Kinder, die morgens nach dem Frühstück nicht erwarten können, nach draußen zu gelangen. Die den ganzen Vormittag in der Sonne spielen, zum Mittagessen eigentlich nicht nach Hause kommen wollen, danach sofort wieder nach draußen gehen und bis zum Abendessen nicht mehr heimkehren. Vor einiger Zeit war das noch so. Vor knapp hundert Jahren wussten Kinder an die hundert Kräuter zu unterscheiden, die in heimischen Wäldern wachsen. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Gewohnheiten allerdings geändert. Weniger Bewegung und vorrangig sitzende Spieltätigkeiten bei Kindern, vor dem Bildschirm. Dass das Übergewicht bei Kindern zusehends steigt, ist kein Geheimnis mehr. Doch auch die Kurzsichtigkeit bei Kindern nimmt zu.

Vorab: Das soll kein »Früher war alles besser«-Artikel werden. Vielmehr ein »Die Zeiten haben sich geändert«-Artikel, der aufzeigt, welche Möglichkeiten wir haben, um als Eltern auf die derzeitigen, mit neueren Technologien verbundenen Entwicklungen angemessen reagieren zu können.

Kurzsichtigkeit bei Kindern steigt

Kind im Hochstuhl mit Brille vor Holzwand

Kurzsichtigkeit bei Kindern wächst an © a4gpa under cc

Prognosen bestätigen, dass 2020 etwa ein Drittel der Menschheit an Kurzsichtigkeit leiden wird. Die Prävalenz der Kurzsichtigkeit bei Kindern in Deutschland wurde durch die »Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland« (KiGGS Basiserhebung 2003-2006) erhoben. Bei 3-17-jährigen Kindern lag das Vorhandensein einer Kurzsichtigkeit bei 13.3 Prozent. Tendenz steigend. Kurzsichtigkeit ist eine der häufigsten chronischen Beeinträchtigungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Mädchen und Gymnasiasten sollen häufiger betroffen sein.
Bei den Erwachsenen beträgt der Anteil der von Kurzsichtigkeit Betroffenen 35-40 Prozent. In China sollen sogar bis zu 90 Prozent der jungen Erwachsenen kurzsichtig sein.

Kurzsichtigkeit bei Kindern: Ursachen

Zeitgleich mit der weltweit steigenden Computernutzung und Bildschirmarbeit in den 90-er Jahren stieg auch die Wahrscheinlichkeit für Kurzsichtigkeit an. Da liegt es nahe, einen Zusammenhang zu sehen. Interessanterweise fand die KiGGS Basiserhebung keinen Zusammenhang zwischen Kurzsichtigkeit bei Kindern und der Mediennutzung. Jedoch konnte eine häufige Ausübung sportlicher Aktivitäten als positiver Faktor ausgemacht werden. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass sportliche Aktivitäten im Kindesalter das Risiko für Kurzsichtigkeit minimieren könnten. Neben der genetischen Komponente für die Tendenz zur Kurzsichtigkeit also durchaus eine Möglichkeit zur Beeinflussung der Wahrscheinlichkeit für Kurzsichtigkeit, welche auf dem Verhalten basiert.

Eine chinesische Studie fand darüber hinaus Überraschendes in Bezug auf die Ursachen der Kurzsichtigkeit bei Kindern.

Spielen im Freien soll Kurzsichtigkeit minimieren

Mädchen Junge Strand Meer Blume

Kinder brauchen Sonnenlicht: selbst an einem bewölkten Sommertag © Drew Tyre under cc

He et al. untersuchten bei Erstklässlern an zwölf chinesischen Grundschulen, ob eine Kurzsichtigkeit vorlag. Circa die Hälfte der Schüler sollte über einen Zeitraum von drei Jahren täglich 40 Minuten draußen verbringen, bei spielerischer und sportlicher Aktivität. Die Eltern der Kinder, welche in der Experimentalgruppe waren, wurden dazu angehalten, ihre Kinder für das Spiel außerhalb zu ermutigen. In der Kontrollgruppe wurde demgegenüber keine Verhaltensänderung hervorgerufen.

Nach Ablauf des Untersuchungszeitraums zeigte sich, dass bei den Kindern der Experimentalgruppe, die entsprechend Zeit im Freien verbracht hatten, bei etwa 30 Prozent eine Kurzsichtigkeit diagnostiziert wurde. Wohingegen bei der Kontrollgruppe, bei der die Kinder ihr Verhalten unverändert beließen, etwa bei 40 Prozent der Kinder eine Kurzsichtigkeit vorlag. Damit bestätigt die Studie andere Forschungsergebnisse, welche die Annahme unterstützen, dass das Spiel im Freien die Wahrscheinlichkeit für Kurzsichtigkeit reduzieren kann.

Experten für Augenheilkunde gehen davon aus, dass die Diskrepanz zwischen beiden Gruppen hinsichtlich der Entwicklung einer Kurzsichtigkeit bei Kindern noch stärker wäre, sobald die Kinder mehr Zeit als 40 Minuten draußen verbringen würden. Ein ausreichender Lichteinfall, zum Beispiel wie an einem leicht bewölkten Hochsommertag, soll das zu starke Längenwachstum des Augapfels, wie es bei Kurzsichtigkeit der Fall ist, eindämmen, so Professor Dr. rer. nat. Frank Schaeffel vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Tübingen.

Lesen als eine Ursache für Kurzsichtigkeit?

Die KiGGS Basiserhebung brachte zutage, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Kurzsichtigkeit zu entwickeln, bei Abiturienten höher ist. Etwa die Hälfte der Abiturienten in Deutschland soll kurzsichtig sein. Scheinbar wird man pro Jahr Ausbildung im Durchschnitt circa eine Viertel-Dioptrien kurzsichtiger.
Unabhängig davon, ob Kinder viel Zeit im Freien verbringen, wenn sie viel lesen, steigt das Risiko für Kurzsichtigkeit. Die Forschung dazu steckt noch in den Kinderschuhen. Hat der Zusammenhang zwischen der Kurzsichtigkeit bei Kindern und dem Lesen mit der vermehrten Anstrengung des Auges zu tun? Geht es um Schul- oder Leistungsstress als Kovariate, die beeinflussend wirkt? Dazu muss also noch weitere Aufklärung seitens der Wissenschaft erfolgen, um diesem weltweit in Leistungsgesellschaften wachsenden Phänomen der Kurzsichtigkeit im Kindes- und Erwachsenenalter gerecht werden zu können.

Was können Eltern tun?

Manche Punkte liegen auf der Hand, wenn es darum geht, was Eltern tun können, um das Risiko für Kurzsichtigkeit bei Kindern zu minimieren. Gute Ernährung und sportliche Bewegung können sicher nie schaden. Weniger Bildschirmzeit sicher auch nicht. Die Kids dazu anzuregen, mehr Zeit im Freien zu verbringen, ist ein weiterer Punkt, der sich aus den vorliegenden Forschungsergebnissen ergibt. Doch was, wenn der Sprössling sich sträubt?

verschwommenes Bild gelber Streifen

So sehen stark Kurzsichtige die Welt. © Gwen Fran under cc

Hier gilt es, kreativ zu sein. Kinder, bis zu einem gewissen Alter, entscheiden sich häufig gern für die gemeinsame Zeit mit den Eltern. Nun gilt es für Eltern eben, mehr Zeit und Aktivitäten für Draußen einzuplanen. Und ja, auch die moderne Technologie kann dabei nützlich sein. Es gibt Apps zum Ansporn für sportliche Aktivitäten, Suchspiele via App, die im Freien stattfinden, und vieles mehr. Wie erwähnt: Hier sind Aufgeschlossenheit, Neugierde und Kreativität gefragt.

Zumindest bei den Jüngeren werden die Eltern vornehmlich dabei sein, wenn die Kinder draußen spielen. Umstritten ist, ob die realen Gefahren für Kinder in der heutigen Zeit zugenommen haben, wenn sie alleine draußen spielen. Die Risikowahrnehmung der Eltern hat sich in jedem Fall geändert. Viele sind vorsichtiger, bleiben länger in der Nähe des Nachwuchses, als es vor zehn oder zwanzig Jahren noch üblich gewesen ist. Helikoptereltern ist ein Begriff, der Eltern mit einer solchen Gesinnung zu Unrecht ins Lächerliche zieht.

So oder so, gemeinsam verbrachte Zeit, noch dazu wenn sie im Freien stattfindet, scheint das Risiko für Kurzsichtigkeit bei Kindern zu verringern. Zudem fördert sie den Stressabbau – bei Eltern und bei Kindern. Viel Spaß!