Ein Kessel Gutes
![zwei kämpfende Männer im Armylook](https://www.psymag.de/wp-content/uploads/kampfsport.jpg)
Beim Kampf gewint der Stärkere oder Geschicktere. Das ist nachvollziehbar. © UNC-FC-USFK under cc
Doch es muss, wie schon angedeutet, durchaus nicht immer der religiöse Kontext sein, der solche Verhaltensweisen evoziert. Der Begriff des Gutmenschen ist zu einem Kampfbegriff geworden und wurde überdies politisch instrumentalisiert, dennoch zeigt er die Ablehnung derer, die sich durch Moralisten und ihre anstrengenden Züge genervt fühlen. Mit der „liebevollen“ Nachsicht bewaffnet, dass man weiß, dass der anderen einen ohnehin nicht verstehen wird – weil sie allesamt ein bisschen zurückgeblieben sind – ist der gute Mensch auf der Höhe der Zeit und der wirklich wichtigen Trends. Da muss man jetzt was tun und hier und dort auch, man verkörpert die lebende Dauerbotschaft, dass die Welt eine viel bessere wäre, wenn alle so wären, wie man selbst ist.
Leider sind die anderen längst nicht soweit. Über offener Kritik, die dem anderen ja auch noch die Möglichkeit gäbe, auf diese zu reagieren, steht man jedoch drüber, man versucht gleich andere sanft zu motivieren und ihnen klar zu machen, was sie verpassen – auch wenn sie noch zu grob sind, um diesen Mangel überhaupt zu empfinden – wenn sie etwas Bestimmtes noch nicht selbst gemacht oder erkannt haben – selbst wenn sie nicht in der Lage sein werden, das mit so tiefem Genuss zu erleben, wie jemand, der unter dem Prinzip Narzissmus leidet. „Du glaubst gar nicht, wie es mein Leben bereichert hat“, ist dabei durchaus noch ein sinnvolle Aussage, solange man auf dem Schirm hat, dass das Leben anderer, zuweilen eine andere Richtung nimmt und es auch nicht darum geht, so lange zu üben, bis man so empfindet, wie der Narzisst.
Das ist ein wichtiger Indikator, für das Prinzip Narzissmus, die Idee zu haben, dass die anderen im Grunde so leben und werden wollen (das weiß man einfach, wie denn auch sonst?), wie man selbst ist, dass ihnen das aber aus irgendwelchen Gründen noch nicht gelungen ist. Alles potentielle Kopien von mir, dem Zentralgestirn, die einen sind mir näher, die anderen ferner, der Höhepunkt der Annäherung ist die Verschmelzung, wenn der andere sagt, nun habe er mich endlich verstanden und man selbst glücklich lächelt, weil der andere nun da ist, wo man selbst schon lange war und wartete. Ein religiöses Motiv, verpackt in einer säkularen Hüllen, nicht selten garniert mit der Aufschrift: „Ich will doch nur dein Bestes“ oder eben, ganz unbescheiden, das Beste für die Welt. Dass geglückte Beziehungen gerade solche sind, in denen im Kern unterschiedliche Menschen sich wechselseitig bereichern, weil der eine die Ideen des anderen ein Stück weit aufnimmt und umgekehrt, ist in den Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus nicht vorgesehen.
Einzelkämpfer
Narzissten legen großen Wert darauf niemanden zu brauchen und betonen das auch gerne. Da liegt die innere Sympathie für den Einzelkämpfer oder eine elitäre Gruppe auf der Hand. Um das Prinzip Narzissmus und auch dessen dunkle Seite zu verstehen, ist es wichtig zu erkennen, dass es Menschen gibt, die kein sonderliches Interesse daran haben, mit anderen zu kooperieren. Ob das biologische, gesellschaftliche oder individualpsychologische Gründe hat, können wir an dieser Stelle nicht klären, vermutlich ist es so, dass all diese Faktoren zusammen kommen können und sich dann verstärken.
Für manche Menschen ist Kampf und Krieg nicht etwas, was sie abstößt, sondern fasziniert und anzieht. Viele interessiert das Thema theoretisch, manche jedoch ganz praktisch und hautnah. Sich einzeln im wahrsten Sinne durchzuschlagen und seine Aggressionen loszuwerden oder zu leben, kann das Motiv für Kampfsportler, Söldner oder Elitesoldaten sein. Letztere müssen auf der einen Seite auch äußerst teamfähig sein, auf der anderen steckt die Elite schon im Wort, hier kann und muss sich dennoch auch jeder einzelne bewähren.
Auch Kampfsportler sind außerhalb des Rings oder Käfigs oft ausgesprochen friedlich und es gehört häufig dazu, dies auch zu betonen, jedoch bemerkte der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer schon vor Jahren, die doppelte Botschaft, die in vielen Bereichen der sich manchmal überschneidenden Kampf- und Kraftsportszene verbreitet ist, dass man zwar einerseits, so von sich aus, ein friedliebender Mensch ist, der keiner Fliege was zuleide tut, man aber bitte davon absehen sollte, ihn zu reizen, ansonsten würde man unweigerlich zerstört und sei dann eben selbst Schuld. Wenn mich oder meine Lieben einer anfasst, mache ich kurzen Prozess.
Eine Welt, die nicht ohne Reiz ist, auch weil die Regeln hier klar und überschaubar sind, der Stärkere gewinnt, letztlich ist es der Mächtigere, der gewinnt. Wir erinnern uns, das Prinzip Narzissmus ist die Gegenthese zur Idee, dass es gleichberechtigte Beziehungen gibt, anders gesagt, gehört zu den Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus die Idee, das einer den anderen immer dominiert, das kann der körperlich Stärkere sein, aber eben auch der, der die besten Truppen hinter sich vereinen kann. Die Motive die Menschen Extremisten oder Kriminelle werden lassen und die sich in die Halbwelt ziehen, gehen fließend ineinander über, aber auch der Einzelsportler kann hierzu druchaus eine höhere Affinität haben.
Im Mainstream ist diese Idee nicht so wahnsinnig gut angesehen, auf der anderen Seite wird genau den Vertretern des sogenannten Mainstream oft unterstellt, sie würden das Prinzip von Aggression, Zerstörung und rücksichtsloser Durchsetzung von Egointeressen in den aggressivsten Spielarten des Kapitalismus zum Prinzip erheben und es ist sicher so, dass das Wirtschafts- und Finanzsystem eine gewaltige Machtkomponente hat, von der viele annehmen dass es die politischen Volksvertreter längst in einem Maß beeinflusst, dass es unredlich erscheinen lässt, zwischen Guten und Bösen eine scharfe Linie zu ziehen. Das ist sicherlich richtig, nur ist der simple Umkehrschluss, dass alle die als böse angesehen werden, darum die eigentlich Guten seien, entschieden zu schlicht. Die Welt ist einmal mehr auch hier ambivalenter und komplexer, etwas womit das Prinzip Narzissmus nicht umgehen kann, das gerne in Eindeutigkeiten von gut und böse, edel und minderwertig und dergleichen unterteilt und den Spieß einfach nur umzudrehen, ist lediglich die Negativskizze und kein Fortschritt.
Eremiten, Lebens- und Überlebenskünstler
Die nächste Gruppe die sich und anderen klar macht oder machen möchte, dass die niemanden brauchen, sind echte Eremiten oder die Gruppe der auf jede Art von garantiert kommendem Ernstfall vorbereiteten, die sogenannten Prepper. Das gute Gefühl, dass ihre Stunde in dem Moment schlägt, wo es wirklich ernst wird, erhebt die Prepper über den braven bürgerlichen Naivling, der einfach nur ahnungslos vor sich hinlebt. Wenn es dann soweit ist, können alle einpacken und nur die Besten kommen durch und das sind in dem Fall diejenigen, die am besten vorbereitet sind. Ob es überhaupt wünschenswert ist, in einer atomar verstrahlten oder biologisch verseuchten Welt als einer von wenigen weiterexistieren zu wollen, ist etwas, was viele Prepper nicht weiter gedanklich oder emotional beschwert, erst mal überleben, den Rest sieht man dann. Spiegel Kolumnist Christian Stöcker diagnostizierte bei den Preppern eine Sehnsucht nach dem Zusammenbruch.
Ähnlich gestrickt sind die Versuche von Öko- und Aussteigerkommunen, autark zu leben, sich selbst mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen und mit dem was die anderen anrichten, nichts zu tun haben zu wollen. Irgendwo zwischen der Erfüllung eines visionären Traums und dem Versuch in einer Gemeinschaft zu leben, wie sie sein sollte oder könnte und dem Gefühl, dass man im Zweifel auf niemanden angewiesen ist und mit dem Unsinn der Welt nichts zu tun hat.
Anders die echten Eremiten, für die das Leben auch in einer kleinen Gemeinschaft nichts ist und die oft für eine gewisse Zeit der Einkehr, etwa der Suche nach Gott oder sich selbst, seltener für ein ganzes Leben, alleine leben. Narzisstische Elemente kommen dabei dann ins Spiel, wenn man sich angeekelt von der Welt zurück zieht und diese verachtet, Selbstbesinnung als solche ist an sich nicht schlecht.
Häufiger als die äußere Emigration ist beim Prinzip Narzissmus die innere, weil diese oft mit dem Gefühl verbunden ist, von der Welt und den anderen getrennt zu sein, auch wenn man mitten unter ihnen ist. Es ist kein Gefühl der Dissoziation, sondern eher, als ob man zur Welt nie richtig durchdringt, irgendwie anders ist und empfindet, was in der narzisstischen Variante nur einen kurzen Moment als leidvoll erlebt wird und dann zumeist in ein Gefühl der Überlegenheit umgedeutet wird. Man kann nicht dasselbe genießen, wie die anderen, dann wäre man ja wie sie und das will man auf keinen Fall sein.
Dabei sind gerade Narzissten oft keine verdruckste Eckensteher, die öffentliche Bühne ist ihr Metier, hier fühlen sie sich wohl und so ist der Partylöwe eine weitere Variante des Prinzips Narzissmus, der es genießt im Mittelpunkt zu stehen. Diese Menschen sind fast immer gut drauf und witzig und können zur Not einen ganzen Abend allein bestreiten, in dem sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und buchstäbliche Dutzende von Witzen erzählen können, was sehr unterhaltsam sein und einen eher mauen Abend retten kann und nur dann ab und zu ins Anstrengende kippt, wenn man auf noch was anderes erleben möchte als Witzen zu lauschen und der Vortragende den Punkt verfehlt, an dem man nicht mehr aus Spaß, sondern nur noch höflich bis gequält lacht. Eine andere Variante finden wir in den „Stellt euch vor, was mir wieder passiert ist“-Erzählungen, die zwar in aller Regel gelungen und spannend sind, bei denen man sich dann aber auf dem Nachhauseweg fragt, ob das alles sein kann und was mit dem eigenen Leben schief läuft, wenn das, was anderen wöchentlich passiert, bei einem selbst nur alle 5 Jahre vorkommt.
Ihnen allen ist die Asymmetrie gemeinsam. Im Leben und Erleben des Prinzip Narzissmus geht es immer ein wenig bunter, krasser, außergewöhnlicher zu, was schlicht daran liegen kann, dass man mehr zu erzählen hat, wenn man man Wochenende Freeclimbing macht, als wenn man fernsehend auf der Couch sitzt, aber die Besonderheiten in Serie machen so manchen skeptisch und nicht selten ist der eigene Glanz und die gute Geschichte wichtiger, als die Richtigkeit, wenigstens Übertreibungen sind beim Prinzip Narzissmus im Preis mit drin.