Frau im Profil, vor blauem Hintergrund, weißer Atem

Der Atem strömt kontinuierlich ein und aus … © LastHuckleBerry under cc

Holotropes Atmen ist eine Atemtechnik, die in sehr ähnlicher Weise unter verschiedenen Namen kursiert und sich dadurch auszeichnet, dass man zwischen dem Ein- und Ausatem keine Lücke lässt und den Atem verbindet.

Meine erste Erfahrung mit dem holotropen oder verbundenen Atem fand in einem geschützten therapeutischen Umfeld und einer Gruppe von etwa zehn weiteren Teilnehmern statt. In lockerer Kleidung lagen wir entspannt auf dem Rücken, unter uns ein angenehm weicher Teppich. Die Augen wurden geschlossen und zu sanfter Musik folgte die Einführung in eine leichte Trance, durch einen Atemtherapeuten, die den anderen Teilnehmern und mir bereits bestens bekannt und daher nicht mehr spannend, sondern tatsächlich entspannend war. Das sollte sich bald ändern.

Allmählich nahmen Musik und Stimme einen etwas intensivieren Charakter an, wir wurden angehalten, zwischen den Atemzügen keine Pause entstehen zu lassen, sondern nach dem Ausatmen sofort wieder einzuatmen: „Tief und voll und ganz bewusst“, wie es hieß. Im Grunde war das schon die ganze Gebrauchsanweisung für die nächste Zeit, in der jeder von uns eine Reise in sein Inneres antrat, die hatte es dann in sich.

Ich atmete wie vorgeschrieben, ohne Pause ein und aus. Bei mir begann es mit einem seltsamen Kribbeln an den Schläfen, so dass ich die Phantasie hatte, jemand hätte mir dort eine Rheuma-Salbe oder so etwas aufgetragen. Allerdings bemerkte ich davon nichts und ich fragte mich auch, wozu das hätte gut sein sollen. Doch das Kribbeln war schon recht bald nicht mehr interessant. Während dessen atmete ich weiter, die Musik wurde immer intensiver, rhythmischer, energetischer, die Atemzüge flossen wie von selbst und ich überlegte kurz, ob ich das bin, der da den Atem kontrolliert oder ob irgendwas einfach von selbst atmet, als ich plötzlich merkte, wie meine Hände sich selbstständig machten und neben den Schultern zu liegen kamen. Warum, wusste ich nicht, lösen konnte ich das in dem Moment auch nicht, ich hatte aber auch nicht das Bedürfnis, das einzige was ich unablässig machte, war atmen.

Doch damit war die Geschichte noch längst nicht zu Ende. Trotz der lauten, noch immer intensiver und dynamischer werdenden Musik hörte ich meinen keuchenden Atem, der sich anhörte wie beim Sex oder wenn man einen steilen Berg mit dem Fahrrad hochfährt. Doch beim Sex oder der privaten Bergetappe wird die Energie des Sauerstoffs für die Muskeln gebraucht, der Körper ist gerade schwer aktiv, beim holotopen Atmen eher nicht, zu den unterschiedlichen Spielarten später.

Da liegt man da und erlebt sich, wie man sich selbst nicht kennt. Abgesehen davon, dass meine die Hände, wie durch einen unsichtbaren Magneten an die Schultern getackert schienen und ich neben meinem keuchenden Atem noch die Anweisungen des Atemtherapeuten und die Musik vernahm, hörte ich neben meinem Ohr die hilfreiche Stimme einer auch mir zugeordneten Therapeutin, die mir ins Ohr flüsterte: „Weiter atmen. Der Atem trägt Sie da durch.“ Einfacher kann eine Anweisung im Grunde nicht nicht, atmen tun wir ohnehin unablässig. Äußerlich wurde das Bild, was ich und auch die anderen boten immer spektakulärer. Zu meinen verkrampften Armen kamen jetzt noch wellenartige Bewegungen hinzu, die durch den ganzen Körper gingen, als wäre oben am Scheitel ein Haken angebracht und mein Körper von Impulsen, wie von einer Hand, die eine Peitsche führt zu diesen Wellenbewegungen animiert. Doch ich hatte keine Gelegenheit mir darüber nähere Gedanken zu machen, ich merkte auch nicht genau, wie mir das passierte, sondern einfach, dass es mittlerweile wohl schon seit einiger Zeit der Fall war, dass mein Körper irgendwie machte, was er wollte und sich auch hier meiner Kontrolle entzog.

Aus einer anderen Ecke des Raumes hörte ich laute Schreie, die aber irgendwie passend waren und nicht störten, so wie überhaupt wenig da war, von dem man sich vorstellen konnte, dass es stören könnte. Atemzug für Atemzug ging es einfach immer weiter und nichts schien diesen Zug stoppen zu können. Ich hatte noch nicht mal die Möglichkeit mir Sorgen darüber zu machen, dass ich ja gar nicht wusste, wo die Reise eigentlich hin ging. Ich bin in einen Zug eingestiegen, der irgendwie immer schneller wurde und so spektakulär das Äußere auch sein mag, das Wesentliche findet im inneren Erleben statt. Die Eindrücke innen und außen rauschten immer schneller an mir vorbei, inzwischen bemerkte ich ein eigenartiges Gefühl der Enge, die Außenwelt drang nur noch bruchstückhaft zu mir durch, alles war Atmen und das Atmen war inzwischen reines Keuchen. Meine Therapeutin hat bemerkt, an welcher Stelle ich war und wieder hörte ich die Stimme: „Weiter atmen, der Atem trägt Dich da durch“ und so atmete ich weiter, ohne das Gefühl zu haben, dass es einen Plan B geben könnte, der Zug war ohne Rückfahrticket gebucht. Die Arme verkrampft, den Körper durchpeitschten Wellen, die Musik hatte inzwischen ihr maximales Niveau erreicht, von anderswo, Keuchen und Schreien, innerlich das Gefühl der Unausweichlichkeit und einer ungeheuren, aber ziellosen Intensität, gepaart mit einer wachsenden Enge, so als müsste da etwas überwunden werden, ein Prozess der in seinem langsamen aber kontinuierlichen Ansteigen nun schon vielleicht eine Stunde dauerte und auf dem Höhepunkt …

Ausgeschaltet

… war auf einmal nichts und niemand mehr. Ich kann nicht sagen, dass da alles schwarz und still war, weil ich gar nicht sagen kann, dass da überhaupt irgendeine Empfindung war. Ich war einfach nirgendwo, völlig ohne Empfindung und erst durch das Zurückkommen fühlte ich, dass ich nun wieder hier war. Das „woanders“ bezieht sich nicht auf den Raum, kein Zweifel, ich lag auch in der Zeit in der ich „weg“ war auf dem weichen Teppichoden, mit den anderen, die gerade zum ersten oder wiederholten Mal holotropes Atmen erlebten.

Als ich wieder da war, fühlte ich mich erschöpft, aber glücklich und war mir bewusst, dass ich so etwas bislang noch nie erlebt hatte. Es war still, die Musik war sanft, wir wurden in Decken eingepackt und wir sollten den Erlebnissen noch eine ganze Zeit nachspüren, verarbeiten und genießen, was wir eben erlebt haben und diese Erlebnisse bei uns zu behalten. Mein Empfinden war, dass ich woanders war und als sei ich in dieser Zeit wie ausgeschaltet gewesen, ohne dass sich das im mindesten falsch oder bedrohlich angefühlt hätte. In weiteren Atemsitzungen sollte sich das Erlebnisspektrum noch verfeinern, aber die Tür in diese andere Erlebensform wurde in diesen zwei Stunden geöffnet, Muskelkater am nächsten Tag inklusive.

Über das Wegsein kann ich nichts weiteres sagen, aber das Gefühl danach kann ich beschreiben. Ein tiefer Friede, der zu einem Teil sicher aus einer körperlichen Erschöpfung resultiert, aber das Gefühl war anders als nach intensivem Sport kaputt zu sein. Da war noch mehr. Es war einer jener Momente, in denen die Welt stimmt, in Ordnung ist, genau hier und jetzt und die daher mit einer fundamentalen Bedürfnislosigkeit einhergehen.