beneiden.
Wer mit seinem Leben zufrieden ist, der braucht sich nicht ständig mit anderen zu vergleichen, vor allem kann er anderen ebenfalls gönnen, wenn sie mit ihrem Lebensansatz glücklich werden. Das können Narzissten nicht, sie sind neidisch, wenn jemand glücklich ist (weil sie es in der Regel nicht sind, sie sind großartig, aber nicht zufrieden) und sie werden obendrein sauer, wenn jemand mit seinem kümmerlichen Dasein zufrieden ist, der es ihn ihren Augen eigentlich nicht sein dürfte.
Alles auf Karriere und Ansehen
In aller Regel stehen der sichtbare Ausdruck des monetären oder karrieremäßigen Ansehens, als eine der Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus hoch im Kurs. Gerne ganz locker und spielerisch. Man macht das so nebenher, wenn man talentiert ist, man kennt sich und nützt, wenn man aus besseren Kreisen stammt, aber auch die Variante des fleißigen Arbeiters, mit mehr Biss als alle anderen, ist zu finden. Narzissten sind bekannt und berüchtigt dafür nach oben zu wollen, koste es, was es wolle. Kommt man nicht an die Spitze, hat man das Gefühl, ein Leben zweiter Klasse zu führen, immer betrogen um das, was sein könnte und was einem eigentlich zusteht. Ist man ganz oben, kann man es sich erlauben glücklich zu sein, es geschafft zu haben, eigentlich. Doch die innere Leere kann man so nicht besiegen, man kann sie nur betäuben, das große schwarze Loch in der eigenen Psyche auszufüllen versuchen, doch das gelingt immer nur phasenweise, wenn man sich und vor allem der Welt zeigen kann, wie weit man es gebracht hat und wenn man zur Abwechslung mal das Gefühl haben kann, dass nun die anderen neidisch sind, sein müssen. Die schlimmste Schmach ist, wenn sich ein anderen ehrlich mit freut, der doch eigentlich vor Neid vergehen müsste. Dann fällt der eigene Triumpf aus, der die echten Beziehungen ersetzen muss. Daher „weiß“ man genau, der tut nur, als sei er nicht neidisch.
Die perfekte Work-Life-Balance

Superstar ist immer eine Option für das Prinzip Narzissmus. © Alan Light under cc
Wer meint, dass es das Nonplusultra sei, wenn man beruflichen Erfolg hat, der hat ein Problem, wenn der Erfolg sich nicht so wie gedacht und geplant einstellt. Eine Reaktion darauf wäre Trauer, dass man seine Ziele nicht erreicht hat, Narzissten können aber nicht trauern, sie werden depressiv und suchen entweder Schuldige oder basteln sich ihre perfekte Welt neu zusammen, etwa indem man in Wahrheit ja die optimale Work-Life-Balance sucht und man die armen Leute ja bedauert, die sich kaputt schinden. Dass das möglicherweise genau das Gegenteil dessen ist, was sie bisher immer vertreten haben, würde einen Narzissten nicht irritieren, er würde einfach attestieren, dass man keine Ahnung oder nicht richtig aufgepasst hat oder die wahre Einstellung, die er hat, nicht erfassen kann.
Es spricht nichts dagegen, sich gründlich zu überlegen, ob Arbeit im Leben wirklich alles ist oder welchen Stellenwert ihr in der eigenen Biographie zukommen soll – für manche ist der Beruf eine Berufung, für andere ein notwendiges Übel – doch Narzissten schaffen es oft, das eigene Scheitern umzuinterpretieren, auch wenn das mitunter das genaue Gegenteil ihrer bisherigen Aussagen oder Einstellungen bedeutet. Sie müssen es schaffen, weil ein Scheitern in ihrem Leben nicht vorgesehen ist, man muss immer Erfolg haben und der beste Weg das eigene Leben zur Erfolgsstory zu machen, ist für sie, das was andere tun, als kümmerlich und nachranging hinzustellen. Auch dies gehört zu den typischen Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus, dort heißt es immer: So wie ich es mache, ist es perfekt. Nur so.
Superstar oder Loser
Der Mangel an Ambivalenz verbaut dann oft auch die Möglichkeit sein Glück in tatsächlich individuell definierten Zwischenräumen zu finden, die oft erst im Laufe des Lebens sichtbar werden, statt in vorgestanzten Masterplänen des Lebens, die Narzissten oft sehr wichtig sind. Statt kontinuierlich einen Weg einzuschlagen, bei dem Stein auf Stein gebaut wird, was allerdings mühsam ist, wird man durch das Prinzip Narzissmus oft zu der Idee verleitet, alles auf eine Karte zu setzen. Denn ein Superstar setzt sich am Ende so oder so durch.
Oft sind solche Größenphantasien verknüpft mit realen schlechten Startbedingungen, wenn man etwas aus einem bildungsfernen Haushalt stammt, falsche Freunde kennen lernt oder in eine Lebenskrise gerät, die auch schon in jungen Jahren auftreten kann. So kommen die Träume auf ein Superstar zu werden, am besten ohne viel dafür zu tun. Abhängen und warten, bis man entdeckt wird. Alternativ lockt für manche das kriminelle Milieu, der Supergangsta, in dem die männlichen Träume es geschafft zu haben, heißen, gefürchtet zu sein, Geld zu besitzen, ein dickes Auto zu fahren und viele Frauen zu haben. Auf der weiblichen Seite wird oft davon geträumt als Model, Sängerin oder Serienstar entdeckt zu werden oder den Richtigen abzubekommen, ein Alphamännchen, das kann der Abteilungsleiter, Chefarzt oder Gangleader sein. Für beide Geschlechter steht auch eine Karriere als Youtuber in Aussicht, alle mit der Illusion verbunden, man würde irgendwann einfach entdeckt weil man talentiert, süß oder besonders ist. Innerlich setzt man alles auf eine Karte, überzeugt, dass das Leben genau so läuft und überzeugt, dass man realistische Chancen hat, weil man anders ist, als all die anderen: härter, krasser, sexyer, hemmungsloser. Die verbindende Grundidee ist, dass man so großartig ist, dass man nicht übergangen werden kann und irgendwann zwingend entdeckt wird.
Selbstoptimierung
Doch zum Leben als Sekt oder Selters Lotteriespiel gesellt sich gerade in unserer Zeit noch eine andere, konträre Idee, die der Selbstoptimierung. Eine Aufgabe, die für Narzissten insofern reizvoll ist, weil sie sich den ganzen Tag mit dem beschäftigen können, was sie tatsächlich interessiert, mit sich selbst. Dass es sich dabei oft um eine Anpassung an die Bedingungen des Arbeitsmarktes handelt, wird dabei nicht bemerkt oder reflektiert, wenn das Prinzip Narzissmus mit Begriffen getriggert wird, die unwiderstehlich klingen stört es aber auch nicht sonderlich.
Dass man nur die Besten, Zähesten und Härtesten gebrauchen kann und das sind der Regel welche, die Effizienz und Leistung vereinen, das klingt wie Sirenengesang in ihren Ohren. Arbeite an dir, optimiere dich, sei besser, härter, radikaler, das spielt dem in die Karten, was Narzissten ohnehin anstreben. Es lockt die Aussicht, irgendwann zu den ganz Großen zu gehören und das Optimum ist, wenn man aller Welt dann zeigen kann, dass man dazu gehört. Dazu ist es nötig, dass man alles aus sich heraus holt, sein Potential optimal entwickelt und gerne und möglichst ständig über seine eigenen Grenzen geht, um zu begreifen, dass es eigentlich keine Grenzen gibt.
Was für die meisten Menschen ziemlich aufreibend und eher wenig attraktiv klingt, lässt Narzissten das Wasser im Mund zusammenlaufen, dass andere das nicht wollen, wissen sie, empfinden es aber als Schwäche, darum empfinden sie sich als anders, besser, besonders. Ein paar kleine Tricks gestatten sie sich dabei gerne, weil sie wissen, dass es nur darum geht, dass sie dort hin gelangen, wohin sie sowieso gehören, an die Spitze. Wird das gefördert, was Narzissten ohnehin gut können, sind sie mitunter extrem fleißig und diszipliniert, erwartet man von ihnen hingegen, sich in etwas einzuarbeiten, was ihnen nicht spielend zufliegt, brechen sie nach kurzer Zeit frustriert ab und entwerten den ganzen Bereich. Klein anzufangen, wie jeder andere, das ist nichts für sie.
Aber Selbstoptimierung ist ein großes, attraktives und aktuelles Thema für mit Menschen die mit dem Prinzip Narzissmus in Kontakt kommen, das wir uns deshalb in mehreren Lebensbereich anschauen:
Religion und Selbstoptimierung
Religion ist ein schwieriges Thema, da es nicht „die Religion“ gibt, sondern verschiedene Spielarten der Religion und Menschen auf verschiedenen Stufen der Entwicklung, die Religion vollkommen unterschiedlich auffassen können. In aller Regel ist Religion ein Mittel um zu lernen, sich demütig bestimmten Regeln unterzuordnen und die Idee zu verinnerlichen, dass es etwas oder jemanden gibt, der größer ist, als man selbst. Doch leider wird dieser Effekt vom Prinzip Narzissmus sabotiert, das Menschen dazu anregt, sich zwar Gott unterlegen, aber als Anhänger der einzig wahren Religion oder Lesart derselben, besonders berufen und allen anderen Religionen oder Interpretationen überlegen zu fühlen. Schon Freud kannte und benannte den Narzissmus der kleinen Differenzen der davon lebt, bei an sich großer Gleichheit minimale Unterschiede herauszukitzeln und zu betonen. Entsprechend kümmert man sich als gläubiger Mensch in aller Regel mit größerer Sorge um die Glaubensbrüder und -schwestern, andere Menschen, die keiner oder der „falschen“ Religion angehören sind einem tendenziell egal.
Allerdings gibt es auch auch hier Menschen, die sich zu Höherem berufen fühlen und entweder den Pol der Macht oder des Märtyrertums besetzen. Ein schwieriger Punkt, denn Religion braucht Ideale und diese Ideale sind oft in Heiligen oder Gottessöhnen personalisiert, die dann als erstrebenswertes Vorbild voran gehen. Grundsätzlich ist es gut Idealen zu folgen, weniger gut ist es, zu glauben, man hätte diese Ideale bereits spielend erreicht. Ein Ideal heißt: Da will ich hin, das finde ich erstrebenswert. Man kann sich auch im Leid suhlen, in der Idee, dass das, was man erleidet ein besonderer Ausweis ist, etwa in der Weise, dass Gott mich prüft und auserwählt. Wer nicht an Gott glaubt, kann das albern finden oder darin die Gefahr sehen, dass man unnötig leidbehaftete Situationen zu lange erduldet, statt sich beispielsweise zu wehren. Andererseits kann einem eine solche Überzeugung auch die Kraft geben, eine leidbehaftete Situation zu überstehen, wenn man weiß, wofür und warum. Vermutlich ist ein gläubiger Mensch da sogar besser aufgestellt, als jemand, der glaubt, er sei ein Produkt einer Kette beliebiger Zufälle und dass man daher eben manchmal Glück und ein anderes mal Pech hat und man da eben nichts machen kann.
Anstrengender sind sicher Gottes Musterschüler, die Demut heucheln, aber sich ansonsten dadurch auszeichnen, dass sie subtil überall zeigen, dass sie die etwas besseren Menschen sind. Rafael Bonelli hat drei griffige Kriterien zusammengestellt, die den Narzissmus beschreiben:
„Selbstidealisierung – im Sinne eines überhöhten Selbstwertgefühls und einer überzogenen Selbsteinschätzung. Der Narzisst hat ein grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit und glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein.
Fremdabwertung – im Sinne einer Verachtung und aktiven Herabsetzung des anderen, das zu einer Kooperationsunfähigkeit führt. Der Narzisst zeigt deswegen eine Gier nach Bewunderung, legt ein Anspruchsdenken an den Tag, ist ausbeuterisch, unwillig zur Empathie, neidisch und arrogant.
Selbstimmanenz – als Gegensatz zur Selbsttranszendenz bei Victor Frankl und Robert Cloninger. Der Narzisst kann sich für kein höheres Ideal begeistern außer für sich selbst.“[1]
Gerade in der Religion ist Selbsttranszendenz gefragt und dabei reicht es nicht, sich den Anstrich zu geben, im Dienst des Höheren zu stehen, gleich ob man in einer Religion, der Flüchtlingshilfe oder bei Greenpeace engagiert ist. All das kann man in den Dienst des eigenen Egos stellen und sich darin sonnen, wie großartig man doch ist und dass man das alles noch ein bisschen besser macht, als die anderen.
Das Prinzip Narzissmus zeichnet sich also nicht dadurch aus, dass man ein finsterer Egomane ist, der immer nur um sich selbst kreist, sondern auch dadurch, dass man in besonderem Maße gütig und hilfsbereit ist. Es ist dieser Zug, der es schwer bis unmöglich macht, anhand der äußeren Aktivitäten oder Einstellungen zu sagen, wie ein Mensch gestrickt ist. Auch beste Absichten zu haben, kann in die Hose gehen, in Das empfindsame Selbst sind wir dem stärker auf den Grund gegangen.
Zu den Stufen religiöser Entwicklung gehört ein Stück weit, andere Menschen zu sehen und zu würdigen und das eigene Ego etwas zurück zu nehmen, doch wie man in der Praxis sieht, gelingt das leider zu oft nicht mal denen, die in der Hierarchie der Kirche in dem Sinne nach oben gekommen, indem sie dort ein Amt bekleiden. Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern, Jugendlichen oder Schutzbefohlenen oder religiös motivierter Fundamentalismus bishin zum Terror sind die eindrücklichsten Szenarien, wie sehr es ins krasse Gegenteil umschlagen kann, wenn man sich das vorgeblich Gute auf die Fahnen schreibt und in sehr vielen Fällen finden wir hier die finsteren Formen des Narzissmus, das heißt, Charaktere die von Aggressionen tief durchdrungen sind, wie wir in sie in der letzten Folge vorstellten.
Doch neben der schwer aggressiven Form, gibt es auch die leichteren Formen fremdentwertender Selbstherrlichkeit, bei denen man subtil andeutet, dass man ja etwas weiter, edler und heiliger ist. Das, was man manchmal die Frömmler oder Frömmelei nennt.
Es gibt auch hier ganz offensichtliche Formen, bei denen Narzissten so auftreten, als stünden sie mit Gott im engsten Kontakt (Mit wem als mir sollte Gott sich auch sonst austauschen?), so dass sie an der obersten Legitimation all ihrer Taten und Aussagen keinerlei Zweifel lassen. Diese Menschen sind aber keine Schauspieler, sondern von ihrer absoluten Sonderstellung selbst restlos überzeugt, was ihnen oft ein erhebliches Charisma verleiht.
Ein Kessel Gutes

Beim Kampf gewint der Stärkere oder Geschicktere. Das ist nachvollziehbar. © UNC-FC-USFK under cc
Doch es muss, wie schon angedeutet, durchaus nicht immer der religiöse Kontext sein, der solche Verhaltensweisen evoziert. Der Begriff des Gutmenschen ist zu einem Kampfbegriff geworden und wurde überdies politisch instrumentalisiert, dennoch zeigt er die Ablehnung derer, die sich durch Moralisten und ihre anstrengenden Züge genervt fühlen. Mit der „liebevollen“ Nachsicht bewaffnet, dass man weiß, dass der anderen einen ohnehin nicht verstehen wird – weil sie allesamt ein bisschen zurückgeblieben sind – ist der gute Mensch auf der Höhe der Zeit und der wirklich wichtigen Trends. Da muss man jetzt was tun und hier und dort auch, man verkörpert die lebende Dauerbotschaft, dass die Welt eine viel bessere wäre, wenn alle so wären, wie man selbst ist.
Leider sind die anderen längst nicht soweit. Über offener Kritik, die dem anderen ja auch noch die Möglichkeit gäbe, auf diese zu reagieren, steht man jedoch drüber, man versucht gleich andere sanft zu motivieren und ihnen klar zu machen, was sie verpassen – auch wenn sie noch zu grob sind, um diesen Mangel überhaupt zu empfinden – wenn sie etwas Bestimmtes noch nicht selbst gemacht oder erkannt haben – selbst wenn sie nicht in der Lage sein werden, das mit so tiefem Genuss zu erleben, wie jemand, der unter dem Prinzip Narzissmus leidet. „Du glaubst gar nicht, wie es mein Leben bereichert hat“, ist dabei durchaus noch ein sinnvolle Aussage, solange man auf dem Schirm hat, dass das Leben anderer, zuweilen eine andere Richtung nimmt und es auch nicht darum geht, so lange zu üben, bis man so empfindet, wie der Narzisst.
Das ist ein wichtiger Indikator, für das Prinzip Narzissmus, die Idee zu haben, dass die anderen im Grunde so leben und werden wollen (das weiß man einfach, wie denn auch sonst?), wie man selbst ist, dass ihnen das aber aus irgendwelchen Gründen noch nicht gelungen ist. Alles potentielle Kopien von mir, dem Zentralgestirn, die einen sind mir näher, die anderen ferner, der Höhepunkt der Annäherung ist die Verschmelzung, wenn der andere sagt, nun habe er mich endlich verstanden und man selbst glücklich lächelt, weil der andere nun da ist, wo man selbst schon lange war und wartete. Ein religiöses Motiv, verpackt in einer säkularen Hüllen, nicht selten garniert mit der Aufschrift: „Ich will doch nur dein Bestes“ oder eben, ganz unbescheiden, das Beste für die Welt. Dass geglückte Beziehungen gerade solche sind, in denen im Kern unterschiedliche Menschen sich wechselseitig bereichern, weil der eine die Ideen des anderen ein Stück weit aufnimmt und umgekehrt, ist in den Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus nicht vorgesehen.
Einzelkämpfer
Narzissten legen großen Wert darauf niemanden zu brauchen und betonen das auch gerne. Da liegt die innere Sympathie für den Einzelkämpfer oder eine elitäre Gruppe auf der Hand. Um das Prinzip Narzissmus und auch dessen dunkle Seite zu verstehen, ist es wichtig zu erkennen, dass es Menschen gibt, die kein sonderliches Interesse daran haben, mit anderen zu kooperieren. Ob das biologische, gesellschaftliche oder individualpsychologische Gründe hat, können wir an dieser Stelle nicht klären, vermutlich ist es so, dass all diese Faktoren zusammen kommen können und sich dann verstärken.
Für manche Menschen ist Kampf und Krieg nicht etwas, was sie abstößt, sondern fasziniert und anzieht. Viele interessiert das Thema theoretisch, manche jedoch ganz praktisch und hautnah. Sich einzeln im wahrsten Sinne durchzuschlagen und seine Aggressionen loszuwerden oder zu leben, kann das Motiv für Kampfsportler, Söldner oder Elitesoldaten sein. Letztere müssen auf der einen Seite auch äußerst teamfähig sein, auf der anderen steckt die Elite schon im Wort, hier kann und muss sich dennoch auch jeder einzelne bewähren.
Auch Kampfsportler sind außerhalb des Rings oder Käfigs oft ausgesprochen friedlich und es gehört häufig dazu, dies auch zu betonen, jedoch bemerkte der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer schon vor Jahren, die doppelte Botschaft, die in vielen Bereichen der sich manchmal überschneidenden Kampf- und Kraftsportszene verbreitet ist, dass man zwar einerseits, so von sich aus, ein friedliebender Mensch ist, der keiner Fliege was zuleide tut, man aber bitte davon absehen sollte, ihn zu reizen, ansonsten würde man unweigerlich zerstört und sei dann eben selbst Schuld. Wenn mich oder meine Lieben einer anfasst, mache ich kurzen Prozess.
Eine Welt, die nicht ohne Reiz ist, auch weil die Regeln hier klar und überschaubar sind, der Stärkere gewinnt, letztlich ist es der Mächtigere, der gewinnt. Wir erinnern uns, das Prinzip Narzissmus ist die Gegenthese zur Idee, dass es gleichberechtigte Beziehungen gibt, anders gesagt, gehört zu den Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus die Idee, das einer den anderen immer dominiert, das kann der körperlich Stärkere sein, aber eben auch der, der die besten Truppen hinter sich vereinen kann. Die Motive die Menschen Extremisten oder Kriminelle werden lassen und die sich in die Halbwelt ziehen, gehen fließend ineinander über, aber auch der Einzelsportler kann hierzu druchaus eine höhere Affinität haben.
Im Mainstream ist diese Idee nicht so wahnsinnig gut angesehen, auf der anderen Seite wird genau den Vertretern des sogenannten Mainstream oft unterstellt, sie würden das Prinzip von Aggression, Zerstörung und rücksichtsloser Durchsetzung von Egointeressen in den aggressivsten Spielarten des Kapitalismus zum Prinzip erheben und es ist sicher so, dass das Wirtschafts- und Finanzsystem eine gewaltige Machtkomponente hat, von der viele annehmen dass es die politischen Volksvertreter längst in einem Maß beeinflusst, dass es unredlich erscheinen lässt, zwischen Guten und Bösen eine scharfe Linie zu ziehen. Das ist sicherlich richtig, nur ist der simple Umkehrschluss, dass alle die als böse angesehen werden, darum die eigentlich Guten seien, entschieden zu schlicht. Die Welt ist einmal mehr auch hier ambivalenter und komplexer, etwas womit das Prinzip Narzissmus nicht umgehen kann, das gerne in Eindeutigkeiten von gut und böse, edel und minderwertig und dergleichen unterteilt und den Spieß einfach nur umzudrehen, ist lediglich die Negativskizze und kein Fortschritt.
Eremiten, Lebens- und Überlebenskünstler
Die nächste Gruppe die sich und anderen klar macht oder machen möchte, dass die niemanden brauchen, sind echte Eremiten oder die Gruppe der auf jede Art von garantiert kommendem Ernstfall vorbereiteten, die sogenannten Prepper. Das gute Gefühl, dass ihre Stunde in dem Moment schlägt, wo es wirklich ernst wird, erhebt die Prepper über den braven bürgerlichen Naivling, der einfach nur ahnungslos vor sich hinlebt. Wenn es dann soweit ist, können alle einpacken und nur die Besten kommen durch und das sind in dem Fall diejenigen, die am besten vorbereitet sind. Ob es überhaupt wünschenswert ist, in einer atomar verstrahlten oder biologisch verseuchten Welt als einer von wenigen weiterexistieren zu wollen, ist etwas, was viele Prepper nicht weiter gedanklich oder emotional beschwert, erst mal überleben, den Rest sieht man dann. Spiegel Kolumnist Christian Stöcker diagnostizierte bei den Preppern eine Sehnsucht nach dem Zusammenbruch.
Ähnlich gestrickt sind die Versuche von Öko- und Aussteigerkommunen, autark zu leben, sich selbst mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen und mit dem was die anderen anrichten, nichts zu tun haben zu wollen. Irgendwo zwischen der Erfüllung eines visionären Traums und dem Versuch in einer Gemeinschaft zu leben, wie sie sein sollte oder könnte und dem Gefühl, dass man im Zweifel auf niemanden angewiesen ist und mit dem Unsinn der Welt nichts zu tun hat.
Anders die echten Eremiten, für die das Leben auch in einer kleinen Gemeinschaft nichts ist und die oft für eine gewisse Zeit der Einkehr, etwa der Suche nach Gott oder sich selbst, seltener für ein ganzes Leben, alleine leben. Narzisstische Elemente kommen dabei dann ins Spiel, wenn man sich angeekelt von der Welt zurück zieht und diese verachtet, Selbstbesinnung als solche ist an sich nicht schlecht.
Häufiger als die äußere Emigration ist beim Prinzip Narzissmus die innere, weil diese oft mit dem Gefühl verbunden ist, von der Welt und den anderen getrennt zu sein, auch wenn man mitten unter ihnen ist. Es ist kein Gefühl der Dissoziation, sondern eher, als ob man zur Welt nie richtig durchdringt, irgendwie anders ist und empfindet, was in der narzisstischen Variante nur einen kurzen Moment als leidvoll erlebt wird und dann zumeist in ein Gefühl der Überlegenheit umgedeutet wird. Man kann nicht dasselbe genießen, wie die anderen, dann wäre man ja wie sie und das will man auf keinen Fall sein.
Dabei sind gerade Narzissten oft keine verdruckste Eckensteher, die öffentliche Bühne ist ihr Metier, hier fühlen sie sich wohl und so ist der Partylöwe eine weitere Variante des Prinzips Narzissmus, der es genießt im Mittelpunkt zu stehen. Diese Menschen sind fast immer gut drauf und witzig und können zur Not einen ganzen Abend allein bestreiten, in dem sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und buchstäbliche Dutzende von Witzen erzählen können, was sehr unterhaltsam sein und einen eher mauen Abend retten kann und nur dann ab und zu ins Anstrengende kippt, wenn man auf noch was anderes erleben möchte als Witzen zu lauschen und der Vortragende den Punkt verfehlt, an dem man nicht mehr aus Spaß, sondern nur noch höflich bis gequält lacht. Eine andere Variante finden wir in den „Stellt euch vor, was mir wieder passiert ist“-Erzählungen, die zwar in aller Regel gelungen und spannend sind, bei denen man sich dann aber auf dem Nachhauseweg fragt, ob das alles sein kann und was mit dem eigenen Leben schief läuft, wenn das, was anderen wöchentlich passiert, bei einem selbst nur alle 5 Jahre vorkommt.
Ihnen allen ist die Asymmetrie gemeinsam. Im Leben und Erleben des Prinzip Narzissmus geht es immer ein wenig bunter, krasser, außergewöhnlicher zu, was schlicht daran liegen kann, dass man mehr zu erzählen hat, wenn man man Wochenende Freeclimbing macht, als wenn man fernsehend auf der Couch sitzt, aber die Besonderheiten in Serie machen so manchen skeptisch und nicht selten ist der eigene Glanz und die gute Geschichte wichtiger, als die Richtigkeit, wenigstens Übertreibungen sind beim Prinzip Narzissmus im Preis mit drin.
Der neue Mensch: Transhumanisten, Gurus und geistige Eliten
Manche Projekte und Ideen, die mit dem Prinzip Narzissmus verwoben sind, begnügen sich nicht damit sich abzusondern, sondern man fühlt sich hier zu Höherem berufen und macht mit der narzisstischen Idee, sich die anderen gleich zu machen dann ernst. Fortschritt zeichnet sich durch den Wettstreit diverser Ideen aus und lebt gerade von der Unterschiedlichkeit. Den diversen Lebens- und Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus ist gemeinsam, dass ihnen diese Idee des Fortschritts durch Vielheit und divergierende Stimmen zutiefst suspekt ist, denn in der Welt der Asymmetrie gibt es stets einen, der es besser kann als andere.
Dies ist der Geist, der auch viele Transhumanisten vereint, die den Menschen als ein bestenfalls halbfertiges Mängelwesen sehen, den sich auf allerlei Arten verbessern wollen, im Grunde auf die Weise, so ihre Überzeugung, wie die Natur es auch macht, nur gezielter, schneller, effektiver und ohne Umwege. Und wer könnte schon was dagegen haben, wenn der Mensch hier und da ein weniger widerstandsfähiger, gesünder, leistungsfähiger wäre, auch soziale Eigenschaften könnte man gezielt optimieren. Eine Welt aus der Designerküche, die Probleme und soziale Spannungen auf die Ebene technischer Machbarkeit reduzieren. Jede unerwünschte Abweichung von der Norm ist eine Fehlfunktion, nur was die Norm sein sollte und wer das, aufgrund welcher Kriterien, festlegt, das alles scheint bereits klar und kein Problem zu sein. Drauf hinzuweisen, dass dies durchaus nicht so ist, ist abermals unnötige Spielverberberei, wenn man erst alles was stört wegmachen kann, ist die Welt doch super, oder? Dass ist der Stoff aus dem nahezu alle klassischen Dystopien gestrickt sind.
In eine ähnliche Richtung gehen die Ideen einiger Gurus, wenn sie die Absicht haben, sich andere gleich zu machen. Im Westen wir das Guruwesen ohnehin mit Argwohn betrachtet und ist im Grunde nicht in unsere Lebenswelt zu übertragen, die es nicht kennt, sich jemandem in dieser Weise zu unterwerfen. Der Gedanke kommt natürlich Menschen mit narzisstischem Potential ungeheuer reizvoll vor, die dann als Repräsentant der Gottheit oder Erleuchtung verehrt werden. Ob man dann gütig, weise, rätselhaft oder strafend agiert, diese Rolle bedient nahezu alle Register dessen, was das Prinzip Narzissmus hergibt und wenn das eigene narzisstische Potential nicht hinreichend bewusst und aufgearbeitet ist, kommt es immer wieder auch zu Verfehlungen, die man in diesem Bereich kennt. Was der Idee der Erleuchtung jedoch nichts nehmen soll.
Dem Gurutum ein wenig verwandt sind bestimmte Salons, Kreise, Gesellschaften und Zirkel, in denen sich die Eliten des jeweiligen Zeitgeistes, themenspezifisch und regelmäßig zusammenfinden. Der Think Tank, die Loge, diese oder jene geheime Gesellschaft, in der sich bedeutende Menschen, oder die, die sich dafür halten, treffen, um die Welt voran zu bringen. Es ist emotional oft erhebend, wenn man jemand im Kreise der Besonderen sein darf, auf einmal spürt man etwas davon, wie es ist, am großen Rad des Schicksals zu drehen, echtes Kraftfutter für das Ego. Und in der Tat kann er erhebend und befreiend sein, sich mit Menschen austauschen zu können, die ziemlich auf der gleichen Wellenlänge sind und wenn es sich um Menschen handelt, die ansonsten wenig andere haben, mit denen sie sich regelmäßig austauschen können, ist so eine Gemeinschaft ein Segen, doch de Gefahr abzuheben ist natürlich immer ein Stück weit mit dabei.
Hier ist ein Bogen geschlagen, zu jenen Superstars und Selbstoptimierern, die wir anfangs vorstellten. Es sind immer ähnliche Elemente, die auftauchen und uns bei unserer kleinen Reise durch das Leben und Erleben des Prinzip Narzissmus begleiten. Beim genialen oder auch weniger genialen Künstler erwarten wir geradezu einen gewissen Grad an Narzissmus und Exaltiertheit. Hier ist der Drang die perfekte Show abzuliefern Profession und je mehr man mit dem Objekt, der Rolle, dem Werk verschmelzen kann, umso besser gelingt es oft. Es sind manchmal große und bezaubernde Momente, die uns von solchen Künstlern geschenkt werden, die im Alltag mindestens mal ziemlich auffällig wären oder dort versagen. Aber immer nur Alltag und ein Leben, das wie Dienst nach Vorschrift klingt und schmeckt, das muss man auch nicht haben. Mindestens die Möglichkeit der Flucht, dass es besser, anders werden könnte, ist das was viele Menschen am Leben hält, der Ausbruch ins Besondere, in den Genuss, den man sich bisweilen gönnt.
Damit nähern wir uns einem Bereich, mit dem wir diesen Teil schließen wollen. Das Prinzip Narzissmus grassiert. Das würde es nicht tun, wenn nicht irgendwas daran auch attraktiv wäre. Sich über ein besser sein ein überlegen sein zu definieren, ist immer auch eine Lust, von der Idee des Wettkampfs leben vielen Sparten: Sport, Mode, Unterhaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und so weiter. Daran Anteil zu haben und sei es nur in einer privaten und gefühlten Nische, ist durchaus erhebend. Die anderen wissen das sowieso nicht zu schätzen, ich schon. Ein bisschen Dekadenz oder einfach Fähigkeit zum Genuss. Die gesunde Seite des Prinzips Narzissmus und damit die Einleitung der Frage:
Was darf man eigentlich noch tun, wenn alles als krankhaft bewertet wird?
Soweit ich das sehe, gibt es keine klare Linie, ab der man definitiv sagen kann, dass man hier ins Krankhafte gerutscht ist, zumal schon die Trennlinie zwischen gesund und krank nie ganz genau angegeben werden kann. Ich würde auf dem Prinzip Narzissmus allerdings nicht so herumreiten, wenn ich darin nicht eine recht umfassende Gefahr sehe, deren Auswirkungen man nicht nur als Zukunftsbild an die Wand malen muss, sondern die wir gerade live erleben. Wir ächzen darunter, warum ich das glaube, dazu mehr im letzten Teil, doch hier möchte ich noch einmal auf die andere Seite verweisen, das was ich in Ich-Schwäche anklingen ließ, dass wir nämlich vom Prinzip Narzissmus auch etwas lernen können und wenn es nur der Genuss ist.
Es ist ein eigenes Großthema, ob wirklich jede Eigenschaft und Eigenheit des Menschen letztlich sinnvoll an ihrem Platz in der Welt ist. Das Böse, das mit schweren Formen des finsteren Narzissmus verknüpft ist, hätte dann noch den Wert als abschreckendes Beispiel zu dienen, aber letztlich ist das ein wenig dünn. All die Eigenschaften, die ins Negative kippen können sind durchaus auch positiv, für die gut gelaunten Narzissmusformen gilt das fast durchgehend, bei den finsteren Formen muss man näher hinschauen, aber in Heilige und Psychopathen stellten wir dar, dass durchaus sogar einige Eigenschaften von Psychopathen der für die Gesellschaft nützlich sein können.
Aber klar ist, dass das, was in der Selbstoptimierung zu weit geht, in dem Wunsch sich zu verbessern, sein positives Pendant findet. Nicht nur weil man irgendwelchen Normen entspricht, gelobt wird oder effizienter wird, das Leben fällt einem auch selbst leichter, man ist Stolz auf sich und je mehr man versteht, umso interessanter wird die Welt. Je mehr man sich die Welt der inneren Beziehungen erschließt, umso bunter und reicher wird auch die Außenwelt. Die Sorge um sich selbst kann so weit gehen, dass man als Hypochonder selbst schwer darunter leidet oder andere rücksichtslos ausbeutet, doch auf sich zu achten ist natürlich im Paket der Sorge, die man um die Welt haben sollte, mit drin und im eigenen Ich sind die Probleme dann auch am besten anzugehen, zumindest theoretisch. Aber sich um sich selbst zu kümmern und einen gewissen Selbstwert zu verspüren, wehrhaft und stark zu sein, das ist nicht verkehrt. Bei anderen beliebt zu sein und zu wissen, wie man sich beliebt macht, ist nicht schlecht, wenn man es nicht dazu ausnutzt, um sich als Opportunist zur Ruhe zu setzen und jedem zu erzählen, was er hören will, einzig um beliebt zu sein und zu bleiben.
Genuss, wahrer Genuss, der Genuss sich auf das Leben einzulassen, ist einer der exemplarischen Kipppunkte. Narzissten wollen die Besten sein und immer nur das Beste haben. Wer will das nicht? Das führt uns zu der philosophischen, aber keinesfalls sinnlosen Frage, was denn nun das Beste ist. Narzissten haben, wenn sie gut sind, einen Sinn dafür, wenn sie nicht so gut sind immerhin einen für die angesagtesten Modeströmungen. Mit dem Prinzip Narzissmus verbündet kann man Dinge, Menschen und Situation ungeheuer besonders machen, sie idealisieren. Das macht diese Momente manchmal einzigartig, die Aura mancher Narzissten hat etwas Mitreißendes, vor allem, wenn sie sich noch nicht abgenutzt hat. Das Beste ist oft nichts Starres, sondern situativ. Das verfehlen manche Narzissten, die meinen, es gäbe den besten Wein, Musiker oder das beste Auto oder Buch und dann beginnen die oft so anstrengen Tiraden, mit denen sie alles andere einreißen wollen, was anders ist, als das, was sie aktuell idealisieren. Ihre Begeisterung mag kompensatorisch sein, aber als diese Kompensation ist sie echt. Die Kunst scheint darin zu liegen, sich die Begeisterungsfähigkeit zu erhalten, ohne Idealisierung funktioniert etwas wie Liebe nicht und anderen die Möglichkeit zu lassen, das zu finden, was sie in Hochstimmung versetzt.